Entscheidungsstichwort (Thema)
Überprüfung der vom Käufer berechneten Anlieferungs-Referenzmenge Milch (ARM)
Leitsatz (NV)
1. § 10 MGV regelt ein besonderes Verfahren für die Überprüfung der dem Erzeuger vom Käufer berechneten und mitgeteilten ARM.
2. Gegen Mitteilung des Käufers an den Erzeuger über die von ihm berechnete ARM sind die in der AO 1977 vorgesehenen Rechtsbehelfe nicht gegeben.
Normenkette
AO 1977 § 348; FGO §§ 44, 74, 96 Abs. 1; MOG § 34 Abs. 1; MGV § 4 Abs. 5 Satz2, § 6 Abs. 6, § 10
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Milcherzeuger. Das Amt für Land- und Wasserwirtschaft (Landesstelle) bescheinigte ihm durch Bescheid vom . . ., daß bei der Berechnung seiner Referenzmenge eine Milchmenge von . . . kg zu berücksichtigen sei. Aufgrund dieser Bescheinigung berechnete die Molkerei (Käufer) des Klägers dessen Anlieferungs-Referenzmenge (ARM) neu mit . . . kg. Dabei kürzte der Käufer die von der Landesstelle bescheinigte Milchmenge (Zielmenge) um 15% der Differenz zwischen der ursprünglichen Referenzmenge von . . . kg und der von der Landesstelle bescheinigten Milchmenge und berechnete auf der Grundlage der so ermittelten Menge (Basismenge) nach Abzug der hier unstreitigen sonst noch vorgesehenen Kürzungssätz
e die ARM für den Kläger. Davon setzte der Käufer den Kläger mit Schreiben vom . . . in Kenntnis. Zugleich teilte er dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Hauptzollamt - HZA -) die neu berechnete ARM mit; das HZA hat das diesbezügliche Schreiben angeblich am . . . erhalten.
Mit dem am . . . bei dem HZA eingegangenen Schreiben vom 12. Mai legte der Kläger, wie es in seinem Schreiben hieß, ,,gegen den Bescheid Widerspruch" ein. Das HZA behandelte dieses Schreiben als Einspruch gegen den durch die stillschweigende Entgegennahme der Mitteilung des Käufers durch das HZA zustande gekommenen Verwaltungsakt und verwarf ihn wegen Überschreitung der Rechtsbehelfsfrist als unzulässig.
Die hiergegen erhobene Klage hatte keinen Erfolg.
Mit seiner vom Finanzgericht (FG) zugelassenen Revision macht der Kläger sinngemäß u.a. geltend, die Vorschrift zur Ermittlung der vom Käufer der Berechnung der ARM zugrunde gelegten Basismenge sei verfassungswidrig, insbesondere soweit sie rückwirkend angewandt werde. Dies werde auch noch in Verwaltungsverfahren gerügt, die beim Oberverwaltungsgericht anhängig seien. Das Verwaltungsgericht habe die Auffassung vertreten, daß die streitige Frage auf dem Finanzrechtsweg zu entscheiden sei. Deshalb habe er sich gegen das Schreiben des Käufers . . . gewandt.
