Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
übt ein Arbeitnehmer zugleich einen der in § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG 1951 bezeichneten Berufe als Arzt, Rechtsanwalt, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater oder dergleichen aus, so sind die aus dieser freiberuflichen Tätigkeit erzielten Einkünfte keine Nebeneinkünfte aus wissenschaftlicher Tätigkeit im Sinne des § 34 Abs. 5 EStG 1951.
Normenkette
EStG § 19/1/1, § 34 Abs. 5, § 34/4
Tatbestand
Streitig ist, ob der Beschwerdeführer (Bf.) für Einkünfte aus Steuerberatung die Tarifvergünstigung nach § 34 Abs. 5 EStG 1951, der in dieser Fassung auch für das Jahr 1952 gilt, in Anspruch nehmen kann.
Der Bf. übte zunächst eine selbständige Praxis als Wirtschaftsprüfer und Steuerberater aus. Soweit aus den Akten ersichtlich, wandelte er seinen Betrieb im Jahre 1947 in eine Wirtschaftsprüfungs- und Treuhand-GmbH um. Im Streitjahr war er in Höhe eines Viertels am Stammkapital der Gesellschaft, deren Geschäftsführer er zugleich war, beteiligt. Die übernahme eigener Mandate war ihm in besonderen Einzelfällen gestattet. Er hat von dieser Möglichkeit unstreitig nur selten Gebrauch gemacht.
Für das Jahr 1952 wurde der Bf. mit seinen Gehaltseinkünften aus seiner Geschäftsführertätigkeit und dem Gewinn aus selbständiger Arbeit zur Einkommensteuer veranlagt. Dem Antrag, diesen nach § 34 Abs. 5 EStG zu versteuern, gab das Finanzamt nicht statt. Bei den freiberuflichen Einnahmen handelt es sich um ein Honorar, das der Bf. für die Durchführung eines steuerlichen Berufungsverfahrens für einen Bauunternehmer erhalten hatte.
Mit der Sprungberufung machte der Steuerpflichtige geltend, er habe bei Durchführung des Berufungsverfahrens eine wissenschaftliche Tätigkeit im Sinne des § 34 Abs. 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) entfaltet.
Das Finanzgericht hat die Anwendbarkeit des § 34 Abs. 5 EStG verneint.
Entscheidungsgründe
Mit der Rechtsbeschwerde (Rb.) wiederholt der Bf. sein bisheriges Vorbringen. Sie ist nicht begründet.
Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Vorschrift ist, daß die begünstigten Nebeneinkünfte nicht zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit gehören (ß 34 Abs. 5 Ziff. EStG 1951). Daß zwischen dem Bf. und dem Bauunternehmer kein Anstellungsverhältnis bestand, ist offensichtlich und unbestritten. Es ist aber zu prüfen, ob die Tätigkeit des Bf. für Bauunternehmer nicht als Ausfluß seiner nichtselbständigen Haupttätigkeit anzusehen ist. In diesem Fall würden die Nebeneinkünfte steuerlich das Schicksal der Haupteinkünfte teilen, so daß schon aus diesem Grunde die begehrte Vergünstigung entfiele.
Der Bf. hat jahrelang seine Praxis als Wirtschaftsprüfer und Steuerberater selbständig ausgeübt. Auch nach Umwandlung der Praxis in eine Treuhand-GmbH hatte er noch gelegentlich Einnahmen aus selbständiger Arbeit (I/1948: 24.525 RM; 1949: 1.700 DM; 1952: 4.926 DM). Nach seinem Vorbringen darf er in Einzelfällen eigene Mandate übernehmen. Wenn er davon auch nicht oft Gebraucht gemacht hat, so übt er doch seinen Beruf als Wirtschaftsprüfer und Steuerberater äußerlich erkennbar in zwei verschiedenen Formen aus. Dazu kommt, daß erfahrungsgemäß ein Rat suchender Steuerpflichtiger sich in erster Linie deshalb an den Bf. gewendet haben wird, weil er dessen Kenntnis und Erfahrungen als Wirtschaftsprüfer und Steuerberater in Anspruch nehmen wollte; die Stellung des Bf. als Angestellter der GmbH wird für den Mandanten hierbei, wenn überhaupt, nur eine untergeordnete Rolle gespielt haben.
