Entscheidungsstichwort (Thema)
Schätzung des gemeinen Werts nichtnotierter Anteile nach dem Stuttgarter Verfahren
Leitsatz (amtlich)
1. Der gemeine Wert nichtnotierter Anteile an einer Kapitalgesellschaft ist auch für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer unter Heranziehung des in Abschn.76 f. VStR geregelten sog. Stuttgarter Verfahrens zu schätzen. Sind bereits für Zwecke der Vermögensteuer Werte festgestellt, so kann der für die Erbschaft- und Schenkungsteuer maßgebende Stichtagswert unter bestimmten Voraussetzungen auch durch Interpolation ermittelt werden.
2. Bei der Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer Schätzung nach dem sog. Stuttgarter Verfahren kann sich das FG grundsätzlich auf die mit der Klage substantiiert angegriffenen strittigen Punkte der Schätzung beschränken. Vor dem BFH sind Einwendungen gegen das Schätzungsergebnis auf zulässige und begründete Verfahrensrügen (insbesondere auf die Rüge mangelnder Sachaufklärung) beschränkt. Soweit dem Urteil des BFH vom 7.Dezember 1977 II R 164/72 (BFHE 124, 356, BStBl II 1978, 323) eine weitergehende Aussage zu entnehmen ist, wird diese nicht mehr aufrechterhalten.
Orientierungssatz
1. Die FG können im allgemeinen davon ausgehen, daß die nach dem Stuttgarter Verfahren geschätzten gemeinen Werte nichtnotierter Anteile an Kapitalgesellschaften bei einer Veräußerung zu erzielen wären. Die so ermittelten Werte können nur dann nicht Besteuerungsgrundlage sein, wenn sie aus besonderen Gründen des Einzelfalles offensichtlich unrichtig sind (vgl. BFH-Rechtsprechung).
2. Schätzungen von Besteuerungsgrundlagen gehören zu den tatsächlichen Feststellungen i.S. von § 118 Abs. 2 FGO. Die ―beschränkte revisionsrichterliche Nachprüfung einer Schätzung (vgl. BFH-Rechtsprechung) setzt danach zwar voraus, daß das FG-Urteil erkennen läßt, auf welchen Tatsachen die Schätzung beruht und auf welchem Weg sie zustande gekommen ist; denn der BFH kann nur den Sachverhalt zur Grundlage seiner Entscheidung machen, der vom FG festgestellt ist.
3. Eine mangelhafte Sachaufklärung durch das FG liegt nur dann vor, wenn es Tatsachen oder Beweismittel außer acht läßt, die sich ihm nach Lage der Akten aufdrängen mußten. Das ist besonders dann der Fall, wenn sie in das Verfahren eingeführt waren, denn das FG kann davon ausgehen, daß die Beteiligten selbst auf die Wahrung ihrer Interessen bedacht sind (vgl. Rechtsprechung: BFH, BVerfG). Revisionsrechtlich hat dies zur Folge, daß die Rüge mangelnder Sachaufklärung (soweit auch die übrigen Voraussetzungen einer Verfahrensrüge erfüllt sind) nur dann Erfolg hat, wenn dargelegt wird, daß und welche vom Revisionskläger angebotenen Beweise vom FG nicht erhoben worden sind oder welche Tatsachen das FG auch ohne besonderen Antrag hätte feststellen müssen (vgl. BFH-Urteil vom 17.5.1985 III R 233/84).
4. Parallelentscheidung: BFH, 6.2.1991, II R 88/88, NV.
5. Parallelentscheidung: BFH, 6.2.1991, II R 89/88, NV.
Normenkette
BewG 1965 § 11 Abs. 2 S. 2, § 112; ErbStG 1959 §§ 22, 23 Abs. 1; AO 1977 § 162 Abs. 1; FGO § 40 Abs. 2, § 76 Abs. 1 S. 1, § 96 Abs. 1 S. 1, § 100 Abs. 1; VStR Abschn. 76; FGO § 118 Abs. 2, § 120 Abs. 2 S. 2
Tatbestand
I. Mit Vertrag vom 29.Juni 1973 schenkte Frau A ihre Anteile an der A-GmbH zu gleichen Teilen der Klägerin sowie Frau X und Herrn Y. Dem (geänderten) Schenkungsteuerbescheid vom 23.November 1983 legte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) als gemeinen Wert der Anteile 356 v.H. des Nennwertes zugrunde. Diesen Wert gewann das FA als Durchschnittswert aus dem auf den 31.Dezember 1972 (bestandskräftig) festgestellten Wert der Anteile von 401 v.H. und dem Wert auf den 31.Dezember 1973, der vom Betriebs-FA auf 398 v.H. festgestellt und durch Urteil des Finanzgerichts (FG) auf 312 v.H. herabgesetzt worden war. Einspruch und Klage, die im wesentlichen damit begründet worden waren, daß das FA negative Umstände der Unternehmensentwicklung nicht berücksichtigt habe, die am Tag der Schenkung bereits bestanden hätten, blieben ohne Erfolg.
