Entscheidungsstichwort (Thema)
Beginn der Festsetzungsfrist bei verspäteter Kenntnis des Finanzamts von der vollzogenen Schenkung
Leitsatz (amtlich)
Erlangt das FA erst mehr als drei Jahre nach Steuerentstehung Kenntnis von einer vollzogenen Schenkung i.S. des § 170 Abs. 5 Nr. 2 AO, beginnt die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Jahres der Kenntniserlangung.
Normenkette
AO §§ 47, 165 Abs. 1 Sätze 1, 4, § 169 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 2, § 170 Abs. 1, 2 S. 1 Nr. 1, Abs. 5 Nr. 2; ErbStG § 30 Abs. 1, 4 Nr. 4, § 31
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) erwarb mit Vertrag vom 22. Dezember 1989 von ihrem Vater (V) 9 299 Aktien einer AG zu einem Preis von 55 DM je Aktie. Diese Aktien veräußerte die Klägerin am 4. April 1991 an eine GmbH, deren Geschäftsführer V war, zu einem Preis von 250 DM je Aktie. Von diesen Verkäufen erfuhr der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) aufgrund einer am 4. April 1995 eingegangenen Mitteilung des Finanzamts M. In dieser Mitteilung wurde ausgeführt, dass Erkenntnisse, die eine Wertsteigerung der Aktien erkennen ließen, nicht vorlägen. Der Verkaufspreis je Aktie in Höhe von 250 DM sei von dem Finanzamt für Großbetriebsprüfung (Groß-BP) als angemessen gewertet worden. Das FA forderte die Klägerin mit Schreiben vom 17. Juli 1995 zur Abgabe einer Schenkungsteuererklärung auf und wies darauf hin, dass eine Schenkung entweder wegen eines zu niedrigen Ankaufspreises im Vertrag vom 22. Dezember 1989 oder wegen eines zu hohen Verkaufspreises im Vertrag vom 4. April 1991 in Betracht komme. Die Klägerin kam dieser Aufforderung nicht nach.
Das FA hatte gegen die Klägerin für ihren Aktienerwerb von V --beruhend auf der Annahme eines unter dem gemeinen Wert liegenden Ankaufspreises-- durch Bescheid vom 27. März 1996 Schenkungsteuer festgesetzt. Dieser Bescheid wurde nach erfolglosem Einspruch im anschließenden finanzgerichtlichen Verfahren vom FA im Jahre 2001 aufgehoben.
Im Jahr 2000 nahm das FA Ermittlungen hinsichtlich des Weiterverkaufs der Aktien an die GmbH auf und setzte sodann mit unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) ergangenem Bescheid vom 23. April 2001 gegen die Klägerin für den Weiterveräußerungsvorgang vom 4. April 1991 Schenkungsteuer in Höhe von 116 064 DM fest, wobei die Besteuerungsgrundlagen geschätzt wurden. Das FA vertrat die Auffassung, der Beginn des Laufs der vierjährigen Festsetzungsfrist sei zunächst gemäß § 170 Abs. 5 Nr. 2 AO bis zum Ablauf des Jahres 1995 gehemmt gewesen, da ihm der Aktienverkauf erst in diesem Jahr bekannt geworden sei. Wegen Nichtabgabe der noch 1995 angeforderten Steuererklärung sei der Anlauf der Festsetzungsfrist anschließend gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO um weitere drei Jahre gehemmt gewesen.
Der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2006, 470 veröffentlichten Urteil statt, da der Steueranspruch gegen die Klägerin verjährt sei. Die Festsetzungsfrist habe unter Berücksichtigung der vom FA im Jahre 1995 erlangten Kenntnis des Aktienverkaufs an die GmbH gemäß § 170 Abs. 5 Nr. 2 Alternative 2 AO am 31. Dezember 1999 geendet. Einer weiteren Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO stehe entgegen, dass der Fristbeginn nach dieser Vorschrift auf den Zeitpunkt der Steuerentstehung und nicht den der Kenntniserlangung der Finanzbehörde abstelle. § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 5 Nr. 2 AO seien jeweils selbständige Hemmungstatbestände, die je für sich die Festsetzungsfrist auslösten. Die der Finanzbehörde ab Kenntnis von der vollzogenen Schenkung zur Verfügung stehende vierjährige Festsetzungsfrist sei ausreichend bemessen.
