Nachlaufende Betriebsausgaben bei steuerbefreiten Photovoltaikanlagen
Voraussetzung der Steuerbefreiung in § 3 Nr. 72 EStG ist, dass die Bruttoleistungen (lt. Marktstammdatenregister) der Anlage bestimmte Höchstgrenzen nicht übersteigen. Diese betragen 30 Kilowatt Peak (kWp) bei Einfamilienhäusern bzw. 15 kWp je Wohn- und Gewerbeeinheit bei beispielsweise Mehrfamilienhäusern oder gemischt genutzten Häusern. Satz 2 der Vorschrift beschreibt dabei, dass bei Erzielung von Einkünften nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG, die aus dieser Tätigkeit erzielten Einnahmen insgesamt steuerfrei sind und kein Gewinn zu ermitteln ist.
Problematik: Nachlaufende Betriebsausgaben
In der Praxis stellt sich bei Einnahmen-Überschussrechnern vermehrt die Frage, ob in 2022 oder später geleistete Betriebsausgaben, welche die Jahre vor 2022 betrafen, noch steuermindernd berücksichtigt werden können. Dies können z. B. Steuerberatungskosten für die Erstellung von Gewinnermittlungen vor 2022 oder Umsatzsteuerabschlusszahlungen für Jahre vor 2022 sein. Auch Zahlungen von Handwerkerrechnungen, welche bereits vor 2022 erbracht wurden, sind denkbar.
Auffassung der Finanzverwaltung
Nach Auffassung der Finanzverwaltung sollen alle Betriebsausgaben, die in unmittelbarem wirtschaftlichem Zusammenhang mit dem (ggf. zukünftigen) Betrieb von nach § 3 Nr. 72 Satz 1 begünstigten Photovoltaikanlagen stehen, nach Maßgabe des § 3c Abs. 1 EStG nicht abzugsfähig sein (BMF-Schreiben v. 17.7.2023, BStBl 2023 I S. 1494 Rz. 21).
Weiter wird in Rz. 29 ausgeführt, dass sich die zeitliche Zuordnung nach der Art der Gewinnermittlung (z. B. nach dem Zu- und Abflussprinzip bei Einnahmenüberschussrechnungen) richtet. Nach der Verwaltungshandhabung soll demnach ein unmittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang mit steuerbefreiten Photovoltaikanlagen auch dann vorliegen, wenn z. B. in 2022 Aufwendungen mit wirtschaftlichem Bezug zum Zeitraum vor Einführung der Steuerfreiheit gezahlt werden.
Ob § 3c EStG in diesem Kontext anzuwenden ist, ist umstritten, weil allein die Zahlung nicht den wirtschaftlichen Zusammenhang herstellen kann. Es wird auch die Auffassung vertreten, dass eher der wirtschaftliche Zusammenhang mit den noch bis 31.12.2021 steuerpflichtigen Einkünften gegeben ist, weil die Leistung bis zu diesem Zeitpunkt erbracht wurde.
Mehrere Klageverfahren anhängig
Im Rahmen einer Kurzinformation v. 27.8.2024 des Finanzministeriums Schleswig-Holstein (VI 3010-S 2240-186) hat die Finanzverwaltung noch einmal darauf hingewiesen, dass in Fällen, in denen ausschließlich nach § 3 Nr. 72 EStG steuerfreie Einnahmen und Entnahmen erzielt werden, Betriebsausgabenüberhänge aufgrund der veranlagungszeitraumübergreifenden Betrachtung des § 3c Abs. 1 EStG nicht zu berücksichtigen sind.
Dies gelte unabhängig vom Inbetriebnahmezeitpunkt der Photovoltaikanlage. Zu der Rechtsfrage seien aber mehrere Hauptsacheverfahren beim FG Nürnberg (Az 4 K 1440/23), beim FG Münster (Az 7 K 105/24, 7 K 219/24) und beim Niedersächsischen FG (Az 2 K 45/24, 5 K 52/24 und 3 K 131/24) anhängig. Mit Zustimmung der Einspruchsführer könne im Hinblick auf diese Klageverfahren ein Ruhen des Verfahrens aus Zweckmäßigkeitsgründen nach § 363 Abs. 2 Satz 1 AO gewährt werden.
FG Nürnberg: § 3c EStG nicht einschlägig
Im Verfahren vor dem FG Nürnberg liegt mittlerweile eine Entscheidung vor (Urteil v. 19.9.2024, 4 K 1440/23). Das FG stellte dabei zunächst fest, dass sich ein Betriebsausgabenabzugsverbot nicht bereits aus § 3c Abs. 1 EStG ergibt. Nach dieser Vorschrift dürfen Ausgaben, soweit sie mit steuerfreien Einnahmen in unmittelbarem wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, nicht als Betriebsausgaben oder Werbungskosten abgezogen werden. Die Umsatzsteuernachzahlung 2021 bezieht sich z. B. auf steuerpflichtige Einkünfte im Jahr 2021. Diese werden nicht von der rückwirkenden Steuerbefreiung gem. § 3 Nr. 72 EStG erfasst.
