Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Frage der Erstattung von Steuern auf Grund der Rückbeziehung der Wirkungen einer Eheschließung nach dem Gesetz vom 23. Juni 1950 über die Anerkennung freier Ehen rassisch und politisch Verfolgter.

Gesetz über die Anerkennung freier Ehen rassisch und politisch Verfolgter vom 23. Juni 1950

 

Normenkette

StAnpG § 4 Abs. 3 Ziff. 2

 

Tatbestand

Der Steuerpflichtige (Stpfl.) hat im Mai 1945 vor dem Standesamt die Ehe geschlossen. Den Eheleuten ist von der Senatskommission für die Justizverwaltung unter dem 30. September 1950 gemäß § 1 Abs. 2 des Gesetzes über die Anerkennung freier Ehen rassisch und politisch Verfolgter vom 23. Juni 1950 bescheinigt worden, daß die Wirkungen dieser Eheschließung schon als am 15. September 1935 eingetreten gelten.

Von dem Stpfl. ist in der Zeit vom 1. Oktober 1935 bis 30. April 1945 die Lohnsteuer und Kirchensteuer unter Zugrundelegung der Steuerklasse I einbehalten worden. Er verlangt die Erstattung des Unterschiedsbetrages zwischen den einbehaltenen Steuern und den Steuern, die sich unter Zugrundelegung der Steuerklassen II bzw. III ergeben. Er beziffert diesen Unterschiedsbetrag auf 8.973,72 RM. Zur Begründung seines Antrages hat er folgendes vorgetragen: Der Wortlaut des Beschlusses der Senatskommission bezeichne ausdrücklich die Wirkungen der Eheschließung als am 15. September 1935 eingetreten. Die Eingruppierung in die Steuerklassen II der III sei unzweifelhaft als eine Wirkung der Eheschließung anzusehen. Wenn daher die Wirkungen der Eheschließung als am 15. September 1935 eingetreten anzusehen seien, so müsse die Eingruppierung in die Steuerklassen II oder III ebenfalls als in dieser Zeit vorgenommen gelten. Die Zurückweisung seines Antrages würde dem Gesetz vom 23. Juni 1950 zuwiderlaufen und das um so mehr, als dieses Gesetz erlassen worden sei, um Vermögensschäden auszugleichen, die durch die Unmöglichkeit einer früheren Eheschließung entstanden seien. Die Ansicht des Finanzamts, daß er seinen Erstattungsanspruch im Wiedergutmachungsverfahren geltend machen müsse, gehe fehl. Wiedergutmachungsansprüche könnten nur erhoben werden, wenn der Schaden unmittelbar durch die Zugehörigkeit des Geschädigten zu einer der seinerzeit diskriminierenden Personengruppen entstanden sei. Im vorliegenden Falle sei der Schaden nur mittelbar durch Zugehörigkeit seiner Braut zum Kreise der unmittelbar Betroffenen verursacht worden. Daher sei die Zuständigkeit der Wiedergutmachungsbehörde nicht gegeben. Der Antrag auf Rückdatierung der Wirkung der Eheschließung habe nur durch den Nachweis eines eingetretenen Vermögensschadens begründet werden können. Als solchen Vermögensschaden habe er bei der Senatskommission lediglich seine Eingruppierung in die Steuerklasse I geltend gemacht.

Das Finanzamt hat gleichwohl den Antrag zurückgewiesen. Auf die Sprungberufung des Stpfl. hat das Finanzgericht den Erstattungsanspruch dem Grund nach anerkannt und die Sache zur anderweiten Entscheidung an das Finanzamt zurückverwiesen. Es stützt sich hierbei auf § 4 Abs. 3 Ziff. 2 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG). Zur Begründung seiner Rechtsauffassung hat das Finanzgericht ausgeführt, daß der ledige Familienstand ein Merkmal sei, dessen Vorliegen das Gesetz für die Eingruppierung in die Steuerklasse I fordere. § 4 Abs. 3 Ziff. 2 StAnpG beziehe sich auf Merkmale, deren Vorliegen das Gesetz für eine Steuerermäßigung oder für eine sonstige Steuervergünstigung fordere. Hiernach werde man in der Annahme nicht fehlgehen, daß unter Merkmalen auch solche zu verstehen seien, die nur für ihre Höhe von Bedeutung sind. Das Finanzgericht ist deshalb der Ansicht, daß keine Bedenken gegen die Anwendbarkeit der Vorschrift auf den vorliegenden Fall bestünden.

Auf Ersuchen des erkennenden Senats ist der Bundesminister der Finanzen gemäß § 287 Ziff. 2 der Reichsabgabenordnung (AO) dem Verfahren beigetreten. Er hält § 4 Abs. 3 Ziff. 2 StAnpG nicht für anwendbar. Unter Hinweis auf die Begründung zum StAnpG vertritt er die Auffassung, daß es sich im Falle des § 4 Abs. 3 Ziff. 2 StAnpG nur um den Tatbestand der bedingten Steuerschulden handle. Auch das Merkmal müsse von vornherein bedingt gewesen sein. Das Merkmal des ledigen Familienstandes des Stpfl. sei jedoch nicht bedingt gewesen, sondern habe sich, wenn auch mit rückwirkender Kraft, erst nachträglich geändert. Außerdem würden die Fälle, in denen bedingte Steuerschulden entstehen sollen, grundsätzlich durch die einzelnen Gesetze bestimmt (vgl. Riewald, AO Teil I Anmerkung 4 zu § 4 StAnpG S. 59 Abs. 2 am Anfang).