Mit der Revision macht das FA geltend, das FG habe das Verhältnis des § 170 Abs. 5 AO zu Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 dieser Vorschrift verkannt. § 170 Abs. 5 Nr. 2 AO bestimme lediglich den frühestmöglichen Zeitpunkt, zu dem die Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 1 und 2 Satz 1 Nr. 2 AO beginnen könne. Soweit nach Kenntnis von der vollzogenen Schenkung beim Erwerber eine Steuererklärung angefordert werde, sei eine weitere Verlängerung des Anlaufs der Festsetzungsfrist gesetzlich zulässig und sachlich geboten.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zutreffend erkannt, dass der mit dem Erlass des angefochtenen Bescheids geltend gemachte Steueranspruch wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung erloschen ist und seine Festsetzung deshalb unzulässig war.
1. Nach § 47 AO erlöschen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis u.a. durch Verjährung. Eine Steuerfestsetzung sowie ihre Aufhebung und Änderung sind nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist (§ 169 Abs. 1 Satz 1 AO). Die Festsetzungsfrist beträgt für die Schenkungsteuer regelmäßig vier Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO). Sie beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden oder eine bedingt entstandene Steuer unbedingt geworden ist (§ 170 Abs. 1 AO).
2. Abweichend von § 170 Abs. 1 AO beginnt gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO (i.d.F. des Gesetzes zur Bekämpfung des Missbrauchs und zur Bereinigung des Steuerrechts --StMBG-- vom 21. Dezember 1993, BGBl I, 2310) die Festsetzungsfrist u.a. dann, wenn eine Steuererklärung einzureichen oder eine Anzeige zu erstatten ist, mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Erklärung oder Anzeige eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist. Diese Gesetzesfassung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO ist vorliegend anzuwenden, weil sie nach Art. 97 § 10 Abs. 5 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordung (EGAO) für alle bei Inkrafttreten des StMBG noch nicht abgelaufenen Festsetzungsfristen gilt.
Im Streitfall ist die Schenkungsteuer --auf der Grundlage der vom FA angenommenen (gemischten) Schenkung der GmbH an die Klägerin im Vertrag vom 4. April 1991-- mit Ablauf des 31. Dezember 1991 entstanden. Da die Klägerin ihren Erwerb entgegen der ihr durch § 30 Abs. 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) auferlegten Verpflichtung nicht angezeigt hat, hätte die Festsetzungsfrist nach Maßgabe des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO mit Ablauf des Jahres 1994 begonnen und mit Ablauf des 31. Dezember 1998 geendet.
3. Abweichend hiervon begann jedoch aufgrund der für die Schenkungsteuer getroffenen Sonderregelung des § 170 Abs. 5 Nr. 2 Alternative 2 AO die Festsetzungsfrist erst mit Ablauf des Kalenderjahres 1995, weil das FA erst in diesem Jahr Kenntnis von der vollzogenen Schenkung erlangt hat. Das FG hat zutreffend erkannt, dass keine (nochmalige) Hemmung des Anlaufs der Festsetzungsfrist nach Maßgabe des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO eintritt, wenn das FA nach erlangter Kenntnis von der vollzogenen Schenkung den Erwerber gemäß § 31 ErbStG zur Abgabe einer Steuererklärung auffordert. Im Streitfall endete die vierjährige Festsetzungsfrist daher mit Ablauf des 31. Dezember 1999. Der angefochtene Steuerbescheid wurde jedoch vom FA erst 2001 erlassen.
