Entscheidungsstichwort (Thema)
"Absicht" als Tatsache i. S. v. §173 AO 1977, Aufklärungs- und Mitwirkungspflichtverletzungen, Verbindlichkeit einer mündlichen Auskunft
Leitsatz (NV)
1. Eine Erklärung des Steuerpflichtigen gegenüber der Finanzbehörde vor Verwirklichung des steuerbegründenden Tatbestandes, sich in einer bestimmten Weise zu verhalten, z. B. bestimmte Verträge abschließen zu wollen, stellt nur dann eine "Tatsache" i. S. des §173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 dar, wenn die Absicht als solche Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Steuertatbestandes darstellt. Wird hingegen erst durch die Umsetzung eines Planes der Steuertat bestand verwirklicht, vermag die im Vorfeld abgegebene Mitteilung des Steuerpflichtigen, in bestimmter Weise verfahren zu wollen, keine Kenntnis des FA im Sinne von §173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 über die steuerbegründenden Tatsachen aufzulösen.
2. Nur derjenige Steuerpflichtige kann sich nach Treu und Glauben darauf berufen, dem FA wären die nachträglich bekanntgewordenen Tatsachen bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner Ermittlungspflicht nicht verborgen geblieben, der seinerseits seinen Mitwirkungspflichten (hier: Anzeigepflichten) voll genügt hat (vgl. BFH-Urteile vom 23. Juni 1993 I R 31/92, BFH/NV 1994, 661; vom 13. Juli 1990 VI R 109/86, BFHE 161, 11, BStBl II 1990, 1047; vom 17. Oktober 1989 VII R 58/87, BFHE 158, 466, BStBl II 1990, 249, und vom 13. November 1985 II R 208/82, BFHE 145, 487, BStBl II 1986, 241).
3. Der Umstand, daß das FA Auskünfte nur mündlich erteilt hat, legt die Annahme nahe, daß keine bindende (verbindliche) Zusage, sondern nur eine unverbindliche Meinungsäußerung erstrebt und gegeben worden ist (vgl. BFH-Urteil vom 13. Dezember 1989 X R 208/87, BFHE 159, 114, BStBl II 1990, 274, 276, m. w. N.). Bei mündlich erteilten Auskünften sind an den Nachweis der eine Bindung des FA begründenden Merkmale strenge Anforderungen zu stellen.
Normenkette
AO 1977 § 173 Abs. 1 Nr. 1; GrEStG 1983 § 19 Abs. 2 Nr. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erwarb durch notariell beurkundeten Kaufvertrag vom 19. Februar 1986 ein in X gelegenes Grundstück, welches im Sanierungsgebiet "Y I. Abschnitt" gelegen ist. Verkäuferin der Grundstücke war eine Sanierungstreuhänderin der Stadt X. Diese hatte für das Grundstück eine genehmigte Bauplanung für die Errichtung eines Mietwohnhauses erstellen lassen und der B-GmbH die Option zur Bebauung der Grundstücke auf der Grundlage der von der B-GmbH durchgeführten Kalkulation des Gesamtaufwandes eingeräumt.
Ebenfalls am 19. Februar 1986 schloß der Kläger einen Treuhandvertrag mit der Firma C-GmbH ab und danach einen Bau errichtungsvertrag mit der Firma B-GmbH.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) setzte zunächst im April 1986 unter Zugrundelegung des Grundstückskaufpreises Grunderwerbsteuer gegen den Kläger fest. Der Bescheid erging endgültig und wurde bestandskräftig.
Aufgrund einer Mitteilung der Betriebsprüfungsstelle über den Abschluß nicht nur des Grundstückskaufvertrages, sondern einer Vielzahl von weiteren Verträgen erließ das FA im Jahre 1989 gegenüber dem Kläger einen geänderten Grunderwerbsteuerbescheid, in dem es die Grunderwerbsteuer unter Einbeziehung der Gebäudeerrichtungskosten festsetzte.
