Minderung der Miete durch Zeichnung von Genossenschaftsanteilen
Hintergrund: Gesetzliche Regelung
Nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG gehören zu den Einnahmen aus Kapitalvermögen unter anderem Gewinnanteile (Dividenden) und sonstige Bezüge aus Anteilen an Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften sowie nach § 20 Abs. 3 EStG besondere Entgelte und Vorteile, die neben den in § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG bezeichneten Einnahmen oder an deren Stelle gewährt werden.
Streitfragen
Handelt es sich bei der Vereinbarung von geminderten Netto-Soll-Mieten für Mitglieder einer Bau- und Wohnungsgenossenschaft, die weitere freiwillige Genossenschaftsanteile zeichnen, welche weder an Gewinnausschüttungen teilhaben noch verzinst werden,– unter der vertraglich vereinbarten Voraussetzung, dass sich der Vorteil der Wohnkostenreduzierung und der Vorteil der Zinsersparnis betragsmäßig entsprechen –, um einen besonderen Vorteil i.S.d. § 20 Abs. 3 EStG?
Des Weiteren war fraglich, ob eine verbindliche Auskunft, die einer Genossenschaft erteilt wurde, Bindungswirkung gegenüber deren Mitgliedern entfalten kann.
Sachverhalt
Der dem Rechtsstreit zugrundeliegende Sachverhalt stellt sich wie folgt dar:
- Die Kläger werden als Ehegatten gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt. Sie sind Mitglieder einer Genossenschaft. Zugleich sind sie Mieter einer Wohnung, die im Eigentum der Genossenschaft steht.
- Im Jahr 2012 beantragte die Genossenschaft bei dem für sie zuständigen Finanzamt (FA) B die Erteilung einer verbindlichen Auskunft gemäß § 89 Abs. 2 AO. Die Genossenschaft fragte, ob es sich bei der Vereinbarung von geminderten Netto-Soll Mieten für Mitglieder, die weitere freiwillige Genossenschaftsanteile zeichnen, welche weder an Gewinnausschüttungen teilhaben noch verzinst werden, um einen Vorteilsausgleich handelt, der weder zu steuerpflichtigen Belastungen bei der Genossenschaft noch ihrer Genossenschaftsmitglieder führt.
- Das FA erteilte die Auskunft antragsgemäß und bejahte einen Vorteilsausgleich. Dabei wies es darauf hin, dass die verbindliche Auskunft aus verfahrensrechtlichen Gründen nur für die Antragstellerin selbst, nicht aber für deren Mitglieder Bindungswirkung entfalte.
- Mit Vereinbarung vom 25.1.2013 erwarben der Kläger und mit Vereinbarung vom 21.5.2013 die Klägerin jeweils als Nachtrag zum Dauernutzungsvertrag über ihre Genossenschaftswohnung weitere freiwillige Genossenschaftsanteile ohne Dividendenberechtigung. Im Gegenzug wurde die zu zahlende Wohnungsmiete (Nutzungsgebühr) herabgesetzt.
- Im Rahmen einer bei der Genossenschaft erfolgten Betriebsprüfung kam das Finanzamt C zu dem Schluss, dass es sich bei den Mietminderungen aus Sicht der Genossenschaftsmitglieder um Einnahmen aus Kapitalvermögen handele. Entsprechend wurden die für die Genossenschaftsmitglieder jeweils zuständigen Finanzämter mit Kontrollmitteilungen informiert.
- Unter Berücksichtigung dieser Kontrollmitteilungen erließ das FA gegenüber den Klägern am 10.12.2018 auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO gestützte Änderungsbescheide zur Einkommensteuer 2013 bis 2015 (Streitjahre) und erfasste entsprechende Einkünfte aus Kapitalvermögen.
Einsprüche und Klage als unbegründet zurückgewiesen
Die hiergegen erhobenen Einsprüche der Kläger wies das FA als unbegründet zurück. Zur Begründung führte es aus, die ersparten Mietaufwendungen stellten Einkünfte aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG dar. Das FG ist dem FA im Ergebnis, aber nicht in der Begründung gefolgt. Das FG hat entschieden, die Vorteile aus der Nutzungsentgeltminderung, die die Kläger für die Zeichnung der weiteren Genossenschaftsanteile erhalten hatten, gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 EStG zu steuerbaren Kapitalerträgen führen. Auf die verbindliche Auskunft, die das Finanzamt B der Genossenschaft erteilt hatte, könnten sich die Kläger ebenso wenig berufen wie auf den Grundsatz von Treu und Glauben.
