Leitsatz (amtlich)
Mehraufwendungen für Verpflegung wegen regelmäßiger mehr als zwölfstündiger Abwesenheit von der Wohnung können bei selbständig Tätigen (Gewerbetreibende; freie Berufe) nicht als Betriebsausgaben anerkannt werden.
Normenkette
EStG §§ 4, 12
Tatbestand
Streitig ist bei der Einkommensteuerveranlagung für 1967, ob der Kläger und Revisionsbeklagte, der Steuerpflichtige, bei der Ermittlung seiner Einkünfte aus selbständiger Arbeit als Rechtsanwalt wegen regelmäßiger mehr als 12stündiger beruflich veranlaßter Abwesenheit von seiner Wohnung für jeden Arbeitstag Mehraufwendungen für Verpflegung in Höhe eines Betrags von 2,50 DM als Betriebsausgaben abziehen kann.
Die Kläger und Revisionsbeklagten sind Eheleute. Im Streitjahr wohnten sie am Stadtrand von O. Der Ehemann war freiberuflich als Rechtsanwalt tätig. Er hatte seine Praxis in der Stadtmitte von O. An fünf Tagen der Woche (Montag bis Freitag) verließ er regelmäßig gegen 7.30 Uhr seine Wohnung, um sich in die Praxis zu begeben, und kehrte erst gegen 20.00 Uhr abends nach Hause zurück.
In seiner Einkommensteuererklärung für 1967 beantragte der Steuerpflichtige, ihm einen Freibetrag dafür zu bewilligen, daß er regelmäßig aus beruflichen Gründen mehr als 12 Stunden von zu Hause abwesend sei und deshalb Mehraufwendungen für Verpflegung habe.
Der Beklagte und Revisionskläger (das FA) lehnte es bei der Einkommensteuerveranlagung für 1967 ab, Mehraufwendungen für Verpflegung als Betriebsausgaben anzuerkennen, weil die Kosten der Ernährung nicht abzugsfähige Lebenshaltungskosten seien und der in den LStR vorgesehene Pauschbetrag von 2,50 DM täglich bei mehr als 12stündiger Abwesenheit von zu Hause nur für Arbeitnehmer gelte.
Das FG gab der Klage statt. Das Urteil des FG ist in EFG 1971 S. 325 veröffentlicht.
Mit der Revision, die das FG wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Streitsache zuließ, beantragt das FA, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen. Das FA rügt die Verletzung des § 12 EStG.
Der Steuerpflichtige und seine Ehefrau beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.
Aufwendungen für die Ernährung eines Steuerpflichtigen sind in aller Regel nicht abziehbare Kosten der Lebensführung (§ 12 Nr. 1 EStG). Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH sind Verpflegungsmehraufwendungen jedoch ausnahmsweise als Betriebsausgaben bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb oder aus selbständiger Arbeit oder als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit abzugsfähig, wenn und soweit sie ausschließlich oder weitaus überwiegend durch den Beruf oder den Betrieb des Steuerpflichtigen oder eindeutig durch ein Dienstverhältnis des Steuerpflichtigen veranlaßt sind. Diesen Voraussetzungen ist nach der Rechtsprechung z. B. bei Geschäfts- oder Dienstreisen eines Steuerpflichtigen genügt. Auch hat die Rechtsprechung in Anlehnung an die für Arbeitnehmer gültigen Verwaltungsanweisungen anerkannt, daß das Abzugsverbot des § 12 Nr. 1 EStG nicht eingreift, wenn selbständig Tätige beruflich länger als sechs Stunden und weiter als 5 km von ihrer regelmäßigen Arbeitsstätte entfernt tätig werden und deshalb anzunehmen ist, daß sie aus beruflichen Gründen gezwungen sind, in Gaststätten zu essen, in denen sie im allgemeinen nicht zu essen pflegen (vgl. z. B. BFH-Urteile IV 356/54 U vom 21. Juli 1955, BFH 61, 278, BStBl III 1955, 305; IV 319/60 U vom 18. Oktober 1962, BFH 76, 102, BStBl III 1963, 38). Schließlich hat der BFH in ständiger Rechtsprechung zugelassen, daß Arbeitnehmer, die ausschließlich oder überwiegend beruflich bedingt regelmäßig - d. h. auf das Jahr gesehen bei gleichbleibenden Arbeitsbedingungen überwiegend - pro Tag mehr als 12 Stunden von zu Hause abwesend sind, einen pauschal angesetzten Betrag für Verpflegungsmehraufwand bei der Ermittlung der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit als Werbungskosten abziehen (vgl. z. B. BFH-Urteil VI R 283/70 vom 9. November 1971, BFH 102, 512, BStBl II 1972, 145, mit Nachweisen aus der Rechtsprechung; ferner BFH-Urteile VI R 322/66 vom 4. August 1967, BFH 90, 23, BStBl III 1967, 782; VI 231/64 vom 24. Juni 1966, BFH 86, 574, BStBl III 1966, 608; IV 119/53 U vom 17. September 1953, BFH 58, 81, BStBl III 1953, 322). Der erkennende Senat hat es aber bereits in seinem Urteil IV 168/64 vom 27. November 1970 (BFH 100, 528, BStBl II 1971, 103) ausdrücklich abgelehnt, diesen für Arbeitnehmer entwickelten Grundsatz (Abzugsfähigkeit einer Pauschale für Mehrverpflegungsaufwand bei übermäßiger langer Abwesenheit von zu Hause) in gleicher Weise für Gewerbetreibende anzuwenden.
