Rückgängigmachung eines IAB für Photovoltaikanlage in 2021

Es ist ernstlich zweifelhaft, ob ein im Jahr 2021 in Abzug gebrachter Investitionsabzugsbetrag (IAB) für eine im Jahr 2022 tatsächlich erworbene und nach § 3 Nr. 72 EStG steuerbefreite Photovoltaikanlage allein wegen des Inkrafttretens dieser Steuerbefreiung gemäß § 7g Abs. 3 Satz 1 EStG im Jahr 2021 rückgängig zu machen ist.

Hintergrund: Gesetzliche Vorgaben

  • Ein in Anspruch genommener IAB ist nach § 7g Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 EStG rückgängig zu machen, soweit er nicht bis zum Ende des dritten auf das Wirtschaftsjahr des jeweiligen Abzugs folgenden Wirtschaftsjahrs nach § 7g Abs. 2 Satz 1 EStG hinzugerechnet wurde. Die Rückgängigmachung erfolgt im Abzugsjahr. § 7g Abs. 3 Satz 2 EStG sieht hierfür eine Änderungsvorschrift vor. In § 7g Abs. 3 Satz 3 EStG ist zudem eine Ablaufhemmung hinsichtlich der Festsetzungsverjährung normiert.
  • Nach § 3 Nr. 72 Satz 1 EStG sind die Einnahmen und Entnahmen im Zusammenhang mit dem Betrieb näher bestimmter Photovoltaikanlagen steuerfrei. Werden Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG) erzielt und sind die aus dieser Tätigkeit erzielten Einnahmen insgesamt steuerfrei, ist gemäß § 3 Nr. 72 Satz 2 EStG kein Gewinn zu ermitteln.

Sachverhalt: Beschwerdeführer bildet im Jahr 2021 einen IAB für Anschaffung einer Photovoltaikanlage

Der Beschwerdeführer begehrt die Aussetzung der Vollziehung (AdV) eines Einkommensteuerbescheids für das Jahr 2021 (Streitjahr). Die Beteiligten streiten über die Bedeutung der am 1.1.2022 in Kraft getretenen Steuerbefreiungsvorschrift des § 3 Nr. 72 EStG für einen bereits im Jahr 2021 in Abzug gebrachten IAB für eine Photovoltaikanlage.

Das Finanzamt (FA) erkannte einen vom Beschwerdeführer für die geplante Anschaffung einer Photovoltaikanlage gebildeten IAB im Rahmen der erstmals erklärten Einkünfte aus Gewerbebetrieb im Einkommensteuerbescheid 2021 (zunächst) an. Im November 2022 schaffte der Beschwerdeführer die Anlage mit einer Leistung von 11,2 kWp tatsächlich an.

Im November 2023 änderte das FA die Einkommensteuerfestsetzung 2021 nach § 7g Abs. 3 Satz 2 EStG. Es verwies auf die Rz 19 des Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) v. 17.7.2023, BStBl 2023 I S. 1494. Nach der Auffassung des BMF sind danach Investitionsabzugsbeträge, die in vor dem 1.1.2022 endenden Wirtschaftsjahren in Anspruch genommen und bis einschließlich zum 31.12.2021 noch nicht gewinnwirksam hinzugerechnet wurden, nach § 7g Abs. 3 EStG rückgängig zu machen, wenn in nach § 3 Nr. 72 EStG begünstigte Photovoltaikanlagen investiert wurde.

Über den fristgemäß eingelegten Einspruch hat das FA noch nicht entschieden. Den AdV-Antrag lehnte es hingegen mit Verfügung vom 28.12.2023 ab.

FG lehnt AdV ebenfalls ab

Auch das FG lehnte den AdV-Antrag des Beschwerdeführers ab. Nach summarischer Prüfung bestünden keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Einkommensteuerbescheids 2021. Das FA habe den IAB im Streitjahr zu Recht rückgängig gemacht. Wegen der nach § 3 Nr. 72 Satz 1 EStG bestehenden Steuerfreiheit sei im Jahr 2022 beim Beschwerdeführer kein Gewinn zu ermitteln (§ 3 Nr. 72 Satz 2 EStG), sodass von ihm auch keine Gewinnermittlung zu erstellen sei. Es fehle damit an einer Gewinnermittlung, bei der eine gewinnerhöhende Hinzurechnung des IAB erfolgen könne.

