Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Führt ein und dieselbe neue Tatsache für den Steuerpflichtigen gleichzeitig zu günstigen und ungünstigen Folgen, so kann diese Tatsache nur entweder zu einer niedrigeren oder einer höheren Veranlagung führen.
Normenkette
AO § 222 Abs. 1 Nr. 1, § 222/1/2
Tatbestand
Der beschwerdeführende Ehemann (Bf.) ist Rechtsanwalt, die beschwerdeführende Ehefrau (Bfin.) ist Augenärztin. Die Ehegatten sind zur Einkommensteuer für die Jahre 1951 bis 1954 rechtskräftig zusammen veranlagt worden. Als sich bei einer Betriebsprüfung im Jahre 1957 herausstellte, daß die Bfin. die Aufwendungen für die Hausgehilfin als Betriebsausgaben behandelt hatte, beantragten die Bf., sie für die vorbezeichneten Jahre getrennt zu veranlagen. Das Finanzamt lehnte das ab, weil die durch die Betriebsprüfung aufgedeckte Tatsache nur eine höhere Veranlagung rechtfertige. Demgegenüber führten die Bf. aus, die für die Hausgehilfin entrichteten Sozialversicherungsbeträge seien als Sonderausgaben abzusetzen; diese neu aufgedeckte Tatsache rechtfertige auch eine niedrigere Veranlagung. Der Einspruch und die Berufung blieben ohne Erfolg. Die für die Hausgehilfin geleisteten Arbeitgeberanteile, so führt das Finanzgericht aus, seien für die Bfin. keine Sonderausgaben. Aus dem Urteil des Bundesfinanzhofs IV 6/52 U vom 20. November 1952 (BStBl 1953 III S. 36, Slg. Bd. 57 S. 91), nach dem durch einen steuerbegünstigten Versicherungsvertrag auch ein anderer als der Steuerpflichtige und seine Angehörigen versichert oder begünstigt sein könne, sei für den Streitfall nichts herzuleiten. Nach diesem Urteil sei entscheidend, wer Versicherungsnehmer sei. Als solcher könne die Bfin. aber nicht angesehen werden, weil es sich hier um die zwangsweise eintretende Sozialversicherung handle und nicht sie, sondern die Hausgehilfin anwartschaftsberechtigt sei.
Entscheidungsgründe
Die Rb., mit der die Bf. rügen, daß sie zu Unrecht nicht getrennt veranlagt worden seien, ist nicht begründet.
Nach § 26 Abs. 2 Ziff. 2 EStG 1957 ist der Antrag der Bf., sie für die Jahre 1951 bis 1954 getrennt zu veranlagen, berechtigt, wenn die ursprünglichen rechtskräftigen Veranlagungen nach § 222 Abs. 1 Ziff. 1 oder 2 AO zu berichtigen sind. Diese Berichtigung setzt voraus, daß neue Tatsachen vorliegen, die eine höhere oder niedrigere Veranlagung rechtfertigen. Für die Frage, ob eine höhere oder niedrigere Veranlagung gerechtfertigt ist, bleibt die Möglichkeit der getrennten Veranlagung außer Betracht. Es sind nach § 26 Abs. 2 Ziff. 2 Satz 2 EStG 1957 die bisher festgesetzten Steuern mit den Steuern zu vergleichen, die sich ergeben würden, wenn die bisherige Art der Veranlagung der Ehegatten unter Berücksichtigung der neuen Tatsachen beibehalten würde. Liegen danach nur Tatsachen vor, die eine höhere Veranlagung rechtfertigen, so dürfen nach § 26 Abs. 2 Ziff. 2 letzter Satz EStG 1957 in den Berichtigungsbescheiden die festgesetzten Steuerbeträge nicht unterschritten werden.