Als Kernproblem sieht der Bundesminister der Finanzen jedoch nicht das des Wegfalls eines Merkmals im Sinne des § 4 StAnpG an, sondern vielmehr die Frage der Rechtsnatur der geltend gemachten Ansprüche. Er hat infolgedessen geprüft, ob die gestellten Ansprüche überhaupt ihrer Rechtsnatur nach steuerrechtliche Erstattungsansprüche sind. Auf Grund dieser Prüfung ist er zu dem Ergebnis gekommen, daß Erstattungsansprüche der vorliegenden Art in den Wiedergutmachungssektor gehören. Zur Begründung dieser Auffassung hat er sich von folgenden Erwägungen leiten lassen.

Er ist zunächst von der Rechtslage der Ehen ausgegangen, die nicht zurückdatiert wurden, sondern von vornherein bestanden. Insoweit sind nach seiner Auffassung steuerliche Erstattungsansprüche nicht gegeben. Im einzelnen hat er hierzu unter anderem folgendes ausgeführt.

Das Beispiel der bestehenden jüdischen Ehen beweist, daß das Problem der zurückbezogenen Ehe nur einen Ausschnitt aus dem größeren Bereich der jüdischen Ehen überhaupt betrifft. Der Unterschied beruht darauf, daß die steuerliche Schlechterstellung einmal trotz des Bestehens der Ehe, ein anderes Mal dagegen infolge des Nichtbestehens der Ehe ausgelöst worden ist. Das Gemeinsame besteht darin, daß die steuerliche Schlechterstellung aus einer die Juden diskriminierenden Maßnahme herrührt. Insofern sind beide Fälle gleich gelagert. Das halte ich für entscheidend. Der Sache nach ist kein Grund für eine unterschiedliche Beurteilung und Behandlung bestehender oder zurückdatierten jüdischen Ehen ersichtlich. Da die steuerlichen Schäden, die im Zusammenhang mit bestehenden jüdischen Ehen entstanden sind, nur in den Entschädigungssektor gehören können, so muß das also auch für die Fälle der zurückbezogenen Ehen gelten.

Innerhalb des Problemkreises der zurückbezogenen Ehen ist zu berücksichtigen, daß außer steuerlichen Nachteilen auch andere Schäden, die nur in den Entschädigungssektor fallen können, denkbar sind. Der steuerliche Fragenbereich bei zurückdatierten Ehen ist also wieder ein Ausschnitt aus dem umfassenden Fragenkomplex der Wiedergutmachung schon im Rahmen zurückdatierter Ehen. Es ist nicht einzusehen, warum ein Teil der Schäden über den steuerlichen Sektor, ein anderer Teil über den Entschädigungssektor gehen soll.

Die Ausgliederung der steuerlichen Belange zurückdatierter jüdischer Ehen aus dem Bereich der Wiedergutmachung wäre um so fragwürdiger, als es zweifelhaft ist, ob selbst diese Fälle alle über § 4 StAnpG entschieden werden könnten. Wenn im Gegensatz zum vorliegenden Rechtsstreit der Ehemann einer solchen Ehe Jude ist, so wäre er unbeschadet des verheirateten Familienstandes, nach Steuerklasse I zu veranlagen gewesen. Diese Bestimmung muß zwar nach Artikel I des Kontrollratgesetzes Nr. 12 als außer Kraft getreten gelten. Das bedeutet, daß sie auch nicht mehr für die zurückliegende Zeit zur Anwendung kommen kann. Immerhin entscheidet es nicht ganz sicher, ob es einer Anwendung dieser Bestimmung gleichkommen würde, wenn gegenüber dem Wegfall "des Merkmales des ledigen Familienstandes" auf die Steuerklasse I verwiesen und daher eine Erstattung abgelehnt würde. Bei einer Verneinung dieser Frage würde steuerlich nicht erstattet werden können, so daß dieser Ausschnitt selbst aus dem steuerlichen Fragenbereich zurückdatierter Ehen in den Entschädigungssektor fallen würde. Es erscheint abwegig, den verbleibenden kleinen Ausschnitt aus dem Gesamtkomplex, wie ihn dann noch der Streitfall darstellt, in das steuerliche Gebiet verweisen zu wollen, während im übrigen zweifellos der Entschädigungssektor maßgebend ist. Das wäre eine durch nichts gerechtfertigte Absplitterung von der einheitlichen Rechtsnatur aller dieser Ansprüche. Daher muß auch der Streitfall dem Entschädigungssektor zugerechnet werden.

