Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Zur Berücksichtigung von Fahrtkosten bei einem Steuerpflichtigen, der neben den Einkünften aus einem Arbeitsverhältnis gewerbliche Einkünfte aus der Beteiligung an einer KG hat, und der wegen dieser Beteiligung seinen Wohnsitz in einer Entfernung von wesentlich mehr als 40 km von seinem Beschäftigungsort beibehält und täglich zu seinem Arbeitsort und zurück fährt.
Normenkette
EStG § 4 Abs. 4, § 9 Ziff. 4, § 12; LStDV § 20 Abs. 2 Ziff. 2
Tatbestand
Der Steuerpflichtige ist seit 1960 Regierungsinspektor in A.; vorher war er Komplementär einer KG in B, an der seine Ehefrau als Kommanditistin beteiligt war. Nach seiner Einstellung als Beamter tauschte der Steuerpflichtige mit seiner Ehefrau die Gesellschafterstellung. Er wohnt weiterhin in B. und fährt täglich zu seinem 85 km entfernten Beschäftigungsort A. Im Jahre 1963 hat er beantragt, 0,50 DM je km gemäß § 20 Abs. 2 Ziff. 2 LStDV als Werbungskosten zu berücksichtigen. Das Finanzamt hat den Pauschbetrag von 0,50 DM jedoch nur für eine Entfernung von 40 km gewährt, da der Steuerpflichtige aus nicht zwingenden persönlichen Gründen seine Wohnung in der großen Entfernung von seiner Arbeitsstätte beibehalten habe.
Die dagegen eingelegte Sprungberufung hatte Erfolg. Das Finanzgericht hielt die in § 20 Abs. 2 Ziff. 2 Satz 2 LStDV vorgenommene Begrenzung auf 40 km für rechtsungültig da weder § 9 Ziff. 4 Satz 2 EStG noch § 51 Abs. 1 Ziff. 1 Buchst. b EStG die Ermächtigung zu einer solchen Begrenzung enthalte. Das Finanzgericht schloß sich auch nicht dem Rechtsgrundsatz im Urteil des Senats VI 33/58 U vom 16. Mai 1958 (BStBl 1958 III S. 303, Slg. Bd. 67 S. 81) an, daß bei Steuerpflichtigen, die ohne zwingenden Grund ungewöhnlich weit von ihrer Arbeitsstätte entfernt wohnten, die Fahrtkosten für mehr als 40 km Kosten der Lebenshaltung seien, die nach § 12 Ziff. 1 EStG steuerlich nicht berücksichtigt werden könnten. Das Finanzgericht meinte, die wörtliche Anwendung des § 9 Ziff. 4 Satz 1 EStG lasse diese Auslegung nicht zu. Dies bestätige auch die Entstehungsgeschichte des § 9 Ziff. 4 EStG.
Der Vorsteher des Finanzamts weist zur Begründung seiner Rb. auf die Rechtsprechung des Senats hin, der die in § 20 Abs. 2 Ziff. 2 Satz 2 LStDV enthaltene Begrenzung der Fahrtkosten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte auf eine Entfernung von 40 km in den Urteilen VI 33/58 U (a. a. O.) und VI 159/58 S vom 18. März 1960 (BStBl 1960 III S. 255, Slg. Bd. 71 S. 21) gebilligt habe. Die der Bundesregierung in § 9 Ziff. 4 EStG erteilte Ermächtigung zum Erlaß einer Rechtsverordnung dürfe nicht nur aus dem Wortlaut der Vorschrift entnommen werden, sondern sei aus dem gesamten Zusammenhang zu bestimmen. Die mit der 40-km-Grenze eingeführte Typisierung diene der Gleichmäßigkeit der Besteuerung.
Entscheidungsgründe
Die Rb. gegen das in den "Entscheidungen der Finanzgerichte" (EFG) 1964 S. 166 veröffentlichte angefochtene Urteil führt zu dessen Aufhebung.
Der Senat hat im Urteil VI 159/58 S (a. a. O.) in übereinstimmung mit dem Bundesminister der Finanzen die Rechtsgültigkeit des § 20 Abs. 2 Ziff. 2 LStDV trotz gewisser Bedenken bejaht (siehe hierzu auch die "Untersuchungen zum Einkommensteuerrecht - Bericht der Einkommensteuer-Kommission -", Heft 7 der Schriftenreihe des Bundesministeriums der Finanzen, S. 136), weil die Regelung bei sinngemäßer Auslegung des § 9 Ziff. 4 in Verbindung mit § 12 Ziff. 1 EStG rechtlich einwandfrei sei. Die Ausführungen des Finanzgerichts veranlassen den Senat nicht zu einer anderen Beurteilung.
