Leitsatz (amtlich)
Zur Tarifierung von Gehäusen für "andere" Uhrmacherwaren ("Uhren-Vitrinen").
Orientierungssatz
1. Die Tarifierung von Waren richtet sich zwar allgemein nach deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften, wie sie im Wortlaut der Tarifnummern und in den Vorschriften zu den Abschnitten oder Kapiteln des GZT festgelegt sind (vgl. EuGH-Urteil vom 1.7.1982 Rs. 145/81). Ein objektives "Merkmal" liegt aber auch vor, wenn auf die Art der Verwendung abgestellt wird und die Verwendung der Ware aus ihrer objektiven Beschaffenheit bei der Zollabfertigung festgestellt werden kann (Literatur).
2. NV: Hat der Kläger bereits im Verwaltungsverfahren die Zuweisung einer Ware zu einer bestimmten Tarifnummer durch eine verbindliche Zolltarifauskunft angestrebt, so kann er dieses Ziel auch mit der Verpflichtungsklage weiterverfolgen (vgl. BFH-Rechtsprechung).
Normenkette
GZT Tarifnr 91.10; GZT Tarifnr 94.03; GZT Kap 94 Vorschr. 1DBuchst. ij; FGO § 40 Abs. 1, § 101
Tatbestand
I. Die OFD erteilte der Klägerin eine verbindliche Zolltarifauskunft (vZTA) für als "Uhrenvitrinen" bezeichnete Erzeugnisse. Es handelt sich nach der Warenbeschreibung in der vZTA um 62 cm breite, 32 cm tiefe und 203 cm hohe, auf den Boden zu stellende Schränke ("Vitrinen") aus Eichenholz in rustikaler Form. Die Vitrinen sind im unteren Teil mit einer Holztür, im mittleren Teil mit einer Holztür mit Glaseinsatz und im Inneren mit Fachbrettern zur Aufnahme von Zier- und Gebrauchsgegenständen sowie im oberen Teil mit einem kreisrunden Ausschnitt zur Aufnahme eines Quarzuhrwerks mit Messingzifferblatt bzw. einer solchen Uhr mit zusätzlichem Vier-Melodien-Schlagwerk ausgestattet. Der Durchmesser des für die Aufnahme der Quarzuhr vorgesehenen kreisrunden Ausschnitts erstreckt sich über den größten Teil des oberen Gehäuseteils. Die OFD wies die Waren der Tarifst. 94.03 B des Gemeinsamen Zolltarifs (GZT) --"andere" Möbel-- zu. Eine Zuweisung zur Tarifnr. 91.10 GZT --als Gehäuse für (andere) Uhrmacherwaren-- komme nicht in Betracht, weil die sog. Uhrenvitrinen nach ihrer Beschaffenheit keine Gehäuse für Quarzuhren darstellten.
Mit ihrem Einspruch gegen diese vZTA erstrebte die Klägerin die Zuweisung der streitbefangenen Ware zur Tarifnr. 91.10 GZT. Es handele sich um klassische Standuhrgehäuse, die sich von hergebrachten Modellen nur dadurch unterschieden, daß in ihnen Uhren ohne Pendel betrieben werden könnten. Die Fachböden für den Mittelteil lägen lose für sich verpackt bei, weil die Entscheidung, ob die Vitrinen nach Einbau der Quarzuhren mit den beiden Fachböden oder auf besonderen Wunsch mit freiem Raum für ein noch anzubringendes Pendel ohne die beiden Fachböden auszuliefern seien, erst lange nach der Einfuhr der Uhrenvitrinen aufgrund konkreter Kundenbestellungen getroffen werde.
Die OFD wies den Einspruch zurück.
Die Klägerin erhob daraufhin Klage, zu deren Begründung sie anführt: Eine Uhr setze sich aus den zwei Hauptbestandteilen Uhrwerk und Gehäuse zusammen. Werde nur einer dieser beiden Hauptbestandteile, nämlich das Gehäuse für das Uhrwerk, eingeführt, so verstehe sich von selbst, daß dieses Gehäuse dem Kap.91 GZT zuzuweisen sei und nicht als Möbel bezeichnet werden könne. Für die Tarifierung von Uhrmacherwaren, die mit einem anderen Gegenstand, z.B. einem Möbel, verbunden seien, seien die Allgemeinen Tarifierungs-Vorschriften (ATV) heranzuziehen. Der obere Teil der streitbefangenen Ware (Uhrengehäuse) sei mit dem unteren Teil der Ware (Möbel) untrennbar verbunden. Es handele sich also um eine zusammengesetzte Ware, für die das Uhrengehäuse charakterbestimmend sei (ATV 3b). Unabhängig davon, ob die Ware mit zwei Einlegebrettchen versehen sei oder nicht, würde sie keinesfalls ohne eingebaute Uhr aufgestellt und als Vitrine (Möbel) verwendet werden.