Erscheint es deshalb schon vom Standpunkt der Verkehrsauffassung aus bedenklich, die, wenn auch nur gelegentlich ausgeübte, Tätigkeit des Bf. lediglich als Ausfluß seiner Angestellteneigenschaft anzusehen, so ist darüber hinaus rechtlich beachtlich, daß im vorliegenden Streitfall Arbeitgeber und Auftraggeber verschiedene Personen waren. Wie der Senat bereits in dem Urteil IV 106/54 U vom 3. November 1955 (Slg. Bd. 62 S. 296, Bundessteuerblatt - BStBl - 1956 III S. 110) ausgeführt hat, ist in solchen Fällen eine besonders strenge Prüfung angebracht, wenn entgegen der klaren Trennung der vertraglichen Beziehungen die Nebentätigkeit für einen Dritten wirtschaftlich noch als Auswirkung der nichtselbständigen Haupttätigkeit betrachtet werden soll. Zwar hat der Bundesfinanzhof in dem Urteil IV 46/54 U vom 9. Dezember 1954 (Slg. Bd. 60 S. 141, BStBl 1955 III S. 55) Vergütungen, die Angestellte eines Notars für die übernahme der Auflassungsvollmacht von den Parteien eines beurkundeten Grundstücksgeschäftes erhalten haben, als Arbeitslohn aus dem Dienstverhältnis mit dem Notar angesehen. Die Nebentätigkeit beruhte allein auf diesem Arbeitsverhältnis; rechtliche Beziehungen zwischen den Mandanten des Notars und dessen Angestellten bestanden nicht. Die für die Auflassungstätigkeit erhaltenen Vergütungen stellten einen Ausfluß der unselbständigen Tätigkeit dar, was auch darin zum Ausdruck kam, daß die Vergütungen an den Notar gezahlt wurden, der sie nach den getroffenen Vereinbarungen seinen Angestellten zuwies. Im Streitfall handelt es sich dagegen um wirtschaftlich völlig gleichwertige Leistungen, die einmal auf Grund eines Anstellungsverhältnisses und außerdem daneben, soweit das Arbeitsverhältnis es zuließ, auf Grund einer Einzelverpflichtung vollzogen wurden. Der vorliegende Fall gleicht insoweit dem Tatbestand, der dem Urteil IV 106/54 U zugrunde lag. Dort hat der Bundesfinanzhof bei einem angestellten Musiker, der außerhalb seines Dienstverhältnisses gelegentlich an Darbietungen des Rundfunks oder bei Schallplattenaufnahmen mitwirkte, insoweit einen Ausfluß der Hauptbeschäftigung verneint und selbständige freiberufliche Tätigkeit angenommen. Der Senat hat keine Bedenken, auch in dem hier zu beurteilenden Fall anzunehmen, daß das streitige Honorar eine Einnahme aus selbständiger Arbeit war.
Es fragt sich weiter, ob die selbständige Berufsausübung als Steuerberater und Wirtschaftsprüfer eine wissenschaftliche Tätigkeit im Sinne des Gesetzes ist. Die Vorinstanz hat die Frage verneint. Der Senat tritt aus folgenden Erwägungen dieser Auffassung bei:
In dem Urteil IV 104/52 U vom 13. November 1952 (Slg. Bd. 57 S. 83, BStBl 1953 III S. 33) hat der Bundesfinanzhof ausgesprochen, als wissenschaftliche Tätigkeit sei nicht nur Forschung, sondern auch die Anwendung von Erkenntnissen auf abstrakte oder konkrete Vorgänge anzusehen. An dieser Ansicht wird festgehalten. Der Beruf des Wirtschaftsprüfers und Steuerberaters erfordert - wie das im allgemeinen für die anderen in § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG bezeichneten Berufsarten gleichfalls zutrifft - wissenschaftliche Vorbildung und Kenntnisse. Darüber hinaus wird man dieser Tätigkeit selbst den wissenschaftlichen Charakter nicht absprechen können, da ein Beruf, der in einer Disziplin der Geisteswissenschaften wurzelt, in der Regel auch den Stempel der Wissenschaftlichkeit trägt.
Die praktische Ausübung eines als wissenschaftlich zu kennzeichnenden Berufes kann jedoch nicht ohne weiteres der in § 18 Abs. 1 Ziff. 1 und § 34 Abs. 5 EStG 1951 bezeichneten "wissenschaftlichen Tätigkeit" gleichgestellt werden. Zwar hat der Senat in dem Urteil IV 104/52 U vom 13. November 1952 (Slg. Bd. 57 S. 83, BStBl 1953 III S. 33) ausgesprochen, es sei ohne Belang, ob eine wissenschaftliche Betätigung im Rahmen der täglichen Berufsarbeit geschehe. Damit sollte jedoch nicht zum Ausdruck kommen, daß die Ausübung der in § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG bezeichneten Berufe zwangsläufig eine wissenschaftliche Tätigkeit im Sinne des Gesetzes sei. In jenem Fall handelte es sich um die Frage, ob Einkünfte aus der freiberuflichen Gutachtertätigkeit eines angestellten Arztes nach § 34 Abs. 5 EStG 1949 begünstigt sind. Der Senat hat die Gutachtertätigkeit als wissenschaftliche Betätigung angesehen, aber nicht deshalb, weil der Steuerpflichtige etwa eine Arztpraxis ausgeübt hätte, sondern weil er die Gutachten nach wissenschaftlichen Grundsätzen erstattet hat. Das Besondere jenes Streitfalles lag gerade darin, daß die freiberufliche Tätigkeit des Steuerpflichtigen ausschließlich in der Erstattung einer größeren Anzahl wissenschaftlicher Obergutachten bestand. Er übte im übrigen keine ärztliche Praxis aus. Seine selbständige Betätigung entsprach somit nicht der typischen Berufsarbeit eines Arztes.
