Leitsatz (amtlich)
Wird Mineralöl, das zur Einlagerung im Steuerlager abgegeben worden ist, entgegen dieser Zweckbestimmung ohne Aufnahme in das Steuerlager weitergeliefert, so wird die Mineralölsteuerschuld sofort fällig.
Normenkette
MinöStDV § 36 Abs. 9 Nr. 1, Abs. 1 S. 3; MinöStG § 15 Abs. 2 Nr. 4 b
Tatbestand
Streitig ist, ob wegen verspäteter Abführung von Mineralölsteuer Säumniszuschläge zu Recht festgesetzt worden sind.
Die Klägerin – die u. a. Großhandel mit Mineralölen treibt – hat in den Jahren 1959 und 1960 größere Mengen unversteuerten, aber steuerbaren Mineralöls, das sie im Steuerlagerbuch als Zugang aufgenommen hatte, ohne Einlagerung in das Steuerlager an verschiedene Abnehmer im sogenannten „Streckengeschäft” geliefert. Die Steuer wurde jeweils am 15. des der Auslieferung folgenden Monats zur Festsetzung angemeldet und am 25. des nächstfolgenden Monats entrichtet. Das Hauptzollamt (HZA) vertrat die Auffassung, die Klägerin habe die nur bei Einhaltung des Steuerlagerverfahrens, d. h. bei Aufnahme des Mineralöls in das Steuerlager in Betracht kommende Hinausschiebung der Fälligkeit der Mineralölsteuer zu Unrecht in Anspruch genommen. Die Steuer sei wegen der unterbliebenen Einlagerung bereits mit der Verfügung über das Mineralöl (Lieferung an die Abnehmer) unbedingt und gleichzeitig fällig geworden. Unter Hinweis auf § 1 des Steuersäumnisgesetzes (StSäumG) setzte das HZA Säumniszuschläge fest.
Die Berufung hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hat entschieden, die Säumniszuschläge seien zu Unrecht festgesetzt worden.
Es hat ausgeführt, für die Zeit vor Inkrafttreten der Achten Verordnung zur Änderung der Verordnung zur Durchführung des Mineralölsteuergesetzes (8. ÄndVO) vom 14. September 1960, d. h. dem 22. September 1960, fehle es für die Säumniszuschläge schon insofern an der Rechtsgrundlage, weil die Verordnung zur Durchführung des Mineralölsteuergesetzes (MinöStDV) in der damals geltenden Fassung für eine vorzeitige Fälligkeit der Steuer keine Vorschrift enthalte.
Für die Zeit nach Inkrafttreten der 8. ÄndVO, also die Zeit vom 22. September 1960 an, ergebe sich zwar aus den in die MinöStDV neu eingefügten Vorschriften in § 36 Abs. 1 Satz 3, Abs. 9 Nr. 1 und Abs. 10 Nr. 1, daß die bedingte Steuerschuld bei Nichtaufnahme des Mineralöls in das Steuerlager unbedingt und sofort fällig werde und demgemäß auch sofort zu entrichten sei. Die genannten Vorschriften seien jedoch rechtsunwirksam, da sie durch die gesetzliche Ermächtigung in § 15 Abs. 2 Nr. 4 des Mineralölsteuergesetzes (MinöStG) nicht gedeckt seien und überdies die angeordnete Vorverlegung der Fälligkeit auf eine Abweichung von der Fälligkeitsregelung des Gesetzes selbst (§ 6 MinöStG) hinauslaufe. Insofern gehe die Vorverlegung der Fälligkeit über den einer Durchführungsverordnung gesetzten Rahmen hinaus. Auch § 101 AO sei nicht einschlägig. Könne die vorzeitige Fälligkeit der Steuer aber weder auf die Vorschriften der MinöStDV noch andere Bestimmungen gestützt werden, so verbleibe es bei der Regel in § 6 des Gesetzes, wonach die Steuer bis zum 25. Tage des zweiten Monats nach dem Unbedingtwerden der Steuerschuld zu entrichten sei. Da sich die Klägerin hieran gehalten habe, kämen Säumniszuschläge auch für die Zeit nach dem 22. September 1960 nicht in Betracht.
