Leitsatz (amtlich)

1. Durch Schweigen des FA auf den Antrag eines Steuerpflichtigen oder durch Umsatzsteuerveranlagungen für frühere Jahre wird in der Regel eine Buchnachweiserleichterung nach § 14 Abs. 5 UStDB 1951 für spätere Veranlagungszeiträume nicht gewährt und damit eine begünstigende Verfügung im Sinne des § 96 AO auch nicht ausgesprochen.

2. Ein allgemeiner Verzicht der Finanzverwaltung auf den Abnehmernachweis in bestimmten Fällen schließt begrifflich eine auf den Einzelfall bezogene begünstigende Verfügung nach § 96 AO aus.

 

Normenkette

UStG 1951 § 7 Abs. 3; UStDB 1951 §§ 14, 57; AO § 96

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Steuerpflichtige) liefert erworbene Zeitungen und Zeitschriften an Dauerbezieher. Sie unterwarf ihre gesamten Umsätze zunächst dem Einzelhandels-Steuersatz. Am 24. Oktober 1953 beantragte sie, die im Erlaß des Reichsfinanzministers vom 5. August 1938 - S 4216-571 III (USt-Kartei S 4216, Karte 24) vorgesehene Pauschalregelung rückwirkend auf ihre Umsätze anzuwenden, weil eine buchmäßige Trennung der Groß- und Einzelhandelslieferungen nicht zu erbringen sei. Dem Verlangen des Beklagten und Revisionsklägers (FA) vom 29. Oktober 1953, die Entgelte für die einzelnen Arten der vertriebenen Zeitschriften nach Abschnitt II Nr. 2. bis 4. des Erlasses vom 5. August 1938 aufzugliedern, kam die Steuerpflichtige nach. Gleichzeitig teilte sie dem FA durch Schreiben vom 8. Januar 1954 mit, daß sie Fachzeitschriften, die ihrem Inhalt nach vornehmlich für Arbeitnehmer bestimmt seien, nicht geliefert habe.

Nach einer Betriebsprüfung im Jahr 1954 schlug der Prüfer im Bericht vom 12. März 1954 vor, der Steuerpflichtigen die Pauschbesteuerung nach dem genannten Erlaß zu gewähren. Er errechnete anhand der Auslieferungen in den Jahren 1951 bis 1953 auf die einzelnen Zeitschriften-Gruppen entfallende Prozentsätze und vermerkte dazu: "Da nicht mit Sicherheit feststeht, daß auch für die Folgezeit das errechnete prozentuale Verhältnis bestehen bleibt, hat jeweils Neuberechnung auf Grund der Zeitschriftenauslieferung durch die Firma zu erfolgen, so daß Nachprüfung möglich ist."

Das FA berichtigte, ohne eine besondere Verfügung auf den Antrag der Steuerpflichtigen vom 24. Oktober 1953 zu erlassen, den ursprünglichen Umsatzsteuerbescheid 1951 zugunsten der Steuerpflichtigen und führte die Veranlagungen für 1952 und 1953 nach dem Vorschlag des Betriebsprüfers durch.

Den Umsatzsteuererklärungen für die Veranlagungszeiträume 1954 und 1956 bis 1959 fügte die Steuerpflichtige Anlagen bei, in denen sie die ausgelieferten Zeitschriften nach deren Art in drei Gruppen aufteilte, den begünstigten, auf Lieferungen im Großhandel entfallenden Anteil angab und den mengenmäßigen Anteil berechnete. Das FA setzte die Umsatzsteuer 1954 bis 1959 nach den Erklärungen der Steuerpflichtigen fest, berichtigte die Veranlagungen jedoch später nach dem Ergebnis einer im Jahr 1961 durchgeführten Betriebsprüfung. Es ging davon aus, daß der Erlaß des Reichsfinanzministers vom 5. August 1938 für die Besteuerung der Umsätze der Steuerpflichtigen anwendbar ist, unterteilte aber entsprechend den Ermittlungen der Betriebsprüfer die in Abschnitt II Nr. 4. des Erlasses aufgeführten Fachzeitschriften usw. in solche, die inhaltlich vornehmlich für Unternehmer, und andere, die ihrem Inhalt nach vornehmlich für Arbeitnehmer bestimmt sind. Ferner schätzte es, dem Vorschlag der Prüfer folgend, den Anteil der Großhandelslieferungen von Handarbeits- und Modezeitschriften, den die Steuerpflichtige ebenso wie bei den Fachzeitschriften mit 85 v. H. angenommen hatte, nach den Unterlagen der Steuerpflichtigen auf 60 v. H.

