Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorsteuerberichtigung bei fehlerhafter Beurteilung der Voraussetzungen
Leitsatz (NV)
Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Rechtsprechung des BFH zur Änderung der Verhältnisse für den Vorsteuerabzug bei rechtsfehlerhafter Beurteilung der Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug im Abzugsjahr bestehen nicht.
Normenkette
UStG 1980 § 15a
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) vermietete eine von ihr im Rahmen einer Bauherrengemeinschaft in den Jahren 1981 bis 1983 hergestellte Eigentumswohnung in W ab Juni 1983 an die G-Gesellschaft. Die G- Gesellschaft vermietete die Wohnung an einen Endmieter. Die Klägerin verzichtete auf die Steuerbefreiung für Vermietungsumsätze und zog die ihr im Zusammenhang mit dem Erwerb der Wohnung berechnete Umsatzsteuer in den Umsatzsteuererklärungen für 1981, für 1982 und 1983 als Vorsteuer ab. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) erkannte dementsprechend das Zwischenmietverhältnis zunächst an.
Nachdem die G-Gesellschaft 1985 zahlungsunfähig geworden war, schloß die Klägerin vom 1. Februar 1986 an einen neuen Zwischenmietvertrag mit der B-Gesellschaft zu einer geringeren als der bisher erhaltenen Miete ab. Von November 1985 bis Oktober 1986 zahlte der Endmieter die Miete unmittelbar an die Klägerin.
Nach einer Außenprüfung erkannte das FA das Zwischenmietverhältnis mit der B-Gesellschaft wegen Gestaltungsmißbrauchs i. S. von §42 der Abgabenordnung (AO 1977) nicht mehr an. In den nach §164 Abs. 2 AO 1977 geänderten Umsatzsteuerbescheiden für 1986 und 1987 setzte das FA die Steuer unter Berücksichtigung eines Vorsteuerberichtigungsbetrages gemäß §15 a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 von jeweils 3 390 DM fest und wies den dagegen gerichteten Einspruch zurück.
Auf die Klage änderte das Finanzgericht (FG) die Steuerfestsetzungen und setzte die Umsatzsteuer antragsgemäß herab. Das FG hielt die Voraussetzungen für eine Vorsteuerberichtigung nach §15 a UStG 1980 für nicht gegeben. Der Klägerin hätte der Vorsteuer abzug für die Wohnung nicht gewährt werden dürfen, führte das FG zur Begründung u. a. aus, weil wirtschaftliche Gründe für eine Zwischenvermietung von Anfang an nicht bestanden hätten und die Vermietung an einen gewerblichen Zwischenvermieter als Umgehung (§42 AO 1977) des Vorsteuerabzugsausschlusses bei steuerfreien Grundstücksvermietungen (§15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i. V. m. §4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1980) nicht hätte anerkannt werden dürfen. An diesen Verhältnissen habe sich in den Streitjahren nichts geändert. Das FA müsse, soweit dies abgabenrechtlich noch möglich sei, die Steuerfestsetzung, bei der der Vorsteuerabzug berücksichtigt worden sei, ändern.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung sachlichen Rechts. Das FG habe §15 a UStG 1980 unrichtig angewendet. Die Änderung der Verhältnisse sei wegen der Vermietung aufgrund eines in den Streitjahren anderen Mietvertrages als im Erstjahr eingetreten. Eine tatsächliche Änderung der für den Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnisse, die zur Vorsteuerberichtigung verpflichtete, liege nicht nur vor, wenn das Zwischenmietverhältnis nicht fortgeführt werde, sondern auch, wenn es aufgrund eines geänderten Mietvertrages durchgeführt werde. Mit der Berufung der Klägerin darauf, daß sie von Anfang an steuerfreie Mietumsätze ausgeführt habe und den Vorsteuerabzug nicht habe erhalten dürfen, setze sie sich bei der Abwehr des Vorsteuerberichtigungsanspruchs treuwidrig mit ihrem früheren Verhalten in Widerspruch.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin ist der Revision entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Die Vorentscheidung entspricht nicht der Auslegung des §15 a UStG 1980 durch den Bundesfinanzhof (BFH).
1. Nach §15 a Abs. 1 Sätze 1 und 2 UStG 1980 ist eine Berichtigung des Abzugs der auf die Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines Wirtschaftsguts entfallenden Vorsteuerbeträge vorzunehmen, wenn sich bei diesem Wirtschaftsgut die Verhältnisse, die im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung (sog. Erstjahr) für den Vorsteuerabzug maßgebend waren, innerhalb des Berichtigungszeitraums -- von fünf Jahren bzw. bei Grundstücken von zehn Jahren (Erstjahr und sog. Folgejahre) -- ändern. Mit den im Erstjahr für den Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnissen sind die Umstände gemeint, unter denen der Unternehmer mit dem bezeichneten Wirtschaftsgut die Umsätze ausgeführt hat. Aufgrund dieser Umsätze ist gemäß §15 Abs. 2 und 3 UStG 1980 zu entscheiden, ob der Vorsteuerabzug bei der Anschaffung oder der Herstellung des Wirtschaftsguts im Abzugsjahr ganz oder teilweise ausgeschlossen ist (vgl. BFH-Urteil vom 14. Mai 1992 V R 79/87, BFHE 168, 462, BStBl II 1992, 983).
