Entscheidungsstichwort (Thema)
Zeitpunkt der Abtretung und Pfändung von ESt-Erstattungsansprüchen; Aufrechnungslage bei gegenseitiger Aufrechnungserklärung
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Einkommensteuererstattungsanspruch wegen Überzahlung von Vorauszahlungen kann --unabhängig von der Festsetzung der Jahressteuer-- mit Ablauf des Veranlagungszeitraums abgetreten und gepfändet werden.
2. Hat der Steuerpflichtige einen gegen das FA gerichteten Erstattungsanspruch abgetreten und besteht im Zeitpunkt der Abtretungsanzeige zugunsten des FA eine Aufrechnungslage, so kann das FA die Aufrechnung auch gegenüber dem Neugläubiger erklären .
Die Aufrechnung ist jedoch nur solange möglich, wie im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung die Aufrechnungslage noch fortbesteht. Erklärt der Neugläubiger seinerseits früher als das FA mit der ihm abgetretenen Forderung gegen eigene Steuerschulden die Aufrechnung, geht die Aufrechnungserklärung des FA ins Leere. Für ein Widerspruchsrecht des FA gegen eine frühere Aufrechnungserklärung des Neugläubigers ist kein Raum (Bestätigung des Urteils des Senats vom 10.Februar 1976 VII R 37/72, BFHE 118, 526, BStBl II 1976, 549).
Orientierungssatz
1. Für die Aufrechnungserklärung ist keine besondere Form vorgeschrieben; sie kann mündlich, schriftlich oder durch schlüssige --dem Erklärungsempfänger erkennbare-- Handlung erfolgen (vgl. Rechtsprechung: BFH, BGH, RG). Da die Aufrechnungserklärung eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung darstellt, die ohne Zutun des Erklärungsempfängers rechtsgestaltend auf dessen Rechtsstellung einwirkt, muß sich der Wille zur Tilgung und Verrechnung klar und unzweideutig aus der Aufrechnungserklärung ergeben (Literatur). Bestehen mehrere Forderungen, führt auch die Nichtbenennung der Gegenforderung nicht zur Unwirksamkeit der Aufrechnungserklärung. Es genügt, wenn die Gegenforderung bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung konkretisiert wird (vgl. Rechtsprechung: BFH, BGH).
2. NV: Besteht über die Höhe der im Abrechnungsbescheid nach Jahr und Steuerart konkretisierten Steuerforderung des FA Einigkeit und streiten die Parteien lediglich darüber, ob die --unstreitige-- Steuerforderung durch Aufrechnung des Klägers erlöschen konnte, muß es hier für die Bezeichnung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis i.S. des § 218 Abs. 2 AO 1977 genügen, wenn die Forderung nach Art und Jahr bezeichnet und die --unstreitige-- Höhe bestimmbar ist.
Normenkette
AO 1977 § 37 Abs. 2, §§ 46, 226; EStG § 36 Abs. 1, 4 S. 2; BGB § 387 ff., §§ 388, 387; AO 1977 § 218 Abs. 2; BGB §§ 396, 406
Verfahrensgang
FG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 10.06.1988; Aktenzeichen IX K 349/87) |
Tatbestand
I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Steuerberater. Am 29.Juni 1983 reichten sie beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) eine Abtretungsanzeige ein, nach der die Steuerpflichtige S ihren Erstattungsanspruch aus der noch durchzuführenden Einkommensteuerveranlagung 1982 wegen offener Honoraransprüche an die Kläger abgetreten hatte. Im Zeitpunkt der Abtretungsanzeige beliefen sich die Steuerschulden der Frau S aufgrund der Einkommensteuerveranlagung 1979 auf 53 572,30 DM, fällig seit dem 20.September 1982.
Die Einkommensteuerveranlagung 1982 mit Bescheiddatum vom 12.Juli 1983 führte zu einem Erstattungsanspruch von 10 611,40 DM. Auf dem an Frau S adressierten Steuerbescheid vermerkte das FA, daß die Erstattung mit fälligen Beträgen aus der Einkommensteuer 1979 verrechnet werde.
