Leitsatz (amtlich)
1. Zur Wirkung einer in Form einer Verordnung der EWG-Kommission ergangenen Erläuterung auf eine zum GZT erteilte vZTA.
2. Zur Bedeutung der Brüsseler Erläuterungen und Tarifavise zum Brüsseler Zolltarifschema als maßgebliche Erkenntnismittel beim Fehlen einschlägiger gemeinschaftsrechtlicher Erläuterungen.
Normenkette
EWGVtr Art. 189 Abs. 2; GZT Tarifnrn. 21.07; GZT Tarifnrn. 38.19; EWGV 950/68, 97/69, 107/70; Abkommen über das Brüsseler Zolltarifschema Art. IV; Brüsseler Erläuterungen zu Tarifnr. 21.07; Brüsseler Tarifavise Dokumente 14.300 E; Brüsseler Tarifavise Dokumente 14.300 f.; ZG § 23 Abs. 3; Erläuterungen zum Deutschen Zolltarif Tarifnr. 21.07; FGO § 100 Abs. 1 S. 4
Tatbestand
Die Oberfinanzdirektion (OFD) erteilte der Klägerin am 24. Oktober 1968 eine verbindliche Zolltarifauskunft (vZTA).
Ihre Sprungklage stützt die Klägerin vor allem auf den Wortlaut der Erläuterungen zum Brüsseler Zolltarifschema 1955.
Entscheidungsgründe
Zur Frage, ob beim Fehlen von gemeinschaftsrechtlichen Erläuterungen zu Tarifstellen des Gemeinsamen Zolltarifs (GZT) die nationalen Erläuterungsvorschriften rechtsverbindlich oder ob die Erläuterungen zum Brüsseler Zolltarifschema 1955 maßgebend sind, ferner zur Frage der Abgrenzung der Tarifnrn. 21.07 und 38.19 GZT hat der erkennende Senat eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EGH) eingeholt. Auf deren Inhalt (Rs. 14/70 vom 8. Dezember 1970, Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften 1970 S. 1001 – Slg. EGH 1970, 1001 –) wird Bezug genommen.
Die Klage ist begründet.
Die vZTA ist noch auf die deutschen Erläuterungen zum Deutschen Zolltarif gestützt. Diese sind zwar erst durch die deutsche Verordnung vom 19. Mai 1970 (BGBl II, 270, BZBl 434) ihrer Rechtsverbindlichkeit entkleidet worden. Nachdem aber auf Grund der VO (EWG) 950/68 des Rates vom 28. Juni 1968 (ABlEG Nr. L 172, 1 vom 22. Juli 1968, BZBl 1968, 772 und 1332) die in Betracht kommenden Tarifstellen des GZT unmittelbar in den Mitgliedstaaten gelten, scheiden die deutschen Erläuterungen bereits mit dem Inkrafttreten des GZT am 1. Juli 1968 als Rechtsgrundlage aus. Dies ergibt sich aus der Vorabentscheidung des EGH. Danach ist es den Mitgliedstaaten nicht erlaubt, verbindliche innerstaatliche Bestimmungen zu erlassen, welche die Tragweite der VO (EWG) 950/68 berühren. Konnte demnach die vZTA am 24. Oktober 1968 nicht mehr auf die deutschen Erläuterungen gestützt werden, so kann dies zwar die Rechtmäßigkeit, nicht aber die Rechtswirksamkeit der vZTA beeinträchtigen (vgl. Entscheidung des Bundesfinanzhofs -BFH- VII K 10/69 vom 20. Juli 1971, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 103 S. 109 – BFH 103, 109 –). Diese verliert sie erst mit ihrem Außerkrafttreten gemäß § 23 Abs. 3 des Zollgesetzes (ZG) durch Änderung der in ihr angewendeten Rechtsvorschriften.
Im Streitfall ist die vZTA auf Grund der VO (EWG) 107/70 der Kommission vom 21. Januar 1970 (ABlEG Nr. L 16, 9 vom 22. Januar 1970, BZBl 1970, 207) am 30. Januar 1970 außer Kraft getreten. Darin wird für Zubereitungen der Tarifstelle 21.07 – P anders als nach den in der vZTA angewendeten deutschen Erläuterungen auf die Zusammensetzung einerseits aus mehr als 50 Gewichtshundertteilen (bezogen auf den Trockenstoff) an Lebensmitteln und andererseits aus einem Emulgator und gegebenenfalls anderen Stoffen abgestellt, Damit hat die Kommission erstmals von der Ermächtigung der VO (EWG) 97/69 des Rates vom 16. Januar 1969 über die zur einheitlichen Anwendung des Schemas des GZT erforderlichen Maßnahmen (ABlEG Nr. 14, 1 vom 21. Januar 1969) hinsichtlich der Erläuterung der Tarifstelle 21.07 – P Gebrauch gemacht, und zwar in Gestalt einer quantitativen Abgrenzung. Da diese Verordnung unmittelbar in jedem Mitgliedstaat gilt (Art. 189 Abs. 2 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft – EWGV –), handelt es sich um eine Neuregelung, welche die in der vZTA – objektiv falsch – angewendeten deutschen Rechtsvorschriften verdrängt und damit im Sinn von § 23 Abs. 3 Satz 1 ZG ändert. Mit dem Außerkrafttreten der vZTA hat sich der angefochtene Verwaltungsakt in anderer Weise als durch Zurücknahme erledigt. Die Klägerin konnte daher gemäß § 100 Abs. 1 Satz 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) anstelle der Aufhebung der vZTA die Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit beantragen. Ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat sie dadurch dargetan, daß von dem Ausgang des Rechtsstreits mehrere Rechtsbehelfsverfahren hinsichtlich der vor dem Außerkrafttreten der vZTA erfolgten Einfuhren der gleichen Ware abhängen (vgl. BFH-Entscheidung VII 194/64 vom 2. August 1967, BFH 90, 383, BZBl 1968, 252).
