Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Für das steuergerichtliche Verfahren gilt der Grundsatz der unmittelbaren Beweisaufnahme mit der Maßgabe, daß in der Regel den Beteiligten Gelegenheit zur Teilnahme am Beweistermin mit Fragerecht zu geben ist.
Das Finanzgericht hat selbst den Umfang und die Art der Beweisaufnahme zu bestimmen; es darf dies nicht der ersuchten Stelle überlassen.
Eine ersuchte Behörde soll nur in unbedingt notwendigen Ausnahmefällen mit der Beweisaufnahme beauftragt werden.
Das beteiligte Finanzamt darf mit der Beweisaufnahme grundsätzlich nicht betraut werden.
Normenkette
AO §§ 257, 277; FGO §§ 76, 81, 96 Abs. 2
Tatbestand
Der beschränkt steuerpflichtige Beschwerdeführer (Bf.) ist Eigentümer eines landwirtschaftlichen Betriebes (12,16 ha) sowie einer Gaststätte in A.; ersteren hat er durch einen Verwalter bewirtschaften lassen, letztere war verpachtet. Die Einkünfte aus Verpachtung haben im Jahre 1950 unstreitig 9.764 DM betragen. Aufzeichnungen über die Pachteinnahmen sind nicht gemacht. Für die Landwirtschaft hat der Verwalter für die Zeit vom 20. November 1950 bis 31. Oktober 1951 nur Teilaufzeichnungen geführt; sie enthalten vor allem nicht die Einnahmen aus Viehverkäufen und Milch.
Die Vorinstanzen haben dem Antrag des Bf., die von ihm im Jahre 1950 vereinnahmten Pachtzinsen auf die Zeit vom 1. Januar 1950 bis 24. Juli 1952 (Ende der Pachtzeit) zu verteilen, nicht entsprochen und den behaupteten Verlust aus Landwirtschaft von "über 10.000 DM" nicht anerkannt. Des weiteren sind in Höhe von 15.566,41 DM geltend gemachte Gegenforderungen der Pächter nicht einkunftsmindernd berücksichtigt worden.
Entscheidungsgründe
Auch die Rechtsbeschwerde (Rb.), in der die gleichen Einwendungen wie bisher geltend gemacht werden, kann keinen Erfolg haben.
Da es an einer Buchführung fehlt, ist für die Frage, welchem Veranlagungszeitraum die Pachteinkünfte zuzurechnen sind, § 11 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) maßgebend, d. h., sie sind in dem Kalenderjahr zu besteuern, in dem sie zugeflossen sind. Es ist hierbei, wie das Finanzgericht zutreffend ausführt, ohne Bedeutung, auf welchen Zeitraum sich die Einkünfte beziehen; eine Verteilung auf die Pachtzeit ist nach dem Gesetz nicht zulässig. Im übrigen steht nicht fest, ob sich die Pachteinnahme von 10.600 DM überhaupt auf die ganze Pachtzeit bezieht. Nach den Angaben des Pächters vom 23. Oktober 1953 betrug die Jahrespacht 10.600 DM; sie sei dem Bf. bis 21. Juni 1950 gezahlt worden. Ist dieser Sachverhalt richtig, dann erscheint die Behauptung des Bf. über den Zeitraum, auf den sich die Pachteinnahme erstrecken soll, nicht zutreffend. Gegenteiliges kann auch nicht aus dem Vergleich vom 24. Juni 1952 entnommen werden. Hierin wird zu der hier behandelten Frage nichts gesagt; es ist lediglich von einem bis zum 31. Juli 1952 zu leistenden Betrag von 550 DM die Rede.
Die für die Einnahmen geltende gesetzliche Regelung gilt nach der gleichen Vorschrift (ß 11 Abs. 2 EStG) entsprechend für die Ausgaben. Irgendwelche Zahlungen hat der Bf. auf die behaupteten Gegenforderungen nicht geleistet; er will sie überhaupt erst im Jahre 1952 teilweise anerkannt haben. Ein Abzug für das Jahr 1950 kann daher nicht in Betracht kommen.
Nicht zu beanstanden ist es auch, wenn das Finanzgericht den Ansatz der landwirtschaftlichen Einkünfte mit 0 DM bestätigt und die Anerkennung eines Verlustes abgelehnt hat. Dieser ist weder durch eine Buchführung noch durch sonstige glaubhafte Unterlagen dargetan. Die vom Bf. genannten Zeugen sind gehört worden. Danach steht fest, daß laufende Aufzeichnungen nicht vorliegen. Die von dem Verwalter geführten und auf Veranlassung des Finanzgerichts vom Finanzamt geprüften Einnahmeaufzeichnungen umfassen nur die Zeit vom 20. November 1950 bis 31. Oktober 1951 und sind unvollständig. Das hat der Verwalter gegenüber dem Vertreter des Bf. von sich aus freiwillig nochmals bestätigt.
Wenn vom Bf. geltend gemacht wird, das Finanzgericht hätte die Zeugen selbst vernehmen müssen, so erscheint es allerdings bedenklich, daß das Finanzgericht die Beweisaufnahme nicht selbst durchgeführt, sondern das beteiligte Finanzamt damit beauftragt hat, wobei es dem Finanzamt in erheblichem Umfange überlassen wurde, welche Ermittlungshandlungen es vornehmen und welche Zeugen es hören wollte.