Entscheidungsgründe
1. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung, weil nach den hier gegebenen Umständen eine gerichtliche Sachentscheidung nicht möglich war, und zur Aufhebung der Einspruchsentscheidung des HZA. Das HZA hat das vom Kläger als Widerspruch gegen die Festsetzung der ARM bezeichnete Schreiben vom 12. Mai ohne Berücksichtigung der in § 10 der Milch-Garantiemengen-Verordnung (MGV) - in der maßgebenden Fassung - vorgesehenen besonderen Regelung für die Überprüfung
der berechneten ARM als Einspruch im Sinne der Abgabenordnung (AO 1977) gewertet und diesen wegen verspäteter Einlegung als unzulässig verworfen. Der Kläger ist dadurch in seinen Rechten verletzt (§ 100 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Der Senat braucht ebenso wie in seinem Urteil vom 2. März 1993 VIIR99/91 BFHE 171, 148 auch im Streitfall nicht zu entscheiden, ob durch das Schweigen des HZA auf die Mitteilung des Käufers nach § 4 Abs. 5 Satz 2 MGV ein Feststellungsbescheid über die ARM zustande kommt (so - wenn auch unter Hintanstellung von Bedenken - die Vorentscheidung im Anschluß an die ständige Rechtsprechung des erkennenden Senats: zuletzt Senatsbeschluß vom 25. März 1986 VIIB164-165/85, BFHE 146, 188 und Senatsurteil vom 30. Oktober 1990 VIIR101/89, BFHE 162, 156; vgl. ferner FG Düsseldorf, Urteil vom 29. Juli 1992, 4 K6642/91 MOG; EFG 1992, 750) oder ob der im Schrifttum (Schrömbges u.a. in Zeitschrift für Zölle + Verbrauchsteuern - ZfZ - 1992, 101 ff., 119) vertretenen Meinung zu folgen ist, wonach allein in der Mitteilung des Käufers an den Erzeuger über die berechnete ARM ein Verwaltungsakt zu sehen ist. Denn § 10 MGV enthält hinsichtlich der Berechnung der ARM durch den Käufer im Rahmen des § 8 des Gesetzes zur Durchführung der gemeinsamen Marktorganisationen (MOG) i.d.F. der Bekanntmachung vom 27. August 1986 (BGBl I, 1397) eine besondere Regelung für die Überprüfung der vom Käufer berechneten ARM. Durch sie soll erkennbar insbesondere vermieden werden, daß der Käufer Beteiligter am finanzgerichtlichen Verfahren wird. Dies kommt klarer als zuvor in der durch die Verordnung vom 6. Februar 1990 (BGBl I, 200) geänderten Fassung des § 10 Abs. 1 MGV zum Ausdruck. Danach kann der Erzeuger - und zwar ohne Beschränkung auf den Fall geänderter Umstände - auf die Festsetzung der ARM durch den Käufer hin jederzeit eine Neuberechnung der ARM durch den Käufer verlangen, ohne an eine Frist gebunden zu sein (§ 10 Abs. 1 MGV). Wird die Neuberechnung abgelehnt, kann der Erzeuger - ebenfalls ohne Bindung an eine Frist - die Überprüfung durch das HZA beantragen (§ 10 Abs. 3 Satz1 MGV). Rechtsbehelfsfähige Entscheidung i.S. der AO 1977 ist daher erst der Bescheid des HZA nach § 10 Abs. 3 Satz1 MGV. Diese Möglichkeit für den Erzeuger, jederzeit die Neuberechnung der ARM durch den Käufer zu verlangen, bestand auch schon vor der genannten Änderung des § 10 Abs. 1 MGV. Dies folgt aus § 10 Abs. 3 MGV. Danach kann der Erzeuger einen Antrag auf Festsetzung der ARM durch das HZA stellen, wenn der Käufer die begehrte Neuberechnung der ARM ablehnt. Diese Möglichkeit ist nicht, wie möglicherweise früher (§ 10 Abs. 1 MGV a.F.), auf bestimmte Fälle beschränkt. Sie ist vielmehr allgemeiner Art und ermöglicht es dem Erzeuger, die Überprüfung der durch den Käufer berechneten ARM durch das HZA zu verlangen (vgl. Schrömbges, ZfZ 1991, 5, 9).
Das in § 10 MGV vorgesehene besondere Verfahren für die Überprüfung der vom Käufer berechneten ARM zwingt zu der Schlußfolgerung, daß die Mitteilung des Käufers über die von ihm berechnete ARM für sich allein oder auch im Zusammenhang mit dem auf sie bezogenen - schweigenden - Verhalten des HZA jedenfalls nicht mit den in der AO 1977 vorgesehenen Rechtsbehelfen angreifbar ist.