An dieser Auffassung hält der Senat fest. Sie stimmt mit den Rechtsgrundsätzen überein, die sich aus den Beschlüssen des Großen Senats des BFH Gr. S. 2/70 und Gr. S. 3/70 vom 19. Oktober 1970 (BFH 100, 309 und 317, BStBl II 1971, 17 und 21) zur Auslegung des § 12 Nr. 1 EStG ergeben. Nach diesen Beschlüssen hat § 12 Nr. 1 EStG u. a. den Zweck zu verhindern, daß Steuerpflichtige Aufwendungen für ihre Lebensführung als durch den Betrieb veranlaßt darstellen, ohne daß für das FA die Möglichkeit besteht, diese Angaben nachzuprüfen und die tatsächliche berufliche und private Veranlassung festzustellen. Demgemäß werden Aufwendungen, die sowohl der Lebensführung als auch dem Beruf dienen können - dazu gehören insbesondere auch Aufwendungen für die Ernährung - nur dann nicht vom Abzugsverbot des § 12 Nr. 1 EStG erfaßt, wenn und soweit sich der dem Beruf dienende Teil der Aufwendungen nach objektiven Merkmalen und Unterlagen in zutreffender und leicht nachprüfbarer Weise abgrenzen läßt. Danach sind Aufwendungen für die Ernährung nur insoweit als beruflich veranlaßter Mehraufwand für Verpflegung abzugsfähig, als nach objektiven Merkmalen in leicht nachprüfbarer Weise festzustellen ist, daß überhaupt ein Verpflegungsmehraufwand entsteht und daß dieser Verpflegungsmehraufwand ausschließlich oder ganz überwiegend auf beruflicher Ursache, und nicht etwa auf der persönlichen Lebensweise des Steuerpflichtigen beruht.
Bei Arbeitnehmern hat die Rechtsprechung, wie ausgeführt, diese Voraussetzungen dann als erfüllt angesehen, wenn der Arbeitnehmer im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses regelmäßig solange tätig ist, daß er mehr als 12 Stunden von zu Hause abwesend ist.
Für selbständig Tätige (Gewerbetreibende, freie Berufe) läßt sich eine gleichartige Feststellung jedoch nicht treffen, und zwar aus folgenden Gründen:
a) Wie der erkennende Senat bereits in seiner Entscheidung IV 168/64 vom 27. November 1970 (a. a. O.) hervorgehoben hat, können selbständig Tätige im Gegensatz zu Arbeitnehmern regelmäßig Vorrichtungen treffen, die es ihnen ermöglichen, sich am Ort ihrer ständigen beruflichen oder betrieblichen Tätigkeit unabhängig von der Dauer dieser beruflichen Tätigkeit und der Abwesenheit von zu Hause ebenso billig zu verpflegen wie zu Hause, wenn sie dies für erforderlich halten. Nach der Lebenserfahrung machen viele selbständig Tätige auch tatsächlich von dieser Möglichkeit Gebrauch. So sind z. B. in vielen Fällen die Räumlichkeiten, in denen ein Einzelhandelsgeschäft oder eine freiberufliche Praxis betrieben wird, so ausgestattet, daß die Möglichkeit zur Zubereitung kleinerer Mahlzeiten besteht. Auch sind selbständig Tätige im Regelfalle ohne weiteres in der Lage, sich z. B. von den für sie tätigen Arbeitnehmern kleine Zwischenmahlzeiten (z. B. zweites Frühstück, Nachmittagskaffee usw.) zubereiten zu lassen. Dies muß zwar nicht immer so sein. Daß es aber in vielen Fällen so sein kann und tatsächlich so ist, reicht für die Feststellung aus, daß bei selbständig Tätigen anders als bei Arbeitnehmern eine ungewöhnlich lange Abwesenheit von zu Hause, auch wenn sie regelmäßig ist, noch kein objektives Merkmal bietet, das eindeutig und leicht nachprüfbar feststellen läßt, ob beruflich bedingter Mehraufwand für Verpflegung angefallen ist.
