Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Der dem Steuerpflichtigen schriftlich zu erteilende Steuerbescheid braucht nicht handschriftlich unterzeichnet oder mit einem Ausfertigungsvermerk versehen zu sein.
Normenkette
AO § 210b
Tatbestand
Der Bescheid, der die Einkommensteuer 1956 des Revisionsklägers (Stpfl.) und seiner mit ihm zusammen veranlagten Ehefrau festsetzte, wurde dem Stpfl. auf dem bundeseinheitlichen Formblatt der Finanzverwaltung mitgeteilt. Der Bescheid war nicht unterschrieben, sondern nur mit dem Dienstsiegel des FA versehen. Unter der Spalte "Erläuterungen" war vermerkt, inwieweit der Bescheid von der Steuererklärung abwich.
Der Stpfl. beanstandete den Bescheid. Der Bescheid sei wegen Fehlens eines handschriftlichen oder gestempelten und beglaubigten Namenzuges eines für die Steuerfestsetzung zuständigen Beamten wegen Formmangels nichtig. Die Unterschrift und die Angabe der Dienstbezeichnung des verantwortlichen Beamten seien zumindest auf Bescheiden notwendig, die eine von der Steuererklärung zuungunsten des Stpfl. abweichende Steuerfestsetzung enthielten. Der Bescheid sei auch wegen Verstoßes gegen die Verfassung unwirksam. Die in der Zusendung einer nur mit dem Dienstsiegel unterstempelten Entscheidung einer Behörde liegende geringschätzige und beleidigende Behandlung des steuerzahlenden Staatsbürgers verletze das in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Grundrecht der Unantastbarkeit der Würde des Menschen und verstoße gegen rechtsstaatliche Gesichtspunkte.
Entscheidungsgründe
Die als Revision zu behandelnde Rb. des Stpfl. ist unbegründet.
Zu der Streitfrage führte das FG aus, für die in § 210 b AO vorgesehene schriftliche Form sei nicht die Unterzeichnung des übersandten Steuerbescheids erforderlich; § 126 BGB sei im Abgabenrecht nicht entsprechend anwendbar. Es berief sich dabei auf die Rechtsprechung des I. Senats des BFH in dem Urteil I 108/54 U vom 14. Februar 1956 (BFH 62, 263, BStBl III 1956, 97), die in dem späteren Grundsatzurteil I 150/60 S vom 20. Februar 1962 (BFH 75, 425, BStBl III 1962, 422) bestätigt worden sei.
Der BdF, der dem Verfahren beigetreten ist, hält ebenfalls die bisherige Rechtsprechung des BFH für richtig.
Der Senat stimmt dem FG zu. Die entscheidenden Gesichtspunkte für die Rechtsprechung des I. Senats sind die folgenden. Die Vorschrift des § 210 b AO schreibt lediglich für die Bekanntgabe der Steuerfestsetzung, die den steuerlichen Verwaltungsakt wirksam werden läßt (§ 91 Abs. 1 AO) und die sonst bei Verfügung der Steuerbehörden auch formlos erfolgen kann (§ 91 Abs. 2 AO), die Schriftform vor. Sie schließt also die Möglichkeit einer nur mündlichen Mitteilung aus. Das wesentliche an einem Steuerbescheid ist indessen nicht seine Bekanntmachung, sondern die - verwaltungsinterne - Beschlußfassung über die Steuerfestsetzung, für die die Rechtsprechung daher auch die schriftliche Niederlegung und die Unterzeichnung durch den zuständigen Beamten fordert (vgl. die BFH-Urteile I 237/60 S vom 9. Mai 1961, BFH 73, 491, BStBl III 1961, 445; I 345/61 U vom 17. März 1964, BFH 79, 309, BStBl III 1964, 343; I 330/62 U vom 11. November 1964, BFH 81, 198, BStBl III 1965, 70). Zwar ist der Beschluß, der mit der Zeichnung durch den zuständigen Beamten gefaßt ist, bis zur Bekanntmachung noch nicht wirksam, so daß er jederzeit geändert werden kann. Wie entscheidend er indessen ist, zeigt sich daran, daß die Bekanntgabe nur dann und nur insoweit einen Steuerbescheid wirksam machen kann, als dieser Bekanntmachung ein interner Willensentscheid der Verwaltung zugrunde liegt (BFH-Urteile VI 105/63 U vom 13. Dezember 1963, BFH 78, 434, BStBl III 1964, 167; I 345/61 