Mit der Revision rügt die Klägerin mangelnde Sachaufklärung (§ 76 Abs.1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―) und Verletzung materiellen Rechts; insbesondere hätten die Erkenntnisse nach dem Bewertungsstichtag bei der Wertermittlung mitberücksichtigt werden müssen.
Die Klägerin beantragt,
das angefochtene Urteil des FG aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet.
1. Zu Recht ist das FG davon ausgegangen, daß der gemeine Wert nichtnotierter Anteile an einer Kapitalgesellschaft für Zwecke der Schenkungsteuer unter Heranziehung des sog. Stuttgarter Verfahrens (Abschn.76 f. der Vermögensteuer-Richtlinien ―VStR―, hier: VStR 1972) zu ermitteln ist. Dieses Verfahren entspricht den Anforderungen des § 11 Abs.2 Satz 2 des Bewertungsgesetzes (BewG), wonach der gemeine Wert von Anteilen (wenn ―wie im Streitfall― eine Ableitung aus Verkäufen nicht möglich ist) unter Berücksichtigung der Vermögens- und Ertragsaussichten zu schätzen ist (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 4.Oktober 1974 III R 157/72, BFHE 114, 245, BStBl II 1975, 222 m.w.N., und vom 12.März 1980 II R 28/77 BFHE 130, 198, BStBl II 1980, 405). Über die Verweisung des § 23 Abs.1 des Erbschaftsteuergesetzes (ErbStG) 1959 auf § 11 Abs.2 Satz 2 BewG gilt dies auch für die Erbschaft- und Schenkungsteuer (BFH- Urteil vom 3.September 1964 II 159/62, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung ―HFR― 1965, 218; vgl. auch BFH-Urteil vom 7.Dezember 1977 II R 164/72, BFHE 124, 356, BStBl II 1978, 323).
2. Die Vorentscheidung ist nicht deshalb aufzuheben, weil, wie die Klägerin geltend macht, das FG selbst keine Feststellungen hinsichtlich der nach § 11 Abs.2 Satz 2 BewG der Schätzung zugrunde zu legenden Vermögensverhältnisse und Ertragsaussichten der GmbH getroffen, die vom Gesetz geforderte Schätzung nicht selbst vorgenommen und ihren Gang im Urteil offengelegt, sondern lediglich bei der Feststellung des gemeinen Werts der Anteile auf den 31.Dezember 1972 und auf den 31.Dezember 1973 die Anwendung des sog. Stuttgarter Verfahrens durch das FA geprüft hat.
a) Die Vorentscheidung ist insbesondere nicht wegen fehlender tatsächlicher Feststellungen aus Gründen fehlerhafter Anwendung sachlichen Rechts aufzuheben (BFH-Urteil vom 5.März 1968 II R 36/67, BFHE 92, 416, BStBl II 1968, 610).
