Leitsatz (amtlich)
1. Eine nach §§ 134 FGO, 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO erhobene Nichtigkeitsklage der im finanzgerichtlichen Verfahren ordnungsgemäß vertretenen Partei, mit der diese die mangelhafte Vertretung des anderen Beteiligten rügt, ist nicht statthaft. Daraus folgt, daß die Klage durch Urteil (Vorbescheid) als unzulässig zu verwerfen ist (§ 589 Abs. 1 ZPO, §§ 95, 90 FGO).
2. Zur Berechnung der Notfrist i. S. des § 586 ZPO bei einer Nichtigkeitsklage nach § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO.
Normenkette
FGO § 134; ZPO § 578 ff.
Tatbestand
Der Erblasser der Wiederaufnahmeklägerin (Steuerpflichtige) war im Jahr 1959 als Bezirksleiter der Berliner Zahlenlotterie tätig. Der Wiederaufnahmebeklagte (FA) zog ihn mit den Einnahmen aus dieser Tätigkeit zur Umsatzsteuer heran. Die Berufung des Erblassers hatte Erfolg.
Durch das Urteil V 128/64 vom 14. September 1967 (BFH 90, 198, BStBl II 1968, 195) wurde die Vorentscheidung aufgehoben und die Sprungberufung(-klage) gegen den Umsatzsteuerbescheid 1959 abgewiesen. Das Rechtsmittelverfahren vor dem BFH ist anhängig geworden durch die vom LFA Berlin "in der Verwaltungsstreitsache des Vorstehers des Finanzamts X - vertreten durch das LFA Berlin - ... im Namen des Vorstehers des Finanzamtes ..." am 4. März 1964 eingelegte Rechtsbeschwerde, die nach dem Inkrafttreten der FGO als Revision behandelt worden ist.
Mit der Klage vom 7. Oktober 1968 begehrt die Steuerpflichtige nach § 134 FGO in Verbindung mit § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO, das Urteil V 128/64 für nichtig zu erklären. Zur Begründung verweist sie auf den Beschluß des BFH II R 31/67 vom 14. Mai 1968 (BFH 92, 426, BStBl II 1968, 586), nach dem eine OFD nicht namens des zuständigen FA Revision einlegen kann. Sie führt dazu aus, die durch das LFA am 4. März 1964 eingelegte Rechtsbeschwerde sei demzufolge nicht rechtswirksam, auch der Gegner des nicht ordnungsmäßig Vertretenen habe ein Interesse an der Vernichtung des Urteils, und die Frist für die Erhebung der Klage sei nicht verstrichen, weil die Notfrist nach § 586 Abs. 3 ZPO nicht für Nichtigkeitsklagen gelte.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Klage der Steuerpflichtigen ist gemäß § 134 FGO in Verbindung mit § 589 ZPO als unzulässig zu verwerfen.
Zur Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Endurteil abgeschlossenen Verfahrens hat das Gericht von Amts wegen zu prüfen, ob die Klage an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist erhoben worden ist (§ 589 Abs. 1 ZPO). Die Tatsachen, die ergeben, daß die Klage vor Ablauf der Notfrist eingelegt wurde, sind glaubhaft zu machen (§ 589 Abs. 2 ZPO).
