Entscheidungsstichwort (Thema)
Abzug von Nachzahlungszinsen als Sonderausgaben
Leitsatz (amtlich)
1. Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO 1977 waren nach § 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG a.F. auch ohne Zins- oder Steuerfestsetzung im Jahr der Zahlung dem Grunde nach als Sonderausgaben absetzbar.
2. Die Höhe des Sonderausgabenabzugs richtet sich nach der Höhe der endgültig festgesetzten Nachzahlungszinsen.
Normenkette
AO 1977 § 233a; EStG § 10 Abs. 1 Nr. 5
Verfahrensgang
Niedersächsisches FG (EFG 2001, 1136) |
Tatbestand
I. Die mit dem Kläger und Revisionskläger (Kläger) zusammenveranlagte Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), war an zwei KG beteiligt, bei denen in den Jahren 1997 und 1998 Außenprüfungen stattfanden. Gegenstand der Prüfung waren die Veranlagungszeiträume 1993 bis 1996. Auf der Grundlage der bereits Anfang November 1998 im Entwurf vorliegenden Betriebsprüfungsberichte ermittelte die Klägerin die auf die voraussichtlichen Steuernachforderungen entfallenden Nachzahlungszinsen mit 8 630,37 DM und überwies am 30. Dezember 1998 an den Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt ―FA―) einen Betrag in Höhe von 9 000 DM. Als Verwendungszweck gab sie an "Nachzahlungszinsen lt. Bp". Nach Änderung der Einkommensteuerbescheide für 1993, 1994 und 1996 am 8. Juli 1999 verbuchte das FA die 9 000 DM auf die sich hieraus ergebenden Mehrsteuern. Nachzahlungszinsen setzte es in den Jahren 1999 und 2000 fest.
Die Kläger machten in ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1998 Sonderausgaben gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 5 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (EStG a.F.) in Höhe von 9 000 DM geltend. Dem folgte das FA nicht. Die Nachzahlungszinsen seien ohne wirtschaftlich vernünftigen Grund und letztlich nur im Hinblick auf die seinerzeit geplante Aufhebung des § 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG a.F. gezahlt worden. Auch habe der Betrag von 9 000 DM die später festgesetzten Nachzahlungszinsen überstiegen.
Die Klage hatte keinen Erfolg. Bei dem freiwillig gezahlten Geldbetrag in Höhe von 9 000 DM handle es sich begrifflich nicht um Zinsen gemäß § 233a der Abgabenordnung (AO 1977). Zu verzinsen seien nach § 233a Abs. 1 AO 1977 nur auf Grund einer entsprechenden zu einem Unterschiedsbetrag i.S. des § 233a Abs. 3, 5 AO 1977 führenden Steuerfestsetzung. Zinsen i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG a.F. würden daher nur zum Sonderausgabenabzug zugelassen, wenn sie vorher mit der zugrunde liegenden Steuerfestsetzung oder Steueränderungsfestsetzung festgesetzt worden und damit entstanden seien. Der Zinsanspruch entstehe erst mit der Steuerfestsetzung. Zwar habe die Klägerin auf Grund der Entwürfe der Betriebsprüfungsberichte mit Nachzahlungen rechnen müssen. Wie aber der weitere Ablauf zeige, seien die in den Entwürfen ausgewiesenen Besteuerungsgrundlagen wegen zwischenzeitlich ergangener Grundlagenbescheide letztlich nicht unmittelbar in die Steuer- und Zinsfestsetzung eingegangen. Wegen dieser Unsicherheiten könne nicht auf den Zeitpunkt des Abflusses der Nachzahlungszinsen abgestellt werden. Die gegenteilige Rechtsprechung zu freiwillig vorausbezahlten Kirchensteuern (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 25. Januar 1963 VI 69/61 U, BFHE 76, 384, BStBl III 1963, 141) gelte hier ―trotz vergleichbarer Sachlage― nicht, weil § 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG a.F. auf eine andere Vorschrift verweise und damit die Erfüllung deren Tatbestandsmerkmale voraussetze. Ohne Steuerfestsetzung i.S. des § 233a Abs. 1 AO 1977 habe das FA die streitige Zahlung zu Recht als steuerlich unbeachtlich verbucht. Eine andere Auffassung würde ungerechtfertigte Manipulationsmöglichkeiten eröffnen.
Mit ihrer Revision rügen die Kläger Verletzung des § 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG a.F. Der Zinsanspruch entstehe als steuerliche Nebenleistung mit der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes und damit unabhängig von Festsetzung und Fälligkeit. Dem habe die Absicht des Gesetzgebers entsprochen, mit der Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen einen Ausgleich dafür zu schaffen, dass die Steuern bei den einzelnen Steuerpflichtigen zu unterschiedlichen Zeiten festgesetzt und fällig würden. In diesem Sinne habe auch der BFH die Abzugsfähigkeit gezahlter Kirchensteuer ausdrücklich nicht vom Erlass eines entsprechenden Kirchensteuerbescheides abhängig gemacht. Da die Klägerin den streitigen Betrag ausdrücklich als Nachzahlungszinsen geleistet habe, komme es auf die Art der Verbuchung beim FA nicht an.
