Entscheidungsstichwort (Thema)
Zum Verhältnis zwischen Einheitswertbescheid und Gewerbesteuermeßbescheid
Leitsatz (NV)
1. Die Eröffnung des Konkursverfahrens steht nur dem Erlaß von Steuerbescheiden, die mit einem Leistungsgebot verbunden sind, nicht aber dem Erlaß feststellender Bescheide entgegen, mit denen keine Steuer geltend gemacht wird.
2. Der Erlaß eines Bescheids zur Feststellung des Einheitswerts des gewerblichen Betriebs ist grundsätzlich Verfahrensvoraussetzung für die Feststellung des einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrags.
3. Auch wenn der Bescheid über die Feststellung des Einheitswerts des gewerblichen Betriebs noch nicht ergangen ist, ist die Festsetzung des einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrags nach § 155 Abs. 2, § 162 Abs. 3 AO 1977 zulässig.
4. Das Finanzamt darf die Besteuerungsgrundlagen nicht vorläufig nach § 155 Abs. 2, § 162 Abs. 3 AO 1977 schätzen, wenn es einen Einheitswertbescheid als Grundlagenbescheid ohne weiteres erlassen könnte.
5. Gegebenenfalls muß das FG das Verfahren nach § 74 FGO aussetzen, um dem Finanzamt Gelegenheit zu geben, den ausstehenden Einheitswertbescheid zu erlassen.
Normenkette
GewStG § 12 Abs. 1, 5, § 14 Abs. 1; AO 1977 § 155 Abs. 2, § 162 Abs. 3, § 171 Abs. 10; FGO § 74
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Verwalter in dem am 16. Juli 1975 eröffneten Konkursverfahren über das Vermögen der GmbH.
Nach einer Betriebsprüfung setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) den einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrag für 1976 auf 15 862 DM fest, der auf folgender Berechnung des Steuermeßbetrags nach dem Gewerbekapital beruht: . . .
Der Bescheid über die Feststellung des Einheitswerts des gewerblichen Betriebs auf den 1. Januar 1974 wurde nicht bekanntgegeben.
Der Gewerbesteuermeßbescheid 1976 ist am 6. April 1979 an den Kläger abgesandt worden; der Kläger hat am 18. April 1979 Einspruch mit der Begründung erhoben, Gewerbekapital der in Konkurs gefallenen GmbH sei nicht mehr vorhanden.
Das FA teilte dem Kläger am 10. Mai 1979 mit, sein Einspruch sei nicht begründet. Als Gewerbekapital gelte der Einheitswert per 1. Januar 1974; hinzuzurechnen seien die bei dessen Ermittlung abgezogenen Dauerschulden.
Der Kläger faßte das Schreiben vom 10. Mai 1979 als Einspruchsentscheidung auf. Er hat am 14. Mai 1980 (Schriftsatz vom 13. Mai 1980) Klage erhoben. Vor Ergehen der finanzgerichtlichen Entscheidung hat das FA eine Einspruchsentscheidung erlassen.
Die Klage hatte nur Erfolg, soweit das FA einen unrichtigen Betrag der Einheitswerte inländischer Grundstücke bei der Ermittlung des Gewerbesteuermeßbetrags nach dem Gewerbekapital abgezogen hatte.
Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung des § 2 Abs. 2 Nr. 2 und des § 12 Abs. 2 Nr. 1 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG).
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das FG wird das Verfahren aussetzen (§ 74 FGO) und das Ergehen eines Einheitswertbescheids auf den 1. Januar 1974 abzuwarten haben.
1. Die Eröffnung des Konkursverfahrens stand der Festsetzung des Gewerbesteuermeßbetrags nicht entgegen.
Die Steuerpflicht der GmbH war durch die Eröffnung des Konkursverfahrens und die Einstellung des Betriebs der GmbH nicht weggefallen, da zufolge § 2 Abs. 2 Nr. 2 GewStG in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. August 1974 (BGBl I 1974, 1971, BStBl I 1974, 658) die Tätigkeit der GmbH als Kapitalgesellschaft stets und in vollem Umfang als Gewerbebetrieb gilt. Es kommt nicht darauf an, ob die ausgeübte Tätigkeit ihrer Art nach nichtgewerblich ist (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 13. Dezember 1960 I 245/60 U, BFHE 72, 177, BStBl III 1961, 66; vom 20. Oktober 1976 I R 148/74, BFHE 120, 265, BStBl II 1977, 10; vom 8. Juni 1977 I R 40/75, BFHE 122, 318, BStBl II 1977, 668). § 2 Abs. 4 GewStG hat für Kapitalgesellschaften keine Bedeutung, da die Steuerpflicht zufolge der Regelung des § 2 Abs. 2 Nr. 2 GewStG nicht vom Vorhandensein eines gewerblichen Betriebs abhängig ist.
