Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Die Kosten von mittäglichen Heimfahrten können, auch wenn der Steuerpflichtige wegen einer Erkrankung zur Einnahme der Mittagsmahlzeit nach Hause fährt, nicht als außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG berücksichtigt werden. Soweit der Senat im Urteil VI 9/60 U vom 29. April 1960 (BStBl 1960 III S. 258, Slg. Bd. 71 S. 33) etwas anderes entschieden hat, wird daran nicht festgehalten.
Die Bindung nach § 296 Abs. 4 AO an die Grundsätze einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs im ersten Rechtsgang gilt nicht nur für die nachgeordneten Instanzen (Finanzgericht, Finanzamt), sondern auch für den Bundesfinanzhof selbst, wenn er in einem zweiten Rechtsgang in der gleichen Sache erneut zu entscheiden hat.
Normenkette
EStG §§ 33, 9; AO § 296 Abs. 4; FGO § 126/5
Tatbestand
Der Bf., der Angestellter einer Treuhand-AG ist, legte die Fahrten zwischen seiner Wohnung und seiner Arbeitsstätte im Jahre 1956 mit einem eigenen Pkw zurück. Die Kosten dafür wurden bei der Veranlagung nach § 26 EStDV 1955 berücksichtigt. Die zusätzlich für die mittäglichen Heimfahrten geltend gemachten Kosten berücksichtigte das Finanzamt jedoch nicht. Die Entscheidung des Finanzgerichts, das gleichfalls den Abzug dieser Aufwendungen als Werbungskosten oder ihre Behandlung als außergewöhnliche Belastung ablehnte, wurde vom Senat durch das amtlich veröffentlichte Urteil VI 9/60 U vom 29. April 1960 (BStBl 1960 III S. 258, Slg. Bd. 71 S. 33) aufgehoben und die Sache zur nachmaligen Prüfung an das Finanzgericht zurückverwiesen.
Im II. Rechtsgang erkannte das Finanzgericht, dessen Entscheidung in "Entscheidungen der Finanzgerichte" (EFG) 1961 S. 209 veröffentlicht ist, von den vom Bf. mit 487,13 DM geltend gemachten Fahrtkosten für die mittäglichen Heimfahrten auf Grund eines amtsärztlichen Zeugnisses 130 DM als außergewöhnliche Belastung im Sinne von § 33 EStG an, da der Bf. an erheblichen anfallartig auftretenden Herzrhythmusstörungen leide und er nach dem amtsärztlichen Zeugnis mittags eine einstündige Bettruhe brauche. Der Höhe nach seien die geltend gemachten Beträge jedoch nicht angemessen. Der Pauschbetrag nach § 26 Abs. 2 EStDV 1955 könne für die Ermittlung der berücksichtigungsfähigen Aufwendungen nach dem Urteil VI 9/60 U, a. a. O., nicht verwendet werden, da nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs VI 159/58 S vom 18. März 1960 (BStBl 1960 III S. 255, Slg. Bd. 71 S. 21) anzunehmen sei, daß durch die Anwendung der in dieser Vorschrift genannten Pauschbeträge die allgemeinen Unkosten der Kraftfahrzeugbenutzung für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte abgegolten seien. Als außergewöhnliche Belastung kämen daher für die mittäglichen Heimfahrten nur die Treibstoffkosten dieser Fahrten in Betracht. Da bei dem Stadtverkehr der Kraftstoffverbrauch erfahrungsgemäß höher sei als bei überlandfahrten, könne von einem Durchschnittsverbrauch von 10 Liter je 100 km ausgegangen werden. Bei Zugrundelegung des Preises für Superbenzin, das allerdings für einen Volkswagen, wie ihn der Bf. benutze, im allgemeinen nicht verwendet werde, ergebe sich bei einer Fahrstrecke von 1800 km für die Mittagsheimfahrten bei einem Kraftstoffverbrauch von 180 Liter ein Aufwand von 130 DM. Dieser Betrag sei nach § 33 EStG berücksichtigungsfähig.
Der Bf. wendet sich mit seiner Rb. im II. Rechtsgang dagegen, daß das Finanzgericht nur die Treibstoffkosten als außergewöhnliche Belastung anerkannt hat. Nach seiner Auffassung müßten die Gesamtaufwendungen für seinen Pkw anteilig berücksichtigt werden. Es seien daher auch anteilige Kosten der Instandhaltung und Pflege sowie eine angemessene Wertminderung des Fahrzeugs als außergewöhnliche Belastung zu behandeln. Diese Aufwendungen beliefen sich für 100 km auf 17,54 DM, für 1800 km demnach auf 315,72 DM.
Entscheidungsgründe
Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidungen.
Der Senat hat in dem Urteil VI 9/60 U, a. a. O., im ersten Rechtsgang des vorliegenden Rechtsstreits entschieden, daß die Kosten der mittäglichen Heimfahrten des Bf. nach § 33 EStG berücksichtigt werden könnten, wenn die Fahrten aus gesundheitlichen Gründen erforderlich gewesen seien. Es mag sein, daß es für einen Steuerpflichtigen empfehlenswert oder auch geboten ist, mittags zum Essen nach Hause zu fahren und anschließend eine Mittagsruhe zu halten. Wenn es danach auch möglich ist, daß die Zwangsläufigkeit derartiger Mittagsheimfahrten in Einzelfällen zu bejahen ist, so hält der Senat nach nochmaliger Prüfung dieser Frage in übereinstimmung mit dem I. und IV. Senat des Bundesfinanzhofs die Kosten derartiger Mittagsheimfahrten nicht für berücksichtigungsfähig nach § 33 EStG.