Mit der hiergegen fristgemäß erhobenen Beschwerde macht der Beschwerdeführer primär einfachrechtliche und hilfsweise verfassungsrechtliche Zweifel geltend.

Entscheidung: BFH gibt dem Beschwerdeführer recht

Nach summarischer Prüfung bestehen nach Auffassung des BFH ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Einkommensteuerbescheids 2021. Es ist zweifelhaft, ob das FA den IAB im Streitjahr 2021rückgängig machen durfte. In Ermangelung einer klaren gesetzlichen Regelung erscheint die Beurteilung unsicher, ob der IAB wegen § 3 Nr. 72 EStG bereits im Jahr seines ursprünglichen Abzugs rückgängig zu machen ist oder ob eine entsprechende Hinzurechnung erst später vorgenommen werden kann. Zweifelhaft ist der Veranlagungszeitraum, in dem der „actus contrarius“ zum IAB zu erfassen ist. Da sich die Entscheidungserheblichkeit dieser ungeklärten einfachrechtlichen Frage auch nicht aus einem anderen Grund in zweifelsfreier Weise verneinen lässt, ist die AdV antragsgemäß zu gewähren.

Hinzurechnung bereits im Jahr 2021 begegnet ernstlichen Zweifel

Voraussetzung für die Rückgängigmachung eines IAB im Abzugsjahr ist nach § 7g Abs. 3 Satz 1 EStG, dass der in Anspruch genommene IAB nicht bis zum Ende des dritten auf das Wirtschaftsjahr des jeweiligen Abzugs folgenden Wirtschaftsjahrs nach § 7g Abs. 2 Satz 1 EStG hinzugerechnet wurde. Nach der letztgenannten Vorschrift können im Wirtschaftsjahr der Anschaffung oder Herstellung eines begünstigten Wirtschaftsguts i. S. v. § 7g Abs. 1 Satz 1 EStG bis zu 50 % der Anschaffungs- oder Herstellungskosten gewinnerhöhend hinzugerechnet werden; die Hinzurechnung darf die Summe der nach § 7g Abs. 1 EStG abgezogenen und noch nicht nach den § 7 Abs. 2 bis 4 EStG hinzugerechneten oder rückgängig gemachten Abzugsbeträge nicht übersteigen.

