Leitsatz (amtlich)
Die verschiedenen Ansprüche nach § 26 AVG und § 22 AnVG bestehen rechtlich selbständig nebeneinander. Das gilt auch einkommensteuerlich für die Ermittlung des Ertragsanteils der Rente.
Normenkette
EStG § 22 Nr. 1 Buchst. a; EStDV § 55 Abs. 2
Tatbestand
Der Steuerpflichtige, der im Jahre 1899 geboren, ist, ist seit längerer Zeit wegen einer Augenerkrankung berufsunfähig. Gemäß dem Bescheid der Bundesanstalt für Angestellte vom 1. September 1955 bezieht er nach § 26 Nr. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) ab 1. April 1955 ein Ruhegeld.
Für die Veranlagung zur Einkommensteuer der Jahre 1956 und 1957 vertritt er die Auffassung, er beziehe eine Berufsunfähigkeitsrente, an deren Stelle ab dem 65. Lebensjahre eine Altersrente trete. Es handele sich um zwei verschiedene Renten, die je ihre eigenen Voraussetzungen und Berechnungsmethoden hätten. Seine Bezüge der Streitjahre seien mithin Erträge aus einer abgekürzten Leibrente, auf die nicht die Tabelle des § 22 Nr. 1 EStG 1955/1957, sondern die des § 55 Abs. 2 EStDV 1956/1957 anzuwenden sei. Das FA nahm gemäß § 22 EStG den Ertragsanteil mit 29 v. H. an.
Das FG trat dem FA bei und führte aus, das Ruhegeld wegen Berufsunfähigkeit und das Altersruhegeld stünden in sachlichem und rechtlichem Zusammenhang.
Mit der jetzt als Revision zu behandelnden Rechtsbeschwerde beantragt der Steuerpflichtige, für das Jahr 1956 als Ertragsanteil 14 v. H. und für das Jahr 1957 12 v. H. anzusetzen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.
Nach dem Rentenbescheid vom 1. September 1955 beruhen die Bezüge des Steuerpflichtigen auf § 26 AVG in der vor dem 1. Januar 1957 geltenden Fassung. Die Vorschrift lautet:
"Ruhegeld erhält der Versicherte, der
1. zur Ausübung seines Berufs dauernd unfähig (berufsunfähig) ist oder
2. vorübergehend berufsunfähig ist, wenn die Berufsunfähigkeit ununterbrochen 26 Wochen gedauert hat, oder
3. das 65. Lebensjahr vollendet hat,
wenn die Wartezeit erfüllt und die Anwartschaft erhalten ist."
Das einleitende Wort "Ruhegeld", mit dem die Leistungen der drei Ziffern zusammengefaßt werden, könnte an sich zu einer Deutung im Sinne des FG führen. Aber aus der in ihm enthaltenen grammatikalischen Zusammenfassung kann nicht auch auf eine sachlich-rechtliche Einheit geschlossen werden. Das wird besonders deutlich, wenn man die in Nr. 2 behandelte vorübergehende Berufsunfähigkeit ins Auge faßt. Tritt nämlich im Zustand des Empfängers eine wesentliche Besserung ein, wird die Rente nach § 42 AVG in Verbindung mit § 1293 der Reichsversicherungsordnung (RVO) - frühere Fassung - entzogen. Wenn später nach Vollendung des 65. Lebensjahres gemäß § 26 Nr. 3 AVG ein Altersgeld zum Zuge kommt, ist nicht einzusehen, inwiefern zwischen den Bezügen nach Nr. 2 und Nr. 3 rechtlich eine Einheit bestehen soll. Im übrigen ist auch der Begriff der dauernden Berufsunfähigkeit im Sinne der Nr. 1a. a. O. nur ein relativer. Sie liegt vor, wenn nach menschlichem Ermessen die Beseitigung der Berufsunfähigkeit in absehbarer Zeit ausgeschlossen ist, z. B. auch bei einer langdauernden, zeitlich nicht übersehbaren Krankenhausbehandlung (Koch/Hartmann/v. Altrock/Fürst, Das Angestelltenversicherungsgesetz, 2. Aufl., § 26 AVG, Erl. 3, S. 280). Die Entziehungsmöglichkeit der §§ 42 AVG, 1293 RVO gilt aber für jegliches Ruhegeld wegen Berufsunfähigkeit, also auch wenn sie als "dauernd" angesehen wurde (Koch/Hartmann usw., § 42, Erl. 1a, S. 501). Es ist somit keineswegs selbstverständlich, daß einem Ruhegeld aus § 26 Nr. 1 AVG sich stets ein solches aus Nr. 3 ohne zeitliche Unterbrechung anschließt. Der § 26 AVG enthält mithin deutlich drei Versicherungsfälle: Zunächst die beiden Fälle der dauernden oder vorübergehenden Berufsunfähigkeit; die daraus entspringenden Bezugsrechte enden - neben der möglichen Entziehung - nach §§ 41 Abs. 1 AVG, 1290 RVO durch Tod des Versicherten. Ein weiterer Versicherungsfall ist der der Vollendung des 65. Lebensjahres. Dieses sog. Altersruhegeld unterscheidet sich von den beiden anderen Renten dadurch, daß es nicht entzogen werden kann (§ 42 AVG), sondern nur durch Tod endet (§§ 41 AVG, 1290 RVO); ferner beträgt die Wartezeit nach §§ 31 AVG, 1262 Abs. 1 RVO mindestens 180 Beitragsmonate, in den Fällen der Nrn. 1 und 2 nur 60 Monate (Koch/Hartmann usw., § 26 AVG, Erl. 2b, S. 280). An dieser Feststellung grundsätzlich verschiedener Rentenarten in § 26 AVG ändert es nichts, daß ein Ruhegeld wegen vorübergehender in ein solches wegen dauernder Berufsunfähigkeit, ferner ein Ruhegeld wegen Berufsunfähigkeit in ein Altersgeld übergehen kann, ohne daß eine neue Feststellung mit Umwandlung des Ruhegeldes erforderlich ist (so Koch/Hartmann usw., a. a. O., Erl. 2c S. 280); es handelt sich bei der Überleitung in den anderen Versicherungsfall um einen Vorgang rechnerischer Art.