Daß die Ausübung der freiberuflichen Tätigkeit als Arzt, Wirtschaftsprüfer usw. nicht ohne weiteres als wissenschaftliche Tätigkeit im Sinne des Gesetzes anzusehen ist, ergibt sich bereits aus den Urteilen des Bundesfinanzhofs IV 245/56 U vom 21. Juni 1956 und IV 23/55 U vom 12. Juli 1956 (Slg. Bd. 63 Seiten 130 und 140, BStBl 1956 III Seiten 247 und 251). In dem erstgenannten Urteil war zu entscheiden, ob ein gleichzeitig nichtselbständig und selbständig tätiger Arzt die Tarifvergünstigung des § 34 Abs. 5 EStG für Einkünfte beanspruchen kann, die aus innerhalb seines freien Berufs gelegentlich erstatteten wissenschaftlichen Gutachten herrühren. Der Senat hat die Frage verneint, weil die Gutachtertätigkeit hier von der freiberuflichen Arzttätigkeit nicht abgrenzbar sei, und weiter ausgeführt: "Unter dem Gesichtspunkt einer zweiten Haupttätigkeit kann die Tarifvergünstigung des § 34 Abs. 5 EStG schon deshalb nicht gewährt werden, weil hier eine einheitliche freiberufliche Tätigkeit ohne steuerbegünstigte Nebeneinkünfte vorliegt." Daraus folgt, daß der Senat die freiberufliche Tätigkeit eines Arztes als solche als nicht der Tarifermäßigung nach § 34 Abs. 5 EStG zugänglich angesehen hat. Dieser Gedanke kommt auch in dem Urteil IV 23/55 U zum Ausdruck, in dem es unter anderem heißt: "Was zur Haupttätigkeit des freien Berufes gehört, kann nicht nach § 34 Abs. 5 EStG begünstigt sein."
Der Senat hält an dieser Auffassung fest. Sie ergibt sich einmal daraus, daß der Gesetzgeber selbst, seitdem es eine einheitliche Kodifizierung des Einkommensteuerrechtes gibt, bei Bezeichnung der Einkünfte aus selbständiger Arbeit die "wissenschaftliche Tätigkeit" der "Berufstätigkeit der ärzte, Rechtsanwälte usw." gegenübergestellt hat (vgl. § 9 Ziff. 2 EStG 1920; § 35 Abs. 1 Ziff. 1 EStG 1925; § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG 1934 bis 1955). Bei der sorgfältigen Fassung dieser Vorschrift, die zum Beispiel auch in der Unterscheidung zwischen "Berufstätigkeit" in Ziffer 1 und "Arbeit" in Ziffer 3 des Absatzes 1 zum Ausdruck kommt (vgl. hierzu Strutz, Kommentar zum Einkommensteuergesetz 1925, § 35 Anm. II 5), ist anzunehmen, daß der Gesetzgeber die Gegenüberstellung bewußt vorgenommen hat. Sie wäre nicht erforderlich gewesen, wenn er die selbständige Ausübung eines dieser Berufe ohne weiteres als wissenschaftliche Tätigkeit im Sinne dieser Vorschriften angesehen hätte. Er hat mit dieser Fassung zugleich dem Sprachgebrauch und der Verkehrsauffassung Rechnung getragen, nach denen zwar die freiberufliche Arbeit eines Rechtsanwalts, Arztes, Wirtschaftsprüfers usw. wissenschaftliches Gepräge hat, aber nicht als wissenschaftliche Tätigkeit schlechthin angesehen wird.
Zudem darf nicht unbeachtet bleiben, daß eine so weitgehende Auslegung des Begriffes den Rahmen des § 34 Abs. 5 EStG sprengen und die Wettbewerbslage innerhalb der hier beteiligten Berufsangehörigen in einer vom Steuergesetzgeber nicht beabsichtigten Weise verschieben würde. Die Vorschrift bezweckt lediglich, einen Anreiz für zusätzliche schöpferische Arbeit zu geben (siehe auch die Begründung zum zweiten Gesetz zur vorläufigen Neuordnung von Steuern vom 20. April 1949, Drucksache 892/1949 des Wirtschaftsrats des Vereinigten Wirtschaftsgebiets); es entspricht aber nicht ihrem Sinn, Einkünfte aus der berufsmäßigen Betreibung einer selbständigen Praxis als Arzt, Anwalt, Wirtschaftsprüfer oder dergleichen tariflich zu begünstigen.
Der Bf. kann aus diesen Gründen nicht die begehrte Ermäßigung für seine Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit in Anspruch nehmen.
Fundstellen
Haufe-Index 408640 |
BStBl III 1957, 129 |
BFHE 1957, 338 |
BFHE 64, 338 |
StRK, EStG:18 R 67 |