++/ Die Klägerin beantragt, die angefochtene vZTA in Gestalt der Einspruchsentscheidung aufzuheben und "festzustellen", daß die Waren unter die Tarifnr. 91.10 GZT fallen. /++
Die OFD führt aus, nach ihrer Gesamtbeschaffenheit kennzeichneten sich die streitbefangenen Waren als auf den Boden zu stellende Gebrauchsgegenstände mit dem Charakter von Möbeln (Vitrinen). Nur durch den für die Aufnahme einer Uhr vorgesehenen kreisrunden Ausschnitt im oberen Teil der Vitrinen werde die Ware nicht zu einem speziellen Teil von Uhren. Auch unter der Annahme, daß es sich um eine zusammengesetzte Ware i.S. der ATV 3b handele, werde der Charakter der "Uhrenvitrinen" von dem Möbelbestandteil bestimmt.
Entscheidungsgründe
II. Die Klage ist begründet.
++/ Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidungen und zur Verpflichtung der OFD, der Klägerin eine neue vZTA unter Zuweisung der streitbefangenen Waren zur Tarifnr. 91.10 GZT zu erteilen.
Die Klage mit dem Antrag festzustellen, daß die Waren unter diese Tarifnummer fallen, ist als Verpflichtungsklage gegen die für die Erteilung von vZTA auch über Waren des Kap.91 GZT zuständige OFD (vgl. § 28 Nr.1 der Allgemeinen Zollordnung) zu werten. Die Voraussetzungen der Verpflichtungsklage sind gegeben (vgl. Urteile des Senats vom 30.April 1980 VII K 1/77, BFHE 131, 134, 138 f., BStBl II 1980, 594, und vom 28.Oktober 1980 VII K 1/80, BFHE 132, 354, 358), denn die Klägerin hat die Zuweisung der Waren zu Tarifnr. 91.10 GZT bereits im Verwaltungsverfahren erstrebt, und ihr ist die angefochtene vZTA nicht mit dem begehrten, sondern mit einem anderen Inhalt --Tarifierung nach Tarifnr. 94.03 GZT-- erteilt worden. Diese Tarifierung ist unzutreffend. Die Waren sind zolltariflich keine (anderen) Möbel, sondern Gehäuse für (andere) Uhrmacherwaren. /++
Zwar erfüllen die Waren die zolltariflichen Voraussetzungen für Möbel. Denn sie sind dazu bestimmt, auf den Boden gestellt zu werden (vgl. Vorschrift 2 Satz 1 zu Kap.94 GZT), und dienen --wie die nicht normativen, jedoch nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) und des erkennenden Senats als maßgebliche Erkenntnismittel bei der Auslegung des Zolltarifs heranzuziehenden Erläuterungen zum Zolltarif (ErlZT) herausstellen (hier: ErlZT zu Kap.94 I Rdnrn.5, 6)-- vorwiegend als Gebrauchsgegenstände zur Ausstattung von Wohnungen. Gleichwohl gehören sie nicht zur Tarifnr. 94.03 GZT, sondern zur Tarifnr. 91.10 GZT.