Schätzungen von Besteuerungsgrundlagen (§ 217 der Reichsabgabenordnung ―AO―; § 162 Abs.1 der Abgabenordnung ―AO 1977―) gehören zu den tatsächlichen Feststellungen i.S. von § 118 Abs.2 FGO. Die ―beschränkte― revisionsrichterliche Nachprüfung einer Schätzung (BFH-Urteile vom 1.Dezember 1967 III 19/65, BFHE 91, 254, BStBl II 1968, 332; vom 27.Juni 1980 VI R 147/77, BFHE 131, 53, BStBl II 1980, 651; vom 2.Februar 1982 VIII R 65/80, BFHE 135, 158, BStBl II 1982, 409) setzt danach zwar voraus, daß das FG-Urteil erkennen läßt, auf welchen Tatsachen die Schätzung beruht und auf welchem Weg sie zustande gekommen ist; denn der BFH kann nur den Sachverhalt zur Grundlage seiner Entscheidung machen, der vom FG festgestellt ist. Dem steht jedoch nicht entgegen, daß das FG im Streitfall lediglich auf die Wertermittlung des FA zum 31.Dezember 1972 auf der Grundlage des Stuttgarter Verfahrens und auf das Urteil des FG zur Wertermittlung auf den 31.Dezember 1973 verwiesen und die dagegen vorgebrachten Einwendungen der Klägerin geprüft hat. Denn durch die Bezugnahme auf die Schätzung im sog. Stuttgarter Verfahren (Abschn.76 f. VStR), das durch die Rechtsprechung als ein brauchbares Hilfsmittel für die Ermittlung des gemeinen Werts nichtnotierter Anteile anerkannt ist (s. oben zu 1.), sind die tatsächlichen Grundlagen der Schätzung hinreichend festgestellt. Vor dem BFH sind für diesen Fall Einwendungen gegen die Schätzungsergebnisse, und zwar sowohl hinsichtlich der einzelnen Wertansätze als auch der Einhaltung der Schätzungsmethode und der sich daraus ergebenden Schlußfolgerungen tatsächlicher Art, auf zulässige und begründete Revisionsrügen beschränkt (s. dazu unten zu b). Soweit dem Urteil in BFHE 124, 356, BStBl II 1978, 323 eine weitergehende Aussage zu entnehmen sein könnte, hält der erkennende Senat sie nicht mehr aufrecht (siehe bereits BFH-Urteil in BFHE 130, 198, BStBl II 1980, 405 zu 3. am Ende und zu 6.). Der Umfang der Mitwirkungspflicht der Klägerin im finanzgerichtlichen Verfahren blieb im übrigen durch die Aussage des Urteils in BFHE 124, 356, BStBl II 1978, 323 unberührt.
Das FG muß entgegen dem Urteil in BFHE 124, 356, 359, BStBl II 1978, 323, 325 auch nicht in anderer Weise sich die Überzeugung verschaffen, daß der nach dem Stuttgarter Verfahren geschätzte Wert der gemeine Wert sei. Dies beruht auf folgender Überlegung: Im Dezember 1977, zur Zeit des Ergehens dieser Entscheidung, war der betriebswirtschaftliche Theorienstreit über die richtige Unternehmensbewertung beendet. Es bestand in der Wissenschaft Übereinstimmung, daß der Unternehmenswert nach der Ertragswertmethode als ewige Rente in Höhe der zukünftigen mittleren Gewinne zu ermitteln ist (vgl. Helbling, Unternehmensbewertung und Steuern, 5.Aufl., S.83/84). Moxter konnte deshalb zu Recht die Auffassung vertreten, daß es als Kunstfehler angesehen werde, wenn ein Unternehmensbewerter sich eines der vordem anerkannten Bewertungsverfahren bediene (Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, 1.Aufl., 1976, S.211). Damit war theoretisch der Weg für den Tatrichter vorgezeichnet, auf dem er sich entsprechend dem Urteil BFHE 124, 356 eine Überzeugung darüber hätte verschaffen sollen, ob der nach dem Stuttgarter Verfahren ermittelte Wert dem gemeinen Wert der Unternehmensanteile entspricht.