Unter den im Streitfall gegebenen Umständen ist rechtlich nicht zu beanstanden, daß das FG die Klage als zulässig angesehen hat. Nach der in § 10 MGV getroffenen Verfahrensregelung wäre das Schreiben des Klägers vom 12. Mai richtigerweise zwar nicht als Einspruch, sondern als Antrag auf Neuberechnung (§ 10 Abs. 1 MGV) und Antrag auf Festsetzung der ARM durch Bescheid des HZA (§ 10 Abs. 3 MGV) zu werten gewesen. Das HZA hätte sodann darüber nach § 10 Abs. 3 MGV entscheiden und zunächst einen mit dem Einspruch gemäß § 34 Abs. 1 Satz5 MOG anfechtbaren Bescheid i.S. des § 10 Abs. 3 MGV erlassen müssen. Da das HZA jedoch bei seiner Entscheidung davon ausgegangen ist, daß die schweigende Entgegennahme der Mitteilung des Käufers durch das HZA als Verwaltungsakt zu werten und deshalb unmittelbar mit dem nach § 34 Abs. 1 MOGi.V.m. § 348 AO 1977 vorgesehenen Einspruch anfechtbar sei, und somit ausdrücklich eine ,,Einspruchsentscheidung" erlassen hat, geht der Senat davon aus, daß das nach § 44 Ab
s. 1 FGO vorgesehene Vorverfahren erfolglos durchgeführt worden ist.
Die Vorinstanz hätte jedoch nach dem zuvor Ausgeführten nicht über die Rechtmäßigkeit der Berechnung der ARM durch den Käufer entscheiden dürfen. Das FG hätte vielmehr die ,,Einspruchsentscheidung" des HZA aufheben und damit dem HZA Gelegenheit geben
müssen, in verfahrensrechtlich zutreffender Weise über den Antrag des Klägers auf Neuberechnung der ARM zu entscheiden. Denn es fehlt an dem nach § 10 Abs. 3 MGV vorgesehenen ursprünglichen Verwaltungsakt i.S. des § 44 Abs. 2 FGO. Die Entscheidung des HZA vom . . . ist hiernach ersatzlos aufzuheben. Es bleibt dem Kläger vorbehalten, zunächst in dem nach § 10 MVG vorgegebenen Verfahren eine Entscheidung des HZA in der Sache zu suchen.
Mit dieser Entscheidung hält sich der Senat im Rahmen des vom Kläger gestellten Begehrens. Der Senat versteht den Antrag des Klägers, an dessen Fassung er nicht gebunden ist (§ 96 Abs. 1 Satz2 FGO), dahin, daß mit ihm nur erreicht werden soll, die sperrende Wirkung der Einspruchsentscheidung des HZA, die einer Entscheidung des HZA in der Sache entgegenstand, aufzuheben. Diesem Antrag war zu entsprechen. Für ein Verpflichtungsbegehren ist nach Sachlage (Fehlen einer anfechtbaren Entscheidung i.S. von § 10 Abs. 3 MGV) kein Raum. Der Senat bezieht den diesbezüglichen Antrag des Klägers allein auf die Verfahrenslage, von der das HZA ausgegangen ist (unmittelbare Anfechtbarkeit der vom Käufer berechneten ARM ohne vorherige Durchführung der nach § 10 MGV vorgesehenen Überprüfung), und läßt ihn deshalb außer Betracht.
Da es für die Entscheidung des Senats nicht auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit von § 6 Abs. 6 MGV ankommt, scheidet schon aus diesem Grunde eine Aussetzung des Verfahrens entsprechend § 74 FGO bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über das dort anhängige Verfahren 2 BvR 234/92, in dem es um die Verfassungsmäßigkeit des § 6 Abs. 6 MGV geht, aus.
Fundstellen