Entscheidung: Nutzungsentgeltminderung führt zu Einnahmen aus Kapitalvermögen
Die Revision ist unbegründet. Das FG hat zutreffend erkannt, dass die Kläger steuerbare Kapitalerträge im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 EStG erzielt haben, indem sie weitere freiwillige Genossenschaftsanteile erworben und im Gegenzug eine Minderung des Nutzungsentgelts für die von der Genossenschaft überlassene Wohnung erhalten haben.
Ebenfalls ohne Rechtsfehler hat das FG entschieden, dass die gegenüber der Genossenschaft erteilte verbindliche Auskunft des Finanzamts B der Besteuerung der Kläger nicht entgegensteht und dass das FA auch nicht nach den Grundsätzen von Treu und Glauben gehindert war, die geldwerten Vorteile in Gestalt der Minderung des Nutzungsentgelts als Kapitalerträge der Besteuerung zu unterwerfen. Zur Begründung führt der BFH u.a. aus:
- § 20 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 EStG liegt ein weiter Einkünftebegriff und ein weiter Veranlassungszusammenhang zugrunde, nach dem zu den Einkünften aus Kapitalvermögen alle Vermögensmehrungen gehören, die bei wirtschaftlicher Betrachtung ein Entgelt für die Kapitalüberlassung sind.
- Die Minderung des von den Klägern an die Genossenschaft zu zahlenden Nutzungsentgelts erfüllte als geldwerter Vorteil den weiten Begriff der Einnahme im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 EStG und war durch den Erwerb zusätzlicher freiwilliger Genossenschaftsanteile und damit durch das Genossenschaftsverhältnis bedingt und veranlasst.
- Die zusätzlichen Anteile vermittelten keinen Gewinnanspruch, sondern einen Anspruch auf Verringerung des Nutzungsentgelts. Ohne den Erwerb zusätzlicher freiwilliger Anteile hätten die Kläger die Minderung des Nutzungsentgelts nicht erreichen können.
- Mit ihrem Vorbringen, es hätte keine vGA vorgelegen, da sich ihr Vorteil und der Gegenvorteil der zinslosen Kapitalnutzung auf Seiten der Genossenschaft gegenseitig ausgeglichen hätten und dass auch nicht über den "Umweg" des § 20 Abs. 3 EStG das Vorliegen von Kapitaleinkünften begründet werden könne, dringen die Kläger nicht durch. Es steht der Annahme eines steuerbaren Kapitalertrags nicht entgegen, dass sich der Vorteil der Kläger (Nutzungsentgeltminderung) und der Ausgleich auf Ebene der Genossenschaft (keine Gewinnausschüttung auf die freiwilligen Anteile der Kläger) wertmäßig möglicherweise ausgeglichen gegenüberstanden.
Eine verbindliche Auskunft gilt in persönlicher Hinsicht nur für den oder die Antragsteller
Unerheblich war im Urteilsfall, wie der Vorgang auf Ebene der Genossenschaft steuerlich behandelt worden ist. Selbst wenn bei der Genossenschaft eine vGA nach Maßgabe der verbindlichen Auskunft nicht angesetzt worden sein sollte, ergibt sich daraus nicht, dass der geldwerte Vorteil in Form der Nutzungsentgeltminderung auch auf Ebene des Genossenschaftsmitglieds nicht steuerbar sein muss.
Die Kläger können sich nicht mit Erfolg auf die gegenüber der Genossenschaft erteilte verbindliche Auskunft berufen. Eine verbindliche Auskunft gilt in persönlicher Hinsicht gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 StAuskV nur für den oder die Antragsteller. Im Streitfall hat ausschließlich die Genossenschaft den Antrag auf Erteilung der verbindlichen Auskunft gestellt.
Das Finanzamt B hat in seiner verbindlichen Auskunft auch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Auskunft nur Bindungswirkung für die Genossenschaft als Antragstellerin und nicht für deren Mitglieder entfalte. Aufgrund des ausdrücklichen Hinweises des Finanzamts B in der verbindlichen Auskunft, dass diese keine Bindungswirkung für die Mitglieder der Genossenschaft entfalte, konnte bei den Klägern auch kein schutzwürdiges Vertrauen entstehen, dass das für sie zuständige FA die Nutzungsentgeltminderung nicht als Kapitalerträge besteuern werde.
BFH, Urteil v. 22.10.2024, VIII R 23/21; veröffentlicht am 12.12.2024
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