Entscheidungsstichwort (Thema)
Bewertung, Vermögen-, Erbschaft-, Schenkungsteuer
Leitsatz (amtlich)
Die Berechnung der Vervielfältiger des § 16 Abs. 2 BewG beruht auf der durchschnittlichen Lebenserwartung unter Berücksichtigung des Wertes der Zwischenzinsen.
Die Vervielfältiger können daher bei Berechnung des Gegenwartswerts einer unverzinslichen, bis zum Tode einer Person befristeten Forderung nach § 14 Abs. 3 BewG der Lebenserwartung nicht gleichgesetzt werden.
Normenkette
BewG § 14 Abs. 3, § 12/3, § 16 Abs. 2, § 14/2
Tatbestand
Es handelt sich um die Bewertung einer Forderung der Ehefrau des Beschwerdeführers (Bf.) bei der Veranlagung zur Vermögensabgabe. Der Nennwert der Forderung beträgt 10.000 DM. Mit notariellem Vertrag vom 11. Oktober 1945 haben die Eltern der Ehefrau des Bf. ihrem Sohn ein Hausgrundstück übergeben. Der Sohn (Bruder der Ehefrau des Bf.) verpflichtete sich in dem Vertrag zur Zahlung von 10.000 RM (später umgestellt auf 10.000 DM) an seine Schwester nach Ableben des letztversterbenden Elternteils. Zur Sicherung des Anspruchs wurde eine Hypothek auf dem Grundstück eingetragen. Die Schuld ist vom Todestag des letztversterbenden Elternteils an mit 4 v. H. jährlich zu verzinsen und ein Vierteljahr nach Kündigung zurückzuzahlen. Bis zum Todestag des letztversterbenden Elternteils ist Kündigung ausgeschlossen. Das Finanzamt bewertete die Forderung bei der Veranlagung der Vermögensabgabe zunächst mit ihrem Nennbetrag. In der Einspruchentscheidung wurde der Wert der befristeten, vorerst unverzinslichen Forderung gemäß § 14 Abs. 3 des Bewertungsgesetzes (BewG) in Verbindung mit § 16 Abs. 2 a. a. O. mit 5.259,80 DM ermittelt. Das Finanzamt hat für die Ermittlung des Fälligkeitszeitpunkts der Forderung eine Lebensdauer des letztversterbenden Elternteils unterstellt, die dem nach § 16 Abs. 2 a. a. O. maßgebenden Vervielfältiger entspricht So ergab sich für den Stichtag für die 55jährige Mutter als den jüngeren Elternteil eine voraussichtliche Lebensdauer von noch 12 Jahren. Der Gegenwartswert der Forderung errechnete sich hiernach auf Grund der Hilfstafel I zu § 14 Abs. 3 a. a. O. bei einer Laufzeit von 12 Jahren mit 52,598 v. H. von 10.000 DM 5.259,80 DM. Der Bf. hält diese Bewertung für unzutreffend. Er ist der Ansicht, daß der Wert der Forderung auf den 21. Juni 1948 nach versicherungsmathematischen Grundsätzen berechnet werden müsse. Danach müsse die mittlere Lebenserwartung aus der allgemeinen deutschen Sterbetafel 1932 bis 1934 (Wirtschaft und Statistik 1936 S. 724, 834) entnommen werden. Unter Zugrundelegung des Lebensalters der Mutter am 21. Juni 1948 mit 55 Jahren ergebe sich eine mittlere Lebenserwartung von 19,85 Jahren. Nach der Hilfstafel I zu § 14 Abs. 3 BewG errechne sich somit ein Gegenwartswert der Forderung von 3.615,80 DM. Die Ermittlung des Fälligkeitszeitpunkts einer bis zum Ableben einer Person befristeten Forderung nach § 16 Abs. 2 BewG sei willkürlich, da diese Bestimmung lediglich festlege, welcher Vervielfältiger zum Zweck der Wertermittlung einer lebenslänglichen Nutzung oder Leistung auf die Jahresleistung anzuwenden sei, nicht aber für die Berechnung der Laufzeit einer Forderung gelte. Die Berufung hatte keinen Erfolg. Die angefochtene Entscheidung ist im wesentlichen wie folgt begründet: § 16 Abs. 2 a. a. O. gelte allerdings unmittelbar nur für die Ermittlung des Kapitalwerts lebenslänglicher Nutzungen und Leistungen und nicht für die Bestimmung des Fälligkeitszeitpunkts unbestimmt befristeter unverzinslicher Forderungen. Es müsse aber davon ausgegangen werden, daß die Vervielfältiger des § 16 Abs. 2 a. a. O. auf der Annahme eines durchschnittlich erreichbaren Lebensalters beruhten und daher sinngemäß in allen Fällen angewandt werden könnten, in denen der Zeitpunkt der Fälligkeit einer Forderung mit dem Todestag einer Person zusammentreffe. Dieser Auffassung sei auch der Reichsfinanzhof, wie sich aus dem Urteil IIIe8/38 vom 27. Juli 1938 (Reichssteuerblatt 1938 S. 857, 859) ergebe. Jedenfalls könne im Streitfall der Fälligkeitszeitpunkt der Forderung der Ehefrau des Bf. nicht zuverlässiger unter Zugrundelegung der mittleren Lebenserwartung nach der allgemeinen deutschen Sterbetafel ermittelt werden.