Leitsatz (amtlich)
Die erhöhte Investitionszulage kann nicht zurückgefordert werden, wenn der Investor die begünstigten Wirtschaftsgüter innerhalb des Dreijahreszeitraums verpachtet und die Wirtschaftsgüter während des noch nicht abgelaufenen Teiles des Dreijahreszeitraums in einem Betrieb (einer Betriebstätte) des verarbeitenden Gewerbes - ausgenommen Baugewerbe - des Pächters unmittelbar oder mittelbar der Fertigung dienen.
Normenkette
BHG 1968 § 19 Abs. 1, 5; BerlinFG § 19 Abs. 1, 6
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) unterhielt bis Ende 1969 einen Fertigungsbetrieb in Berlin (West). Für Anschaffungen von Wirtschaftsgütern des Fertigungsbereichs in den Jahren 1968 und 1969 erhielt sie vom Beklagten und Revisionskläger (FA) antragsgemäß Investitionszulagen von 25 v. H. der jeweiligen Anschaffungskosten.
Ab 1. Januar 1970 verpachtete die Klägerin ihren Betrieb unter Einschluß des Betriebsgrundstückes und der Maschinen an ein anderes Berliner Unternehmen. Dieses führte den Betrieb der Klägerin bis 1974 fort, wobei es die von ihm gepachteten Wirtschaftsgüter im Fertigungsbereich einsetzte. Eine Betriebsaufgabeerklärung hat die Klägerin anläßlich der Verpachtung ihres Betriebes nicht abgegeben.
Im Hinblick auf die Betriebsverpachtung vertrat das FA die Auffassung, daß die in den Jahren 1968 und 1969 angeschafften Wirtschaftsgüter nicht - wie seiner Ansicht nach erforderlich - drei Jahre dem verarbeitenden Gewerbe der Klägerin angehört haben. Es forderte deshalb mit Bescheiden vom 10. Mai 1974 den 10 v. H. der Anschaffungskosten übersteigenden Betrag von der Klägerin zurück.
Es verwies dabei auf den Erlaß des Senators für Finanzen in Berlin vom 25. April 1969 III B - S 1977 - 11/69 (Steuer- und Zollblatt für Berlin 1969 S. 351), wonach es im Falle der Vermietung von Anlagegütern grundsätzlich bei der Investitionszulage von 10 v. H. verbleibt.
Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Das FG gab der Klage statt.
Hiergegen richtet sich die Revision des FA, mit der Verletzung des § 19 Absätze 1 und 6 BerlinFG gerügt wird. Nach Ansicht des FA ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 19 BerlinFG, daß das begünstigte Wirtschaftsgut während des Dreijahreszeitraums in dem Betrieb (der Betriebstätte) des Investors der Fertigung dienen müsse. Insbesondere aus der Verwendung der Begriffe "gewerblich" bzw. "Gewerbe" müsse geschlossen werden, daß die gewerbesteuerrechtliche Abgrenzung besondere Bedeutung haben solle. Der Gesetzgeber habe die erhöhte Investitionszulage gerade bestimmten Gewerbebetrieben i. S. der §§ 2 GewStG und 1 GewStDV zukommen lassen wollen, weil nur dadurch die Produktionskraft Westberlins gestärkt und insbesondere der industrielle Bereich besonders gefördert werden könnte. Mit der Aufgabe der eigenen verarbeitenden gewerblichen Betätigung und der anschließenden Verpachtung aller begünstigten Wirtschaftsgüter sei die Klägerin jedoch ab 1. Januar 1970 nicht mehr im Fertigungsbereich, sondern im Dienstleistungsgewerbe tätig.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Das FG hat zu Recht die Verpflichtung der Klägerin zur Rückzahlung der streitigen Investitionszulage verneint. Der Senat vermag der Auffassung des FA nicht zu folgen, derzufolge der Rückforderungsanspruch deshalb begründet sei, weil die Klägerin die begünstigten Wirtschaftsgüter während des Dreijahreszeitraums verpachtet hat.
