Leitsatz (amtlich)
1. Der Senat schließt sich dem Beschluß des V. Senats V B 71/70 vom 29. April 1971 (BFH 102, 429, BStBl II 1971, 632) an, nach dem im Vollziehungsaussetzungsverfahren § 68 FGO entsprechend anzuwenden ist.
2. Die Vollziehung eines Gewinnfeststellungsbescheides kann nicht ausgesetzt werden, soweit vorgetragen wird, es sei ein zu geringer Verlust festgestellt worden.
Normenkette
AO § 215 Abs. 2, § 242 Abs. 2; FGO §§ 68, 69 Abs. 2, § 123 S. 2, § 127
Tatbestand
Streitig ist die Aussetzung der Vollziehung des Gewinnfeststellungsbescheides für das Jahr 1964. Revisionsklägerin ist die X-KG in Berlin (KG). Sie errichtete in Berlin ein Gebäude, das im April 1967 bezugsfertig wurde. Die Baustelle dafür wurde im Dezember 1964 eingerichtet. Für das Kalenderjahr 1964 erklärte die KG zur einheitlichen Gewinnfeststellung einen Verlust aus Gewerbebetrieb. Sie wies in der Bilanz vom 31. Dezember 1964 Verbindlichkeiten aufgrund von Lieferungen und Leistungen von 1 600 060 DM aus, die sie als Herstellungskosten des Neubaues bezeichnete. Die KG machte für das Jahr 1964 nach § 14 Abs. 3 BHG 1964 erhöhte Absetzungen von 1 200 600 DM geltend.
Der Revisionsbeklagte (FA) erkannte die erhöhten Absetzungen nicht an, weil das Gebäude zu mehr als 66 2/3 v. H. Wohnzwecken diene. Über den Einspruch hat das FA bisher nicht entschieden.
Die KG beantragte, die Vollziehung des Gewinnfeststellungsbescheides 1964 nach § 242 AO auszusetzen. Gegen die Ablehnung des Antrages erhob sie Beschwerde, die nur zu einem geringen Teil Erfolg hatte. Die OFD Berlin wies die Beschwerde insoweit als unbegründet zurück, als sie auf einem über 110 000 DM hinausgehenden Verlustbetrag beruhte, weil als Teilherstellungskosten allenfalls ein Betrag von 143 000 DM für Architektenhonorar und ähnliches in Betracht käme.
Gegen die Beschwerdeentscheidung erhob die KG Klage. Die OFD trat dem Verfahren bei. Das FG wies die Klage mit der Begründung ab, die von der KG erstrebte Auslegung des Begriffs der Teilherstellungskosten entspreche nicht dem Sinn des BHG.
Während des von der KG gegen das Urteil des FG eingeleiteten Revisionsverfahrens führte das FA bei ihr eine Betriebsprüfung durch. Das Prüfungsergebnis hatte zur Folge, daß das FA den Gewinnfeststellungsbescheid für das Jahr 1964 nach § 222 AO berichtigte. Statt eines Verlustes aus Gewerbebetrieb stellte es nunmehr einen Verlust aus Vermietung und Verpachtung für die KG fest.
Die KG beantragt, den geänderten Feststellungsbescheid zum Gegenstand des Verfahrens zu machen und die Vollstreckung dieses Bescheides unter Aufhebung der Vorentscheidungen auszusetzen. Sie führt dazu aus, sie habe gegen den geänderten Feststellungsbescheid Einspruch eingelegt und werde ihre Einwendungen gegen den Betriebsprüfungsbericht gesondert vorbringen. Durch die Änderung der Einkunftsart falle die Grundlage für die Anwendung des § 14 BHG fort. Nach der Ansicht der KG sei das Urteil des FG aufzuheben und die Sache an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung über den geänderten Feststellungsbescheid zurückzuverweisen (§ 127 FGO).
Das FA hält das Verfahren in der Hauptsache für erledigt. Der Bescheid, um dessen Vollziehung es sich gehandelt habe, sei rechtlich nicht mehr vorhanden. Infolgedessen sei auch die angefochtene Verfügung gegenstandslos geworden. Für eine Anwendung des § 68 FGO sei kein Raum.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist nicht begründet.
Der Antrag der KG ist zulässig.
Die KG ist in entsprechender Anwendung des § 68 FGO befugt, die Aussetzung der Vollziehung des vom FA noch während des Vorverfahrens berichtigten und von der KG wiederum angefochtenen Feststellungsbescheides zu beantragen. Die durch § 68 FGO gegebene Möglichkeit, das gerichtliche Verfahren zu beschleunigen, kann auch für das ohnehin summarische Verfahren der Aussetzung der Vollziehung genutzt werden. Die entsprechende Anwendung des § 68 FGO in diesem Verfahren setzt nach dem Beschluß des BFH V B 71/70 vom 29. April 1971 (BFH 102, 429, BStBl II 1971, 632) nur voraus, daß das Aussetzungsverfahren gerichtsanhängig ist, der angefochtene Bescheid geändert wurde und auch der Änderungsbescheid angefochten worden ist. Die Gerichtshängigkeit des Hauptsacheverfahrens wird nicht gefordert.
Im Streitfall sind die Voraussetzungen für die entsprechende Anwendung des § 68 FGO erfüllt. Der Senat sieht jedoch keinen Anlaß, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache nach § 127 FGO an das FG zurückzuverweisen. Das FG könnte zu keiner anderweitigen Entscheidung gelangen.