Außerdem teilte das FA mit am gleichen Tage abgesandten Schreiben (12.Juli 1983), das einen Erlaßantrag der Kläger betraf, am Ende mit:
"Zu Ihrer am 29.6.1983 vorgelegten Abtretungsanzeige möchte ich noch
darauf hinweisen, daß das Finanzamt die Erstattungsansprüche zunächst mit
eigenen Ansprüchen aufrechnet."
Mit Schreiben vom 15.Juli 1983 (zugegangen am selben Tage) übersandten die Kläger ihre Umsatzsteuervoranmeldungen für Mai 1983 (9 942,50 DM) und Juni 1983 (10 270,50 DM) an das FA und erklärten gleichzeitig die Aufrechnung gegen ihre Umsatzsteuerschuld von insgesamt 20 213 DM mit dem ihnen von Frau S abgetretenen Erstattungsanspruch i.H. von 10 611,40 DM.
Hierauf antwortete das FA mit Schreiben vom 26.Juli 1983, eine Aufrechnung durch die Kläger sei nicht möglich, da wegen der im Zeitpunkt der Guthabenentstehung vorhandenen Steuerrückstände der Frau S kein Erstattungsanspruch bestanden habe, der an die Kläger hätte abgetreten werden können.
Das FA erließ unter dem 16.November 1987 einen Abrechnungsbescheid, in dem ausgeführt ist, daß sich der Erstattungsanspruch der Kläger durch "Umbuchung" auf Steuerrückstände der Frau S auf "0 DM" belaufe.
Nach erfolglosem Einspruch wies das FG die Klage mit den in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1988, 611 abgedruckten Gründen ab.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Der Abrechnungsbescheid vom 16.November 1987 ist rechtswidrig. Das FG hat zu Unrecht der Aufrechnungserklärung der Kläger die rechtliche Wirksamkeit abgesprochen.
++/ Die Rechtswidrigkeit des Abrechnungsbescheids ergibt sich allerdings nicht schon daraus, daß in dem Abrechnungsbescheid der Steueranspruch nicht nach Art, Jahr und Betrag bezeichnet worden ist, wie es nach der Rechtsprechung des Senats erforderlich wäre (Urteile vom 1. August 1979 VII R 115/76, BFHE 128, 251, BStBl II 1979, 714; vom 8. Juni 1966 VII 293/64, BFHE 86, 409, BStBl III 1966, 563). Wie das FG zutreffend ausgeführt hat, ist Gegenstand der Anfechtungsklage gemäß § 44 Abs. 2 FGO der Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch die Einspruchsentscheidung gefunden hat. Da in der Einspruchsentscheidung vom 11. Dezember 1987 Steuerart und Jahr genannt sind, ist das Fehlen dieser Angaben im Bescheid geheilt. Daß jedoch auch in der Einspruchsentscheidung Angaben über den Betrag der Steuerforderung fehlen, ist unter den vorliegenden Umständen unschädlich, denn die Anforderungen, die an die Bezeichnung der "Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis" im Sinne des § 218 Abs. 2 AO 1977 zu stellen sind, hat der Senat aus dem Zweck des Abrechnungsbescheides hergeleitet, Meinungsverschiedenheiten zwischen Steuerpflichtigem und Finanzbehörde darüber zu beseitigen, ob Zahlungspflichten erloschen sind oder nicht (BFHE 128, 251, BStBl II 1979, 714). Aufgrund der beiden Entscheidungen zugrundeliegenden Sachverhalte (Urteil vom 1. August 1979: Verjährung ohne Trennung der Veranlagungszeiträume nicht prüfbar; Urteil vom 8. Juni 1966: Zusammenfassung von mehreren Arten und Jahren von Lohnabzugsbeträgen) war aber in den Urteilsfällen eine Beseitigung der Meinungsverschiedenheiten ohne nähere Aufschlüsselung der Steuerforderungen nach Art, Jahr und Betrag nicht möglich. Da hier jedoch über die Höhe der nach Jahr und Steuerart konkretisierten Steuerforderung Einigkeit bestand und die Parteien lediglich darüber streiten, ob die --unstreitige-- Steuerforderung durch die Aufrechnung der Kläger in Höhe von 10 611,40 DM erlöschen konnte, muß es hier für die Bezeichnung der Ansprüche genügen, wenn die Forderung nach Art und Jahr bezeichnet und die --unstreitige-- Höhe bestimmbar ist. /++
1. Die Kläger sind aufgrund der Abtretungsanzeige vom 29. Juni 1983 Rechtsnachfolger hinsichtlich des Steuererstattungsanspruchs der Frau S geworden.