U - wobei die in den vorgenannten Urteilen gegensätzlich entschiedene Frage, ob die Berichtigung nur unter den Voraussetzungen des § 92 Abs. 3 AO a. F. (jetzt § 92 Abs. 2 AO) erfolgen kann, hier keine Bedeutung hat). Die Vorschrift des § 210 b AO betrifft also nicht den gesamten Vorgang der Bescheiderteilung; sie gibt vielmehr nur Anweisungen für die Ausfertigung eines sich in Urschrift bei den Akten befindlichen Steuerbescheides (Berechnungsbogens) - Urteile des RFH VI a A 12/22 vom 31. Januar 1923, Steuer und Wirtschaft 1923 Spalte 387; V A 216/25 vom 16. Oktober 1925 und II A 352/26 vom 28. Juli 1926, Steuer und Wirtschaft 1926 Spalte 123 und Spalte 1459; BFH-Urteile I 108/54 U; I 150/60 S; I 345/61 U -. Wenn die Ausfertigung auch "schriftlich" erteilt werden muß, so ist nicht eine Unterschrift erforderlich, wie das § 126 BGB für die Schriftform im bürgerlichen Recht vorsieht. Dem Sinn der Vorschrift entsprechend, dem Steuerpflichtigen unter Hinweis auf die Punkte, in denen von seiner Erklärung abgewichen wird, schriftlich genau fixierte Beträge mitzuteilen, genügt es, daß sich der Bescheid als Kundmachung des von der Behörde erlassenen Hoheitsaktes darstellt, vorausgesetzt, daß ihm eine ordnungsmäßig zustande gekommene Steuerfestsetzung zugrunde liegt (BFH-Urteile I 108/54 U und I 150/60 S).
Der Senat tritt der Auffassung bei, daß es sich bei dem bei den Steuerakten befindlichen Berechnungsbogen um den eigentlichen Steuerbescheid, bei dem dem Steuerpflichtigen bekanntzugebenden Schriftstück dagegen um eine bloße Ausfertigung des Originalbescheids handelt. Es sind keine Gesichtspunkte erkennbar geworden, die insoweit eine änderung der langjährigen und eingehend begründeten Rechtsprechung des BFH rechtfertigen könnten.
Ebenso bleibt der Senat bei der Auffassung, daß für die nach § 210 b AO "schriftlich" zu erteilende Ausfertigung eine Unterschrift nicht unter dem Gesichtspunkt des § 126 BGB gefordert werden kann. Für die Beantwortung der Frage, wann die Schriftform gewahrt ist, spielt eine entscheidende Rolle, welchem Zweck sie dient. Ihr Sinn ist, wie in den bezeichneten Entscheidungen ausgeführt ist, den Steuerpflichtigen zuverlässig über die Berechnung, die Höhe der Steuer und die Abweichungen von seiner Erklärung zu unterrichten und die Frist für die Einlegung eines Rechtsbehelfs eindeutig in Gang zu setzen.
Der schriftlich zu erteilende Steuerbescheid braucht, auch wenn es sich dabei um eine die Urschrift ersetzende Ausfertigung handelt, nicht alle Merkmale einer Ausfertigung zu tragen, wie sie etwa bei der Ausfertigung eines Urteils vorliegen müssen. Unter einer Ausfertigung versteht man im allgemeinen die "amtliche Abschrift eines amtlichen, bei den Akten verbleibenden Schriftstückes, die im Verkehr die Urschrift ersetzen soll und deshalb von einem amtlichen Organ (insbesondere dem Urkundsbeamten) und in besonderer Form (Unterschrift des ausfertigenden Beamten mit der Dienstbezeichnung des Beamten ..., Amtssiegel und Amtsstempel) erteilt wird" (Rosenberg, Lehrbuch des Deutschen Zivilprozeßrechts, 9. Aufl., S. 325). Dabei bezeugt der Ausfertigungsvermerk die übereinstimmung mit der Urschrift und verleiht der Ausfertigung die Eigenschaft als öffentliche Urkunde. Auf Grund dieser Ausfertigung, die voll und ganz an die Stelle der Urschrift tritt, können z. B. Urteile vollstreckt werden. Es genügt, wenn sie dem Gerichtsvollzieher übergeben werden (vgl. z. B. § 724 ZPO). Eine solche Funktion hat die dem Steuerpflichtigen zuzustellende Ausfertigung eines Steuerbescheids nicht. Sie stellt vielmehr nur eine zuverlässige schriftliche Niederlegung des gegen den Steuerpflichtigen erlassenen Verwaltungsakts dar.