2. Die Verhältnisse ändern sich i. S. von §15 a Abs. 1 UStG 1980, wenn der Unternehmer mit dem Wirtschaftsgut in den sog. Folgejahren -- innerhalb des Berichtigungszeitraums -- Umsätze ausführt, die für den Vorsteuerabzug anders zu beurteilen sind, als die Umsätze im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung. Die Umsätze in den Folgejahren müssen aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen für den Vorsteuerabzug anders als im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung zu qualifizieren sein.
a) Der Senat hat mit den Urteilen vom 16. Dezember 1993 V R 65/92 (BFHE 173, 270, BStBl II 1994, 485), V R 56/91 (BFH/NV 1995, 444) und V R 24/93 (BFH/NV 1995, 448), vom 27. Januar 1994 V R 31/91 (BFHE 173, 463, BStBl II 1994, 488) sowie vom 17. Februar 1994 V R 44/92 (BFH/NV 1995, 352) entschieden, die Änderung der "maßgebenden Verhältnisse" könne auch dadurch eintreten, daß bei tatsächlich gleichbleibenden Verwendungsumsätzen die rechtliche Beurteilung, die der Gewährung des Vorsteuerabzugs im Abzugsjahr zugrunde lag, sich in einem der Folgejahre als unzutreffend erweist. Voraussetzung ist aber, daß die Steuerfestsetzung für das Abzugsjahr bestandskräftig und unabänderbar ist. Der Senat hat der rechtlichen Beurteilung für die Vorsteuerberichtigung nach §15 a Abs. 1 UStG 1980 insoweit dieselbe Wirkung wie bei einer Gesetzesänderung zuerkannt (vgl. dazu BFH in BFHE 168, 462, BStBl II 1992, 983; vgl. Wagner in Sölch/Ringleb/List, Umsatzsteuergesetz, §15 a Rz. 48). Dieser Rechtsprechung des Senats hat sich der XI. Senat in dem Urteil vom 19. Februar 1997 XI R 51/93 (BFHE 182, 420) angeschlossen. Darauf nimmt der Senat Bezug.
b) Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die dargelegte Auslegung des §15 a UStG 1980 bestehen nicht. Die Verfassungsbeschwerde gegen das Senatsurteil in BFH/NV 1995, 444 ist vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nicht zur Entscheidung angenommen worden (Beschluß vom 9. August 1994 1 BvR 592/94).
c) Entscheidungserhebliche Zweifelsfragen zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts, die dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) zur Vorabentscheidung gemäß Art. 177 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vorgelegt werden müßten, stellen sich im Streitfall nicht, weil Art. 20 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) die Berichtigung des Vorsteuerabzugs "nach den von den Mitgliedstaaten festgelegten Einzelheiten" vorsieht, diesen somit einen Freiraum bei der Umsetzung der Richtliniengrundsätze (Art. 20 Abs. 1 vor Buchst. a Richtlinie 77/388/EWG) vorbehält. Damit handelt es sich nicht um eine Richtlinien bestimmung, der Anwendungsvorrang zukommen könnte; denn sie ist nicht inhaltlich unbedingt und hinreichend genau und läßt dem Mitgliedstaat für die Umsetzung in nationales Recht einen Ermessensspielraum (vgl. ständige Rechtsprechung des EuGH, z. B. Urteile vom 17. September 1996 Rs. C- 246--249/94, Cooperativa Agricola Zootecnica, Europäische Zeitschrift für Wirtschaft 1997, 126; vom 26. Februar 1986 Rs. 152/84, Marshall, Slg. 1986, 723, Neue Juristische Wochenschrift 1986, 2178).
3. Der Senat kann im Streitfall nicht abschließend entscheiden. Das FG hat aufgrund seines Rechtsstandpunkts keine Feststellungen zur Änderbarkeit der Steuerfestsetzung im Abzugsjahr getroffen. Der Senat verweist die Sache deshalb an das FG zurück.
Unabänderbarkeit ist gegeben, wenn im Zeitpunkt der Bekanntgabe der Steuerfestsetzung für das Folgejahr (mit dem Steuerberichtigungsbetrag nach §15 a UStG 1980) keine Gründe (z. B. nach §§172 ff. AO 1977) für eine Änderung der bestandskräftigen Steuerfestsetzung für das Abzugsjahr vorliegen. Wenn die erstmalige tatsächliche Verwendung (Vermietung der Objekte) nicht im Abzugsjahr, sondern in dem späteren Erstjahr erfolgt, ist für die Änderbarkeit der Steuerfestsetzung des Abzugsjahres §175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 zu berücksichtigen. Nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 26. Februar 1987 V R 1/79, BFHE 149, 307, BStBl II 1987, 521, unter II. 2.) handelt es sich bei der erstmaligen tatsächlichen Verwendung um ein auf das Abzugsjahr zurückwirkendes Ereignis. In diesem Fall beginnt die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem das Ereignis eintritt (§175 Abs. 1 Satz 2 AO 1977).
Fundstellen
Haufe-Index 66512 |
BFH/NV 1998, 221 |