Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Aussetzung der Vollziehung von Referenzmengenfeststellungsbescheiden

 

Leitsatz (NV)

Die Vollziehung eines Referenzmengenfeststellungsbescheids des HZA kann nicht ausgesetzt werden, wenn die Aussetzung mit der Begründung beantragt wird, es lägen die Voraussetzungen eines (von der zuständigen Landesstelle nicht bescheinigten) Härtefalles vor. Der Antragsteller kann in diesem Fall vorläufigen Rechtsschutz bei der Landesstelle bzw. den Verwaltungsgerichten suchen.

 

Normenkette

FGO § 69 Abs. 2-3; MGVO § 4 Abs. 5 S. 2, § 9 Abs. 2

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Landwirt und Milcherzeuger. Mit Schreiben vom 2. Juli 1984 teilte die Molkerei F., an die der Kläger Milch abliefert, mit, daß seine Anlieferungs-Referenzmenge nach § 4 der Milch-Garantiemengen-Verordnung (MGVO) 289 600 kg betrage. Gegen diese Festsetzung legte der Kläger am 23. Oktober 1984 beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Hauptzollamt - HZA -) Einspruch mit dem Antrag ein, die Referenzmenge auf 298 375 kg festzusetzen.

Bei der Landwirtschaftskammer W beantragte der Kläger unter dem 3. August 1984 die Anerkennung einer besonderen Situation nach § 6 Abs. 2 MGVO und zusätzliche Referenzmengen wegen von ihm abgeschlossener Baumaßnahmen ohne Aufstockung der Zahl der Milchkühe. Diesen Antrag lehnte die Landwirtschaftskammer mit Schreiben vom 19. September 1984 ab. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies die Landwirtschaftskammer mit Entscheidung vom 5. August 1985 zurück. Gegen die Ablehnung hat der Kläger Klage vor dem Verwaltungsgericht (VG) in O erhoben.

Auf Antrag des Klägers setzte das HZA mit Bescheid vom 24. Oktober 1984 die Vollziehung des Feststellungsbescheides über eine Referenzmenge von 289 600 kg bis zu einer Referenzmenge von 309 200 kg bis zur Entscheidung über den Einspruch aus. Mit Schreiben vom 8. März 1985 widerrief das HZA die Aussetzung. Die Beschwerde des Klägers gegen diesen Widerruf wies die Oberfinanzdirektion (OFD) mit Entscheidung vom 29. August 1985 als unbegründet zurück.

Mit seiner am 16. September 1985 erhobenen Klage beantragte der Kläger sinngemäß, unter Aufhebung der die Aussetzung der Vollziehung ablehnenden Entscheidungen von HZA und OFD das HZA zu verpflichten, die Vollziehung des Referenzmengenbescheides ,,in Höhe von 5 600 DM" auszusetzen.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit folgender Begründung ab: Aussetzung der Vollziehung könne nur begehrt werden, wenn ein vollziehbarer Verwaltungsakt vorliege. Die Mitteilung der Molkerei sei kein solcher Verwaltungsakt. Auch wenn man sie als Verwaltungsakt ansehen würde, könne die Klage keinen Erfolg haben. So lange eine Bescheinigung der zuständigen Landesstelle bzw. eine einstweilige Anordnung des zuständigen VG nicht vorliege, sei die Rechtmäßigkeit der Referenzmengenfestsetzung nicht ernstlich zweifelhaft. Der Kläger könne vorläufigen Rechtsschutz bezüglich der Referenzmenge nur durch eine Maßnahme im Bereich der zuständigen Landesstelle bzw. des VG erreichen. Das FG hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

Seine Revision begründet der Kläger im wesentlichen wie folgt: Nach § 29 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Durchführung der gemeinsamen Marktorganisation (MOG) sei der Finanzrechtsweg gegeben. Nach § 4 Abs. 5 MGVO erhalte das HZA eine Mitteilung der Molkerei über die Referenzmenge. Diese Mitteilung gelte als gesonderte Festsetzung der Referenzmenge. Die Aussetzung der Vollziehung eines Referenzmengenfeststellungsbescheides falle in die Zuständigkeit des HZA. Er, der Kläger, habe im Vorverfahren dargelegt, daß gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit der Referenzmengenfeststellung sprechende Gründe zutage getreten seien. Das HZA habe ihm daher vorläufigen Rechtsschutz durch Aussetzung der Vollziehung zu gewähren.

Zu den Entscheidungen des Senats vom 17. Dezember 1985 VII B 116/85 (BFHE 145, 289) und vom 25. März 1986 VII B 164-165/85 (BFHE 146, 188) nahm der Kläger wie folgt Stellung: Der Bundesfinanzhof (BFH) habe in den Entscheidungen festgestellt, daß in der stillschweigenden Entgegennahme der Mitteilung der Molkerei durch das HZA ein Referenzmengenfeststellungsbescheid zu sehen sei. Insoweit seien die genannten Entscheidungen auch auf den vorliegenden Fall anzuwenden. Im übrigen aber unterschieden sie sich vom vorliegenden Fall. Die Entscheidung in BFHE 145, 289 behandle einen Fall, in dem ein Junglandwirt eine höhere Referenzmenge begehrt habe. Da die MGVO für Junglandwirte keine Regelung vorsehe, habe der dortige Antragsteller keine Gründe aufführen können, die ernstliche Zweifel hätten dartun können. Nach dem Sachverhalt des Beschlusses in BFHE 146, 188 habe der dortige Antragsteller sich auf die Verfassungswidrigkeit der MGVO berufen; auch habe das VG die Geltendmachung einer besonderen Situation rechtskräftig abgelehnt. Im vorliegenden Fall sei beides nicht gegeben. Das HZA könne sich nicht darauf berufen, daß eine höhere Referenzmenge erst berücksichtigt werden könne, wenn eine entsprechende Bescheinigung der zuständigen Landesstelle vorliege. Dadurch würde ihm, dem Kläger, im Prinzip die Möglichkeit des vorläufigen Rechtsschutzes genommen. Außerdem müsse das HZA als zuständige Bundesfinanzbehörde über den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung selbst entscheiden.