Es erscheint bereits sehr zweifelhaft, ob die Klagefrist des § 586 ZPO eingehalten worden ist. Der Steuerpflichtigen war nämlich die Tatsache, daß das FA im gesamten gerichtlichen Verfahren von dem LFA bzw. von der OFD vertreten war, bereits durch die Erwiderung des LFA vom 24. August 1961 auf ihre Sprungberufung und sodann durch die Einlegung der Rechtsbeschwerde vom 4. März 1964 durch das LFA "im Namen des Vorstehers des FA ..." bekannt. Maßgebend für den Fristbeginn ist u. a. die Kenntnis der Partei von dem Anfechtungsgrund, also von den Tatsachen, die zur Erhebung einer Wiederaufnahmeklage berechtigen. Auf die Kenntnis der rechtlichen Bedeutung dieser Tatsachen, die die Steuerpflichtige offenbar erst aus dem von ihr angeführten als Urteil bezeichneten Beschluß des BFH II R 31/67 vom 14. Mai 1968 (a. a. O.) gewonnen hat, kommt es nicht an (Stein-Jonas, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 19. Aufl. Anm. I 2 zu § 586). Der Umstand, daß das FA im Rechtsmittelverfahren vom LFA bzw. von der OFD vertreten war, ist, wie oben dargestellt, der Steuerpflichtigen bereits seit 1961 bekannt. Da bei einer Klage des Gegners der mangelhaft vertretenen Partei - wenn die Klage überhaupt als statthaft angesehen werden kann - die Vorschrift des § 586 Abs. 2 ZPO anzuwenden ist (Baumbach-Lauterbach, Zivilprozeßordnung, 28. Aufl., Anm. 2 zu § 586), war die Notfrist im Zeitpunkt der Erhebung der Nichtigkeitsklage vom 7. Oktober 1968 gegen das am 28. November 1967 abgesandte Urteil des BFH V 128/64 nach dem äußeren Anschein verstrichen. Die Steuerpflichtige hat keine Tatsachen dafür glaubhaft gemacht, daß die Klage vor Ablauf der Notfrist erhoben worden ist. Ihr Hinweis auf eine - möglicherweise mißverstandene - Erläuterung bei Stein-Jonas-Schoenke ersetzt die Glaubhaftmachung nicht.
Im übrigen ist nach Ansicht des Senats die Klage an sich auch nicht statthaft. Es wird zwar im Schrifttum (Baumbach-Lauterbach, a. a. O., Anm. 4 zu § 579), allerdings ohne jede Begründung, die Meinung vertreten, die auf § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO gestützte Nichtigkeitsklage stehe auch dem Gegner des nicht ordnungsmäßig Vertretenen zu. Demgegenüber wird mit überzeugender Begründung, die auch den Grundsätzen der Beschwer im finanzgerichtlichen Verfahren entspricht, der Standpunkt eingenommen, daß der Mangel nur von der nicht vorschriftsmäßig vertretenen Partei, nicht aber auch vom Gegner mit Erfolg gerügt werden kann (Stein-Jonas, a. a. O., 19. Aufl., Anm. II 4, vorletzter Absatz zu § 579). Durch die gesetzliche Forderung nach einer ordnungsgemäßen Vertretung wird lediglich der Schutz der zu vertretenden Partei angestrebt. Der Gegner kann also auch im Falle seines Unterliegens eine Nichtigkeitsklage nach § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nicht erheben.
Bei dieser Rechtslage kann unerörtert bleiben, ob die Grundsätze im Beschluß des BFH II R 31/67 (a. a. O.) auch für die Zeit vor dem Inkrafttreten der FGO anwendbar sind. Zur Frage, ob die OFD zur Einlegung von Rechtsmitteln für ein FA befugt ist, wird auf den Vorlagebeschluß III B 39/67 vom 28. August/25. Oktober 1968 (BFH 94, 110, BStBl II 1969, 94) und auf den Beschluß des Großen Senats des BFH Gr. S. 4/68 vom 10. März 1969 (BFH 95, 366, BStBl II 1969, 435) verwiesen, nach dem ein FA die ihm übergeordnete OFD für das Rechtsmittelverfahren vor dem BFH bevollmächtigen kann.
Die Nichtigkeitsklage der Steuerpflichtigen war daher mit der Kostenfolge aus § 135 Abs. 2 FGO als unzulässig zu verwerfen. Der Streitwert wurde nach § 140 Abs. 3 FGO bestimmt.
Da es sich bei dem Rechtsmittel der Steuerpflichtigen nicht um eine Revision, sondern um eine Klage handelt, ist § 126 Abs. 1 FGO nicht anwendbar. Es war vielmehr nach § 95 in Verbindung mit § 90 Abs. 1 FGO durch Urteil zu entscheiden.
Fundstellen
BStBl II 1969, 660 |
BFHE 1969, 385 |