a) Nach § 170 Abs. 5 Nr. 2 AO beginnt für die Schenkungsteuer die Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 1 oder 2 AO nicht vor Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Schenker gestorben ist oder die Finanzbehörde von der vollzogenen Schenkung Kenntnis erlangt hat. Der Fristbeginn nach § 170 Abs. 5 Nr. 2 Alternative 2 AO wird durch den Zeitpunkt der Kenntniserlangung nicht vorverlegt, sondern allenfalls auf einen späteren Zeitpunkt verschoben (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 26. Oktober 2006 II R 16/05, BFH/NV 2007, 852).
aa) § 170 Abs. 5 Nr. 2 Alternative 2 AO enthält einen auf die Schenkungsteuer beschränkten selbständigen Hemmungstatbestand, der den Beginn der Festsetzungsfrist (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 170 Abs. 1 und 2 AO) auf den Ablauf des Jahres der Kenntniserlangung des FA von der vollzogenen Schenkung festlegt. Durch diese Vorschrift wird bei einer nach § 30 ErbStG bestehenden Anzeigepflicht die in § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO enthaltene Drei-Jahres-Grenze, bis zu der der Anlauf der Festsetzungsfrist längstens gehemmt ist, außer Kraft gesetzt und bei einer lediglich für Gerichte und Notare bestehenden Anzeigepflicht nach § 34 ErbStG der Anlauf der sonst nach § 170 Abs. 1 AO beginnenden Festsetzungsfrist gehemmt (BFH-Urteil vom 5. Februar 2003 II R 22/01, BFHE 201, 403, BStBl II 2003, 502). Entgegen der Revision ergibt sich jedoch aus § 170 Abs. 5 Nr. 2 AO keine Rechtsgrundlage für eine weitere Anlaufhemmung nach Maßgabe des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO, sofern das FA den Erwerber nach Kenntniserlangung gemäß § 31 ErbStG zur Abgabe einer Steuererklärung auffordert.
Soweit nach dem Wortlaut des § 170 Abs. 5 Nr. 2 AO unter Berücksichtigung seines Eingangssatzes die Festsetzungsfrist nach Abs. 2 der Vorschrift "nicht vor" Ablauf des Kalenderjahres beginnt, in dem das FA von der vollzogenen Schenkung Kenntnis erlangt hat, erschöpft sich diese Regelung --lediglich-- in der Anordnung eines späteren Beginns der Festsetzungsfrist. Erlangt das FA erst mehr als drei Jahre nach Steuerentstehung Kenntnis von einer vollzogenen Schenkung, beginnt die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Jahres der Kenntniserlangung. Soweit daher das FA --wie im Streitfall-- erst im vierten Jahr nach der Steuerentstehung Kenntnis von der vollzogenen Schenkung i.S. des § 170 Abs. 5 Nr. 2 Alternative 2 AO erlangt und sodann noch im Jahr der Kenntniserlangung eine Steuererklärung beim Erwerber anfordert, ist die Fristhemmung nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO mit Ablauf des dritten Jahres verbraucht (BFH-Urteile vom 18. Oktober 2000 II R 50/98, BFHE 193, 48, BStBl II 2001, 14; vom 6. Dezember 2000 II R 44/98, BFH/NV 2001, 574) und hat die Anordnung des § 170 Abs. 5 Nr. 2 AO, wonach die vierjährige Festsetzungsfrist "nicht vor" Ablauf des Kalenderjahres beginnt, lediglich zur Folge, dass die vierjährige Festsetzungsfrist erst mit Ablauf des Jahres der Kenntniserlangung --im Streitfall mit Ablauf des Jahres 1995-- beginnt.