Der Senat folgt insoweit nicht der Ansicht des FA, daß die Abtretung des Erstattungsanspruchs wirksam erst nach Festsetzung der Einkommensteuer 1982 am 12.Juli 1983 habe erfolgen können; denn der Erstattungsanspruch war bereits mit Ablauf des Veranlagungszeitraums 1982 entstanden, so daß die Abtretung gemäß § 46 Abs.2 der Abgabenordnung (AO 1977) dem FA seit dem 1.Januar 1983 wirksam angezeigt werden konnte.
a) Allerdings ist die Frage, wann ein Erstattungsanspruch entsteht, streitig. Nach der sog. "materiellen Rechtsgrundtheorie" (BFH-Urteil vom 7.März 1968 IV R 278/66, BFHE 92, 153, BStBl II 1968, 496, 498; Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts --BVerwG-- vom 14.Dezember 1984 8 B 112/84, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 1985, 483; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13.Aufl., § 37 AO 1977 Tz.14; Drenseck in Schmidt, Einkommensteuergesetz, 8.Aufl. 1989, § 37 Anm.1, § 42 Anm.7; Heinicke in Schmidt, Einkommensteuergesetz, § 36, Anm.16; Fischer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 9.Aufl., § 38 AO 1977, Anm.77-82; Halaczinsky in Koch, Abgabenordnung, 3.Aufl., § 38, Anm.7) entsteht dieser bei Überzahlung mit Ablauf des Besteuerungs- bzw. Veranlagungszeitraums. Nach der "formellen Rechtsgrundtheorie" (BFH-Urteil vom 18.Dezember 1986 I R 52/83, BFHE 149, 440, BStBl II 1988, 521; Klein-Orlopp, Abgabenordnung, 4.Aufl., § 38, Anm.3d; Offerhaus in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 37 AO 1977, Anm.49; Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 15.Aufl., § 37 AO 1977, Anm.6, § 46 AO 1977 Anm.4; differenzierend zwischen Erstattungsansprüchen nach Vorauszahlungen und fehlerhaft festgesetzten Steuern: Söhn, Steuerrechtliche Folgenbeseitigung durch Erstattung 1973, 144 ff.) führt dagegen erst die Änderung der einer Erstattung entgegenstehenden Steuerfestsetzung --hier der Einkommensteuervorauszahlungsbescheide der Frau S-- zum Entstehen des Anspruchs.
b) Welcher Auffassung grundsätzlich der Vorzug zu geben ist, braucht hier nicht abschließend entschieden zu werden. Jedenfalls für den Bereich der Abtretung und Pfändung von Einkommen- und Lohnsteuererstattungsansprüchen (§ 46 Abs.1, Abs.2 und 6 AO 1977 i.V.m. § 36 Abs.4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes --EStG-- bzw. § 42 Abs.1 EStG) folgt der Senat der Auffassung, daß diese entsprechend der allgemeinen Praxis (vgl. Bundesminister der Finanzen, Anwendungserlaß zur Abgabenordnung zu § 46, BStBl I 1987, 664) bereits mit Ablauf des jeweiligen Veranlagungs- bzw. Lohnzahlungszeitraums abtretbar und pfändbar sind.