Die OFD hat in der Beschwerdeentscheidung die Vollziehung des ursprünglichen Feststellungsbescheides zum Teil ausgesetzt. Das FG meint, darüber hinaus könne keine Aussetzung erfolgen, weil keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung bestünden. Das FG ist dabei - wie auch die OFD - von der Annahme ausgegangen, daß im Aussetzungsverfahren auch ein Verlust berücksichtigt werden könne, der höher ist als der, den das FA im Gewinnfeststellungsbescheid festgestellt hat. Diese Annahme trifft nicht zu.
Der BFH hat zwar in der Entscheidung IV 382/60 U vom 25. Januar 1962 (BFH 75, 141, BStBl III 1962, 319) offengelassen, ob Gewinnfeststellungsbescheide wegen des fehlenden Leistungsgebots überhaupt einer Vollziehung fähig seien, und ob es deshalb rechtlich möglich sei, ihre Vollziehung auszusetzen. Durch die §§ 242 AO und 69 FGO ist klargestellt, daß der Grundsatz der Vollziehbarkeit für alle Verwaltungsakte, also auch für Feststellungsbescheide, gilt. Feststellungsbescheide werden vollzogen, indem die in ihnen enthaltenen Entscheidungen den Folgebescheiden zugrunde gelegt werden. Da diese Entscheidungen selbständig angefochten werden können (§ 232 Abs. 2 AO), läßt das Gesetz zu, daß auch die Vollziehbarkeit der angefochtenen Feststellungsbescheide vorübergehend gehemmt werden kann (§ 242 Abs. 2 AO). Die Aussetzung der Vollziehung der Grundlagenbescheide bewirkt, daß auch die Vollziehung der auf ihnen beruhenden Folgebescheide auszusetzen ist (§ 242 Abs. 2 Satz 3 AO). Wie bei Steuerbescheiden kann auch bei den nach § 215 Abs. 2 AO ergangenen Gewinnfeststellungsbescheiden der Umfang der Aussetzung der Vollziehung innerhalb der Grenzen, die durch die Anfechtung des Bescheides gezogen sind, eingeschränkt werden (BFH-Beschluß IV B 47/68 vom 7. November 1968, BFH 94, 120, BStBl II 1969, 85). Zweifelhaft ist dagegen, ob der Umfang der Aussetzung der Vollziehung über den konkreten Inhalt des angefochtenen Feststellungsbescheides hinaus ausgedehnt werden kann, wenn beispielsweise statt des festgestellten Gewinns die Feststellung eines Verlustes oder - wie im Streitfall - die Feststellung eines wesentlich höheren Verlustes verlangt wird.
Im Schrifttum wird die Ansicht vertreten, daß bei Grundlagenbescheiden die vorläufige Hemmung der Folgewirkung nicht auf ihren positiven Inhalt beschränkt zu werden brauchte, sondern auch auf den negativen Inhalt (den erstrebten Verlust) ausgedehnt werden könne (Woerner, BB 1970, 787). Zur Begründung wird angeführt, daß den Feststellungsbescheiden in jedem Fall ein eigentlich vollziehbarer Inhalt fehle, weil sie lediglich eine einzelne Besteuerungsgrundlage feststellten, daß also die vom Gesetz zugelassene Aussetzung ihrer Vollziehung nur als eine Aussetzung im übertragenen Sinne anzusehen sei und deshalb kein Unterschied bestehen könne, ob nun eine positive oder eine negative Folgewirkung des Bescheides vorläufig beseitigt werden solle.
Dem stehen jedoch der Gesetzeswortlaut und die Gesetzessystematik entgegen. In den §§ 242 Abs. 2 AO und 69 Abs. 2 FGO sind sowohl die Voraussetzungen für die Gewährung der Aussetzung der Vollziehung wie das Aussetzungsverfahren für Verwaltungsakte aller Art, also für Steuerbescheide und ebenso für Feststellungsbescheide, einheitlich geregelt. Nach dem Wortlaut des Gesetzes kann der Verwaltungsakt nur in der Gestalt ausgesetzt werden, wie die Behörde ihn erlassen hat. Die Aussetzung der Vollziehung eines Grundlagenbescheides kann keine weitergehenden Folgewirkungen haben als die Neutralisierung der Wirkungen, die seine Vollziehung gehabt hätte. Aus der gesetzlichen Gleichstellung der Steuerbescheide und der Gewinnfeststellungsbescheide im Vollziehungsaussetzungsverfahren ist zu schließen, daß bei beiden Arten von Bescheiden die Aussetzung der Vollziehung der Sache und dem Umfang nach nicht über die Entscheidungen hinausgehen soll, die durch den angefochtenen Bescheid vollzogen werden könnten. Im Aussetzungsverfahren kann nur die vorläufige Nichtberücksichtigung eines ergangenen Bescheides, nicht aber die vorläufige Berücksichtigung eines nicht ergangenen Bescheides begehrt werden (Grimm, DStR 1969, 657).
Wendet man diese Grundsätze auf den Streitfall an, so könnte das FG dem Klagebegehren auch dann nicht stattgeben, wenn es die Inanspruchnahme der erhöhten Absetzungen nach § 14 BHG in dem von der KG verlangten Umfang für zutreffend halten würde, sodaß eine Zurückverweisung der Sache an das FG zu keiner anderen Entscheidung führen könnte.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 FGO.
Fundstellen
Haufe-Index 413028 |
BStBl II 1972, 218 |
BFHE 1972, 546 |