Die Berufung der Steuerpflichtigen hatte im wesentlichen Erfolg. Das FG ist zu dem Ergebnis gekommen, das FA habe der Steuerpflichtigen auf deren Antrag vom 24. Oktober 1953 in den Umsatzsteuerbescheiden für die Jahre 1951 bis 1953 eine unbefristete, auch für die Streitjahre 1954 bis 1959 wirksame Buchnachweiserleichterung im Sinne des § 14 Abs. 5 UStDB 1951 gewährt, die eine begünstigende Verfügung nach § 96 AO darstelle und wegen des Fehlens der Voraussetzungen (§ 96 Abs. 2 AO) nicht rückwirkend widerrufen werden dürfe. § 222 AO sei auf diese begünstigende Verfügung nicht anwendbar. Im übrigen habe das FA die 1954 vorgenommene, möglicherweise dem Erlaß vom 5. August 1938 nicht entsprechende Aufteilung der Zeitschriftenlieferungen gebilligt und sei daher nach § 96 AO daran gebunden.

Mit der als Revision zu behandelnden Rechtsbeschwerde (§§ 184 Abs. 2, 115 ff. FGO) rügt das FA eine Verletzung von Bundesrecht mit dem Antrag, die Vorentscheidung aufzuheben.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision des FA führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß die Steuerpflichtige den Buchnachweis nach § 7 Abs. 3 UStG 1951 in Verbindung mit §§ 14 und 57 UStDB 1951 für die Lieferungen von Zeitungen und Zeitschriften an andere Unternehmer zur Verwendung in deren Unternehmen nicht erbracht hat. Es hat auch mit Recht ausgeführt, daß im allgemeinen eine von der Verwaltung erteilte Erlaubnis, den erleichterten Buchnachweis gemäß § 14 Abs. 5 UStDB 1951 zu führen, eine begünstigende Verfügung im Sinne des § 96 AO sein wird. Nach der Rechtsprechung und der im Schrifttum herrschenden Meinung (vgl. u. a. Urteile des BFH VII 11/60 U vom 12. Oktober 1960, BFH 72, 22, BStBl III 1961, 9, und VII 95/58 U vom 2. Dezember 1959, BFH 70, 341, BStBl III 1960, 127; v. Wallis in Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 1.-5. Aufl., Anm. 5 zu § 96; Kühn, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, - 9. Aufl. -, Anm. 2 zu § 96) bezieht sich § 96 AO aber nur auf rechtsbegründende Verwaltungsakte, die als besondere Einzelverfügungen erlassen sein müssen, nicht aber auf rechtsbestätigende Verfügungen. Steuerbescheide als solche sind in § 94 AO aufgeführt und fallen nicht unter § 96 AO (BFH-Urteil IV 280/51 S vom 7. Februar 1952, BFH 56, 212, BStBl III 1952, 85). Auch Bestandteile von Steuerbescheiden sind nicht nach § 96 AO zu behandeln, da es sich nicht um selbständige Verfügungen handelt (v. Wallis in Hübschmann-Hepp-Spitaler, a. a. O., Anm. 4 zu § 96).

Die Auffassung der Vorinstanz, das FA habe trotz des Fehlens einer besonderen schriftlichen Verfügung "bei" den Veranlagungen für die Jahre 1951 bis 1953 bzw. durch sein Verhalten eine unbefristete begünstigende Verfügung nach § 96 AO ausgesprochen und der Steuerpflichtigen damit auch für die streitigen Veranlagungszeiträume eine Buchnachweiserleichterung gewährt, ist in zweifacher Hinsicht rechtsirrtümlich.

