Kostenabzug als außergewöhnliche Belastungen bei Lipödem vereinfacht
Blick in die aktuelle Rechtslage
Aufwendungen für außergewöhnliche Belastungen, die die zumutbare Belastung übersteigen (§ 33 Abs. 3 EStG), werden auf Antrag steuermindernd berücksichtigt (§ 33 Abs. 1 EStG). Das Vorliegen von außergewöhnlichen Belastungen setzt deren Zwangsläufigkeit voraus.
Aufwendungen sind zwangsläufig, wenn ein Entzug aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht möglich ist, die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und sie einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG).
§ 64 EStDV enthält Regelungen zum Nachweis der Zwangsläufigkeit von Krankheitskosten. Für Arznei-, Heil- und Hilfsmittel ist eine Verordnung eines Arztes oder Heilpraktikers nötig (§ 64 Abs. 1 Nr. 1 EStDV). Eines amtsärztlichen Gutachtens oder einer ärztlichen Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung vor Maßnahmenbeginn bedarf es u. a. bei wissenschaftlich nicht anerkannten Behandlungsmethoden nicht (§ 64 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f) EStDV).
Der BFH musste sich erneut mit der Frage befassen, ob auch die Aufwendungen für eine Liposuktion zur Behandlung eines Lipödems der Vorlage eines amtsärztlichen Gutachtens vor Operation bedürfen ( BFH, Urteil v. 10.8.2023, VI R 18/21, NV).
Sachverhalt: Ist eine Liposuktion (operative Fettabsaugung) eine wissenschaftlich anerkannte Behandlungsmethode?
Die Kläger sind Eheleute und werden im Streitjahr 2018 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.
Bei der Klägerin wurde im Streitjahr ein beidseitiges Lipödem (krankhafte Ansammlung von Fettdepots) diagnostiziert. Im Zeitraum vom 30.4.2018 bis zum 8.6.2018 ließ sie daraufhin in einer Klinik in insgesamt acht Operationen eine Liposuktion an beiden Beinen durchführen. Die Aufwendungen für Operationen, Übernachtungen, Fahrten, Ultraschalluntersuchungen sowie Miederwaren betrugen rund 52 tsd. EUR. Die Krankenkasse der Klägerin erstattete die Kosten nicht.
Das Finanzamt berücksichtigte die geltend gemachten Kosten nicht als außergewöhnliche Belastungen, weil kein vor der Behandlung ausgestelltes amtsärztliches Gutachten bzw. keine ärztliche Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes der Krankenversicherungen für diese wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethode vorlag.
FG Rheinland-Pfalz: Versagung des Kostenabzugs aus Nachweisgründen
Das FG Rheinland-Pfalz schloss sich mit Urteil v. 17.8.2021 (5 K 1321/20, EFG 2021, 1825) der von der Finanzverwaltung vertretenen Auffassung an und ließ einen Kostenabzug aus Nachweisgründen nicht zu. Die Richter gingen bei der im Streitfall vorliegenden Liposuktion von einer wissenschaftlich nicht anerkannten Behandlungsmethode aus.
BFH: Kostenabzug dem Grunde nach auch ohne vorheriges Gutachten zulässig
Der BFH hat sich dieser restriktiven Auffassung mit Urteil v. 10.8.2023 (Az. VI R 18/21) nicht angeschlossen. Der BFH hält einen Abzug der strittigen Aufwendungen dem Grunde nach für zulässig. Die Sache wurde dennoch an das FG zurückverwiesen, weil keine Feststellung zur Höhe der nach § 33 EStG abziehbaren Kosten getroffen worden sei.
Liposuktion: Nachweis durch einfache ärztliche Verordnung reicht seit 2016 aus
Zumindest seit 2016 ist eine operative Fettabsaugung wegen eines Lipödems keine wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethode mehr. Dies wird damit begründet, dass die Durchführung einer solchen Liposuktion in der Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaft e.V. (AWMF Registernummer 037-012; Stand 10/2015) als medizinisch indizierte, etablierte und schonende operative Behandlung beurteilt wird. Auch nach Auffassung der Bundesärztekammer und fast sämtlicher Fachgesellschaften hat die operative Fettabsaugung bei Lipödem regelmäßig symptomlindernde Wirkung (siehe auch BFH, Urteil v. 23.3.2023, VI R 39/20 und v. 18.6.2015, VI R 68/14). Unabhängig von einer Kostenerstattung durch die Krankenkasse reicht dies aus, um eine wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethode zu verneinen.
Aufwendungen der Höhe nach gilt es noch zu prüfen
Zwangsläufige Aufwendungen können aber nur als außergewöhnliche Belastungen angesetzt werden, soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 S. 1 EStG).
Ist eine Maßnahme medizinisch indiziert, sind die Aufwendungen für die eigentliche Heilbehandlung typisierend als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen (siehe auch BFH, Urteil v. 18.6.2015, VI R 68/14).
Ob die im Entscheidungsfall geltend gemachten Kosten mit der eigentlichen Heilbehandlung im Zusammenhang stehen, muss das FG nunmehr abschließend prüfen. Diese Zurückweisung könnte damit im Zusammenhang stehen, dass die Absetzung der Kosten für Miederwaren nicht den eigentlichen Heilbehandlungskosten zugerechnet werden könnten.
Praxisfolgen
Die BFH-Entscheidung ist zu begrüßen. Bedeutsam für die aktuellen Einkommensteuer-Erklärungen ist Folgendes: Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat am 19.9.2019 beschlossen, dass die Kosten für eine operative Fettabsaugung seit Januar 2020 befristet bis Dezember 2024 unter bestimmten Voraussetzungen von Krankenkassen getragen werden. Damit dürften sich seither die Fälle, in denen es um eine steuerliche Kostenabsetzung geht, erheblich reduzieren. Ein Kostenersatz durch die Krankenkasse sollte stets geprüft werden. Auch ein zu erwartender Kostenersatz mindert die dem Grunde nach abziehbaren außergewöhnlichen Belastungen, selbst wenn die Erstattung erst in einem späteren Kalenderjahr fließt (BFH, Urteil v. 21.8.1974, VI R 236/71). Hierauf weist die Finanzverwaltung in der Anlage „Außergewöhnliche Belastungen“ ausdrücklich hin.
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