aa) Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis entstehen gemäß § 38 AO 1977, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft. Der Einkommensteuererstattungsanspruch entsteht somit unmittelbar kraft Gesetzes mit Vollendung des Veranlagungszeitraumes, sobald und soweit die Summe der Vorauszahlungen die materiell geschuldete Steuer übersteigt (§ 36 Abs.1 i.V.m. Abs.4 Satz 2 EStG). Wollte man dagegen die Wirksamkeit einer Abtretungsanzeige ebenso wie die Wirksamkeit einer Pfändung des Erstattungsanspruchs in Fällen vorhergehender Einkommensteuervorauszahlungen von der Festsetzung der Jahressteuer abhängig machen, wäre eine wirtschaftlich sinnvolle Abtretung oder Pfändung von Erstattungsansprüchen praktisch ausgeschlossen; erfolgte nämlich die Abtretungsanzeige oder Pfändungsverfügung vor der dem Gläubiger unbekannten Zustellung des Steuerbescheides, wären beide gemäß § 46 Abs.2 bzw. Abs.6 AO 1977 rechtlich unwirksam, erfolgte sie nach Bekanntgabe und Auszahlung der Steuererstattung, ginge sie wegen Erlöschens des Zahlungsanspruchs ins Leere. Dies entspräche jedoch nicht dem Willen des Gesetzgebers. Mit der Ausschließung von Abtretungen und Pfändungen vor Entstehen des Steuererstattungsanspruchs durch die Neufassung des § 46 der Reichsabgabenordnung (AO) mit der AO 1977 wollte der Gesetzgeber nur die Finanzverwaltung davor schützen, sich bereits zu einem Zeitpunkt mit Abtretungen und Pfändungen befassen zu müssen, in dem der Anspruch noch nicht entstanden, "geschweige denn ein zur Auszahlung führendes Verfahren beantragt worden ist" (Begründung zum Regierungsentwurf, BTDrucks VI, 1982 S.113). Es war jedoch keineswegs beabsichtigt, Pfändung und Abtretung wirtschaftlich unmöglich zu machen. Pfändung und Abtretung wären danach rechtlich nur noch in dem seltenen Ausnahmefall möglich, wenn diese in dem kurzen Zeitraum zwischen Bescheidbekanntgabe und Auszahlung vorgenommen würden.
bb) Daß der Gesetzgeber den Zeitpunkt der Steuerentstehung (§ 38 AO 1977) von dem der Festsetzung (§§ 155 ff. AO 1977) und der Fälligkeit (§ 220 AO 1977) unterscheidet, ergibt sich zudem ausdrücklich aus der Gesetzesbegründung. Dort (a.a.O.) heißt es zu § 38 AO 1977:
"Die Vorschrift regelt nach dem Vorbild des § 3 Abs.1 StAnpG die Frage, in
welchem Zeitpunkt der Steueranspruch entsteht. Der Begriff des
Steueranspruchs bezeichnet den abstrakten Anspruch, der noch nicht durch
Steuerfestsetzung konkretisiert zu sein braucht."
Auch im Vorläufer des § 38 AO 1977, dem § 3 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG), hieß es in Absatz 2:
"Auf die Entstehung der Steuerschuld ist es ohne Einfluß, ob und wann die
Steuer festgesetzt wird und wann die Steuer zu entrichten (wann sie
fällig) ist."
§ 3 Abs.2 StAnpG wurde nur deshalb nicht mit in die Neufassung des § 38 AO 1977 übernommen, weil § 3 Abs.2 StAnpG "etwas Selbstverständliches" (BTDrucks a.a.O.) enthalte.
