Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer Berufsrecht Verfahrensrecht, Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Unterhaltsleistungen, die auf Abreden nach § 72 Satz 2 EheG (Konventionalscheidungen) beruhen, sind keine freiwilligen Zuwendungen im Sinne des § 12 Ziff. 2 EStG.
Unterhaltszusagen im Zusammenhang mit Ehescheidungen enthalten in der Regel den stillschweigenden Vorbehalt der gleichbleibenden Verhältnisse und begründen deshalb im allgemeinen keine Leibrente.
Normenkette
EStG § 10 Abs. 1 Ziff. 1, § 12 Nr. 2, § 22 Ziff. 1; ZPO § 323; EheG § 72
Tatbestand
Die Ehe des Steuerpflichtigen (Stpfl.) wurde am 9. März 1960 aus Alleinverschulden der Ehefrau geschieden. In einem schriftlichen "Auseinandersetzungsvertrag" vom 23. Februar 1960 hatte die Frau zugesagt, die mit der Klage vorgetragenen Behauptungen als richtig anzuerkennen, so daß sich eine Beweisaufnahme erübrigen werde und mit einem Urteil nach Klageantrag zu rechnen sei. Der Stpfl. seinerseits versprach der Frau eine monatliche Unterhaltsrente von 300 DM, die, wenn die Frau sich wieder verheiratete, fortfallen sollte; die Vorschriften des § 530 BGB und des § 323 der Zivilprozeßordnung (ZPO) sollten anwendbar sein.
Der Stpfl. will für das Jahr 1962 die an die geschiedene Ehefrau gezahlten 3.600 DM als Sonderausgaben gemäß § 10 Abs. 1 Ziff. 1 EStG 1962 abziehen. Das Finanzamt (FA) betrachtete die Zahlungen als Leibrente und setzte nur den Ertragsanteil mit 1.476 DM ab.
Im Berufungsverfahren, mit dem der Stpfl. erneut den vollen Abzug der 3.600 DM begehrte, legte das FA Anschlußberufung ein mit dem Antrag, auch die bisher bewilligten 1.476 DM zu streichen. Es lehnte nunmehr eine Leibrente ab, weil bei der Zusage der Stpfl. die Form der §§ 761, 518 BGB nicht eingehalten habe. Außerdem sei der Vertrag nach § 138 BGB sittenwidrig, weil von der Frau im Scheidungsprozeß ein bestimmtes Verhalten erwartet worden sei. Da es sich mithin um freiwillige nichtabzugsfähige Leistungen des Stpfl. handelte, könnten seine Leistungen allenfalls nach § 33 a EStG berücksichtigt werden.
Das Finanzgericht (FG) erkannte den Betrag von 3.600 DM als abzugsfähig an und führte unter Hinweis auf den § 72 des Ehegesetzes (EheG) aus, die Unterhaltszusage sei der Preis für die vom Stpfl. gewünschte Mitwirkung der Ehefrau bei dem schnellen Abschluß des Scheidungsverfahrens gewesen. Der Stpfl. habe ein Scheidungsurteil erhalten wollen, das die Alleinschuld der Frau auswies. Unter diesen Umständen sei die Unterhaltszusage nicht unentgeltlich gegeben worden. Die Parteien hätten mit dem Hinweis auf § 323 ZPO klarstellen wollen, daß der Stpfl. weniger zu zahlen brauche, wenn sich seine wirtschaftlichen Verhältnisse verschlechterten bzw. die geschiedene Ehefrau auf die Unterhaltsleistung nicht mehr angewiesen sei. Es liege darum eine voll abzuziehende dauernde Last im Sinne des § 10 Abs. 1 Ziff. 1 EStG vor.
Mit der Revision verlangt das FA erneut, die 3.600 DM ganz vom Abzug auszuschließen.