Der Kläger beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung ,,die Aussetzung der Vollziehung zu gewähren", hilfsweise, die Sache an das FG zurückzuverweisen. Auf Frage des Berichterstatters, wie der Aussetzungsantrag in der Vorinstanz, den Referenzmengenbescheid ,,in Höhe von 5 600 DM" auszusetzen, zu verstehen sei, erwiderte der Kläger: Er habe im Wirtschaftsjahr 1984/85 ca. 11 000 kg Milch über die ihm zugeteilte Quote von 289 600 kg hinaus abgeliefert. Die Molkerei habe daraufhin ca. 5 600 DM Milchgeld einbehalten. Im Ausgangspunkt strittig sei jedoch der Unterschied zwischen der ursprünglich festgesetzten Referenzmenge von 289 600 kg und einer Referenzmenge, die sich aufgrund seines Härtefallantrages in Höhe von 309 200 kg ergeben würde. In dieser Höhe habe das HZA zunächst die Aussetzung gewährt und dann widerrufen.

Das HZA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Zur Begründung führte es aus: Es dürfe eine höhere Referenzmenge nur festsetzen, wenn der Milcherzeuger durch Vorlage einer Bescheinigung der zuständigen Landesstelle nachweise, daß eine besondere Situation vorliege. Streitigkeiten über die Erteilung einer entsprechenden Bescheinigung nach § 9 Abs. 2 MGVO seien im Verwaltungsrechtsweg auszutragen. Dementsprechend müsse der Kläger auch vorläufigen Rechtsschutz vor den VG suchen (BFHE 145, 289). Der Kläger habe die erforderliche Bescheinigung nicht vorgelegt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

1. Nach den Erläuterungen des Klägers zu seinem Antrag ist davon auszugehen, daß er den Antrag gestellt hat, unter Aufhebung der die Aussetzung der Vollziehung ablehnenden bzw. widerrufenden Entscheidungen von HZA und OFD das HZA zu verpflichten, die Vollziehung des Referenzmengenfeststellungsbescheids über 289 600 kg auszusetzen und dabei auszusprechen, daß vorläufig eine Referenzmenge in Höhe von 309 200 kg zugrunde zu legen sei.

2. Die Klage ist nicht etwa deswegen unzulässig, weil dem Kläger die Antragsmöglichkeit des § 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) bei dem FG offenstand. Im Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung verdrängt § 69 Abs. 3 FGO die allgemeinen Vorschriften über die Klagearten nicht; für ein Klageverfahren über die Aussetzung der Vollziehung fehlt deshalb das Rechtsschutzbedürfnis nicht (vgl. Beschluß des Großen Senats des BFH vom 24. Juni 1985 GrS 1/84, BFHE 144, 124, BStBl II 1985, 587).

3. Zu Recht hat das FG - ohne weitere Begründung - den Finanzrechtsweg für gegeben erachtet (vgl. BFHE 145, 289).

4. Der Kläger begehrt, das HZA zu verpflichten, im Wege vorläufigen Rechtsschutzes eine höhere als die bisher festgestellte Referenzmenge festzustellen. Wie der Senat mit Beschluß in BFHE 145, 289 entschieden hat, ist in einem solchen Fall Rechtsschutz durch Aussetzung der Vollziehung und nicht durch einstweilige Anordnung zu gewähren. Auch das FG ist offenbar davon ausgegangen.

5. Die Aussetzung der Vollziehung setzt das Vorliegen eines Verwaltungsakts voraus. Entgegen der Auffassung des FG ist hier ein solcher gegeben. Er liegt in der stillschweigenden Entgegennahme der Mitteilung der Molkerei durch das HZA nach § 4 Abs. 5 Satz 2 MGVO. Der Senat verweist zur Begründung auf seinen Beschluß in BFHE 146, 188.

6. Nach § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO soll das HZA auf Antrag die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Zur Begründung verweist der Senat auf Nr. 3 der Gründe seines Beschlusses in BFHE 145, 289.

Entgegen der Auffassung des Klägers sind die in dieser Entscheidung enthaltenen Rechtsgrundsätze auch auf den vorliegenden Fall anzuwenden. Sie gelten ohne Rücksicht auf die im Einzelfall erhobenen Einwendungen gegen den Feststellungsbescheid für alle Fälle, in denen die Aussetzung der Vollziehung eines Referenzmengenfeststellungsbescheids mit der Begründung beantragt wird, es sei eine besondere Situation gegeben, die zur Festsetzung einer höheren Referenzmenge zwinge. So aber begründet der Kläger seinen Aussetzungsantrag. Dem Kläger wird dadurch nicht, wie er meint, die Möglichkeit vorläufigen Rechtsschutzes genommen. Der Senat hat im Beschluß in BFHE 145, 289 ausdrücklich darauf hingewiesen, daß der Betroffene jeweils vorläufigen Rechtsschutz bei der zuständigen Landesstelle bzw. bei den VG suchen kann.

 

Fundstellen

Haufe-Index 414688

BFH/NV 1987, 196

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