Das Ertragswertverfahren erfordert eine Prognose der zukünftigen durchschnittlichen Gewinne. Mangels zuverlässiger Prognosemethoden beruht damit die Unternehmensbewertung im reinen Ertragswertverfahren auf unvollkommenen Informationen (so WP-Handbuch I 1985/86, 1095). Deshalb wurden Stimmen laut, die anregten, "aus den Wolken der reinen Lehre auf den Boden bekannter Tatsachen herabzusteigen" (z.B. Bodarwe, Unternehmensbewertung: Wegeleitung durch das Labyrinth der Theorien, 1984, S.8). Moxter erteilte schon 1983 der Praxis den Rat, für die Unternehmensbewertung bei Objektivierungsdominanz auf vereinfachte Bewertungsverfahren zurückzugreifen (Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, 2.Aufl., 1983, S.26 f. und S.33 f.; vgl. zur Entwicklung statt vieler auch Barthel, Unternehmenswert: Der Markt bestimmt die Bewertungsmethode, Der Betrieb ―DB― 1990, 1145). Diese Entwicklung führte zu der Erkenntnis, daß die Ertragswertmethode für die Bewertung eines Großteils mittlerer und kleinerer Unternehmen praktisch nicht anwendbar ist. Damit war durch die Beendigung des wissenschaftlichen Theorienstreits die Methodenvielfalt in der Praxis nicht beendet (vgl. auch Helbling, a.a.O., S.135, zur Anwendung unterschiedlicher Methoden in bekannt gewordenen Einzelfällen der Unternehmensbewertung). Im Hinblick auf diese Entwicklung der Praxis der Unternehmensbewertung kann vom Tatrichter nicht verlangt werden, daß er sich über die Richtigkeit der nach dem Stuttgarter Verfahren ermittelten Anteilswerte in anderer Weise eine Überzeugung verschaffen muß. Die FG können vielmehr im allgemeinen davon ausgehen, daß die nach dem Stuttgarter Verfahren geschätzten Anteilswerte bei einer Veräußerung zu erzielen wären (so BFHE 130, 198, 202, BStBl II 1980, 405, 407). Die so ermittelten Werte können nur dann nicht Besteuerungsgrundlage sein, wenn sie aus besonderen Gründen des Einzelfalles offensichtlich unrichtig sind (BFH vom 2.Oktober 1981 III R 27/77, BFHE 134, 167, 169, BStBl II 1982, 8, m.w.N.). Dafür gibt es im Streitfall jedoch keinen Anhalt.
b) Die Rüge mangelnder Sachaufklärung hat keinen Erfolg.
Gemäß § 76 Abs.1 Satz 1 FGO hat das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen und in freier Beweiswürdigung zu entscheiden (§ 96 Abs.1 Satz 1 FGO), ob die Schätzung des FA die Klägerin in ihren Rechten verletzt (§ 40 Abs.2, § 100 Abs.1 FGO). Dazu kann es sich, wie im Streitfall geschehen, darauf beschränken, nur die strittigen Punkte der Schätzung darzustellen, die mit der Klage substantiiert angegriffen worden sind. Denn das FG hat zwar den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen, ohne an das Vorbringen und an Beweisanträge der Beteiligten gebunden zu sein; eine mangelhafte Sachaufklärung durch das FG liegt aber nur dann vor, wenn es Tatsachen oder Beweismittel außer acht läßt, die sich ihm nach Lage der Akten aufdrängen mußten. Das ist besonders dann der Fall, wenn sie in das Verfahren eingeführt waren, denn das FG kann davon ausgehen, daß die Beteiligten selbst auf die Wahrung ihrer Interessen bedacht sind (BFH-Urteile vom 16.Dezember 1970 I R 137/68, BFHE 101, 73, BStBl II 1971, 200; vom 7.August 1974 II R 177/73, BFHE 113, 540, BStBl II 1975, 119; vom 3.November 1976 II R 43/67, BFHE 120, 549, BStBl II 1977, 159; vom 11.November 1986 VII R 87/82, BFH/NV 1987, 419, sowie Beschluß des Bundesverfassungsgerichts ―BVerfG― vom 26.November 1985 1 BvR 416/85, HFR 1986, 424). Revisionsrechtlich hat dies zur Folge, daß die Rüge mangelnder Sachaufklärung (soweit auch die übrigen Voraussetzungen einer Verfahrensrüge erfüllt sind) nur dann Erfolg hat, wenn dargelegt wird, daß und welche vom Revisionskläger angebotenen Beweise vom FG nicht erhoben worden sind oder welche Tatsachen das FG auch ohne besonderen Antrag hätte feststellen müssen (vgl. auch BFH-Urteil vom 17.Mai 1985 III R 233/84, BFH/NV 1986, 34). Diesen Anforderungen entspricht die Revision der Klägerin nicht.
Das gilt insbesondere für das Vorbringen der Klägerin, das Betriebsergebnis 1973 sei durch hohe Schadensersatzleistungen von Versicherungen beeinflußt gewesen. Sie hat nicht dargelegt, aus welchen Gründen diese Versicherungsleistungen das Ergebnis negativ beeinflußt haben. Auch mit der Rüge, daß die im Zusammenhang mit der Inbetriebnahme der Pressenstraße im Juni 1973 eingetretenen Fehler im organisatorischen und personellen Bereich hätten berücksichtigt werden müssen, kann die Klägerin keinen Erfolg haben, denn sie hat nicht dargelegt, daß sowohl diese Fehler als auch ihre Auswirkungen bereits zum Bewertungsstichtag erkennbar gewesen seien.