1. Aus dem Wortsinn der im Streitfall für die Rückforderung der gewährten Investitionszulage maßgebenden § 19 Abs. 5 BHG 1968 i. d. F. vom 1. Oktober 1968 (BGBl I 1968, 1050, BStBl I 1968, 1128) und § 19 Abs. 6 BerlinFG i. d. F. vom 29. Oktober 1970 (BGBl I 1970, 1482, BStBl I 1970, 1016) ergibt sich nicht, daß die begünstigten Wirtschaftsgüter während des gesamten Dreijahreszeitraums in dem eigenen Betrieb (der eigenen Betriebstätte) des Investors der Fertigung dienen müssen. Nach diesen Vorschriften ist die Investitionszulage zurückzuzahlen, wenn Wirtschaftsgüter, deren Anschaffungs- oder Herstellungskosten bei der Bemessung der Investitionszulage berücksichtigt worden sind, nicht mindestens drei Jahre seit ihrer Anschaffung oder Herstellung in ei nem Betrieb (einer Betriebstätte) in Berlin (West) verblieben sind.
Beide Vorschriften fordern ihrem Wortlaut nach lediglich eine Bindung an "einen Betrieb (eine Betriebstätte) in Berlin (West)". Darunter ist aber nicht nur der Betrieb (die Betriebstätte) des Investors zu verstehen. Es liegt vielmehr im Bereich des möglichen Wortsinns der Vorschriften, unter dem streitigen Begriff den Betrieb (die Betriebstätte) in Berlin (West) schlechthin, losgelöst von der Person des Investors, zu verstehen.
2. Die sich aus dem Wortsinn ergebende Auslegung wird durch den Sinnzusammenhang der genannten Vorschriften mit § 19 Absätze 1 und 2 BHG 1968/BerlinFG bestätigt. Diese Vorschriften fordern für die Gewährung der Investitionszulage lediglich, daß die begünstigten Wirtschaftsgüter zum Anlagevermögen "eines" in Berlin (West) gelegenen Betriebes ("einer" Betriebstätte) gehören und mindestens drei Jahre in "einem" in Berlin (West) gelegenen Betrieb ("einer Betriebstätte") verbleiben müssen. Nach der Rechtsprechung des BFH (vgl. insbesondere Urteil vom 24. Mai 1968 VI R 46/68, BFHE 92, 396, BStBl II 1968, 573) ist diese Regelung nicht dahin zu verstehen, daß das Wirtschaftsgut während der maßgeblichen Dreijahresfrist als Anlagevermögen in demselben Betrieb (derselben Betriebstätte) bleiben müsse.
Das gleiche gilt für die Gewährung der erhöhten Investitionszulage von 25 v. H. der Anschaffungs- oder Herstellungskosten. § 19 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 BHG 1968/Berlin-FG fordert ebenfalls nur, daß die Wirtschaftsgüter in "einem" Betrieb ("einer" Betriebstätte) des verarbeitenden Gewerbes - ausgenommen Baugewerbe - unmittelbar oder mittelbar der Fertigung dienen. Das Erfordernis einer dauernden Bindung der Wirtschaftsgüter an den Fertigungsbetrieb des Investors ist diesem Wortlaut ebenfalls nicht zu entnehmen. Dementsprechend kann insoweit für die erhöhte Zulage nichts anderes gelten als für die Grundzulage.
Für die Auslegung des Senats spricht ferner der Umstand, daß sowohl das Berlinhilfegesetz 1968 als auch das Berlinförderungsgesetz jeweils in § 14 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a bestimmen, daß für die Errichtung von Gebäuden erhöhte Absetzungen für Gebäude nur dann in Anspruch genommen werden können, wenn die Gebäude "im eigenen gewerblichen Betrieb" bestimmten Zwekken, beispielsweise der Fertigung, dienen. Hätte der Gesetzgeber die Gewährung der erhöhten Investitionszulage von einer zeitlichen Bindung der begünstigten Wirtschaftsgüter an die Betriebstätte des Investors abhängig machen wollen, so hätte es nahegelegen, die Regelung des § 14 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a BHG 1968/BerlinFG auch auf § 19 Abs. 1 Satz 3 zu übertragen. Dies um so mehr, als sowohl die Einschränkung des § 14 BHG als auch die Einführung der erhöhten Investitionszulage durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Berlinhilfegesetzes vom 19. Juli 1968 (BGBl I 1968, 833, BStBl I 1968, 1006) geschaffen wurden (vgl. die Gesetzesbegründung Drucksache V/3019 des Deutschen Bundestages, S. 6 ff.).