Durch die bisher in der Praxis seit langen Jahren übliche Handhabung werden auch keine schutzwürdigen Belange des Steuerpflichtigen verletzt. Bei der Frage, ob seine Interessen schutzwürdig sind, können, da sie eine Abwägung von Interessen voraussetzt, die Belange der auf der anderen Seite beteiligten Finanzverwaltung nicht außer Betracht gelassen werden. Steuerbescheide werden jährlich zu Millionen erlassen. Jede Vereinfachung - und andererseits jede Erschwerung - des Verfahrens haben daher weittragende Auswirkungen. Allein die Tatsache, daß jeder Steuerbescheid, wäre er vom zuständigen Beamten unterschrieben, wieder beim zuständigen Beamten durchlaufen und unterzeichnet werden müßte, nachdem die Ausfertigung erstellt wäre, würde ein erhebliches Maß von Mehrarbeit bedeuten. Auch die Anbringung eines formellen Ausfertigungsvermerks würde bedeuten, daß jeder Steuerbescheid von einem zusätzlichen Beamten bearbeitet werden müßte.
Demgegenüber sind ernste Gefahren für die Steuerpflichtigen bei Beibehaltung des derzeitigen Verfahrens nicht erkennbar. Dem Stpfl. kann nicht darin zugestimmt werden, daß der im GG verankerte Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit und die dort anerkannte Würde des Menschen verletzt seien, wenn eine Behörde dem Bürger in der hier vorliegenden Art "anonym" entgegentrete. Denn das Handeln der Verwaltung ist letzten Endes notwendigerweise immer insofern anonym, als es nicht das Handeln eines einzelnen Beamten, sondern das Handeln der Behörde als solcher ist. Es ist andererseits insofern nicht anonym, als für jedes Handeln einer Behörde der Behördenvorstand die Verantwortung trägt und als bei der organisatorisch genau festgelegten inneren Gliederung einer Behörde, der Geschäftsverteilung, die Gewähr geboten ist, daß der tatsächlich handelnde, den Behördenchef vertretende Beamte ohne Schwierigkeiten ermittelt werden kann.
Die Abwehrrechte des Steuerpflichtigen werden dadurch nicht ungebührlich beschränkt. Hat der Steuerpflichtige auch nur die leiseste Vermutung, daß die rechtliche Entscheidung durch Umstände, die in der Person eines Beamten liegen, beeinflußt sein könnte, so hat er das Recht, das mit den im deutschen Rechtssystem hinreichend zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfen geltend zu machen.
Entsprechendes gilt für die Ansicht des Stpfl., ein Verstoß gegen § 205 Abs. 3 AO (vorherige Mitteilung, inwieweit bei der Veranlagung von den Angaben des Stpfl. werde abgewichen werden) mache die Steuerfestsetzung unwirksam. Sollte ein solcher Verfahrensverstoß die Rechte des Stpfl. beeinträchtigt haben, so kann er sich dagegen mit Rechtsbehelfen wenden. Wollte man bei jedem Verfahrensverstoß die Unwirksamkeit des zugrunde liegenden Verwaltungsakts annehmen, so entstünde eine Rechtsunsicherheit und eine Lähmung des Gemeinschaftslebens, die ihrerseits gerade den Rechtsstaat bedrohen würde.
Fundstellen
Haufe-Index 412662 |
BStBl III 1967, 682 |
BFHE 1967, 460 |
BFHE 89, 460 |