Die Kläger beantragen, das Urteil des Finanzgerichts (FG) sowie den Einkommensteuerbescheid 1998 in Gestalt der Einspruchsentscheidung aufzuheben und die Einkommensteuer 1998 unter Berücksichtigung von weiteren Nachzahlungszinsen in Höhe von 9 000 DM als Sonderausgaben festzusetzen.
Das FA beantragt unter Hinweis auf die Begründung der Vorentscheidung und das Urteil des FG Baden-Württemberg vom 1. Dezember 2000 9 K 319/00 die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Die Vorentscheidung ist aufzuheben. Die Sache ist an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Das FG hat zu Unrecht den Abzug gezahlter, aber noch nicht festgesetzter Nachzahlungszinsen gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG a.F. dem Grunde nach versagt.
1. Gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG a.F. konnten ab dem Veranlagungszeitraum 1990 Zinsen nach §§ 233a, 234 und 237 AO 1977 als Sonderausgaben abgezogen werden. Mit Gesetz vom 24. März 1999 (BGBl I 1999, 402, BStBl I 1999, 304) wurde § 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG a.F. ab dem Veranlagungszeitraum 1999 aufgehoben (§ 52 Abs. 1 EStG i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 ―StEntlG 1999/2000/2002―). Nachzahlungszinsen gemäß § 233a EStG sind somit als Sonderausgaben abzugsfähig, wenn sie bis zum 31. Dezember 1998 geleistet wurden.
2. Die Nachzahlungszinsen für die Steuernachforderungen betr. Einkommensteuer 1993, 1994 und 1996 sind gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 EStG im Streitjahr 1998 abzusetzen.
Ausgaben sind für das Kalenderjahr abzusetzen, in dem sie geleistet worden sind ("Abflussprinzip"; § 11 Abs. 2 Satz 1 EStG). Dies gilt auch für Sonderausgaben (ständige Rechtsprechung; vgl. z.B. BFH-Urteile vom 24. September 1985 IX R 2/80, BFHE 145, 507, BStBl II 1986, 284; vom 22. Januar 1992 I R 55/90, BFHE 167, 58, BStBl II 1992, 550; in BFHE 76, 384, BStBl III 1963, 141; vom 18. Mai 2000 IV R 28/98, BFH/NV 2000, 1455). Ausnahmen vom Abflussprinzip bedürfen einer gesetzlichen Regelung (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 26. Januar 2000 IX R 87/95, BFHE 191, 274, BStBl II 2000, 396, m.w.N.). In diesem Sinn hat der BFH in ständiger Rechtsprechung Vorauszahlungen auf erst künftig entstehende Ansprüche bzw. festzusetzende Steuern im Veranlagungszeitraum der tatsächlichen Zahlung zum Abzug zugelassen und die damit verbundenen steuerlichen Be- oder Entlastungen als gesetzesgemäß angesehen. Willkürliche Zahlungen, die der Steuerpflichtige ohne vernünftigen Grund leistet, sind jedoch vom Abzug ausgeschlossen (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 7. November 2000 III R 23/98, BFHE 193, 382, BStBl II 2001, 338, zu § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG; BFH in BFHE 145, 507, BStBl II 1986, 284, zu Schuldzinsen gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG in der bis einschließlich 1973 geltenden Fassung; BFH in BFHE 76, 384, BStBl III 1963, 141, zu § 10 Abs. 1 Nr. 4 EStG; BFH in BFHE 167, 58, BStBl II 1992, 550, zu § 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG in der bis 1975 geltenden Fassung und § 10 Abs. 1 Nr. 6 EStG).
3. Für § 10 Abs. 1 Nr. 5 a.F. EStG gelten mangels abweichender gesetzlicher Regelung dieselben Rechtsgrundsätze.
a) Für Nachzahlungszinsen besteht keine gesetzliche Ausnahmeregelung. Insbesondere spricht § 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG a.F. nicht von "festgesetzten" Zinsen.
b) Es kann nach oben Gesagtem offen bleiben, ob die Nachzahlungszinsen ―wie das FG meint― entgegen § 239 Abs. 1 Satz 1, § 3 Abs. 3, § 37 Abs. 1, § 38 AO 1977 erst mit der Steuerfestsetzung entstehen. Denn auf den Zeitpunkt des Entstehens der Schuld kommt es nicht an. Die Anwendung der allgemeinen Rechtsgrundsätze zu Vorauszahlungen auf § 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG a.F. i.V.m. § 233a AO 1977 ist auch sachlich gerechtfertigt, denn der Zeitpunkt der Festsetzung der Steuer i.S. des § 233a Abs. 1 AO 1977 ist weitgehend von innerbehördlichen Umständen des jeweils zuständigen FA abhängig. Im Interesse einer Gleichbehandlung der Steuerpflichtigen kann die Abzugsfähigkeit von Nachzahlungszinsen nicht von der Personalsituation bzw. dem Veranlagungsstand des jeweiligen FA abhängig gemacht werden (vgl. ähnlich BFH-Urteil vom 18. Juni 1997 II B 33/97, BFHE 182, 379, BStBl II 1997, 515).