Nach der Vorstellung des Gesetzgebers kam es somit für die Frage der Entstehung des Steueranspruchs (Erstattungsanspruchs) und damit der Wirksamkeit der Abtretungsanzeige einer Steuererstattung allein auf den mit Ablauf des Veranlagungszeitraums entstandenen abstrakten Anspruch, und nicht auf die Aufhebung der Vorauszahlungsbescheide durch den Jahressteuerbescheid an, so daß die dem FA am 29.Juni 1983 angezeigte Abtretung wirksam war.
cc) Im Hinblick auf die abweichende Entscheidung des I.Senats des BFH in BFHE 149, 440, BStBl II 1988, 521 bedurfte es keiner Vorlage an den Großen Senat gemäß § 11 der Finanzgerichtsordnung (FGO), da die Frage der Entstehung des Erstattungsanspruchs dort nicht entscheidungserheblich war; denn daß die vom Bundesamt für Finanzen (BfF) erstattete Kapitalertragsteuer nur dann vom Steuerpflichtigen zurückgefordert werden konnte, wenn zuvor der Freistellungsbescheid aufgehoben worden ist, ergibt sich bereits unabhängig von der Frage des Entstehungszeitpunkts aus § 218 Abs.1 AO 1977. Ebensowenig zwingt das Urteil des V.Senats vom 18.März 1976 V R 127/71 (BFHE 118, 163, BStBl II 1976, 438) zur Vorlage, da dieses Urteil in den Gründen mit der hier vertretenen Rechtsauffassung übereinstimmt und nur im Leitsatz 2 (abweichend nur für den Erstattungszahlungsanspruch) zu weit gefaßt ist (kritisch dazu schon BVerwG in HFR 1985, 483).
2. Die Kläger haben auch mit dem von ihnen am 29.Juni 1983 erworbenen Erstattungsanspruch in Höhe von 10 611,40 DM am 15.Juli 1983 wirksam die Aufrechnung gegen die Umsatzsteuerforderung des FA aufgrund der am selben Tage eingereichten Umsatzsteuervoranmeldungen erklärt. Die beiden Erklärungen des FA vom 12.Juli 1983 enthalten dagegen keine wirksame Aufrechnungserklärung.
a) Der Hinweis an Frau S in dem Einkommensteuerbescheid 1982, daß die Erstattung mit fälligen Steuerbeträgen aufgerechnet werde, ist rechtlich ohne Bedeutung. Gemäß § 406 BGB kann der Schuldner eine ihm gegenüber dem bisherigen Gläubiger zustehende Forderung nur dem neuen Gläubiger gegenüber aufrechnen. Neue Gläubiger waren seit dem 29.Juni 1983 aber die Kläger.
b) Das Schreiben vom 12.Juli 1983 ist zwar richtig an die Kläger als Neugläubiger adressiert worden, es enthält aber inhaltlich --wie das FG zutreffend festgestellt hat-- keine wirksame Aufrechnungserklärung.
Für die Aufrechnungserklärung ist keine besondere Form vorgeschrieben; sie kann mündlich, schriftlich oder durch schlüssige --dem Erklärungsempfänger erkennbare-- Handlung erfolgen (BFH-Urteil vom 3.November 1983 VII R 153/82, BFHE 140, 10, BStBl II 1984, 184; Entscheidung des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 20.Juni 1962 V ZR 219/60, BGHZ 37, 233, 244; Urteil des Reichsgerichts --RG-- vom 17.Oktober 1904 VI 587/03, RGZ 59, 207, 211; Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, § 388, Anm.1). Da die Aufrechnungserklärung eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung darstellt, die --wie eine Kündigungs- oder Rücktrittserklärung-- ohne Zutun des Erklärungsempfängers rechtsgestaltend auf dessen Rechtsstellung einwirkt, muß sich der Wille zur Tilgung und Verrechnung klar und unzweideutig aus der Aufrechnungserklärung ergeben (Tipke/Kruse, a.a.O., § 226 AO 1977, Tz.18; Palandt/Heinrichs, a.a.O., Überbl. v. § 104 Anm.3d). Bestehen mehrere Forderungen, führt auch die Nichtbenennung der Gegenforderung nicht zur Unwirksamkeit der Aufrechnungserklärung, wie sich aus § 396 Abs.1 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ergibt (Urteil in BFHE 140, 10, BStBl II 1984, 184; BGH- Urteil vom 21.Dezember 1959 II ZR 261/58, Wertpapier-Mitteilungen/Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht --WM-- 1960, 491). Es genügt, wenn die Gegenforderung bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung konkretisiert wird (Urteil in BFHE 140, 10, BStBl II 1984, 184).