b) Der erkennende Senat hat in seinem Urteil IV 168/64 vom 27. November 1970 (a. a. O.) des weiteren betont, daß ein selbständig Tätiger im Gegensatz zum Arbeitnehmer in der Gestaltung seiner betrieblichen Verhältnisse frei ist. Diese Ausführungen sind nicht etwa dahin zu verstehen, daß bei einem selbständig Tätigen Aufwendungen, die durch eine übermäßig lange Arbeitszeit bedingt sind, generell nicht als Betriebsausgaben anerkannt werden können, weil der selbständig Tätige in der Lage sei, seine Arbeitszeit selbst zu bestimmen, also nicht übermäßig lange arbeiten und damit von zu Hause abwesend sein müsse. Denn grundsätzlich steht es einem selbständig Tätigen ebenso wie einem Arbeitnehmer frei, darüber zu befinden, welche Aufwendungen er im Interesse seiner Berufsausübung machen will. Andernfalls müßte auch bei Arbeitnehmern der Abzug von Mehraufwendungen für Verpflegung bei übermäßig langer Abwesenheit von zu Hause mit der Begründung versagt werden, der Arbeitnehmer könne sich angesichts der gegenwärtigen Lage auf dem Arbeitsmarkt einen Arbeitsplatz suchen, der ihm eine übermäßig lange Abwesenheit von zu Hause erspart. Entscheidend ist nach Auffassung des Senats vielmehr, daß die Freiheit des selbständig Tätigen in der Gestaltung seiner betrieblichen Verhältnisse ausschließt, einen etwaigen durch mehr als 12stündige Abwesenheit von zu Hause bedingten Verpflegungsmehraufwand als ausschließlich oder ganz überwiegend beruflich bedingt anzusehen. Denn bei einem selbständig Tätigen fehlt es im Hinblick auf diese Freiheit in der Gestaltung der betrieblichen Verhältnisse an objektiven Merkmalen, die in leicht nachprüfbarer Weise feststellen lassen, ob der Steuerpflichtige überhaupt mehr als 12 Stunden von zu Hause abwesend war und, sofern dies zutrifft, ob die Abwesenheit ausschließlich oder weitaus überwiegend beruflich bedingt war. Während sich bei einem Arbeitnehmer z. B. im Regelfall ohne Schwierigkeit die regelmäßige Arbeitszeit ermitteln läßt und ohne weiteres unterstellt werden kann, daß der Arbeitnehmer während dieser Arbeitszeit auch beruflich tätig war, so daß bei einer Abwesenheit von mehr als 12 Stunden von zu Hause, die sich aus der Arbeitszeit in Verbindung mit der Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte und den Verkehrsverbindungen rechnerisch ergibt, eine Vermutung für die Berufsbedingtheit eines Verpflegungsmehraufwandes spricht, trifft dies für selbständig Tätige nicht in gleicher Weise zu. Selbst wenn z. B. feststeht, daß ein Ladengeschäft regelmäßig bestimmte Zeiten geöffnet ist, so ist damit noch keineswegs sicher, daß der Inhaber des Ladengeschäfts während der gesamten Öffnungszeit im Betrieb tätig und damit beruflich bedingt von zu Hause abwesend ist.
Es fehlen deshalb bei selbständig Tätigen objektive Merkmale, die in leicht nachprüfbarer Weise feststellen lassen, ob ein Steuerpflichtiger ausschließlich oder überwiegend beruflich bedingt mehr als 12 Stunden von zu Hause abwesend war und ihm dadurch Mehraufwand für Verpflegung entstanden ist.
Es ist allerdings zuzugeben, daß für eine bestimmte Gruppe von Arbeitnehmern (im steuerlichen Sinne), so z. B. Mitglieder der geschäftsführenden Organe großer Kapitalgesellschaften keine andere betriebliche Situation gegeben ist als für selbständig Tätige. Dieser Gesichtspunkt könnte aber lediglich dazu führen, die für Arbeitnehmer gültigen Grundsätze auf diese Gruppe von Arbeitnehmern nicht anzuwenden - hierüber hat der Senat nicht zu befinden -, nicht hingegen, diesen Grundsatz unter Mißachtung der unterschiedlichen Gegebenheiten bei der Mehrheit der Arbeitnehmer einerseits und der Mehrheit der selbständig Tätigen andererseits auf die selbständig Tätigen zu übertragen.