Folgender Gesichtspunkt bestätigt die Richtigkeit der von mir vertretenen Auffassung. Der Familienstand des Verheirateten bedeutet einerseits die Steuerklasse II, aber andererseits auch die Zusammenveranlagung der Ehegatten, die natürlich keine die Juden diskriminierende Maßnahme ist. Das Verbot einer Eheschließung könnte infolgedessen einen steuerlichen Vorteil und eine jetzt vorgenommene Rückdatierung freier Ehen einen Nachteil bedingen. Nähme man nun, entgegen der von mir vertretenen Auffassung, an, daß der Wegfall des ledigen Familienstandes der Wegfall eines Merkmales im Sinne des § 4 Abs. 3 Ziff. 2 StAnpG sei, so ergäbe sich folgendes: Eine Erstattung des Differenzbetrages zwischen Steuerklasse I und Steuerklasse II müßte zwar bejaht werden. Eine Steuernachforderung aber, die sich unter dem Gesichtspunkt der Zusammenveranlagung ergeben könnte, müßte wegen der Verjährung in diesen Fällen praktisch entfallen (vgl. § 223 sowie auch § 4 Abs. 2 letzter Satz StAnpG und Kühn, Anmerkung 2 zu § 4 StAnpG). Dagegen würde sich die Wiedergutmachung für bestehende jüdische Ehen auf die Differenz zwischen Steuerklasse I und Steuerklasse II beschränken und die bereits vorgenommene Zusammenveranlagung unberührt lassen müssen. Es wäre also folgender Unterschied festzuhalten: Bei bestehenden jüdischen Ehen Steuerklasse II mit Zusammenveranlagung, bei zurückdatierten Ehen Steuerklasse II ohne Zusammenveranlagung. Würden dagegen die Ansprüche aus zurückdatierten Ehen in den Entschädigungssektor einbezogen, so wäre zwar auch dann eine aus der Zusammenveranlagung herrührende Steuernachforderung selbstverständlich auf diesem Wege unzulässig. Der Unterschied in bezug auf bereits vorgenommene Zusammenveranlagung und nicht mehr vorzunehmende Zusammenveranlagung bleibe auch unter dem Aspekt der Wiedergutmachung. Eine völlig gleichmäßige Behandlung beider Ehefälle würde also auch durch die Verweisung der Ansprüche aus zurückdatierten Ehen in den Entschädigungssektor nicht ohne weiteres erreicht werden. Doch könnte diese Ansprüche über den Schadensbegriff hin wenigstens ein Ausgleich des Schadens (Differenz zwischen Steuerklasse I und Steuerklasse II) mit dem Vorteil (Unterbleiben der Zusammenveranlagung) vorgenommen werden. Eine Entschädigung wäre, was selten praktisch werden dürfte, nur insoweit zulässig, als die Veranlagung nach Steuerklasse I ohne Zusammenveranlagung nachteiliger wäre als die Veranlagung nach Steuerklasse II mit Zusammenveranlagung. Anderenfalls wäre kein Schaden zu verzeichnen. Man könnte allerdings entgegenhalten, daß der skizzierte Ausgleich auch im Steuerrecht unter Beachtung des Grundsatzes von Treu und Glauben erfolgen könnte. Doch liefe das rechtlich meines Erachtens auf eine Geltendmachung von verjährten Steueransprüchen hinaus. Nur die rechtliche Konstruktion über den Schadensbegriff und die Wiedergutmachung dürfte einwandfrei sein.

 

Entscheidungsgründe

Diesen Rechtsausführungen tritt der erkennende Senat bei, wobei er dahingestellt bleiben läßt, ob der Erstattungsantrag des Stpfl. auch auf Grund des § 4 StAnpG zurückzuweisen wäre. über den Rahmen der Ausführungen des Bundesministers der Finanzen hinaus ist der Senat der Auffassung, daß das Begehren des Stpfl. auch deshalb keinen Erfolg haben kann, weil das Gesetz über die Anerkennung freier Ehen rassisch und politisch Verfolgter sowohl nach seiner Begründung wie nach seinem Sinn und Zweck nicht dazu bestimmt ist, die Geltendmachung steuerlicher Erstattungsansprüche zu ermöglichen.

Bei der gegebenen Rechtslage sieht sich der erkennende Senat auch im Hinblick auf die gebotene und von ihm angestrebte Berücksichtigung der Belange der rassisch und politisch Verfolgen außerstande, dem Erstattungsanspruch des Stpfl. im Rahmen der Steuergesetze stattzugeben. In diesem Zusammenhange kann darauf hingewiesen werden, daß nach der Auffassung der vom Senat gehörten "Notgemeinschaft der durch die Nürnberger Gesetze Betroffenen" bei einer erheblichen Anzahl von ihnen im Hinblick auf ihr seinerzeit beschränktes Einkommen und die Währungsvorschriften nur ein begrenztes Interesse an der Geltendmachung von Schäden dieser Art besteht.

Hiernach war die Vorentscheidung aufzuheben und die Berufung des Stpfl. gegen den Bescheid des Finanzamts vom 8. Januar 1951 als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 408041

BStBl III 1954, 360

BFHE 1955, 390

BFHE 59, 390

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