Die Auffassung des FG, daß die Erklärung des FA vom 12.Juli 1983 keine wirksame Aufrechnungserklärung enthalte, ist danach revisionsrechtlich nicht zu beanstanden (§§ 133, 157 BGB, 118 Abs.2 FGO). Wie es auch die OFD gesehen hat, genügt der Hinweis des FA, daß es die Erstattungsansprüche zunächst mit eigenen Ansprüchen aufrechne, diesen Anforderungen nicht. Diese Erklärung läßt nicht mit hinreichender Deutlichkeit erkennen, ob es sich hierbei nur um einen rechtlichen Hinweis auf eine zukünftige, noch erfolgende Aufrechnung handelt, oder ob die Erklärung hier und jetzt die Tilgungs- und Verrechnungswirkung bewirken sollte. Außerdem läßt das Schreiben noch nicht einmal erkennen, ob mit Ansprüchen gegen die Altgläubigerin oder gegen die Neugläubiger aufgerechnet werden soll. Wie sich aus dem Schreiben des FA vom 26.Juli 1983 ergibt, war das FA der unzutreffenden Rechtsauffassung, daß durch die Umbuchung das Entstehen eines Erstattungsanspruchs von vornherein verhindert würde, so daß sich die Notwendigkeit einer Aufrechnungserklärung gegenüber den Neugläubigern --wie sie § 406 BGB fordert-- nicht mehr stellte.
c) Soweit das FA am 26.Juli 1983 oder erst mit dem Abrechnungsbescheid vom 16.November 1987 die Aufrechnung gegenüber den Klägern erklärt hat, kam diese zu spät, da die Kläger schon durch ihre frühere Aufrechnungserklärung am 15.Juli 1983 die Erstattungsforderung durch Aufrechnung gegen eigene Steuerschulden zum Erlöschen gebracht hatten (§ 226 Abs.1 AO 1977, § 389 BGB).
Wie der Senat bereits mit Urteil vom 10.Februar 1976 in BFHE 118, 526, BStBl II 1976, 549 entschieden hat, kann zwar das FA auch gegenüber dem Neugläubiger mit seiner gegen den Altgläubiger gerichteten Forderung gegen einen abgetretenen Steuererstattungsanspruch aufrechnen, wenn die Aufrechnungslage schon im Zeitpunkt der Abtretungsanzeige bestand (§ 226 Abs.1 AO 1977, § 406 BGB). Solange das aber nicht geschehen ist, kann der Neugläubiger seinerseits mit der auf ihn übergegangenen Forderung des Altgläubigers gegen seine eigene Steuerschuld aufrechnen.
An dieser Rechtsauffassung, die von Tipke/Kruse (a.a.O., § 226 AO 1977, Anm.10), v. Wallis (in Hübschmann/Hepp/Spitaler,a.a.O., § 226 AO 1977, Anm.21) sowie Roth (in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch 2.Aufl., § 406, Anm.12) geteilt wird (a.A. Tiedtke, a.a.O.) hält der Senat fest.