Mit seiner nach erfolglos gebliebenem Einspruchsverfahren erhobenen Klage machte der Kläger geltend, die Voraussetzungen für eine Änderung des ursprünglichen Bescheides nach §173 der Abgabenordnung (AO 1977) seien nicht gegeben, weil dem FA die steuererheblichen Tatsachen bekanntgewesen seien bzw. hätten bekanntgewesen sein müssen. Aus dem Grundstückskaufvertrag ergebe sich eine Bindung an eine bereits konkret festgelegte Bebauung. Dem FA sei auch das Gesamtkonzept der Bebauung des Sanierungsgebiets vor Abschluß der Grundstückskaufverträge offengelegt worden. Der Geschäftsführer der C-GmbH habe unter Vorlage sämtlicher Verträge bei der Grunderwerbsteuerstelle des FA vorgesprochen und dort die verbindliche Auskunft erhalten, Grunderwerbsteuer werde nur vom eigentlichen Grundstückskaufpreis erhoben, wenn zwischen den Erwerbern der verschiedenen Grundstücke keine gesellschaftsvertrag lichen Bindungen bestünden, diese auf getrennten Parzellen Einzelmaßnahmen durchführten und statt eines gemeinsamen Treuhandvertrages jeweils nur eine Mittelverwendungskontrolle zuließen.
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage des Klägers sowie die Klagen acht weiterer Grundstückserwerber zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und "die Klage abgewiesen". In seinem Urteil vertritt es die Auffassung, das FA sei nach §173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 berechtigt gewesen, die ursprünglichen Steuerfestsetzungen zu ändern. Nachträglich bekanntgeworden sei nämlich dem FA u. a., daß der Kläger sowie die anderen Grundstückserwerber in dem Sanierungsgebiet mit der B-GmbH unmittelbar vor oder nach Abschluß der Grundstückskaufverträge Generalübernehmerverträge sowie mit Dritten eine Vielzahl weiterer Verträge im Rahmen der Gesamtbaumaßnahmen abgeschlossen hätten. Dies sei dem FA auch nicht aufgrund der Besprechungen des Geschäftsführers der C- GmbH mit der Grunderwerbsteuerstelle des FA bekanntgeworden. Denn ein noch nicht verwirklichter Sachverhalt könne dem FA nicht bekannt sein. In den Besprechungen, die nach Angaben des vom Kläger benannten und vom FG vernommenen Zeugen (Geschäftsführer der Firma C-GmbH) vor Abschluß der Grundstückskaufverträge stattgefunden hätten, seien verschiedene Vertragsmodelle und deren grunderwerbsteuerrechtliche Behandlung erörtert worden. Damit sei dem FA aber nicht bekanntgeworden, welche der verschiedenen dargestellten Vertragsgestaltungen später tatsächlich verwirklicht worden sei. Allenfalls der Umstand, daß eine bestimmte Vertragsgestaltung beabsichtigt sei, sei dem FA vom Geschäftsführer der C- GmbH mitgeteilt worden. Dies reiche aber nicht aus, um von einer Tatsache im Sinne der Änderungsvorschrift sprechen zu können. Hinzu komme, daß bei umfangreichen Sachverhalten nur solche Tatsachen als bekannt angesehen werden könnten, deren geplante Verwirklichung der Finanzbehörde schriftlich unterbreitet worden sei.
Der Änderungsmöglichkeit nach §173 AO 1977 stehe auch nicht der Grundsatz von Treu und Glauben entgegen. Für das FA habe aufgrund des Grundstückskaufvertrages kein Anlaß bestanden, den Sachverhalt weiter aufzuklären. Soweit es aufgrund der im Vorfeld geführten Gespräche Anlaß zu weiteren Sachverhaltsermittlungen gehabt haben sollte, stehe dieser Ermittlungspflichtverletzung jedoch eine zumindest genauso gravierende Mitwirkungspflichtverletzung des Klägers gegenüber. Dieser habe nämlich seine Anzeigepflicht nach §19 Abs. 2 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) 1983 verletzt, weil er die im Zusammenhang mit dem Grundstückserwerb abgeschlossenen weiteren Verträge nicht vorgelegt habe.
Hiergegen richtet sich die -- vom FG zu gelassene -- Revision des Klägers sowie die Revisionen weiterer fünf Kläger.