Aber Verbot nach § 3 Nr. 72 EStG
Ein Gewinnermittlungsverbot und damit auch ein Betriebsausgabenabzugsverbot ergibt sich nach Auffassung des FG jedoch aus § 3 Nr. 72 Satz 2 EStG. Werden nämlich Einkünfte nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG erzielt und sind die aus dieser Tätigkeit erzielten Einnahmen insgesamt steuerfrei nach Satz 1, ist gem. § 3 Nr. 72 Satz 2 EStG kein Gewinn zu ermitteln. Satz 2 sei dahingehend auszulegen, dass er ein Gewinnermittlungsverbot und nicht nur eine Befreiung von einer Gewinnermittlungspflicht beinhaltet.
Die Gesetzesbegründung spreche zwar davon, dass bei Einkünften aus einer steuerbefreiten Photovoltaikanlage "hierfür kein Gewinn mehr ermittelt werden braucht und damit auch z. B. keine Anlage EÜR mehr abgegeben werden muss." Allerdings spreche der Gesetzeswortlaut eindeutig davon, dass bei Vorliegen steuerbefreiter Einnahmen kein Gewinn zu ermitteln "ist". Die Formulierung sei als verbindlich und nicht als bloße Wahlmöglichkeit für den Steuerpflichtigen zu verstehen.
Aufgrund der Vielzahl der Fälle hat das FG Nürnberg die Revision zugelassen, welche nun auch beim BFH anhängig ist (Az beim BFH III R 35/24). Einsprüche ruhen daher jetzt kraft Gesetzes nach § 363 Abs. 2 Satz 2 AO.
Aktualisierung: FG Münster tritt der Auffassung des FG Nürnberg entgegen
Das FG Münster ist der Auffassung des FG Nürnberg aktuell entgegengetreten ( Urteil v. 6.11.2024, 7 K 105/24 E). Hinsichtlich § 3c EStG vertritt das FG Münster zwar auch die Meinung des FG Nürnberg, aber hinsichtlich § 3 Nr. 72 Satz 2 EStG ist es anderer Auffassung.
§ 3 Nr. 72 Satz 2 EStG sei eine rein deklaratorische Regelung. Da der Wortlaut des § 3 Nr. 72 Satz 2 EStG nicht eindeutig sei – die Gesetzesformulierung "ist kein Gewinn zu ermitteln" könne sowohl dahingehend verstanden werden, dass kein Gewinn ermittelt werden darf, als auch dahingehend, dass eine Gewinnermittlung nicht mehr zwingend erforderlich ist –, sei die Norm auszulegen. Dabei entspreche die Auslegung, dass eine Gewinnermittlung nicht mehr zwingend erforderlich ist, dem Wortlaut der Gesetzesbegründung. Danach braucht kein Gewinn mehr ermittelt werden und damit z.B . auch keine Anlage EÜR abgegeben werden, wenn in einem Betrieb nur steuerfreie Einnahmen aus dem Betrieb von begünstigten Photovoltaikanlagen erzielt werden.
Gesetzessystematik spreche gegen Gewinnermittlungsverbot
Gegen ein Gewinnermittlungsverbot spreche zudem die Gesetzessystematik, denn Regelungsgegenstand des § 3 EStG seien lediglich die steuerfreien Einnahmen. Dies werde bezogen auf § 3 Nr. 72 EStG durch § 52 Abs. 4 Satz 28 EStG bestätigt, wonach § 3 Nr. 72 EStG erstmals für "Einnahmen und Entnahmen" anzuwenden ist, die nach dem 31.12.2021 erzielt oder getätigt werden. Eine die Erklärungs- bzw. Gewinnermittlungspflichten betreffende konstitutive Regelung in Satz 2 erschiene danach systemfremd. Insbesondere dürfe Satz 2 nicht vom Ergebnis gedacht ausgelegt werden, um mit der Annahme eines Gewinnermittlungsverbots ein – wegen der Steuerfreiheit nachlaufender Betriebseinnahmen ab 2022 für gerecht(er) empfundenes – Betriebsausgabenabzugsverbot herzuleiten. Ob Ausgaben, die mit steuerfreien Einnahmen in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang stehen, als Betriebsausgaben abgezogen werden dürfen oder nicht, regele § 3c Abs. 1 EStG.
Das FG weist auch auf die Entscheidung des BFH im Verfahren III B 24/24 hin. So führt der BFH nach einer summarischen Prüfung im Rahmen eines Antrags auf Aussetzung der Vollziehung im Zusammenhang mit der Rückgängigmachung eines Investitionsabzugsbetrages (IAB) im Sinne des § 7g EStG aus, dass die Regelung des § 3 Nr. 72 Satz 2 EStG eine gewinnerhöhende Hinzurechnung des IAB im Anschaffungsjahr 2022 nicht notwendig ausschließe.
Auch das FG Münster hat die Revision zugelassen (Az beim BFH X R 30/24).
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