aa) Im Ausgangspunkt zutreffend hat das FG herausgestellt, daß § 406 BGB der Gedanke des Schuldnerschutzes zugrunde liegt. Der Schuldner, der sich im Zeitpunkt der Abtretungsanzeige gegen die Forderung des Altgläubigers durch Aufrechnung verteidigen konnte, soll durch Vorgänge in der Gläubigersphäre nicht ungünstiger gestellt werden, als es vor der Abtretung der Fall war (BFH-Urteil vom 25.April 1989 VII R 36/87, BFHE 156, 392). Aufgrund der Aufrechnungsmöglichkeit braucht sich der Schuldner wirtschaftlich nicht mehr als Schuldner zu fühlen. Er kann mit der Aufrechnungserklärung warten, bis der Gläubiger durch Geltendmachung seiner Forderung hierzu Anlaß bietet und sich durch die Aufrechnungserklärung (§ 388 BGB) mit rückwirkender Kraft (§ 389 BGB) von der Schuld befreien (Mugdan, Motive zum Bürgerlichen Gesetzbuch II, S.131 ff.; Protokolle zum Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches, S.367; Urteil des Reichsfinanzhofs --RFH-- vom 14.September 1932 II A 367/32, RStBl 1932/931; BGH-Urteil vom 17.April 1958 II ZR 335/56, BGHZ 27, 123, 125).
bb) Der Schutz des Schuldners ist jedoch nicht unbegrenzt. Die Rückwirkung der Aufrechnungserklärung kann nur solange mit Tilgungswirkung gelten, wie die Aufrechnungslage im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung noch vorhanden ist und damit das rechtliche Band zwischen Aufrechnungslage und -erklärung noch fortbesteht (Staudinger/Kaduk, Bürgerliches Gesetzbuch, 12.Aufl., § 389, Anm.53). Es ist z.B. anerkannt, daß die Aufrechnungsmöglichkeit dem Schuldner wieder verlorengeht und er die Zahlung nicht zurückfordern kann, wenn er versehentlich --in Unkenntnis der Aufrechnungslage-- Zahlungen leistet und damit die Hauptforderung zum Erlöschen bringt (RGZ 120, 280, 281; Palandt/Thomas, Bürgerliches Gesetzbuch, § 813, Anm.2b; v. Feldmann in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, § 389, Anm.1; ebenso schon Mugdan, Motive II S.109). Die Rückwirkung der Aufrechnungserklärung bedeutet --entgegen der Rechtsauffassung der OFD in der Beschwerdeentscheidung-- eben nicht, daß der Schuldner so gestellt wird, als hätte er die Aufrechnung im Zeitpunkt der Aufrechnungslage erklärt (dann wäre die Zahlung ohne Rechtsgrund erfolgt und kondizierbar). Nicht die Aufrechnungserklärung selbst wird als zu einem früheren Zeitpunkt abgegeben fingiert; lediglich die Forderungen gelten bei wirksamer Aufrechnungserklärung als in einem früheren Zeitpunkt erloschen (Staudinger, a.a.O., § 389, Anm.48).
cc) Hierdurch wird auch der Schutz des Schuldners nicht vernachlässigt, soweit dieser auf die Wahrung seiner Rechte bedacht ist. Droht dem FA aufgrund der Abtretungsanzeige die Gefahr, daß der Neugläubiger mit einer Gegenaufrechnung die Aufrechnung des FA vereitelt, so kann es sich davor schützen, indem es dem Neugläubiger zuvorkommt. Dazu ist es auch regelmäßig nicht nur --wie die Kläger meinen-- aufgrund seines Informationsvorsprunges in der Lage, sondern auch aus Rechtsgründen. Für das FA ergibt sich ein zeitlicher Vorsprung für eine wirksame Aufrechnungserklärung daraus, daß der Neugläubiger mit seiner Aufrechnung solange ausgeschlossen ist, wie die Gegenforderung (hier der abgetretene Erstattungsanspruch) noch nicht fällig ist, für das FA als Schuldner muß jedoch dieselbe Forderung nur erfüllbar sein (§ 387 BGB). So konnten im Streitfall die Kläger ihre Aufrechnung frühestens am 15.Juli 1983 mit Fälligkeit des Einkommensteuererstattungsanspruchs 1982 durch Bekanntgabe des Steuerbescheides (§ 36 Abs.4 Satz 2 EStG, § 122 Abs.2 AO 1977) erklären. Das FA hätte jedoch schon seit dem 1.Januar 1983 --wozu jedenfalls seit Eingang der Abtretungsanzeige am 29.Juni 1983 Veranlassung bestand-- die Aufrechnung erklären können, denn die Forderung, die das FA schon vor der Abtretungsanzeige gegenüber Frau S besaß und mit der es gegenüber den Klägern gemäß § 406 BGB aufrechnen konnte (die Einkommensteuerschuld 1979), war schon seit dem 20.September 1982 fällig. Die dem FA obliegende Schuld (Einkommensteuererstattung 1982) war auch vor Festsetzung der Steuererstattung erfüllbar, denn gemäß § 271 Abs.2 BGB ist der Schuldner berechtigt, die ihm obliegende Leistung schon vor Fälligkeit zu erfüllen. Auf die Festsetzung des Anspruchs durch einen Steuerbescheid kommt es für die Erfüllbarkeit nicht an (ebenso schon BFH-Urteil vom 10.November 1953 I 108/52 S, BFHE 58, 294, BStBl III 1954, 26; Tipke/Kruse, a.a.O., § 226 AO 1977, Tz.13; Palandt/Heinrichs, a.a.O., § 387, Anm.5).