3. a) Wie unter 1. ausgeführt, ist die Anwendung des sog. Stuttgarter Verfahrens für Zwecke der Schenkungsteuer zulässig. Das FA hätte deshalb im Streitfall den maßgebenden Stichtagswert zum 29.Juni 1973 durch eine unmittelbare Anwendung der Abschn.76 f. VStR 1972 unter Zugrundelegung einer besonderen Vermögensaufstellung zu diesem Stichtag und der Ertragsaussichten nach Maßgabe der Betriebsergebnisse des ersten Halbjahres 1973 sowie der Jahre 1972 und 1971 schätzen müssen. Die Klägerin hat in ihrer Steuererklärung aber nur den Wert von 312 DM je 100 DM Nennkapital als gemeinen Wert erklärt und vermerkt, daß es sich dabei um den Wert zum 1.Januar 1972 handle. Angaben über das Vermögen der GmbH und die Ertragsaussichten nach den Verhältnissen vom 29.Juni 1973 fehlen. Bei dieser Sachlage ist es nicht zu beanstanden, daß der Anteilswert im Streitfall als Mittelwert zu den ―auf der Grundlage des Stuttgarter Verfahrens― unanfechtbar bzw. rechtskräftig festgestellten Werten zu den Stichtagen 31.Dezember 1972 und 31.Dezember 1973 entwickelt worden ist. Eine derartige Schätzung zu einem vom Feststellungszeitpunkt nach § 112 BewG abweichenden Stichtag in Anlehnung an bereits für Zwecke der Vermögensteuer festgestellte Werte durch Interpolation entspricht der Praktikabilität. Dabei wird vorausgesetzt, daß die Entwicklung der Ertrags- und Vermögensverhältnisse der Gesellschaft zwischen den beiden Feststellungszeitpunkten im wesentlichen kontinuierlich verläuft und dementsprechend durch eine Interpolation zeitanteilig berücksichtigt werden kann.
Einem Rückgriff auf bereits festgestellte Werte könnte allerdings entgegenstehen, daß für den schenkungsteuerrechtlich maßgebenden Stichtag die Ertragsaussichten der Gesellschaft auf einer anderen Grundlage zu ermitteln sein können, weil sich die nach Abschn.78 Abs.1 VStR als Schätzungsgrundlage heranzuziehenden Jahreserträge wegen der Veränderung des für die Ermittlung dieser Jahreserträge maßgebenden Zeitraums geändert haben. Denn zu berücksichtigen sind die Ertragsaussichten, die sich aus dem Betriebsergebnis des laufenden Jahres bis zum Bewertungsstichtag und aus den Betriebsergebnissen der beiden davor liegenden Jahre ermitteln lassen (im Streitfall ―wie bereits erwähnt― aus den Betriebsergebnissen des ersten Halbjahres 1973 und der Jahre 1971 und 1972). Entsprechendes gilt für die Ermittlung des Vermögens (Abschn.77 VStR). Abweichungen, die einer Interpolation der Werte zu den Feststellungszeitpunkten entgegenstünden, können sich darüber hinaus ergeben, weil Entwicklungen, die zwar an dem auf den Bewertungsstichtag folgenden Feststellungszeitpunkt (31.Dezember 1973) bei der Schätzung der künftigen Erträge (Abschn.78 Abs.2 VStR) zu berücksichtigen waren, bei der Beurteilung der Ertragsaussichten auf den vor diesem Feststellungszeitpunkt liegenden schenkungsteuerrechtlich maßgebenden Bewertungsstichtag nicht beachtet werden dürfen, wenn sie nach den Verhältnissen an diesem Stichtag (noch) nicht erkennbar oder voraussehbar waren (vgl. BFH-Urteil vom 18.Dezember 1968 III R 135/67, BFHE 95, 266, BStBl II 1969, 370). Der Auffassung von Wendt (Steuer und Wirtschaft ―StuW― 1987, 18, 30), daß für die Festsetzung der Erbschaftsteuer/Schenkungsteuer auch nach dem Zeitpunkt der Entstehung der Steuerschuld eintretende Umstände berücksichtigt werden müssen, kann der Senat nicht folgen. Sie steht im Widerspruch zu den §§ 11, 12 ErbStG. Würde man Wendt folgen, so müßten auch werterhöhende Umstände, die nach dem Bewertungsstichtag eintreten, berücksichtigt werden. Denn Wendt versteht seine Ausführungen nicht als Billigkeitsmaßnahme, sondern als Rechtsanwendung. Es widerspricht aber der Rechtslage, daß dann, wenn die später tatsächlich erzielten Erträge der GmbH von der bei der Schätzung nach dem Stuttgarter Verfahren aufgrund der Stichtagsverhältnisse angenommenen Ertragsentwicklung abweichen, "diese Abweichungen korrigierend zu berücksichtigen" sind (StuW S.31).