a) Die Konkurrenz zwischen beiden Tarifnummern wird, ohne daß es einer Heranziehung der ATV bedarf, durch die Vorschrift 1 ij zu Kap.94 GZT entschieden, die für Kap.94 GZT an sich in Betracht kommende Waren des Kap.91 GZT, insbesondere Gehäuse für Uhrmacherwaren, von Kap.94 GZT ausdrücklich ausschließt. Allerdings ist, schon um diesen Ausschluß von Kap.94 GZT zu begründen, eine Beurteilung erforderlich, ob es sich bei den sonst zu diesem Kapitel gehörenden Waren um Gehäuse für Uhrmacherwaren handelt. Dies trifft im Streitfall zu, denn die Voraussetzungen der --hier vorrangigen-- Tarifnr. 91.10 GZT sind gegeben. Zu ihr gehören Gehäuse für andere Uhrmacherwaren als Uhren der Tarifnr. 91.01 GZT (Taschen- und Armbanduhren usw.), z.B. Gehäuse für Wand- und Standuhren, außer wenn sie nicht von der üblicherweise in der Uhrmacherei verwendeten Art sind. Die Ausnahme, die sich auf Waren "mehr von der Art der Gehäuse für wissenschaftliche Apparate ... usw." bezieht, liegt im Streitfall, in dem es um die durch eine zolltarifliche Rechtsvorschrift gelöste Konkurrenz zwischen den Kap. 91 und 94 GZT geht, nicht vor. Uhrmacherwaren sind Apparate, die in der Hauptsache zum Messen der Zeit oder zum Ausführen einer zum Zeitablauf in Beziehung gesetzten Tätigkeit bestimmt sind (ErlZT zu Kap.91 I Rdnr.2), darunter elektrische und elektronische Uhren mit Batterien und einem Schwingsystem als Zeitteiler --z.B. piezoelektrischer Quarz--, das durch einen elektrischen Strom in Schwingung gehalten wird (ErlZT, a.a.O., Rdnr.28). Für derartige Uhrwerke dienen die streitbefangenen Waren als Gehäuse --Hauptbestandteile von Uhren neben dem Uhrwerk, vgl. ErlZT, a.a.O., Rdnr.10--, selbst wenn sie durch bereits angebrachte oder noch anzubringende Fachböden auch die Aufnahme von Gegenständen wie Gläsern, Porzellan oder Büchern ermöglichen.
b) Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH (z.B. Urteil vom 1.Juli 1982 Rs.145/81, EuGHE 1982, 2493, 2503) richtet sich die Tarifierung von Waren zwar allgemein nach deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften, wie sie im Wortlaut der Tarifnummern und in den Vorschriften zu den Abschnitten oder Kapiteln des GZT festgelegt sind. Ein objektives "Merkmal" liegt aber auch vor, wenn auf die Art der Verwendung abgestellt wird --hier: Gehäuse "für" (andere) Uhrmacherwaren-- und die Verwendung der Ware aus ihrer objektiven Beschaffenheit bei der Zollabfertigung festgestellt werden kann (vgl. Lux in Bail/Schädel/Hutter, Kommentar Zollrecht, F II 1 Rdnr.175).
Dies trifft im Streitfalle zu. Denn es ist aufgrund der Beschaffenheit der Waren unstreitig, daß sie zur Aufnahme auch --in erster Linie-- von Uhrwerken (Quarzuhren mit Zifferblatt) dienen. Dabei kann es nicht darauf ankommen, ob später Uhrwerke mit oder ohne Pendel eingebaut werden. Auch Uhrwerke ohne Pendel sind Uhrmacherwaren des Kap.91 GZT, da der Zeitteiler kein Pendel sein muß, er vielmehr auch aus einem piezoelektrischen Kristall bestehen kann (ErlZT zu Kap.91 I Rdnr.18). Der Begriff "Gehäuse" i.S. der Tarifnr. 91.10 GZT darf somit nicht, wie die OFD zu meinen scheint, auf solche zur Unterbringung von Uhrwerken bestimmte Gegenstände verengt werden, die sich als "klassische" Gehäuse für Standuhren mit mechanischem Uhrwerk und Pendel kennzeichnen, bei denen der Pendelraum nur für die Aufnahme des Perpendikels vorgesehen sein mag. Die Möglichkeit, im Mittelteil der Waren, wenn Uhrwerke ohne Perpendikel eingebaut werden, bestimmte Gegenstände, auf Fachbretter gestellt, unterzubringen, stellt die Bestimmung als Gehäuse für die jedenfalls aufzunehmenden Uhrwerke nicht in Frage. Die Waren können auch nicht, im Hinblick auf die Möglichkeit der Unterbringung anderer Gegenstände, als Kombinationen von "Möbeln" mit eingebauten Uhren angesehen werden, erst recht nicht als zusammengesetzte Waren aus verschiedenen Stoffen i.S. von ATV 2b (vgl.ErlZT zu ATV 2 I Rdnr.13), die nach ATV 3 zu tarifieren wären. Vielmehr stellen sie sich nach Hauptverwendungszweck und äußerem Erscheinungsbild einheitlich als Gehäuse für Standuhren dar.
Fundstellen
Haufe-Index 60884 |
BFHE 144, 309 |
BFHE 1986, 309 |
HFR 1986, 146-147 (ST) |