Ein großer Teil der Berufstätigen nimmt das Mittagessen in Betriebskantinen und Gaststätten ein oder verzehrt am Arbeitsplatz das von zu Hause mitgebrachte Essen. Andere gehen oder fahren während der Mittagspause nach Hause, um im Kreise der Familie zu Mittag zu essen und sich anschließend durch eine Mittagsruhe zu erholen. Welche dieser Möglichkeiten gewählt wird, hängt von der Art der Berufstätigkeit, den örtlichen und beruflichen Verhältnissen und auch von der persönlichen Einstellung des Steuerpflichtigen ab. Oft werden mehrere Gründe die Gestaltung der Mittagspause bestimmen, wobei es schwierig sein kann, den entscheidenden Beweggrund festzustellen. Es ist jedenfalls nicht außergewöhnlich, daß besonders ältere Steuerpflichtige, die es sich einrichten können, mittags zu Hause essen und sich anschließend dort ausruhen, bevor sie wieder mit ihrer Arbeit beginnen. Die Mittagsruhe ist dann ein Teil der Lebensgestaltung, auch wenn sie ärztlich empfohlen oder gar verordnet ist. Aufwendungen, die ein Steuerpflichtiger macht, um sich einen seinem persönlichen Geschmack entsprechenden und auch seiner Gesundheit dienlichen Tagesablauf zu verschaffen, sind aber keine zwangsläufigen außergewöhnlichen Belastungen im Sinne des § 33 EStG. Das gilt auch, wenn ein Steuerpflichtiger in erster Linie deshalb nach Hause fährt, um nach dem Mittagessen eine ärztlich verordnete Bettruhe zu halten.
Für den Streitfall kann diese Beurteilung jedoch nicht zur Ablehnung einer Steuerermäßigung nach § 33 EStG führen. Da das Finanzgericht nach Aufhebung seiner ersten Entscheidung durch das im ersten Rechtsgang ergangene Urteil VI 9/60 U angewiesen wurde, die Anwendbarkeit des § 33 EStG hinsichtlich der Kosten der mittäglichen Heimfahrten des Bf. zu prüfen, ist der Senat gemäß § 296 Abs. 4 AO an diese rechtliche Beurteilung gebunden und kann die Möglichkeit einer Steuerermäßigung nach § 33 EStG in dieser Sache nicht mehr grundsätzlich verneinen; denn ein Urteil des Bundesfinanzhofs bindet nicht nur das Finanzamt und das Finanzgericht, an das eine Streitsache vom Bundesfinanzhof zurückverwiesen wird, sondern auch diesen selbst, wenn der Rechtsstreit nach der neuerlichen Entscheidung des Finanzgerichts wiederum dem Bundesfinanzhof zur Entscheidung unterbreitet wird (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs IV a A 43/21 vom 17. Juli 1921, Slg. Bd. 7 S. 27; Urteil des Bundesfinanzhofs V 15/60 vom 18. Januar 1962, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1962 S. 204 Nr. 192). Es ist daher für die Entscheidung des vorliegenden Falles davon auszugehen, daß eine Steuerermäßigung nach § 33 EStG wegen der Kosten einer zwangsläufigen Mittagsheimfahrt möglich ist.
Das Finanzgericht hat die Zwangsläufigkeit der Heimfahrten auf Grund des vom Bf. vorgelegten amtsärztlichen Zeugnisses bejaht. Zu diesem Ergebnis konnte es kommen und demgemäß nach dem Urteil des Senats im ersten Rechtsgang die Anwendbarkeit des § 33 EStG bejahen. Daß es dabei nur die Treibstoffkosten als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt hat und nicht auch einen Anteil der festen Kosten, ist nach den Grundsätzen, die der Bundesfinanzhof sonst bei der steuerlichen Behandlung von Kraftfahrzeugkosten anwendet, nicht haltbar. Nach dem Urteil IV 536/52 U vom 9. Oktober 1953 (BStBl 1953 III S. 337, Slg. Bd. 58 S. 120) sind bei der Benutzung des zu einem Betriebsvermögen gehörenden Pkw für Privatfahrten nicht nur die dabei anfallenden Treibstoffaufwendungen, sondern auch die anteiligen festen Kosten des Kraftfahrzeugs als Entnahme zu behandeln. Entsprechend sind die festen Kosten auch bei Privatfahrten zu berücksichtigen, wenn die dabei entstehenden Aufwendungen nach § 33 EStG eine außergewöhnliche Belastung sind. Die in § 26 EStDV 1955 getroffene Regelung der Abgeltung der Kosten für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte steht dem nicht entgegen; denn diese Regelung hat nur Bedeutung für den Werbungskostenabzug.
Da die Höhe des vom Bf. geltend gemachten Anteils der streitigen festen Kosten vom Finanzamt nicht bestritten wurde und es sich dabei außerdem nur um einen kleinen Betrag handelt, hat der Senat keine Bedenken, den vom Bf. mit 315,72 DM ermittelten Betrag zusätzlich zu den vom Finanzgericht anerkannten Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung anzusehen.
Fundstellen
Haufe-Index 410694 |
BStBl III 1963, 134 |
BFHE 1963, 363 |
BFHE 76, 363 |