Die Auffassung des Finanzgerichts, § 20 Abs. 2 Ziff. 2 LStDV sei rechtsungültig, weil diese Bestimmung eine unzulässige Einschränkung des § 9 Ziff. 4 Satz 1 EStG bedeute, nach dem die Fahrtkosten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte immer in vollem Umfang Werbungskosten seien, stellt die Auslegung der Vorschrift nach dem Wortlaut zu sehr in den Vordergrund und beachtet nicht ausreichend, daß bei der Auslegung der Vorschriften eines Gesetzes auch der Sinnzusammenhang angemessen zu berücksichtigen ist.
Daß § 9 Ziff. 4 Satz 1 EStG die Fahrtkosten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nicht uneingeschränkt den Werbungskosten zurechnen will, ergibt sich auch aus Satz 2, der eine "Abgeltung" dieser Kosten nach Maßgabe einer Rechtsverordnung vorsieht. Die ab 1955 geltende Neuregelung sollte eine einfache und gleichmäßige Behandlung aller Arbeitnehmer ermöglichen. Es spricht aber nichts dafür, daß der Gesetzgeber damals beabsichtigt hätte, die Fahrtkosten in Zukunft ohne räumliche Begrenzung als Werbungskosten zu berücksichtigen, vor allem, daß die sonst das Einkommensteuerrecht beherrschende Grundregel, daß alles, was der privaten Lebenshaltung der Steuerpflichtigen zuzurechnen ist, für die Fahrtkosten nicht mehr gelten sollte. Daß nach dem Wortlaut des § 9 Ziff. 4 EStG bei den Kraftfahrzeugkosten eine "Abgeltung" erfolgen sollte, beweist, daß dem Gesetzgeber eine Typisierung dieser Kosten vorschwebte, ohne die individuellen Verhältnisse der Steuerpflichtigen allzu weit zu berücksichtigen. Auf Grund ähnlicher Erwägungen hat der Senat auch die Zurechnung von Mehraufwendungen für Verpflegung bei mehr als 12stündiger Abwesenheit eines Arbeitnehmers von seiner Wohnung dann nicht zu den Werbungskosten gerechnet, wenn die lange Abwesenheit darauf zurückzuführen ist, daß der Arbeitnehmer aus persönlichen Gründen seine Wohnung in ungewöhnlich weiter Entfernung vom Arbeitsort wählt (Urteil des Senats VI 172/63 U vom 15. Oktober 1964, BStBl 1965 III S. 31, Slg. Bd. 81 S. 90).
Daß die Fahrtkosten grundsätzlich nur bis zu einer Entfernung von 40 km zwischen Wohnort und Arbeitsstätte Werbungskosten sind, ist daher eine sinngemäße und rechtlich einwandfreie Auslegung des § 9 Ziff. 4 EStG (Urteil des Senats VI 33/58 U, a. a. O.). Wohnt ein Arbeitnehmer ohne zwingenden Grund in einer Entfernung von mehr als 40 km vom Arbeitsort, so ist daher im allgemeinen anzunehmen, daß die Kosten, die für die Fahrten über 40 km hinaus entstehen, auf persönlichen Gründen beruhen und deshalb als Kosten der privaten Lebenshaltung keine Werbungskosten sind.
Die weite Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte steht der Berücksichtigung der Fahrtkosten allerdings nicht entgegen, wenn der Arbeitnehmer seinen Wohnsitz aus zwingenden Gründen so weit entfernt von seinem Arbeitsort hat. Ob diese Voraussetzung vorliegt, ist unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände im Einzelfall zu beurteilen (Urteile des Senats VI 33/58 U, a. a. O.; VI 75/61 U vom 23. Februar 1962, BStBl 1962 III S. 191, Slg. Bd. 74 S. 510; VI 156/57 vom 13. Juni 1958, Der Betrieb - DB - 1958 S. 790). Die Weigerung der Ehefrau, an den Beschäftigungsort ihres Ehemanns umzuziehen, rechtfertigt aber nicht ohne weiteres die Annahme, der Steuerpflichtige habe den Wohnsitz aus zwingenden persönlichen Gründen in der ungewöhnlich weiten Entfernung vom Beschäftigungsort beibehalten. Eine ortsgebundene Berufstätigkeit der Ehefrau, z. B. als freiberuflich tätige ärztin, deren Aufgabe ihr nicht zuzumuten sei und andere wichtige familiäre Erwägungen, könnte aber in der Regel als wichtiger persönlicher Grund für die Beibehaltung der weit entfernt liegenden Wohnung anzuerkennen sein (vgl. Urteil des Senats VI 204/56 U vom 23. August 1957, BStBl 1957 III S. 362, Slg. Bd. 65 S. 342).