Der Kläger macht geltend, das FG habe rechtsfehlerhaft die Voraussetzungen für eine Änderung des bestandskräftigen Grunderwerbsteuerbescheids nach §173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 bejaht. Dem FA seien keine Tatsachen nachträglich bekanngeworden. Vielmehr sei dem FA bei den im Vorfeld durchgeführten Besprechungen das gesamte Vertragswerk und die geplante Durchführung des Projekts offengelegt worden. Dies habe der als Zeuge vernommene Geschäftsführer der C-GmbH bestätigt. Das FG habe unter Verletzung von §76, §96 der Finanzgerichtsordnung (FGO) diese Umstände als dem FA nachträglich bekanntgeworden gewürdigt. Soweit das FG hilfsweise ausführe, bei umfangreichen Sachverhalten könnten allenfalls solche Tatsachen als bekannt angesehen werden, deren geplante Verwirklichung dem FA schriftlich unterbreitet worden sei, sei dem entgegenzuhalten, daß es im Rahmen des §173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 irrelevant sei, in welcher Weise das FA Kenntnis von bestimmten Tatsachen erlange.
Das FG habe im übrigen die Tatsache nicht ausreichend gewürdigt, daß dem FA zahlreiche inhaltsgleiche Verträge gleichen Datums vorgelegt worden seien, die sämtlich u. a. die Bestimmung enthielten, daß die Verkäufer bei Abweichung von einer bestimmten vorgegebenen Bebauung von dem Vertrag hätten zurücktreten können. Dies habe das FA veranlassen müssen, den Sachverhalt weiter aufzuklären. Gegenüber der Aufklärungspflichtverletzung des FA trete die Verletzung der Mitwirkungspflicht gemäß §19 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG 1983 deutlich zurück. Der Kläger habe vielmehr seine Mitwirkungspflicht bereits im Vorfeld dadurch erfüllt, daß der Geschäftsführer der C- GmbH dem FA die maßgeblichen Verträge offengelegt habe.
Im übrigen habe das FG verkannt, daß in der mündlichen Auskunft der Grunderwerbsteuerstelle des FA eine verbindliche Auskunft liege. Der als Zeuge vernommene Geschäftsführer der C-GmbH habe nämlich ausgeführt, es sei ihm bei diesen Gesprächen bestätigt worden, daß bei Abschluß eines Geldverwendungskontrollvertrages Grunderwerbsteuer nur auf die reinen Grundstückskosten erhoben würde. Diese Aussage könne nicht anders gewertet werden, als daß dem Zeugen selbstverständlich eine verbindliche Zusage zur Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer erteilt worden sei. Bei vollständiger Würdigung der Aussage des Zeugen hätte das FA zu dem Ergebnis kommen müssen, daß eine verbindliche Zusage vorliege.
Der Kläger beantragt sinngemäß, das Urteil des FG, soweit es ihn betreffe, sowie den angefochtenen Grunderwerbsteuerbescheid in der Form der Einspruchsentscheidung aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Der Senat hat durch Beschluß vom 30. Juli 1997 II R 33/95 die vom FG verbundenen Klageverfahren derjenigen Kläger/Klägerinnen, die Revision eingelegt haben, wieder getrennt. Auf den Inhalt des den Beteiligten zugestellten Beschlusses wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung, soweit der Kläger von ihr betroffen ist, und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
1. Die den Senat nach §118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des FG reichen nicht aus, um die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Steuerfestsetzung überprüfen zu können.
a) Eine bestandskräftige Steuerfestsetzung kann nach §173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 geändert werden, soweit dem FA nachträglich Tatsachen oder Beweismittel bekanntwerden, die zu einer höheren Steuer führen. Tatsache i. S. des §173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 ist insoweit alles, was Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Steuertatbestandes sein kann, also Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften materieller oder immaterieller Art (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 27. Oktober 1992 VIII R 41/89, BFHE 170, 1, BStBl II 1993, 569, 571, m. w. N.). Zutreffend ist das FG dabei auch davon ausgegangen, daß eine Erklärung des Steuerpflichtigen gegenüber der Finanzbehörde vor Verwirklichung des steuerbegründenden Tatbestandes, sich in einer bestimmten Weise zu verhalten, z. B. bestimmte Verträge abschließen zu wollen, nur dann eine "Tatsache" i. S. dieser Vorschrift darstellt, wenn die Absicht als solche Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Steuertatbestandes darstellt. Wird hingegen -- wie im Streitfall -- erst durch die Umsetzung eines Planes der Steuertatbestand verwirklicht, vermag die im Vorfeld abgegebene Mitteilung des Steuerpflichtigen, in bestimmter Weise verfahren zu wollen, keine Kenntnis des FA über die steuerbegründenden Tatsachen auszulösen. Das FG ist deshalb zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, daß dem FA aufgrund der Besprechungen mit dem Geschäftsführer der C-GmbH die für die Annahme eines einheitlichen Vertragsgegenstandes maßgeblichen Umstände, insbesondere der tatsächliche Abschluß und der Inhalt der Verträge mit Ausnahme des Grundstücksvertrages, nicht bekanntgeworden sind.