Entgegen der Ansicht der OFD war die VO (EWG) 107/70 für die Auslegung der Nr. 21.07 des GZT im Zeitpunkt der Erteilung der vZTA noch nicht rechtsverbindlich, weil sie nach ihrem Art. 2 erst am achten Tag nach dem Tag ihrer Veröffentlichung in Kraft getreten ist. Sie kann auch nicht etwa als authentische Interpretation auf zurückliegende Fälle angewandt werden, da sie rechtsgestaltend dadurch wirkt, daß sie die Voraussetzung für die Einreihung unter die Tarifstelle 21.07 – F des GZT regelt. Der erkennende Senat schließt sich insoweit der Auffassung des EGH in der Rechtssache 30/71 vom 24. November 1971 an, die an dieser in einer ähnlichen Sache hinsichtlich der VO (EWG) 241/70 vom 9. Februar 1970 (ABlEG Nr. L 32, 6 vom 10. Februar 1970) vertreten hat.
Da somit bei der Nachprüfung der Rechtmäßigkeit der vZTA weder die damaligen deutschen Erläuterungen zu den Tarifnrn. 21.07 und 38.19 noch die gemeinschaftsrechtliche Erläuterung für die Auslegung dieser Tarifnummern anwendbar sind, bleiben nach der Vorabentscheidung des EGH nur noch die Brüsseler Erläuterungen und Tarifavise als maßgebliche Erkenntnismittel.
Die Brüsseler Erläuterungen sind zwar nur zu den Hauptpositionen des Brüsseler Zolltarifschemas ergangen, während die vZTA eine Unterposition des ZT betrifft. Im Streitfall kommt es aber nicht darauf an, ob die Ware unter die eine oder andere Unterposition derselben Tarifnummer oder verschiedener Tarifnummern fällt, sondern ob die Tarifnrn. 21.07 oder 38.19 voneinander abzugrenzen sind. Für diese Frage treffen die Brüsseler Erläuterungen bestimmte Unterscheidungsmerkmale, die eine Auslegung in dem einen oder anderen Sinn zulassen.
Nach der Vorabentscheidung des EGH sind als maßgebliche Erkenntnismittel auch die Brüsseler Tarifavise anzusehen. Diese werden vom Ausschuß für das Zolltarifschema unter Aufsicht des Brüsseler Zoll-Rates gemäß Art. IV Buchst. d des Abkommens über das Zolltarifschema für die Einreihung der Waren in die Zolltarife vom 15. Dezember 1950 (BGBl II 1952, 1) erlassen, und zwar für bestimmte Waren, also in einzelnen Fällen, im Gegensatz zu den Brüsseler Erläuterungen, die eine Vielzahl von Fällen generell regeln. Die Tarifavise können daher in der Regel nur dann zur Auslegung einer Tarifposition herangezogen werden, wenn sie Waren betreffen, die den streitigen Waren gleich oder gleichartig sind, z. B. eine ähnliche chemische Zusammensetzung aufweisen. Nur in diesem Umfang ließe sich auch rechtfertigen, daß vom Brüsseler Zoll-Rat bestätigte Tarifavise nach dem Grundsatz der lex posterior als jüngere Äußerungen desselben Gremiums den vorher erlassenen Erläuterungen als maßgebliche Erkenntnismittel vorgehen. Ob insbesondere Tarifavise für einzelne Waren, seien es auch mehrere Avise mit einer bestimmten Tendenz, als maßgebliche Erkenntnismittel an die Stelle der generell für eine ganze Warengattung ergangenen Erläuterungen treten kann, erscheint dem erkennenden Senat nicht zweifelsfrei. Jedenfalls läßt sich dann, wenn wie im Streitfall die Brüsseler Erläuterung B zu Tarifnr. 21.07 generelle Abgrenzungsmerkmale enthält, während die in Betracht kommenden Tarifavise lediglich Waren mit bestimmten chemischen Zusammensetzungen ohne nähere Begründung einer Tarifnummer zuweisen, daraus allenfalls schließen, daß es sich um Beispiele zu den nach wie vor als wirksam anzusehenden Erläuterungen, nicht aber um eine Änderung derselben handelt.
Fundstellen
Haufe-Index 514646 |
BFHE 1972, 209 |