Als wichtiger Grund können aber auch außerhalb des persönlichen und familiären Bereichs liegende Verhältnisse in Betracht kommen. Im Streitfall hat der Steuerpflichtige vorgetragen, seine Ehefrau müsse als Komplementärin der KG in B. wohnen bleiben und er müsse sie bei der Führung des Betriebs ständig beraten. Dieser Einwand ist rechtserheblich. Daß die vom Steuerpflichtigen mit seinem Bruder nach dem Krieg in einem bekannten Weinbaugebiet gegründete Weinhandelsfirma, deren Umsätze in den Jahren 1960 und 1961 zwischen etwa 400 000 und 500 000 DM jährlich lagen, nicht an einen anderen Ort verlegt werden kann, ist glaubhaft und ebenso auch, daß die Fachkenntnisse des Steuerpflichtigen bei der Führung dieses Geschäfts nicht zu entbehren sind. Bei diesen besonderen Verhältnissen ist die Feststellung gerechtfertigt, daß der Steuerpflichtige seine Wohnung in B. aus einem wichtigen, auf der Beteiligung an der Weinhandelsfirma liegenden Grund beibehalten hat. Aus familiären Gründen wäre der Steuerpflichtige, nicht zuletzt wegen der Kosten, wohl nur einmal wöchentlich, jedenfalls aber nicht täglich von seinem Beschäftigungsort A. zu seiner 85 km entfernten Familienwohnung in B. gefahren. Ist aber anzunehmen, daß der Steuerpflichtige die täglichen Fahrten im Interesse der Weinhandelsfirma gemacht hat, so sind die Kosten dieser Fahrten durch den Gewerbebetrieb veranlaßt, also Betriebsausgaben (§ 4 Abs. 4 EStG).
Im vorliegenden Rechtsstreit geht es um die Berücksichtigung der Aufwendungen für die täglichen Familienheimfahrten als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, und zwar um die Gewährung eines Freibetrags bei der Lohnsteuer. Sind die streitigen Kosten aber Betriebsausgaben bei den gewerblichen Einkünften, so können sie bei der Lohnsteuer und damit im vorliegenden Verfahren nicht als Werbungskosten berücksichtigt werden. Das Finanzamt hat dem Steuerpflichtigen jedoch den begehrten Werbungskosten-Pauschbetrag von 0,50 DM je Fahrtkilometer für eine Entfernung von 40 km zugebilligt und einen entsprechenden Lohnsteuerfreibetrag gewährt, der bei der Lohnsteuerberechnung des Streitjahres auch zugrunde gelegt wurde. Da diese Sachbehandlung nach den obigen Ausführungen nicht richtig war, kann der Steuerpflichtige im vorliegenden Rechtsstreit keinen Erfolg haben; die auf einer anderen rechtlichen Beurteilung beruhende Vorentscheidung war aufzuheben. Da der vom Finanzamt für 40 km zugebilligte Freibetrag bei der Lohnsteuer nicht gerechtfertigt ist, ergibt sich sogar für den Steuerpflichtigen eine Erhöhung der Lohnsteuer. Andererseits führt die Zurechnung der Fahrtkosten zu den Betriebsausgaben des Steuerpflichtigen bei seinen Einkünften aus Gewerbebetrieb im Ergebnis wahrscheinlich in etwa zu dem vom Steuerpflichtigen angestrebten Steuerbetrag, wenngleich die als Betriebsausgaben berücksichtigungsfähigen Fahrtkosten nicht nach § 26 Abs. 2 EStDV 1963 (§ 20 Abs. 2 Ziff. 2 Satz 2 LStDV) zu ermitteln, sondern in ihrer tatsächlichen Höhe abzugsfähig sind. Aus den dem Senat vorliegenden Akten ist nicht ersichtlich, ob der Abzug der Fahrtkosten bei der einheitlichen Feststellung der gewerblichen Einkünfte der Weinhandelsfirma oder bei der persönlichen Einkommensbesteuerung des Steuerpflichtigen noch möglich ist. Der Senat hält es unter diesen Umständen für zweckmäßig, die Sache an das Finanzgericht zurückzuverweisen, damit die Beteiligten aus dem Urteil Folgerungen ziehen und eine dem geltenden Recht entsprechende Besteuerung herbeiführen können.
Fundstellen
Haufe-Index 411793 |
BStBl III 1965, 736 |
BFHE 1966, 651 |
BFHE 83, 651 |
BB 1966, 23 |
DB 1966, 95 |
DStR 1966, 87 |