Diese Überlegungen müssen dazu führen, daß auch bei übermäßig langer Abwesenheit eines selbständig Tätigen von zu Hause § 12 Nr. 1 EStG eingreift und deshalb Aufwendungen für Ernährung selbst dann nicht als Betriebsausgaben abgezogen werden können, wenn dem FG als Tatsacheninstanz im Einzelfalle glaubhaft erscheint, daß eine übermäßig lange Abwesenheit von zu Hause im Beruf begründet ist und gewisse Mehraufwendungen für Verpflegung entstanden sind.
Die Ausführungen des FG können die vorstehend entwickelte Rechtsauffassung nicht in Frage stellen. Wie bereits dargetan, ist die unterschiedliche Behandlung der Mehrkosten für Verpflegung bei Arbeitnehmern einerseits und bei Selbständigen andererseits durch die Verschiedenheit des der steuerlichen Beurteilung zugrunde liegenden Sachverhalts bedingt und gerechtfertigt. Es kann nicht anerkannt werden, daß die Verhältnisse in den entscheidenden Merkmalen jeweils gleichliegen und deshalb der Grundsatz der Gleichbehandlung gebiete, Selbständige ebenso wie Arbeitnehmer bei mehr als 12stündiger Abwesenheit von zu Hause eine abzugsfähige Pauschale für Verpflegungsmehraufwand zuzubilligen. Es mag zwar zutreffen, daß bei Gewerbetreibenden und Freiberuflern ebenso wie bei Arbeitnehmern zusätzliche Zwischenmahlzeiten notwendig werden können, wenn diese Personen außergewöhnlich lange arbeiten. Aber während bei Arbeitnehmern die mehr als 12stündige Abwesenheit von zu Hause im Hinblick auf die Eigenart eines Arbeitsverhältnisses bereits eine Vermutung begründet, daß ausschließlich beruflich bedingter Mehraufwand für Verpflegung entsteht, trifft dies für Selbständige nicht zu. Der Selbständige ist von Ausnahmen abgesehen an keine feste Arbeitszeit gebunden und arbeitet zeitlich überwiegend in Räumen, über die er als Mieter oder Eigentümer selbst disponieren kann. Er hat deshalb die Möglichkeit, seine Arbeit durch mehr oder weniger lange Ruhepausen zu unterbrechen und etwa notwendige Zwischenmahlzeiten, soweit ihm dies aus finanziellen Erwägungen heraus wünschenswert erscheint, ähnlich wie zu Hause selbst zuzubereiten oder zubereiten zu lassen. Zwar ist nicht zu verkennen, daß im Einzelfalle ausnahmsweise eine solche Möglichkeit fehlen kann. Das ändert aber nichts daran, daß bei selbständig Tätigen keine objektiven Merkmale vorhanden sind, die in zutreffender und leicht nachprüfbarer Weise feststellen lassen, ob einem Steuerpflichtigen beruflich bedingter Mehraufwand für Verpflegung entstanden ist. § 12 Nr. 1 EStG will gerade vermeiden, daß die FÄ gezwungen sind, jeden Einzelfall genauestens zu untersuchen, also z. B. feststellen, wie die Betriebstätte des Steuerpflichtigen beschaffen ist, wie lange er sich an den Arbeitstagen des Jahres in der Betriebstätte (ununterbrochen) aufhielt, welche Ruhepausen er dort einlegte und auf welche Weise er für Zwischenmahlzeiten sorgte.
Es läßt sich auch nicht sagen, daß bei Rechtsanwälten die Verhältnisse generell anders gelagert seien als bei sonstigen Freiberuflern oder Gewerbetreibenden. Die Notwendigkeit, Gerichtstermine wahrzunehmen, beschränkt die Freiheit des Rechtsanwalts nicht in einem Maße, daß seine Tätigkeit der typischen Lage eines Arbeitnehmers gleichzusetzen wäre. Es kommt deshalb nicht darauf an, daß die Vorentscheidung eine berufsbedingte Abwesenheit des Steuerpflichtigen von mehr als 12 Stunden als erwiesen ansah. Die geltend gemachten Mehrkosten des Steuerpflichtigen können gemäß § 12 Nr. 1 EStG nicht als Betriebsausgaben abgezogen werden.
Fundstellen
Haufe-Index 413271 |
BStBl II 1972, 855 |
BFHE 1972, 300 |