Der angefochtene Bescheid ist nicht deshalb rechtswidrig, weil er nach Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der GmbH ergangen ist, da die Eröffnung des Konkursverfahrens nur dem Erlaß von Steuerbescheiden, die mit einem Leistungsgebot verbunden sind, nicht aber dem Erlaß feststellender Bescheide, mit denen eine Steuerforderung nicht geltend gemacht wird, entgegensteht (BFH-Urteile vom 17. Juli 1985 I R 117/84, BFHE 144, 198, BStBl II 1985, 650; vom 12. Dezember 1985 IV R 330/84, BFHE 145, 495, BStBl II 1986, 408).
2. Der Gewerbesteuermeßbescheid hätte nicht ohne vorherige Feststellung des Einheitswertes des gewerblichen Betriebs der GmbH erlassen werden dürfen.
Der Gewerbesteuermeßbetrag nach dem Gewerbekapital ist auf der Grundlage des Einheitswerts des gewerblichen Betriebs zu ermitteln (§ 12 Abs. 1 GewStG). Der Bescheid über die Feststellung des Einheitswerts des gewerblichen Betriebs (§ 180 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung - AO 1977 -, § 12 Abs. 5 GewStG) ist Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10 AO 1977) des einheitlichen Gewerbesteuermeßbescheids, in den der Meßbetrag nach dem Gewerbekapital eingeht (§ 14 Abs. 1 GewStG). Der Bescheid zur Feststellung des Einheitswerts des gewerblichen Betriebs (§§ 19, 95 des Bewertungsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. September 1974 - BewG -, BGBl I 1974, 2369, BStBl I 1974, 862) ist für den einheitlichen Gewerbesteuermeßbescheid bindend (§ 182 Abs. 1 AO 1977). Somit ist der Bescheid zur Feststellung des Einheitswerts des gewerblichen Betriebs grundsätzlich Verfahrensvoraussetzung für die Feststellung des einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrags (vgl. BFH-Urteil vom 17. Mai 1978 I R 50/77, BFHE 125, 423, BStBl I 1978, 579).
Da der 1. Januar 1974 ein Hauptfeststellungszeitpunkt für die Feststellung des Einheitswerts des gewerblichen Betriebs war (§ 124 Nr. 2 BewG), hätte das FA zufolge § 12 Abs. 5 GewStG - unbeschadet einer Verpflichtung zur Wertfortschreibung - zumindest auf den 1. Januar 1974 einen Bescheid zur Feststellung des Einheitswerts des gewerblichen Betriebs der GmbH erteilen müssen. Das Konkursverfahren stand dem Erlaß des Einheitswertbescheids nicht entgegen (BFHE 145, 495, BStBl II 1986, 408).
Die Voraussetzungen, unter denen nach dem BFH-Beschluß vom 19. Oktober 1978 IV B 34/77 (BFHE 125, 510, BStBl II 1978, 632) bei der Einkommensteuer - schon vor der Einfügung des § 155 Abs. 2 und des § 162 Abs. 3 in die AO 1977 (durch das Gesetz vom 20. August 1980, BGBl I 1980, 1545, BStBl I 1980, 589) - eine ,,Teilsteuerfestsetzung" zulässig war, stimmen mit denen der Ermittlung des Gewerbesteuermeßbetrags nach dem Gewerbekapital nicht überein, so daß eine die Anrufung des Großen Senats gebietende Abweichung von der Entscheidung des IV. Senats nicht vorliegt.
3. Der angefochtene Gewerbesteuermeßbetragsbescheid ist nicht durch § 155 Abs. 2, § 162 Abs. 3 AO 1977 gerechtfertigt.
a) Auf die Festsetzung von Steuermeßbeträgen sind die Vorschriften über die Steuerfestsetzung sinngemäß anzuwenden (§ 184 Abs. 1 Satz 3 AO 1977), so daß grundsätzlich die Festsetzung des einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrags nach § 155 Abs. 2, § 162 Abs. 3 AO 1977 zulässig sein kann, wenn der Bescheid über die Feststellung des Einheitswerts des gewerblichen Betriebs noch nicht ergangen ist. Insoweit ist das System der gesonderten Feststellung von Besteuerungsgrundlagen (siehe oben 2. und BFHE 125, 423, BStBl II 1978, 579) eingeschränkt.