c) Die Zahlung der Nachzahlungszinsen war im Streitfall zumindest dem Grunde nach nicht willkürlich. Soweit die Steuernachforderungen im Zeitpunkt der Zahlung der Nachzahlungszinsen gemäß § 38 AO 1977 materiell entstanden waren (vgl. z.B. Tipke/ Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 155 AO 1977 Tz. 14, m.w.N.), ist die (Voraus-)Zahlung nicht willkürlich. Auch betrafen sie Steuerforderungen, die vor dem 31. Dezember 1998 entstanden waren. Die Nachzahlungszinsen waren bereits seit 15 Monaten nach Ablauf des jeweiligen Kalenderjahres, in dem die Steuern entstanden waren, aufgelaufen (vgl. § 233a Abs. 2 Satz 1 AO 1977; hier seit 1. April 1995 bzw. 1. April 1996 bzw. 1. April 1998). Sie sind daher im wirtschaftlichen Sinne unumkehrbar.
4. Die Zahlung von Nachzahlungszinsen vor deren Festsetzung ist auch kein Gestaltungsmissbrauch (§ 42 AO 1977). Nach ständiger Rechtsprechung des BFH sind die sich aus dem Zufluss- oder Abflussprinzip ergebenden steuerlichen Be- oder Entlastungen gesetzesgemäß (vgl. BFH in BFHE 145, 507, BStBl II 1986, 284; BFH in BFHE 191, 274, BStBl II 2000, 396, m.w.N.; BFH in BFHE 167, 58, BStBl II 1992, 550; BFH-Urteil vom 18. Dezember 1987 VI R 108/85, BFH/NV 1988, 499). Allein die Absicht, Steuern zu sparen, macht eine Gestaltung nicht rechtsmissbräuchlich (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil vom 17. November 1999 I R 11/99, BFHE 190, 419, BFH/NV 2000, 776; vgl. auch Anm. Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung ―HFR― 1986, 404, m.w.N.). Im Streitfall kommt hinzu, dass die Nachzahlungszinsen tatsächlich wirtschaftlich bereits angefallen sind. Nur die Steuer- und Zinsfestsetzungen standen im Zeitpunkt der Zahlung noch aus.
5. Die Sache ist an das FG zurückzuverweisen, weil die Feststellung des FG für eine abschließende Entscheidung zur Höhe der abziehbaren Nachzahlungszinsen nicht ausreichen.
Aus der Verwendung des Begriffs "Aufwendungen" in § 10 Abs. 1 Satz 1 EStG folgt nach ständiger Rechtsprechung des BFH, dass nur solche Ausgaben als Sonderausgaben berücksichtigt werden dürfen, durch die der Steuerpflichtige tatsächlich und endgültig wirtschaftlich belastet ist (vgl. BFH-Urteile vom 26. Juni 1996 X R 73/94, BFHE 181, 144, BStBl II 1996, 646; vom 28. Mai 1998 X R 7/96, BFHE 186, 521, BStBl II 1999, 95, m.w.N.). Aufwendungen können im Veranlagungszeitraum der Zahlung mangels wirtschaftlicher Belastung nicht als Sonderausgaben abgezogen werden, wenn bzw. soweit sich bereits im Zeitpunkt der Zahlung absehen lässt, dass die Aufwendungen endgültig zurückzuerstatten sind. Unerheblich ist, ob die Erstattung in den Veranlagungszeitraum des Abflusses (§ 11 Abs. 2 EStG) oder in einen späteren Zeitraum fällt (BFH in BFHE 186, 521, BStBl II 1999, 95).
Steht im Zeitpunkt der Zahlung noch nicht fest, ob der Steuerpflichtige endgültig mit Nachzahlungszinsen in der geleisteten Höhe wirtschaftlich belastet bleibt, sind die Sonderausgaben im Jahr des Abflusses zwar abziehbar. Sollten die geleisteten Zinsen jedoch in einem späteren Veranlagungszeitraum endgültig erstattet werden, ist die Veranlagung des Zeitraums der Zahlung durch eine entsprechende Kürzung des Sonderausgabenabzugs anzupassen (vgl. auch BFH-Urteile in BFHE 186, 521, BStBl II 1999, 95; in BFH/NV 2000, 1455).
Vor diesem Hintergrund wird das FG nunmehr feststellen müssen, in welcher Höhe die 1998 gezahlten Nachzahlungszinsen endgültig festgesetzt wurden.
Fundstellen
Haufe-Index 668388 |
BFH/NV 2002, 416 |
BStBl II 2002, 351 |
BFHE 197, 175 |
BFHE 2002, 175 |
BB 2002, 293 |
DStRE 2002, 201 |
HFR 2002, 296 |
StE 2002, 73 |