Das FG ist auch zutreffend davon ausgegangen, daß einer Änderung des bestandskräftig gewordenen Ursprungsbescheids nach Treu und Glauben eine Verletzung von Aufklärungspflichten des FA nicht entgegensteht. Dabei kann dahinstehen, ob dem FA die nachträglich bekanntgewordenen Tatsachen bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner Ermittlungspflicht nicht verborgen geblieben wären. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH kann sich nämlich auf Treu und Glauben nur der Steuerpflichtige berufen, der seinerseits seinen Mitwirkungspflichten voll genügt hat (vgl. BFH-Urteile vom 23. Juni 1993 I R 31/92, BFH/NV 1994, 661; vom 13. Juli 1990 VI R 109/86, BFHE 161, 11, BStBl II 1990, 1047; vom 17. Oktober 1989 VII R 58/87, BFHE 158, 466, BStBl II 1990, 249, und vom 13. November 1985 II R 208/82, BFHE 145, 487, BStBl II 1986, 241). Das FG hat insoweit fehlerfrei erkannt, daß der Kläger seinen Anzeigepflichten nach §19 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG 1983 nicht nachgekommen ist. Entgegen der Auffassung des Klägers genügte die mündliche Ankündigung, entsprechend verfahren zu wollen, der Anzeigepflicht nicht. Vielmehr hätte die Anzeige nach Vollzug unter Vorlage der tatsächlich abgeschlossenen Verträge schriftlich (vgl. Hofmann, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 6. Aufl., §19 Rdnr. 8) erfolgen müssen.
Das FG ist auch zutreffend davon ausgegangen, daß eine die Finanzbehörde nach Treu und Glauben bindende (verbindliche) Zusage in bezug auf die grunderwerbsteuerrechtliche Behandlung der vorliegenden Streitfälle nicht gegeben wurde. Der Umstand, daß die hier vom Kläger behaupteten Auskünfte mündlich erteilt wurden, legt die Annahme nahe, daß nur eine unverbindliche Meinungsäußerung erstrebt und gegeben worden ist (vgl. BFH-Urteil vom 13. Dezember 1989 X R 208/87, BFHE 159, 114, BStBl II 1990, 274, 276, m. w. N.). Unter diesen Umständen sind an den Nachweis der eine Bindung des FA begründenden Merkmale strenge Anforderungen zu stellen. Das FG hat insoweit ins besondere verfahrensfehlerfrei festgestellt, daß Anhaltspunkte dafür, daß sich das FA gegenüber dem Kläger habe binden wollen, nicht gegeben seien.
2. Das FG hat jedoch nur unzureichend Feststellungen dazu getroffen, ob und in welchem Umfang nachträglich bekanntgewordene Tatsachen zu einer höheren Steuer führen. Es hat sich vielmehr im wesent lichen auf die Mitteilung beschränkt "das Vorliegen eines einheitlichen Vertragswerks sei zwischen den Beteiligten unstreitig". Auch hinsichtlich der Höhe der vom FA zugrunde gelegten Bemessungsgrundlage fehlt jegliche Feststellung und Prüfung durch das FG. Der Hinweis, zwischen den Beteiligten sei unstreitig, daß die Bemessungsgrundlage "rechnerisch in Ordnung" sei, reicht nicht aus. Vielmehr hätte das FG die vom Kläger im einzelnen abgeschlossenen Verträge inhaltlich feststellen und prüfen müssen, ob das FA von einer zutreffenden Bemessungsgrundlage ausgegangen ist.
Fundstellen
Haufe-Index 303004 |
BFH/NV 1998, 12 |