a) Durch die Bescheide für 1951 bis 1953 hat das FA unter Berücksichtigung des Antrags der Steuerpflichtigen vom 24. Oktober 1953, ihrer Angaben im Schreiben vom 8. Januar 1954 und des im Betriebsprüfungsbericht vom 12. März 1954 niedergelegten Ermittlungsergebnisses die Umsatzsteuer für die Veranlagungszeiträume 1951 bis 1953 festgesetzt und dabei die Anweisungen im Erlaß des Reichsfinanzministers vom 5. August 1938 anhand des ihm mitgeteilten Sachverhalts beachtet, die dort vorgesehene Pauschalregelung also angewendet. Weitere Schlüsse können aus diesen Bescheiden, in denen lediglich auf den Betriebsprüfungsbericht verwiesen wird, nicht gezogen werden. Die Annahme des FG, eine besondere schriftliche Verfügung auf den Antrag der Steuerpflichtigen vom 24. Oktober 1953 sei durch das Verhalten des FA ersetzt worden, ist rechtlich nicht haltbar. In dem Schweigen der Behörde kann - wie oben dargestellt - eine unbefristete, in die Zukunft reichende begünstigende Verfügung nach § 96 AO in Verbindung mit § 14 Abs. 5 UStDB 1951 nicht erblickt werden. Fehlt es aber im gegebenen Fall an einer begünstigenden Verfügung im Sinne des § 96 AO, so gehen alle von der Vorinstanz aus dieser Vorschrift abgeleiteten Folgerungen fehl. Sie beruhen auf unrichtigen, der Sach- und Rechtslage nicht entsprechenden Voraussetzungen.

b) Nach dem Zweck des Erlasses des Reichsfinanzministers vom 5. August 1938, der dem Abschnitt I zu entnehmen ist, und aus dem eindeutigen Wortlaut des Abschnitts II ist zu schließen, daß die FÄ beim Vorliegen der unter I und III genannten Voraussetzungen (der Steuerpflichtige muß ein Zeitungs- und Zeitschriftenverleger oder -großhändler sein, der die gelieferten Gegenstände erworben und nicht bearbeitet hat) gehalten sind, die Pauschalregelung anzuwenden, und zwar ohne daß es eines buchmäßigen Nachweises des Anteils der Lieferungen im Großhandel bedarf (Plückebaum-Malitzky, Umsatzsteuergesetz, Kommentar, - 9. Aufl. -, Tz. 5062). Die Verwaltung verzichtet im Erlaß vom 5. August 1938 ganz allgemein auf den Abnehmernachweis (Hartmann-Metzenmacher, Umsatzsteuergesetz, Kommentar, - 5. Auflage -, Tz. 227 zu § 7 Abs. 3). Daraus folgt, daß bei der Inanspruchnahme der Pauschalregelung, soweit es sich um den Beruf und die Anschrift der Abnehmer handelt, ein Buchnachweis überhaupt nicht erforderlich ist. Dafür spricht auch die Fassung des Abschnitts II des Erlasses "gelten ... als Lieferungen im Großhandel". Wenn also der buchmäßige Nachweis nach der Verwaltungsanweisung nicht erforderlich ist, kann eine Erleichterung des Buchnachweises nach § 14 Abs. 5 UStDB begrifflich weder durch Steuerbescheide für die Vorjahre noch durch Schweigen rechtlich wirksam gewährt werden. Auch bei dieser Betrachtungsweise entfallen alle Folgerungen, die das FG aus § 96 AO gezogen hat.

Unstreitig hat das FA die im Erlaß vom 5. August 1938 vorgesehene Pauschalregelung in ihren Grundsätzen nicht nur bei den Veranlagungen für 1951 bis 1953, sondern auch in den hier in Betracht kommenden Berichtigungsbescheiden für die Jahre 1954 bis 1959 zugunsten der Steuerpflichtigen berücksichtigt. Es mußte sich daher, um die mit diesem Erlaß (Abschnitt I) bezweckte gleichmäßige Besteuerung zu erreichen, an die ihm erteilten Anweisungen halten, d. h. die Zeitungen, Zeitschriften usw. in die vorgeschriebenen Gruppen (II 1. bis 4. b) aufteilen und dabei die Vomhundertsätze für Lieferungen im Groß- bzw. Einzelhandel beachten. Das FA war, weil § 96 AO dem nicht entgegenstand, nach dem Gesetz verpflichtet, die Umsatzsteuerbescheide für 1954 bis 1959 nach § 222 AO zu berichtigen, wenn ihm neue Tatsachen oder Beweismittel bekanntwurden.

 

Fundstellen

BStBl II 1969, 388

BFHE 1969, 198

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