  • Zunächst ist festzustellen, dass das dritte auf das Abzugsjahr 2021 folgende Wirtschaftsjahr bislang noch nicht abgelaufen ist, sodass die in § 7g Abs. 3 Satz 1 EStG geforderte Voraussetzung, dass eine Hinzurechnung in keinem der drei folgenden Wirtschaftsjahre erfolgte, noch nicht abschließend beurteilt werden kann. Der Beschwerdeführer hat den von ihm im Streitjahr in Abzug gebrachten IAB auch nicht von sich aus in diesem Jahr rückgängig gemacht. Vielmehr nahm der Beschwerdeführer mit dem Erwerb der Anlage im November 2022 zunächst die tatsächliche Anschaffung des Wirtschaftsguts vor, für das er den IAB abgezogen hatte. Im Normalfall würde der planmäßige Erwerb zu einer gewinnerhöhenden Hinzurechnung im Jahr der Anschaffung führen. Insoweit hat der Antragsteller in seiner Einspruchsbegründung angegeben, dass er diese Hinzurechnung im Jahr 2022 auch tatsächlich vorgenommen habe, das FA deren Anerkennung aber verweigert habe. Ob und wie über diese Hinzurechnung im Jahr 2022 entschieden wurde, hat das FG nicht festgestellt, sodass auch aus diesem Grunde Unsicherheit über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 7g Abs. 3 Satz 1 EStG besteht.
  • Welche Folgen die Einführung des § 3 Nr. 72 EStG für die Behandlung eines im Jahr 2021 für den Erwerb einer Photovoltaikanlage in Abzug gebrachten IAB hat, wird im EStG nicht ausdrücklich geregelt. Bereits die einfachrechtliche Würdigung begegnet ernstlichen Zweifeln.
  • Nach § 3 Nr. 72 Satz 1 EStG sind die Einnahmen und Entnahmen im Zusammenhang mit dem Betrieb näher bestimmter Photovoltaikanlagen steuerfrei. Werden Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG) erzielt und sind die aus dieser Tätigkeit erzielten Einnahmen insgesamt steuerfrei, ist nach § 3 Nr. 72 Satz 2 EStG kein Gewinn zu ermitteln.
  • Die Steuerbefreiungsvorschrift des § 3 Nr. 72 EStG wurde zusammen mit dem Nullsteuersatz nach § 12 Abs. 3 UStG in § 3 EStG angefügt. Nach der Anwendungsvorschrift des § 52 Abs. 4 Satz 28 EStG ist § 3 Nr. 72 EStG für Einnahmen und Entnahmen anzuwenden, die nach dem 31.12.2021 erzielt oder getätigt werden. Aufgrund seiner (unecht) rückwirkenden Inkraftsetzung galt § 3 Nr. 72 EStG schon im Zeitpunkt des Anlagenerwerbs des Beschwerdeführers im November 2022.
  • Zu einem IAB für eine anzuschaffende Photovoltaikanlage, der bereits im Jahr 2021 in Abzug gebracht wurde, ist dem Gesetz weder in § 7g EStG noch in § 3 Nr. 72 EStG eine ausdrückliche Aussage zu entnehmen. Die Auslegung des Gesetzes ist zweifelhaft und durch die Rechtsprechung des BFH noch nicht geklärt.
  • Die Regelung des § 3 Nr. 72 Satz 2 EStG schließt die gewinnerhöhende Hinzurechnung des IAB im Anschaffungsjahr nicht notwendigerweise aus. Denn es erscheint durchaus denkbar, § 7g Abs. 2 Satz 1 EStG dahin auszulegen, dass auch bei der Steuerbefreiung des § 3 Nr. 72 Satz 1 EStG unterfallenden Photovoltaikanlagen eine steuerpflichtige Hinzurechnung im Jahr der Anschaffung als abschließender Gegenakt zum IAB Abzug vorgenommen werden kann. Wenn § 7g Abs. 2 Satz 1 EStG in diesem Sinne auszulegen wäre, entfiele zugleich die Rechtfertigung dafür, die tatbestandlichen Voraussetzungen der speziellen Korrekturvorschrift des § 7g Abs. 3 Satz 1 EStG schon aufgrund der ab dem Jahr 2022 zu versagenden Möglichkeit der IAB Hinzurechnung als erfüllt anzusehen.
  • Das Argument des „actus contrarius“ dürfte nahelegen, die Hinzurechnung trotz zeitlicher Anwendbarkeit des § 3 Nr. 72 EStG ab dem Jahr 2022 noch als steuerpflichtig anzusehen (systematisch-teleologische Auslegung). In diesem Sinne wird auch im BMF-Schreiben vom 17.7.2023, BStBl 2023 S. 1494 in der Rz 25 davon ausgegangen, dass die Hinzurechnung des IAB nach § 7g Abs. 2 Satz 1 EStG selbst nicht unter die Steuerbefreiung des § 3 Nr. 72 Satz 1 EStG fällt.

Hinweis: Kein einheitlicher Meinungsstand im Schrifttum

Der Meinungsstand im Schrifttum ist uneinheitlich und bestätigt die derzeit noch bestehende Unsicherheit der Gesetzesauslegung. Die Frage, wie mit einem IAB zu verfahren ist, der vor dem 1.1.2022 in Anspruch genommen und noch nicht wieder gewinnerhöhend hinzugerechnet wurde, wird für den Fall, dass nach dem 31.12.2021 in eine nach § 3 Nr. 72 EStG begünstigte Photovoltaikanlage investiert wird, als „äußerst umstritten“ beschrieben. Zum Teil wird die Auffassung der Finanzverwaltung geteilt. Die Gegenmeinung hält eine Gewinnkorrektur im Jahr der Anschaffung der Photovoltaikanlage trotz der Einführung des § 3 Nr. 72 EStG für möglich.

Verfassungsrechtliche Zweifel können dahingestellt bleiben

Auf verfassungsrechtliche Bedenken gegenüber der Rückgängigmachung des IAB im Abzugsjahr und auf die Frage, ob insofern ein qualifiziertes Aussetzungsinteresse zu fordern ist, kommt es hiernach nicht mehr an.

BFH, Beschluss v. 15.10.2024, III B 24/24 (AdV); veröffentlicht am 31.10.2024

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