Im Streitfall ist, wie die Vorinstanzen zutreffend ausgeführt haben, nur eine Tatsache aufgedeckt worden, die eine höhere Veranlagung rechtfertigt. Daß die Bfin. die Aufwendungen für die Hausgehilfin als Betriebsausgaben behandelt hatte, war dem Finanzamt neu. Diese neue Tatsache führte zu einer Kürzung der Betriebsausgaben und zu einer Erhöhung des Gewinns, damit also zu einer höheren Veranlagung (Erhöhung der bisher festgesetzten Steuer). Das Finanzamt hat den Bf. mitgeteilt, daß die Berichtigungsveranlagung unterbleibe, weil bei getrennter Veranlagung das aus der Erhöhung des Gewinns bei Zusammenveranlagung sich ergebende Mehr an Steuern beseitigt werde. Insoweit hat also die antragsgemäße getrennte Veranlagung dazu geführt, daß die Bf. nicht auf Grund der neu festgestellten Tatsache zu einer höheren Steuer veranlagt wurden. Der Antrag auf Zusammenveranlagung kann aber nach § 26 Abs. 2 Ziff. 2 EStG 1957 nicht, wie die Bf. wollen, darüber hinaus dazu führen, auf Grund der Tatsache, die nur eine höhere Veranlagung rechtfertigt, eine niedrigere Veranlagung vorzunehmen.
Die Bf. sind allerdings der Auffassung, daß die aufgedeckte Tatsache auch eine niedrigere Veranlagung rechtfertige, weil die für die Hausgehilfin aufgewendeten Sozialversicherungsbeiträge (Arbeitgeberanteile) als Sonderausgaben zu berücksichtigen seien. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Auffassung, daß die bei Beschäftigung einer Hausgehilfin aufgewendeten Arbeitgeberanteile Sonderausgaben des Arbeitgebers seien, richtig ist. Selbst wenn dies der Fall wäre, könnte der Antrag der Bf. keinen Erfolg haben; denn dann würde hier ein und dieselbe Tatsache sowohl die ungünstigen als auch die günstigen Folgen auslösen, nämlich einerseits die Gewinnerhöhung um die zu Unrecht als Betriebsausgaben berücksichtigten Löhne und andererseits die Berücksichtigung eines Teils dieser "Löhne" als Sonderausgaben. Es braucht hier nicht untersucht zu werden, ob, wenn gleichzeitig Tatsachen, die eine höhere Veranlagung rechtfertigen und solche Tatsachen, die eine niedrigere Veranlagung rechtfertigen, aufgedeckt werden, zur Anwendung des § 26 Abs. 2 Ziff. 2 EStG 1957 geprüft werden muß, welche Tatsachen schwerer wiegen oder ob die beiden Gruppen von Tatsachen getrennt zu betrachten sind (vgl. einerseits das Urteil des Senats VI 301/58 vom 3. Februar 1961, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1961 S. 124, und andererseits das Urteil des IV. Senats IV 354/59 U vom 1. Dezember 1960, BStBl 1961 III S. 143, Slg. Bd. 72 S. 388); denn jedenfalls kann ein und dieselbe neue Tatsache nur entweder zu einer höheren oder zu einer niedrigeren Veranlagung führen. Im Streitfall liegt also, weil die Arbeitgeberanteile, auch wenn sie als Sonderausgaben anerkannt würden, sich steuerlich nur geringer auswirken als die Gewinnerhöhung durch die Zurechnung der Löhne, eine neue Tatsache vor, die eine höhere Veranlagung rechtfertigt.
Die Bf. irren schließlich auch darin, daß sie die Nichtberücksichtigung des der privaten Kraftfahrzeugnutzung entsprechenden Anteils der Haftpflichtversicherung als eine eine niedrigere Veranlagung rechtfertigende neue Tatsache ansehen. Hier handelt es sich nicht um eine neue Tatsache, sondern um einen Fehler. Denn der Sachverhalt (die anteilige private Kraftfahrzeugnutzung) ist dem Finanzamt bekannt gewesen. Es ist nur übersehen worden, die rechtliche Folgerung aus diesem Sachverhalt zu ziehen. In § 26 Abs. 2 Ziff. 2 EStG 1957 ist aber die Berichtigungsmöglichkeit des § 222 Abs. 1 Ziff. 4 AO nicht erwähnt.
Fundstellen
Haufe-Index 410241 |
BStBl III 1962, 41 |
BFHE 1962, 106 |
BFHE 74, 106 |