Entscheidungsstichwort (Thema)

Gewerbesteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Die Vorschrift des § 35 b GewStG enthält eine selbständige Rechtsgrundlage zur änderung von Gewerbesteuermeßbescheiden. Ihre Anwendung setzt nicht voraus, daß sich die änderungsbefugnis aus anderen Vorschriften (z. B. aus § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO) ergibt.

 

Normenkette

GewStG § 35b

 

Tatbestand

Streitig ist in dem Gewerbesteuermeßbetragsverfahren für das Jahr 1959, ob das Finanzamt den Gewerbesteuermeßbescheid nach § 35 b GewStG nur unter der Voraussetzung ändern durfte, daß neue Tatsachen von einigem Gewicht im Sinne des § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO vorlagen.

Das Finanzamt berichtigte auf Grund einer Betriebsprüfung den rechtskräftigen Einkommensteuerbescheid, da sich neue Tatsachen ergaben, die zu einer Erhöhung des Gewinns aus Gewerbebetrieb führten (ß 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO). Entsprechend änderte es den bisher auf einen einheitlichen Steuermeßbetrag von 638 DM lautenden Gewerbesteuermeßbescheid (ß 35 b GewStG). Durch die änderung erhöhten sich der einheitliche Steuermeßbetrag um 40 DM und die Gewerbesteuerschuld um 88 DM.

Der Einspruch des Steuerpflichtigen blieb im Streitpunkt ohne Erfolg.

Mit der Berufung machte der Steuerpflichtige geltend, daß das Mehr an Gewerbesteuer zu unbedeutend sei, um die Berichtigung des rechtskräftigen Meßbescheids zu rechtfertigen.

Das Finanzgericht gab der Berufung statt. Es führte aus, daß § 35 b GewStG nur die Bedeutung einer verfahrensrechtlichen Vereinfachungsvorschrift habe (Urteil des Bundesfinanzhofs IV 403/61 U vom 30. Juli 1964, BStBl 1964 III S. 534, Slg. Bd. 80 S. 166) und den Einkommensteuerbescheid nicht zur bindenden Grundlage für den Gewerbesteuermeßbescheid mache (Urteil des Bundesfinanzhofs IV 169/59 vom 2. März 1961, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1962 S. 108; Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf, Kammern in Köln, vom 18. Dezember 1963, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1964 S. 390). Die Vorschrift des § 35 b GewStG eröffne keine zusätzlichen Berichtigungsmöglichkeiten, die nicht in einem selbständigen Verfahren gegen den Gewerbesteuermeßbescheid gegeben seien. Ein Steuermeßbescheid könne nach § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO nur geändert werden, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel bekannt würden, die eine höhere Festsetzung rechtfertigen. Das sei nur der Fall, wenn die festgestellten neuen Tatsachen von einigem Gewicht seien (Hinweis auf die Entscheidungen des Bundesfinanzhofs V 180/59 U vom 8. Februar 1962, BStBl 1962 III S. 225, Slg. Bd. 74 S. 610; I 95, 110/60 S vom 5. Juni 1962, BStBl 1963 III S. 100, Slg. Bd. 76 S. 282). Da im Streitfall die festgestellten neuen Tatsachen, auf denen das Mehr an Gewerbesteuer beruhte, nicht gewichtig genug seien, um die Berichtigung zu rechtfertigen, hob das Finanzgericht den Berichtigungsbescheid auf.

Der Vorsteher des Finanzamts rügt in seiner Rb. unrichtige Anwendung des § 35 b GewStG. Der Vereinfachungscharakter der Vorschrift zeige sich nicht nur darin, daß dem Steuerpflichtigen im Falle der Anfechtung des Einkommensteuerbescheids die selbständige Anfechtung des Gewerbesteuermeßbescheids erspart werde. Die Vorschrift solle auch dem Finanzamt ermöglichen, die änderung der Höhe des Gewinns im Einkommensteuerbescheid ohne weiteres bei der Festsetzung des Gewerbeertrags im Gewerbesteuermeßbescheid zu berücksichtigen (Urteil des Bundesfinanzhofs IV 403/61 U). § 35 b GewStG enthalte eine selbständige Berichtigungsmöglichkeit, von der das Finanzamt auch dann Gebrauch machen dürfe, wenn die Voraussetzungen anderer änderungsvorschriften, besonders die des § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO, nicht gegeben seien.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückweisung der Berufung als unbegründet.