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde (Rb.). Es wird geltend gemacht, daß bei Bildung der Vervielfältiger im § 16 Abs. 2 a. a. O. die Zwischenzinsen mit 5,5 v. H. berücksichtigt worden seien. Die Vervielfältiger seien somit ein Produkt aus der voraussichtlichen Lebensdauer und dem Abzinsungsfaktor bei einem angenommenen Zinssatz von 5,5 v. H. Es könne dem Urteil des Reichsfinanzhofs vom 27. Juli 1938 darin zugestimmt werden, daß bei der Veranlagung von der Lebensdauer auszugehen sei, die den Vervielfältigungszahlen des § 16 zugrunde lägen. Es sei aber irrig, wie es die Vorbehörden getan hätten, anzunehmen, daß die Vervielfältigungsziffern des § 16 Abs. 2 a. a. O. selbst der voraussichtlichen Lebensdauer eines Steuerpflichtigen entsprächen. Die Vervielfältigungsziffern sollten den Veranlagungsbeamten die schwierige Rentenrechnung mit Abzinsungsfaktoren ersparen. Der Gesetzgeber habe daher zur Erleichterung der Veranlagungsarbeit die verschiedenen Lebensalter zu Gruppen zusammengefaßt und aus der voraussichtlichen Lebensdauer und der Berücksichtigung des Abzinsungsfaktors Vervielfältigungsziffern geschaffen, mit denen der Veranlagungsbeamte den Wert von Renten und anderen auf die Lebensdauer einer Person abgestellten Nutzungen und Leistungen ermitteln könne.
Entscheidungsgründe
Die Rb. hat Erfolg.
Die Vervielfältiger des § 16 Abs. 2 a. a. O. decken sich in der Tat nicht mit den für die Lebenserwartung geltenden Jahreszahlen. In der amtlichen Begründung zum Reichsbewertungsgesetz vom 16. Oktober 1934 (Reichssteuerblatt 1935 S. 163) wird zu § 16 ausgeführt: "Der Berechnung der Vervielfacher des Abs. 2 liegt die durchschnittliche Lebenserwartung zugrunde, d. h. die Zahl der Lebensjahre, die die maßgebende Person (meist der Berechtigte) nach ihrem Alter auf Grund des Ergebnisses der Statistik noch zu erwarten hat. Diese Zahl mußte naturgemäß, weil der Stichtagswert der später fällig werdenden Rentenbeträge geringer als der Nennwert ist, entsprechend dem Wert der Zwischenzinsen ermäßigt werden; dabei wurde ein Zinssatz von 4 v. H. (wie bisher) zugrunde gelegt (vgl. hierzu § 78). Nach den letzten statistischen Erhebungen ist aber die gegenwärtige durchschnittliche Lebenserwartung erheblich größer als die, von der bisher ausgegangen worden ist (vgl. darüber Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1929 S. 38, herausgegeben vom Statistischen Reichsamt)." Nach § 14 Abs. 3 a. a. O. in der Fassung von § 1 Ziff. 2 des Vermögensbewertungsgesetzes beträgt der Zinssatz für Ermittlung der Zwischenzinsen 5,5 v. H. Die Vervielfältiger sind sonach keine reinen der Lebenserwartung entsprechenden, sondern um den Wert der Zwischenzinsen ermäßigte Zahlen. Die unveränderte übernahme der Vervielfältiger für die Ermittlung der voraussichtlichen Lebensdauer der Mutter der Ehefrau des Bf. und zur Bestimmung des Fälligkeitszeitpunkts der Forderung war daher nicht angängig. Die Auffassung, daß die übernahme der Vervielfältiger zu ebenso zuverlässiger Ermittlung der zu erwartenden Lebensdauer führe, wie die sich aus der Statistik ergebenden Zahlen für die Lebenserwartung einer Person, ist irrtümlich. Sollte der Reichsfinanzhof beabsichtigt haben, mit dem erwähnten Urteil vom 27. Juli 1938 eine andere Auffassung zum Ausdruck zu bringen, könnte ihm insoweit nicht gefolgt werden.
Das angefochtene Urteil war hiernach aufzuheben und die Sache zur anderweiten Bewertung der Forderung auf Grund vorstehender Ausführungen an das Finanzamt zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 408485 |
BStBl III 1956, 208 |
BFHE 1957, 33 |
BFHE 63, 33 |