Gegen dieses Urteil hat die OFD mit dem Ziel seiner Änderung nur für die Zeit ab 22. September 1960 Rechtsbeschwerde eingelegt, die als Revision zu behandeln ist. Sie wendet sich gegen die Ausführungen des FG, soweit in diesen § 6 des Gesetzes und § 36 MinöStDV miteinander in Verbindung gebracht würden. Eine solche Verbindung bestehe nicht, weil § 6 MinöStG lediglich Herstellungsbetriebe, nicht aber Steuerlagerinhaber betreffe. Es handle sich also um durchweg verschiedene Sachverhalte, die zwangsläufig gesondert zu regeln seien. Mangels einer Beziehung zwischen der Fälligkeitsregelung in § 6 MinöStG und derjenigen des § 36 Abs. 9 Nr. 1 MinöStDV könne auch von einer Durchbrechung der ersteren Vorschrift durch die letztere keine Rede sein.
Die Vorverlegung der Fälligkeit bei Nichtaufnahme von Mineralöl in Steuerlager, wie sie in § 36 Abs. 9 MinöStDV angeordnet sei, sei im übrigen durch die Ermächtigung in § 15 Abs. 2 Nr. 4 b MinöStG durchaus gedeckt. Denn § 15 Abs. 2 Nr. 4 b MinöStG ermächtige den Verordnungsgeber ausdrücklich, das Nähere über Steuerlager zu bestimmen mit der Maßgabe, daß die Steuer „im Regelfall” bis zum 25. Tag des zweitfolgenden Monats zu entrichten sei. Der „Regelfall” sei jedoch derjenige, in dem das Mineralöl in das Steuerlager aufgenommen werde. Das im Streitfall vorliegende „Streckengeschäft”, in dem der Treibstoff das Lager nicht berührt habe, weiche gerade im entscheidenden Punkt von der Regel ab. Schon aus dem Wortlaut der gesetzlichen Ermächtigung ergebe sich daher, daß in solchem „Ausnahmefall” dem Verordnungsgeber die Möglichkeit und das Recht eingeräumt worden sei, in Abweichung von der Regel eine Vorverlegung der Fälligkeit anzuordnen. Unter Hinzunahme des Sinnzusammenhanges der Ermächtigung mit den anderen Vorschriften des Gesetzes und dem von der gesetzlichen Regelung insgesamt verfolgten Ziel sei daher die Vorverlegung der Fälligkeit in § 36 Abs. 9 Nr. 1 MinöStDV durch die Ermächtigung in § 15 Abs. 2 Nr. 4 b MinöStG gedeckt, daher rechtlich in Ordnung und auf den Streitfall anwendbar.
Die OFD beantragt, das Urteil des FG – soweit es die Zeit nach dem 21. September 1960 betreffe – aufzuheben und den Rechtsstreit an das FG zur Feststellung der auf die Zeit nach dem 21. September 1960 entfallenden Säumniszuschläge zurückzuverweisen. Der dem Verfahren beigetretene Bundesminister der Finanzen (BdF) beantragt, die Vorentscheidung hinsichtlich der ab 22. September 1960 entstandenen Säumniszuschläge aufzuheben und die Klage insoweit abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie hält das Urteil des FG im Ergebnis und in der Begründung für zutreffend. Der wirtschaftlich relevante Vorgang sei – wie sie ergänzend ausführt – bei dem hier vorliegenden Streckengeschäft der gleiche, wie wenn die Ware über das Steuerlager gelaufen wäre, weil sie von den Kunden im ersteren Fall auch nicht früher bezahlt werde. Es sei kein Grund erkennbar, die längere Zahlungsfrist des Regelfalles (§ 6 MinöStG) bei den hier vorliegenden Streckengeschäften nur wegen eines in seiner Tragweite nicht erkannten und daher unbewußt unterlaufenen Verfahrensfehlers zu versagen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