Der Gewerbesteuermeßbescheid ist von Amts wegen durch einen neuen Bescheid zu ersetzen, wenn der Einkommensteuerbescheid, der Körperschaftsteuerbescheid oder ein Feststellungsbescheid geändert wird und die änderung in Höhe des Gewinns aus Gewerbebetrieb berührt (ß 35 b GewStG). Die änderung des Gewinns aus Gewerbebetrieb ist in dem neuen Gewerbesteuermeßbescheid insoweit zu berücksichtigen, als sie die Höhe des Gewerbeertrags beeinflußt. § 35 b GewStG ist dem § 218 Abs. 4 AO, der die änderung von Feststellungsbescheiden (Grundlagenbescheiden) betrifft, nachgebildet. Im Unterschied zu § 218 Abs. 4 AO hat jedoch eine im Einkommensteuer-, Körperschaftsteuer- oder Gewinnfeststellungsverfahren vorgenommene änderung des Gewinns aus Gewerbebetrieb keine bindende Wirkung für das Verfahren der Festsetzung des Steuermeßbetrags nach dem Gewerbeertrag. Denn das Einkommensteuerverfahren und das Gewerbesteuermeßbetragsverfahren sind getrennte Verfahren, die eine voneinander unabhängige Ermittlung des Gewinns aus Gewerbebetrieb und des Gewerbeertrags zum Gegenstand haben. Das ergibt sich aus der Fassung des § 7 GewStG (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs I 139/54 S vom 22. November 1955, BStBl 1956 III S. 4, Slg. Bd. 62 S. 9).

Von diesen Grundsätzen geht auch die Vorschrift des § 35 b GewStG aus (vgl. § 35 b Abs. 1 Satz 2). Sie stellt deshalb, wie in der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs wiederholt ausgeführt wird, nur eine Vereinfachungsvorschrift dar (Urteile des erkennenden Senats IV 169/59; IV 336/59 U vom 27. April 1961, BStBl 1961 III S. 281, Slg. Bd. 73 S. 34; IV 188/60 U vom 20. September 1962, BStBl 1963 III S. 10, Slg. Bd. 76 S. 25). Sie soll, wie der Vorsteher des Finanzamts zutreffend ausführt, einerseits dem Finanzamt ermöglichen, die änderung der Höhe des Gewinns im Einkommensteuerbescheid ohne weiteres bei der Festsetzung des Gewerbeertrags im Gewerbesteuermeßbescheid zu berücksichtigen. Andererseits soll das Recht der Steuerpflichtigen nicht beeinträchtigt werden, bei der Festsetzung des Gewerbesteuermeßbetrags nach dem Gewerbeertrag eine selbständige und unabhängige Nachprüfung zu verlangen (Entscheidung des Bundesfinanzhofs IV 403/61 U). Für die Anwendung des § 35 b GewStG ist deshalb kein Raum, wenn gegen den Gewerbesteuermeßbescheid ein Rechtsmittel eingelegt ist. Wie aus den Akten hervorgeht, war der Gewerbesteuermeßbescheid 1959 im Zeitpunkt der auf § 35 b GewStG gestützten änderung nicht angefochten.

Soweit die Vorschrift eingreift, hat sie eine dem § 218 Abs. 4 AO entsprechende Bedeutung. Sie stellt eine selbständige Rechtsgrundlage zur änderung von Gewerbesteuermeßbescheiden dar. Davon ging der erkennende Senat bereits in der Entscheidung IV 98/60 S vom 23. November 1961 (BStBl 1962 III S. 199, Slg. Bd. 74 S. 535) aus, in der er gegen die Ablehnung einer änderung des Gewerbesteuermeßbescheids nach § 35 b GewStG das Berufungsverfahren (ß 235 Ziff. 1 AO) für zulässig erklärte. Die Anwendung des § 35 b GewStG kann zu einer änderung des Gewerbesteuermeßbescheids zugunsten wie zuungunsten des Steuerpflichtigen führen. Sie setzt nicht voraus, daß die Befugnis zur änderung schon nach anderen Vorschriften gegeben ist. Vor allem ist ihre Anwendung nicht an das Vorliegen der Voraussetzungen des § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO geknüpft. Diese Voraussetzungen müssen nur dann erfüllt sein, wenn das gesamte Gewerbesteuermeßbetragsverfahren wieder aufgerollt werden soll (vgl. Entscheidung des Bundesfinanzhofs IV 188/60 U).

Von dem Erlaß eines neuen Gewerbesteuermeßbescheids ist nur abzusehen, wenn die änderung geringfügig ist (ß 35 b Abs. 2 Satz 3 GewStG). Die im Streitfall infolge der änderung eintretende Erhöhung des Gewerbesteuermeßbetrags und der Steuerschuld ist jedoch nicht geringfügig im Sinne dieser Vorschrift. Die in Abschn. 118 Abs. 1 der Gewerbesteuer-Richtlinien enthaltene Anordnung, wonach eine änderung geringfügig ist, wenn sie bei dem einheitlichen Steuermeßbetrag nicht mehr als 10 DM ausmacht, stellt eine zutreffende Auslegung des Gesetzes dar.

 

Fundstellen

Haufe-Index 411653

BStBl III 1965, 419

BFHE 1965, 476

BFHE 82, 476

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