Besitzt daher das FA im Zeitpunkt der Abtretungsanzeige, mit der ihm die Abtretung eines voraussichtlichen Steuererstattungsanspruchs an den Neugläubiger angezeigt wird, eine fällige Gegenforderung gegen den Altschuldner, so kann es sich hiervon sofort durch Aufrechnungserklärung befreien. Erweist sich später die zur Aufrechnung gestellte erwartete Steuererstattung aufgrund der Steuerfestsetzung ganz oder teilweise als gegenstandslos, so wird die Aufrechnung des FA gegenüber dem Neugläubiger in demselben Umfang rückwirkend unwirksam (BFH-Urteil vom 5.August 1986 VII R 167/82, BFHE 147, 398, BStBl II 1987, 8).
Die vom Senat vertretene Rechtsauffassung, nach welcher die Aufrechnungserklärung nur solange die Aufrechnung bewirkt, wie die Aufrechnungslage fortbesteht, führt somit auch zu materiell nicht unbilligen, den Schuldnerschutz nicht vernachlässigenden Ergebnissen.
dd) Für das vom FG erörterte Widerspruchsrecht des FA gegen eine frühere Aufrechnungserklärung des Neugläubigers aufgrund einer analogen Anwendung der § 396 Abs.1 i.V.m. § 366 Abs.2 BGB besteht kein Raum, da es an einer sog. "planwidrigen Regelungslücke" fehlt (vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 5.Aufl. 1983, S.365 ff., 374). Bei § 396 Abs.1 BGB handelt es sich um eine Ausnahmevorschrift, die dem Gläubiger für den besonderen Fall, daß der Schuldner bei der Aufrechnung bei einer Mehrheit von Forderungen einen ihm nicht genehmen Verrechnungsmodus bestimmt, ein Widerspruchsrecht einräumt. Bei einer analogen Anwendung dieser Sonderregelung würde aber der im Recht der Forderungen geltende Prioritätsgrundsatz (Palandt/Heinrichs, a.a.O., § 398, Anm.6c m.w.N.) in sein Gegenteil verkehrt. Auch § 357 BGB, wonach eine frühere Rücktrittserklärung wegen Nichterfüllung unwirksam wird, wenn der andere Teil sich von der Verbindlichkeit durch Aufrechnung befreien konnte und unverzüglich nach dem Rücktritt die Aufrechnung erklärt, zeigt, daß der Gesetzgeber nur dort ein Widerspruchsrecht geregelt hat, wo er es aus besonderen Gründen zulassen wollte. Auch aus Gründen des Schuldnerschutzes ist --wie dargelegt-- eine analoge Anwendung nicht geboten.
Fundstellen
Haufe-Index 63372 |
BFH/NV 1990, 41 |
BStBl II 1990, 523 |
BFHE 160, 108 |
BFHE 1991, 108 |
BB 1990, 1404 |
BB 1990, 1404-1406 (LT) |
HFR 1990, 413 (LT) |
StE 1990, 208 (K) |