Das erscheint nicht zulässig. Die Beweisaufnahme ist ebenso wie die Ermittlung des Sachverhaltes grundsätzlich Sache des Gerichtes. Dieses oder der Vorsitzende (ß 277 Abs. 2, § 271 Abs. 1 der Reichsabgabenordnung - AO -) haben den Umfang und die Art der zu erhebenden Beweise anzuordnen; es ist nicht angängig, diese Aufgabe der ersuchten Stelle zu überlassen, vor allem dem Finanzamt die Akten zur Herbeiführung eines spruchreifen Tatbestandes zu übersenden. Wenn auch in Anlehnung an das zivilprozessuale Verfahren ein, im übrigen zulässiger, förmlicher Beweisbeschluß nicht notwendig ist, so muß doch bestimmt werden, welche Beweise erhoben werden sollen, und in welcher Weise das zu geschehen hat. Von einer ordnungsmäßigen Beweisaufnahme kann nicht gesprochen werden, wenn der ersuchten Stelle der Umfang der Beweiserhebung übertragen wird.
Für das steuergerichtliche Verfahren gilt ebenso wie für das Verfahren der ordentlichen Gerichte der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme vor dem Finanzgericht. Eine ersuchte Behörde soll nur "aus besonderen Gründen" in Anspruch genommen werden (ß 277 Abs. 1 AO). Bei der Ausübung dieses dem Gericht eingeräumten Ermessens wird im Interesse einer objektiven Ermittlung des Tatbestandes ein enger Maßstab anzulegen sein (siehe auch Urteil des Bundesfinanzhofs II 65/52 S vom 12. August 1953, Slg. Bd. 57 S. 748, Bundessteuerblatt - BStBl - 1953 III S. 284 = Steuerrechtsprechung in Karteiform, Grunderwerbsteuergesetz § 1 Rechtsspruch 17). Die Unmittelbarkeit einer Beweisaufnahme ist deshalb von erheblicher Bedeutung, weil es bei der Würdigung von Zeugenaussagen auf den Eindruck ankommt, den die vernommenen Personen machen, und weil nur auf diese Weise zu ihrer Glaubwürdigkeit Stellung genommen werden kann. Sodann ist es nicht weniger von entscheidender Bedeutung, wie die Beweiserhebung durchgeführt wird, insbesondere ob durch entsprechende Fragestellung sämtliche in Betracht kommende Umstände erörtert worden sind.
Es widerspricht des weiteren rechtsstaatlichen und allgemeinen Verfahrensgrundsätzen, wenn das beteiligte Finanzamt mit der Beweiserhebung beauftragt wird (siehe Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts IV C 55/56 vom 21. August 1956, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1957 S. 236 Nr. 22). § 277 AO ist auf die in der Abgabenordnung geregelte Gerichtsorganisation abgestellt, wie sich insbesondere aus Abs. 2 ergibt, der die Beauftragung eines Beamten der Oberfinanzdirektion zuläßt. Diese Bestimmung wird als überholt anzusehen sein, auch soweit bei Finanzgerichten noch nicht überall die persönliche Unabhängigkeit der Richter gesetzlich festgelegt ist. Ist "aus besonderen Gründen" eine Beweisaufnahme vor dem erkennenden Gericht, dessen Vorsitzenden oder einem beauftragten Mitglied des Gerichts nicht möglich oder doch nicht tunlich, so ist in der Regel ein anderes Gericht, auch ein ordentliches, zu ersuchen; eine andere Verwaltungsbehörde wird nur zu beauftragen sein, wenn die Inanspruchnahme eines Gerichtes und auch eine Beweiserhebung außerhalb des Gerichtsortes durch ein beauftragtes Mitglied des Gerichtes nicht zumutbar erscheint. Das beteiligte Finanzamt ist nur insoweit heranzuziehen, als es als Wissensträger in Betracht kommt, oder wenn der Steuerpflichtige ausdrücklich zustimmt. Ist nach Auffassung des Finanzgerichts die Vornahme einer Betriebsprüfung erforderlich, so wird, soweit das Gericht über geeignete Prüfer nicht verfügt, ein an der Steuerfestsetzung unbeteiligtes Finanzamt oder die Oberfinanzdirektion in Anspruch zu nehmen sein, es sei denn, der Steuerpflichtige wäre damit einverstanden, daß ein Prüfer des beteiligten Finanzamts tätig wird.
Zu einer ordnungsmäßigen Beweisaufnahme gehört grundsätzlich auch, daß den Beteiligten Gelegenheit zur Teilnahme am Beweistermin mit Fragerecht gegeben wird. Die Kann-Bestimmung des § 257 Satz 1 AO sollte praktisch als Regel gehandhabt werden; allerdings wird es in der Regel nicht als Verfahrensmangel angesehen werden können, wenn den Beteiligten entsprechend dem Satz 2 des § 257 AO nur das Beweisergebnis, soweit es zum Nachteil verwertet werden soll, mit der Möglichkeit der Stellungnahme mitgeteilt wird. Diese Bekanntgabe kann aber gegenüber der Beteiligung am Beweistermin nicht als gleichwertig angesehen werden. Soweit in den Entscheidungen des Reichsfinanzhofs II A 268/22 vom 15. Dezember 1922 (Slg. Bd. 11 S. 104, Reichssteuerblatt - RStBl - 1923 S. 154 = Mrozek-Kartei Reichsabgabenordnung § 5 Abs. 1 Rechtsspruch 8, § 47 Rechtsspruch 1), II A 536/26 vom 7. Dezember 1926 (Slg. Bd. 20 S. 127 Mrozek-Kartei Reichsabgabenordnung § 47 Rechtsspruch 6, 7) und VI A 1741/31 vom 19. Mai 1932 (RStBl 1932 S. 863 = Mrozek-Kartei Reichsabgabenordnung 1931 § 67 Abs. 1 Nr. 6 Rechtssprüche 3 bis 5) abweichende Auffassungen vertreten werden, kann an ihnen nicht festgehalten werden.
Fundstellen
Haufe-Index 408718 |
BStBl III 1957, 197 |
BFHE 1957, 528 |
BFHE 64, 528 |