bb) Dieser Beurteilung steht der mit § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO verfolgte Sicherungszweck nicht entgegen. Diese Bestimmung soll verhindern, dass durch eine späte Einreichung u.a. der Steuererklärung oder Anzeige die der Finanzbehörde zur Verfügung stehende Bearbeitungszeit (ggf. gezielt) verkürzt wird (BFH-Urteil vom 6. Juli 2005 II R 9/04, BFHE 210, 65, BStBl II 2005, 780, m.w.N.). Dieser Sicherungszweck kann nicht beeinträchtigt sein, wenn der Fristbeginn infolge des § 170 Abs. 5 Nr. 2 AO hinausgeschoben wird. Die Finanzbehörde ist aufgrund der von § 170 Abs. 5 Nr. 2 AO vorausgesetzten Kenntnis von der vollzogenen Schenkung auch regelmäßig in der Lage, die Schenkungsteuer --ggf. im Wege der Schätzung (§ 162 AO)-- festzusetzen oder von den Möglichkeiten des § 165 Abs. 1 Satz 1 und 4 AO Gebrauch zu machen. Insoweit trägt § 170 Abs. 5 Nr. 2 AO dem mit § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO verfolgten Sicherungszweck Rechnung (vgl. BFH-Urteil vom 28. Mai 1998 II R 54/95, BFHE 186, 128, BStBl II 1998, 647).
b) Im Ergebnis zutreffend hat das FG auch erkannt, dass das FA im Jahr 1995 mit Eingang der Mitteilung des Finanzamts M Kenntnis von der vollzogenen Schenkung i.S. des § 170 Abs. 5 Nr. 2 Alternative 2 AO erlangt hat.
aa) § 170 Abs. 5 Nr. 2 Alternative 2 AO verlangt positive Kenntnis des FA von der vollzogenen Schenkung. Diese Kenntnis ist gegeben, wenn das für die Verwaltung der Schenkungsteuer zuständige Finanzamt nicht durch eine Anzeige gemäß § 30 ErbStG, sondern anderweitig in dem erforderlichen Umfang (Name und Anschrift des Schenkers und des Bedachten; Rechtsgrund des Erwerbs) Kenntnis erlangt hat (BFH-Urteil in BFHE 201, 403, BStBl II 2003, 502).
bb) Im Streitfall hat das FA durch die am 4. April 1995 eingegangene Mitteilung des Finanzamts M im erforderlichen Umfang Kenntnis von der vollzogenen Schenkung erlangt, weil dieser Mitteilung die erforderlichen Angaben sowohl zur Person des Schenkers und des Bedachten als auch zum Rechtsgrund des Erwerbs (§ 30 Abs. 4 Nr. 4 ErbStG) entnommen werden konnten. Zwar können die in der Mitteilung bezeichneten Kaufverträge vom 22. Dezember 1989 bzw. 4. April 1991 --als entgeltliche Rechtsgeschäfte-- für sich nicht Rechtsgrund eines Erwerbs i.S. des § 30 Abs. 4 Nr. 4 ErbStG sein. Die Mitteilung enthielt jedoch wegen der für beide Kaufverträge angegebenen Kaufpreise sowie des Hinweises, dass keine Erkenntnisse über eine Wertsteigerung der Aktien vorlägen, hinreichende Anhaltspunkte für eine durch diese Erwerbsgeschäfte verdeckte Schenkung. Daran vermag der in der Mitteilung weiter enthaltene Hinweis, dass die Groß-BP den Verkaufspreis je Aktie von 250 DM als angemessen gewertet habe, nichts zu ändern. Die dem FA bekannt gewordenen Umstände, die --worauf das FA in seiner anschließend an die Klägerin ergangenen Aufforderung zur Abgabe einer Steuererklärung vom 17. Juli 1995 ausdrücklich hingewiesen hat-- auf eine (gemischte) Schenkung schließen lassen konnten, begründen eine Kenntniserlangung über den Rechtsgrund des Erwerbs. Mit der einmal erlangten Kenntnis ist die Wirkung des § 170 Abs. 5 Nr. 2 AO verbraucht und eine weitere Verlängerung der Anlaufhemmung über 1995 hinaus nicht mehr möglich.
Fundstellen
Haufe-Index 1806773 |
BFH/NV 2007, 2157 |
BStBl II 2007, 954 |
BFHE 2008, 393 |
BFHE 217, 393 |
BB 2007, 2277 |
DB 2007, 2297 |
DStRE 2007, 1525 |
HFR 2007, 1178 |