Die Revision ist zulässig. Das FG hat bei der Feststellung seines Streitwerts (825 DM) zutreffend angenommen, daß, wenn nur der Stpfl. ein Rechtsmittel einlegt, der Antrag des FA auf Erhöhung der Steuer (§ 243 Abs. 3 AO a. F.) bei der Bemessung des Streitwerts außer Betracht zu bleiben hat (Entscheidung des Bundesfinanzhofs - BFH - I 160/54 U vom 16. August 1955, BFH 61, 401, BStBl III 1955, 353). Der Streitwert im Berufungsverfahren ist jedoch für das Revisionsverfahren nicht verbindlich. Das das FA seinen Verböserungsantrag zum Inhalt seiner Revision gemacht und beantragt hat, die Steuer von 6.599 DM auf 8.001 DM, also um 1.402 DM, zu erhöhen, ist die Streitwertgrenze von 1.000 DM überschritten.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist jedoch nicht begründet. Nach § 72 EheG können die Ehegatten über die Unterhaltspflicht für die Zeit nach der Scheidung der Ehe Vereinbarungen treffen. Ist eine Vereinbarung dieser Art vor der Rechtskraft des Scheidungsurteils getroffen worden, so ist sie nicht schon deshalb nichtig, weil sie die Scheidung erleichtert oder ermöglicht hat (§ 72 Satz 2 EheG). Zu der Vorschrift, die auf den gleichlautenden § 80 EheG 1938 (RGBl 1938 I S. 807) zurückgeht, ist es dadurch gekommen, daß nach der früheren Rechtsprechung für die rechtliche Wirksamkeit von Unterhaltsabreden vor der Scheidung ausschlaggebend war, ob die Vereinbarung die Scheidung ermöglichte oder wesentlich erleichterte, oder ob die Vereinbarung nur der Beschleunigung des Scheidungsverfahrens diente. Die Rechtsprechung sah die Vereinbarungen oft wegen Verstoßes gegen § 134 oder § 138 BGB für nichtig an (Soergel-Siebert, Kommentar zum BGB, 9. Aufl., § 72 EheG, Anm. 1). § 72 EheG soll dagegen die sogenannte Konventionalscheidung insofern ermöglichen, als die Erleichterung der Ehescheidung allein kein Grund mehr für die Nichtigkeit einer vor der Rechtskraft des Urteils getroffenen Unterhaltsabrede sein soll. Den Ehegatten wird dadurch möglich gemacht, eine zerrüttete Ehe leichter aufzulösen und unangenehme Dinge im Rechtsstreit nicht vorzutragen; die Ehegatten sind nicht mehr gezwungen, "zur Wahrung ihrer Rechte sämtliche Entgleisungen oder gar persönlichen Haß und Groll zur Sprache zu bringen" (Dölle, Familienrecht, Bd. I S. 622).
Unterhaltsverträge im Sinne von § 72 EheG sind formlos gültig (Palandt, Kommentar zum BGB, 26. Aufl., § 72 EheG, Anm. 2; Soergel-Siebert, a. a. O., Anm. 9). Hier ist die Vereinbarung schriftlich getroffen worden, so daß auch die Form der §§ 759 und 761 BGB gewahrt wäre, wenn es sich um eine Leibrente handelte. Ein Schenkungsversprechen bedarf allerdings nach § 518 BGB der öffentlichen Beurkundung, wird aber in den Fällen des § 72 EheG nur selten vorliegen; denn eine Gegenleistung liegt schon darin, daß der Unterhaltsempfänger irgendwie dem Unterhaltsgeber entgegenkommt und zu einer schnelleren Beendigung des Scheidungsstreits beiträgt (siehe z. B. Soergel-Siebert und Palandt, a. a. O.; Urteil des Reichsgerichts IV 96/41 vom 24. September 1941, Deutsches Recht - A - 1941 S. 2611; Urteil des Bundesgerichtshofs IV ZR 82/55 vom 8. Oktober 1955, Monatsschrift für Deutsches Recht 1957 S. 26). In der Besprechung zu der letztgenannten Entscheidung führt Beitzke zutreffend aus: "Es entspricht wohl der allgemeinen Meinung, daß die Scheidungsverträge nach § 72 EheG regelmäßig nicht unentgeltlich sind, da das Entgelt für den Unterhalt meist in Konzessionen hinsichtlich der Durchführung des Scheidungsprozesses liegt".