Nach § 3 MinöStG in der für den Streitfall maßgebenden Fassung vom 5. Dezember 1957 (BGBl I 1957, 1833) entsteht bei im Inland hergestelltem Mineralöl mit der Entfernung aus dem Herstellungsbetrieb, nach § 7 MinöStG bei aus dem Ausland eingeführtem Mineralöl mit der Abfertigung zum freien Verkehr eine Mineralölsteuerschuld, und zwar entweder unbedingt oder bedingt. Bedingt entsteht die Steuerschuld u. a, nach § 36 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 MinöStDV in der für die streitigen Streckengeschäfte nach dem 21. September 1960 maßgebenden Fassung der 8. ÄndVO vom 14. September 1960 (BGBl I 1960, 745), wenn das Mineralöl in ein Steuerlager verbracht werden soll. Nach der gesetzlichen Konstruktion des Mineralölsteuerrechts ist also, und das ist wesentlich, alles Mineralöl außerhalb des Herstellungsbetriebes (bei Inlandherstellung) oder im freien Verkehr (nach der Einfuhr) versteuert oder mindestens mit einer Steuerschuld belastet, die, soweit ihr Schicksal von der späteren, noch Ungewissen Verwendung des Mineralöls abhängt, auflösend bedingt ist (vgl. Schädel-Langer, Mineralölsteuergesetz, Anm. 1 Nr. 2 zu § 9). Die bedingte Entstehung der Steuerschuld beim Steuerlagerverfahren hat ihren Grund darin, daß der Mineralölwirtschaft die Möglichkeit eröffnet werden sollte, die Entrichtung der Steuer näher an den Zeitpunkt der Abgabe des Mineralöls an den Verbraucher heranzubringen und auf diese Weise zu verhindern, daß die Steuerbeträge vom Hersteller oder Großhändler für längere Zeit vorgelegt werden müssen. Unbedingt wird die Steuer u. a. nach § 36 Abs. 8 MinöStDV, wenn das Mineralöl aus dem Lager entnommen wird. Denn von diesem Zeitpunkt an besteht für ein weiteres Hinausschieben der Steuererhebung kein sachliches Bedürfnis mehr.
Für den Fall des Steuerlagers war der BdF in § 15 Abs. 2 Nr. 4 b MinöStG 1958 ermächtigt, das Nähere zu bestimmen mit der Maßgabe, daß die Steuer „im Regelfall” bis zum 25. Tage des zweiten auf die Entnahme aus einem Steuerlager folgenden Monats zu entrichten war. Diese Vorschrift war notwendig, weil die für die Entrichtung (Fälligkeit) der Steuer sonst maßgebende Vorschrift des § 6 MinöStG für den Fall des Steuerlagers nicht gilt. Dies ergibt sich zweifelsfrei aus dem Wortlaut des § 6 MinöStG (maßgebend der zweite Monat nach demjenigen, „in dem die Steuerschuld unbedingt entstanden ist”), und wird durch die systematische Stellung der Vorschrift im MinöStG noch unterstrichen. Denn die Einrichtung des Steuerlagers ist im Gesetz erstmals in § 9, also erst hinter § 6 geregelt.
Da § 6 MinöStG für den Fall des Steuerlagers nach Wortlaut, Sinn, Zweck und Systematik des Gesetzes nicht gilt, bedurfte es daher, um eine gleiche Fälligkeitsregelung für das Steuerlagerverfahren – statt unmittelbar durch gesetzliche Vorschrift – im Verordnungswege zu schaffen, einer ausdrücklichen Ermächtigung im Gesetz. Diese enthält § 15 Abs. 2 Nr. 4 b MinöStG. Aus dieser Vorschrift ergibt sich aber eindeutig eine Begrenzung der Ermächtigung auf den „Regelfall”. Dieser ist beim Steuerlagerverfahren gegeben, wenn das Mineralöl tatsächlich in das Steuerlager aufgenommen worden ist (vgl. Schädel-Langer, a. a. O., Anm. 3 zu § 9). Die bloße Anschreibung im Lagerbuch genügt dagegen nicht. Gerade an der Einlagerung aber fehlt es im Streitfall. Die Steuerschuld ist daher – mangels einer anderweitigen Regelung – mit ihrer Entstehung fällig geworden, d. h. in dem Zeitpunkt, in dem über das Mineralöl seitens der Klägerin verfügt worden ist (§ 36 Abs. 1 Satz 3 MinöStDV). Für ein Hinausschieben der Fälligkeit gibt das Gesetz keine Handhabe. Insbesondere ist es – wie der Revision zuzugeben ist – unmöglich, die Vorschrift des § 6 MinöStG, sei es auch nur im Wege der Analogie, im Bereich des Steuerlagerverfahrens auch dann anzuwenden, wenn in Abweichung vom Regelfall – also anders als in § 15 Abs. 2 Nr. 4 MinöStG ausdrücklich angeordnet – das Mineralöl entgegen seiner Zweckbestimmung in das Steuerlager nicht aufgenommen worden ist und deshalb die Steuerschuld nach § 36 Abs. 1 Satz 3 MinöStDV unbedingt geworden ist. Abgesehen davon, daß ein solcher Analogieschluß schon dem Wortlaut des § 15 Abs. 2 Nr. 4 b MinöStG 1958 („im Regelfall”) widerspricht, würde andernfalls die Ermächtigung selbst jeden Sinnes entbehren. Denn es hätte einer solchen Ermächtigung an den Verordnungsgeber zur Übernahme der Fälligkeitsregelung des § 6 MinöStG auf das Steuerlagerverfahren im Regelfall nicht bedurft, wenn die Vorschrift im Steuerlagerverfahren bereits ohnehin und sogar in jedem Fall anzuwenden wäre. Träfe letzteres zu, würde es für die Fälligkeit der Steuer keinen Unterschied ausmachen, ob das zum Zwecke der Aufnahme in das Steuerlager abgegebene Mineralöl – das, wie eingangs ausgeführt, nur aus diesem Grund mit einer bedingten Steuerschuld belastet ist – in das Lager tatsächlich aufgenommen wurde oder nicht. Dieses Ergebnis wäre mit den vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) aufgestellten Auslegungsgrundsätzen, denen zufolge der „objektivierte Wille”, d. h. der im Gesetzeswortlaut zum Ausdruck kommende Wille des Gesetzgebers maßgebend ist – vgl. die Entscheidungen des BVerfG 2 BvL 11/59, 11/60 vom 17. Mai 1960 (Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 11 S. 126 [130] – BVerfGE 11, 126 [130] –); 2 BvL 6/59 vom 19. Dezember 1961 (BVerfGE 13, 261 [268]); in Übereinstimmung damit Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) III A 13/53 vom 17. September 1953 (Die Öffentliche Verwaltung 1954 S. 30 – DÖV 1954, 30 –) – und eine Ermächtigungsvorschrift nach ihrem Sinnzusammenhang mit anderen Vorschriften und nach dem von ihr selbst verfolgten Sinn auszulegen ist – vgl. Entscheidungen des BVerfG 2 BvL 4, 26, 40/56, 1, 7/57 vom 12. November 1958 (BVerfGE 8, 274 [307] – nicht zu vereinbaren.
Der Senat kommt somit zusammenfassend zu dem Ergebnis, daß die Regelung in § 36 Abs. 9 Nr. 1 in Verbindung mit § 36 Abs. 1 Satz 3 MinöStDV 1960 durch die gesetzliche Ermächtigung in § 15 Abs. 2 Nr. 4 b des Gesetzes gedeckt und somit rechtswirksam ist. Das bedeutet, daß diese Regelung auf das nach dem 22. September 1960 – dem Zeitpunkt des Regelung auf das nach dem 22. September 1960 – dem (BGBl I 1960, 745) – nicht in das Steuerlager aufgenommene Mineralöl anzuwenden ist und im Falle des Verstoßes gegen sie nach § 1 StSäumG Säumniszuschläge festzusetzen sind. Ob und inwieweit diese aus den von der Klägerin geltend gemachten Gründen im Billigkeitswege nach § 131 AO erlassen werden können, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits.
Da die Vorinstanz zu einem anderen Ergebnis gelangt ist, war ihre Entscheidung aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif, weil die nach dem Stichtag nicht eingelagerten Mineralölmengen und verspätet gezahlten Mineralölsteuern bisher nicht festgestellt sind, der Senat seinerseits aber an die Feststellungen der Vorinstanz gebunden ist, § 118 Abs. 2 FGO. Die Sache geht daher an das FG zurück, damit dieses die genannten Feststellungen nachholt und dann erneut entscheidet (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 514613 |
BFHE 1969, 248 |