Noch deutlicher ergibt sich die Selbständigkeit der Renten aus der Neufassung des Gesetzes nach dem Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz (AnVNG) vom 23. Februar 1957 (BGBl I 1957, 88). § 22 des jetzt Angestelltenrentenversicherungsgesetz (AnVG) genannten Gesetzes lautet:
"Rentenleistungen an Versicherte sind
1. Renten wegen Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit
2. Ruhegeld nach Erreichen der Altersgrenze (Altersruhegeld)."
Gegenüber dem bisherigen Wortlaut ist die einleitende Zusammenfassung als "Ruhegeld" weggefallen. Es werden nunmehr zwei Versicherungsfälle unterschieden. Zunächst sind Rentenleistungen wegen Berufsunfähigkeit oder wegen Erwerbsunfähigkeit vorgesehen. Ihre sachlichen Voraussetzungen sind in § 23 AnVG geregelt, die zeitlichen - 60 Monate Versicherungszeit - in § 24 AnVG; sie können nach § 53 AnVG bei begründeter Besserungsaussicht auf Zeit gewährt bzw. bei Änderung der Verhältnisse nach § 63a. a. O. entzogen werden. Sodann ist ein Altersruhegeld vorgesehen. Seine Vorausetzungen, darunter insbesondere 180 Monate Versicherungszeit, enthält § 25 AnVG. Das Altersruhegeld als eine Rente, die nicht auf Zeit lautet, kann schon vom Begriff her nicht auf Zeit gewährt oder entzogen werden; es findet sein Ende durch den Tod des Berechtigten.
Somit ergibt sich, daß die verschiedenen Ansprüche aus § 26 AVG und § 22 AnVG rechtlich unabhängig nebeneinander stehen. Sie sind verschieden in ihren zeitlichen Voraussetzungen, in ihrer Entstehungsursache und in ihrem Ablauf. Daß sie rechtlich und wirtschaftlich in demselben Versicherungsverhältnis wurzeln und der Ertrag der gleichen Versicherungsbeiträge sind, ist demgegenüber unerheblich.
Somit ist die vom Steuerpflichtigen in den Streitjahren 1956 und 1957 bezogene Berufsunfähigkeitsrente gegenüber einem späteren Altersruhegeld selbständig. Sie findet ihr Ende durch seinen Tod oder dadurch, daß der Tatbestand des Altersruhegeldes eintritt, d. h. grundsätzlich mit der Vollendung des 65. Lebensjahres des Steuerpflichtigen. Die streitigen Bezüge sind mithin Erträge aus einer Leibrente, die auf bestimmte Zeit beschränkt ist (abgekürzte Leibrente) im Sinne der §§ 22 Nr. 1 Buchst. a letzter Satz EStG, 55 Abs. 2 EStDV. Da der Rentenbezug am 1. April 1955 begonnen hat und der Steuerpflichtige am ... Dezember 1964 das 65. Lebensjahr vollendete, ist die Dauer der Rente mit neun Jahren und demgemäß ihr Ertragsanteil mit 14 v. H. anzusetzen.
Dem Antrag des Steuerpflichtigen in der Revisionsinstanz ist zu entnehmen, daß der Steuerpflichtige meint, der Ertragsanteil würde für jedes Veranlagungsjahr neu festgestellt. Das ist aber irrtümlich. Der Ertragsanteil ist vielmehr für die gesamte Laufzeit der Rente gleich (siehe Überschrift in Spalte 1 der Tabelle des § 55 EStDV).
Die angefochtene Entscheidung, die von anderer Rechtsauffassung ausgeht, war aufzuheben. Die Sache geht an das FA zur Berechnung der Steuer zurück.
Fundstellen
Haufe-Index 425913 |
BStBl II 1969, 156 |
BFHE 1969, 339 |