3. Die Auslegung des Senats steht ferner in Einklang mit den vom Gesetzgeber verfolgten Zwecken. Mit der Einführung der erhöhten Investitionszulage sollte der Notwendigkeit einer verstärkten Förderung der Investitionstätigkeit im Industriebereich in Berlin (West) Rechnung getragen werden (vgl. Deutscher Bundestag, Drucksache V/3019, a. a. O.). Diese Zielsetzung erfordert entgegen der Auffassung des FA nicht, daß die Wirtschaftsgüter, für die eine erhöhte Investitionszulage gewährt worden ist, ausschließlich im Fertigungsbereich des Betriebs (der Betriebstätte) des Investors eingesetzt werden. Der mit der Schaffung der erhöhten Zulage verfolgte Zweck des Gesetzes kann durchaus auch dann erreicht werden, wenn die fraglichen Wirtschaftsgüter während des Dreijahreszeitraums in einem anderen Betrieb (Betriebstätte) in Berlin (West) des verarbeitenden Gewerbes - ausgenommen Baugewerbe - der Fertigung dienen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Investitionszulage nicht einen ganz bestimmten, rechtlich von anderen Betrieben genau abgegrenzten Betrieb fördern soll, sondern ganz allgemein die Berliner Wirtschaft, insbesondere das verarbeitende Gewerbe - ausgenommen Baugewerbe - (vgl. BFH-Urteil vom 29. April 1975 VIII R 239/71, BFHE 115, 401, BStBl II 1975, 518). Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich nicht, daß der Gesetzgeber mit der erhöhten Zulage von 25 v. H. nur konkrete einzelne Betriebe fördern wollte.
4. Der Rückforderungsanspruch des FA ist auch nicht deshalb begründet, weil der Betrieb der Klägerin nach den Darlegungen des FA nach Verpachtung nicht mehr dem verarbeitenden, sondern dem Dienstleistungsgewerbe zuzuordnen war. Entscheidend ist nämlich, daß gerade der Betrieb (die Betriebstätte), in dessen Fertigungsbereich die fraglichen Wirtschaftsgüter eingesetzt sind, dem verarbeitenden Gewerbe - ausgenommen Baugewerbe - zuzuordnen ist (vgl. BFH-Urteil vom 10. Dezember 1976 III R 172/72, BFHE 121, 120, BStBl II 1977, 233). Die Wirtschaftsgüter werden in derselben Betriebstätte in derselben Weise wie früher verwendet. Gewechselt hat nur der Unternehmer des Betriebes.
5. Dementsprechend ist die Investitionszulage jedenfalls dann nicht zurückzuzahlen, wenn die begünstigten Wirtschaftsgüter während des Dreijahreszeitraums zum Anlagevermögen eines in Berlin (West) gelegenen Betriebs (einer Betriebstätte) gehören und während dieses Zeitraums in einem Betrieb (einer Betriebstätte) des verarbeitenden Gewerbes - ausgenommen Baugewerbe - unmittelbar oder mittelbar der Fertigung dienen. Diese Voraussetzungen liegen nach den unangefochtenen Feststellungen des FG im Streitfall vor. Die begünstigten Wirtschaftsgüter gehörten auch nach der Verpachtung noch zum Anlagevermögen des Betriebs der Klägerin. Sie haben ferner im Unternehmen der Klägerin und dem der Pächterin insgesamt mehr als drei Jahre in einem Betrieb (einer Betriebstätte) des verarbeitenden Gewerbes der Fertigung gedient. Bei dieser Sachlage kann der Senat unerörtert lassen, ob die Investitionszulage dann zurückzuzahlen wäre, wenn die begünstigten Wirtschaftsgüter weniger als drei Jahre der Fertigung gedient hätten. Diese Frage ist nicht entscheidungserheblich.
Die Revision war daher als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 72359 |
BStBl II 1977, 592 |
BFHE 1978, 369 |