b) Drängen sich dem FG nicht bereits nach Lage der Akten Mängel der Schätzung auf, die der Interpolation nach den vorstehenden Ausführungen entgegenstehen, so kann sich das FG auch insoweit regelmäßig darauf beschränken (vgl. oben zu 2. b), substantiierten Einwendungen gegen die Schätzung durch das FA nachzugehen. Eine sachliche Überprüfung durch den BFH setzt deshalb auch hier voraus, daß beachtliche Verfahrensrügen erhoben worden sind. Das ist im Streitfall nicht geschehen; insbesondere entspricht die Rüge mangelnder Sachaufklärung nicht den Anforderungen des § 120 Abs.2 Satz 2 FGO. Es genügt nicht, wie die Klägerin auszuführen, daß die für die negative Entwicklung der Gesellschaft maßgebenden Entscheidungen schon vor dem Bewertungsstichtag verwirklicht gewesen seien, denn daraus ergibt sich zwar, daß die Grundlagen für die negative Entwicklung gelegt waren, nicht aber, daß deren Auswirkungen bereits erkennbar waren. Darüber hinaus hat die Klägerin nicht dargelegt,daß das FG, sei es aufgrund von Beweisanträgen oder nach Aktenlage, Anlaß gehabt habe, weitere Nachforschungen anzustellen, welche Beweise es hätte erheben sollen und inwieweit sich dann eine abweichende Entscheidung ergeben hätte. Dabei wäre von der Klägerin auch zu berücksichtigen gewesen, daß bei der Ermittlung des in den Wert zum 29.Juni 1973 eingeflossenen Wertes zum Feststellungszeitpunkt 31.Dezember 1973 durch das FG bereits künftige Verluste der Gesellschaft einbezogen worden sind.
4. Ohne Erfolg ist auch die Rüge, die Vorentscheidung verstoße insoweit gegen Denkgesetze, als angenommen worden sei, daß die drohenden Verluste mit dem Ansatz des aus diesem Grund korrigierten Werts zum 31.Dezember 1973 ausreichend berücksichtigt worden seien. Auch wenn dem unkorrigierten Wert zum 31.Dezember 1973 ausschließlich das Betriebsergebnis 1973 zugrunde gelegt worden ist, weil das FG die Ergebnisse für 1971 und 1972 als ungeeignet angesehen hat, ergibt sich hieraus nicht, daß der Wert zum Stichtag 29.Juni 1973 offensichtlich falsch sei, weil dem Wert zum 31.Dezember 1972 auch der möglicherweise für die Anwendung des Stuttgarter Verfahrens unzutreffende Gewinn 1972 zugrunde lag. U.a. ergibt sich nämlich aus der Vorentscheidung, wie auch aus dem Urteil des FG, daß frühestens zum Jahresende 1973 in verstärktem Umfang mit Reklamationen und Garantieansprüchen zu rechnen gewesen ist. Einerseits hätten die drohenden Verluste damit auf den Stichtag 29.Juni 1973 noch nicht berücksichtigt werden dürfen, andererseits fehlen substantiierte Anhaltspunkte dafür, daß der Wert zum 31.Dezember 1972 zu hoch angesetzt worden sei; Sachverhaltsrügen hat die Klägerin insoweit nicht erhoben.
Fundstellen
Haufe-Index 63824 |
BStBl II 1991, 459 |
BFHE 163, 471 |
BB 1991, 756 (L) |
DStR 1991, 512 (KT) |
HFR 1991, 410 (LT) |
StE 1991, 143 (K) |