Das FG konnte rechtlich einwandfrei zu der überzeugung gelangen, daß die geschiedene Ehefrau gegen das Versprechen der Unterhaltszahlung die Alleinschuld auf sich genommen und auf Vorwürfe gegen den Stpfl. im Prozeß verzichtet habe. Die Vereinbarung vom 23. Februar 1960 war somit eine Abrede im Sinne von § 72 Satz 2 EheG. Daß in ihr auch § 518 BGB (Widerruf eines Geschenkes wegen groben Undanks) erwähnt wird, beruht offenbar auf einer Verkennung der Rechtslage.
Dem Abzug der streitigen Zahlungen steht § 12 Ziff. 2 EStG nicht entgegen; denn sie sind keine "freiwilligen" Zuwendungen, weil ihnen, wie ausgeführt, die Vereinbarung vom 23. Februar 1960 als rechtsgültige Verpflichtung zugrunde liegt. Auch der zweite Satzteil der Ziff. 2 greift nicht ein, weil die Frau im Scheidungsurteil für alleinschuldig erklärt wurde und daher nach §§ 58, 60 EheG keinen gesetzlichen Unterhaltsanspruch an den Stpfl. hatte.
Den Begriff der Leibrente in § 10 Abs. 1 Ziff. 1 und § 22 Ziff. 1 EStG hat der Senat mit der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs bestimmt als ein einheitlich nutzbares Recht (Rentenstammrecht), das dem Berechtigten für die Lebenszeit eines Menschen eingeräumt ist und dessen Erträge als fortlaufend wiederkehrende gleichmäßige Leistungen in Geld oder vertretbaren Sachen bestehen (BFH-Entscheidung VI 105/61 U vom 29. März 1962, BFH 75, 96, BStBl III 1962, 304). Die Gleichmäßigkeit der Leistung auf Lebenszeit und ein besonderes Stammrecht sind danach Voraussetzung für den Begriff Leibrente. Die Gleichmäßigkeit kann durch Bezugnahme auf die Rechte aus § 323 ZPO (Klausel der gleichbleibenden Umstände) in Frage gestellt sein, wenn mit dem Hinweis vertraglich festgelegt werden soll, daß bei verminderter Leistungsfähigkeit des Verpflichteten oder bei verminderter Bedürftigkeit des Berechtigten die zugesagten Leistungen herabzusetzen sind. In solchen Fällen liegt kein Leibrentenversprechen vor (Entscheidung des Senats VI 59/62 U vom 11. Oktober 1963, BFH 77, 747, BStBl III 1963, 594), sondern ein Unterhaltsvertrag. Nach der Entscheidung des Senats VI 286/64 U vom 16. Juli 1965 (BFH 83, 225, BStBl III 1965, 582) haben insbesondere bei Unterhaltszusagen aus Anlaß von Ehescheidungen die Parteien in der Regel nicht den Willen, für den Berechtigten ein eigenes Rentenstammrecht zu begründen. Im Streitfall ist der dem § 323 ZPO zugrunde liegende Gedanke gleichbleibender Verhältnisse ausdrücklich vereinbart worden. Das FG stellt einwandfrei fest, die Beteiligten hätten mit der Bezugnahme auf § 323 ZPO ausdrücklich sicherstellen wollen, daß der Stpfl. weniger zu zahlen brauche, wenn sich seine wirtschaftlichen Verhältnisse verschlechtern sollten bzw. die geschiedene Ehefrau auf die Unterhaltsleistungen nicht mehr angewiesen sein werde.
Nach allem sind die Zahlungen des Stpfl. nicht Leibrente, sondern für eine unbestimmte Zahl von Jahren übernommene Unterhaltsverpflichtungen und damit dauernde Lasten, die nach § 10 Abs. 1 Ziff. 1 EStG voll abgezogen werden können, wie es das FG zutreffend angenommen hat.
Fundstellen
Haufe-Index 412389 |
BStBl III 1967, 245 |
BFHE 1967, 610 |
BFHE 87, 610 |