Der Heranziehung des § 155 Abs. 2, § 162 Abs. 3 AO 1977 im Streitfall steht nicht entgegen, daß diese Vorschriften erst durch das Gesetz vom 20. August 1980 (BGBl I 1980, 1545, BStBl I 1980, 589) und damit nach der Erteilung des angefochtenen Bescheids (6. April 1979) in die AO 1977 eingefügt worden sind. Als das Verfahren regelnde Vorschriften können sie im gerichtlichen Verfahren zur Rechtfertigung von Verfahrenshandlungen auch dann angewandt werden, wenn der angefochtene Verwaltungsakt vor ihrem Inkrafttreten wirksam geworden ist (BFH-Beschluß vom 24. Februar 1981 VIII B 14/78, BFHE 132, 402, BStBl II 1981, 416; Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Juni 1981 2 BvR 594/81, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Abgabenordnung, § 155, Rechtsspruch 4).
Da das Erfordernis der gesonderten Feststellung des Einheitswerts des gewerblichen Betriebs als Grundlage der Ermittlung des Gewerbesteuermeßbetrags nach dem Gewerbekapital durch § 155 Abs. 2, § 162 Abs. 3 AO 1977 nicht beseitigt - sondern nur eingeschränkt - worden ist, hätte das FA grundsätzlich dementsprechend verfahren müssen, sofern nicht die besonderen Voraussetzungen für die Anwendung des § 155 Abs. 2 AO 1977 erfüllt waren. Aus dem Wortlaut des § 155 Abs. 2 AO 1977 und aus der grundsätzlichen Aufrechterhaltung der gesonderten Feststellung von Besteuerungsgrundlagen (§ 179 Abs. 1 AO 1977) folgt, daß - als vorläufige Maßnahme - die Erteilung eines Bescheids unter Schätzung festzustellender Besteuerungsgrundlagen nur zulässig ist, wenn der Erlaß des Grundlagenbescheids sich verzögert, seine Erteilung aber noch beabsichtigt ist (BFH-Urteil vom 26. Juli 1983 VIII R 28/79, BFHE 139, 335, 339, BStBl II 1984, 290). Es braucht im Streitfall nicht entschieden zu werden, unter welchen Voraussetzungen das FA von der Möglichkeit Gebrauch machen kann, einen ,,Folgebescheid" vor Ergehen des Grundlagenbescheids zu erlassen. Es darf jedenfalls von einer gesetzlich vorgeschriebenen gesonderten Feststellung nicht absehen, wenn es den Grundlagenbescheid ohne weiteres erlassen könnte.
b) Das FA hat die dem angefochtenen Gewerbesteuermeßbescheid zugrundeliegenden Besteuerungsgrundlagen auch insoweit geschätzt, als diese in einem Bescheid über die Feststellung des Einheitswerts des gewerblichen Betriebs der GmbH festzustellen gewesen wären. Gründe dafür, warum der Einheitswertbescheid nicht erteilt worden ist, sind nicht ersichtlich. Das FA hat damit den Bescheid nicht als eine vorläufige Maßnahme erlassen, der ein Grundlagenbescheid noch folgen sollte. Vielmehr ist nach den gegebenen Verhältnissen davon auszugehen, daß das FA den Bescheid zur Feststellung des Einheitswerts des gewerblichen Betriebes der GmbH nicht mehr erlassen wollte. Der angefochtene Bescheid ist sonach unter Verletzung des sich aus § 180 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 i.V.m. § 12 Abs. 1, Abs. 5 GewStG und §§ 19, 21, 95 BewG ergebenden Gebots, an den gesondert festzustellenden Einheitswert des gewerblichen Betriebs anzuknüpfen, ergangen und nicht durch die besondere Regelung des § 155 Abs. 2 AO 1977 gerechtfertigt.
4. Die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids kann dadurch behoben werden, daß das FA die Erteilung des bisher nicht erlassenen Feststellungsbescheids nachholt. Das FG hätte deshalb vor der Erteilung des Einheitswertbescheids auf den 1. Januar 1974 nicht über die Klage entscheiden dürfen. Vielmehr hätte es das Verfahren nach § 74 FGO aussetzen und dem FA dadurch Gelegenheit geben müssen, den ausstehenden Bescheid zu erlassen (vgl. BFH-Urteile vom 26. Juli 1983 VIII R 28/79, BFHE 139, 335, BStBl II 1984, 290; vom 26. Juli 1984 IV R 13/84, BFHE 142, 96, BStBl II 1985, 3; vom 12. November 1985 IX R 85/82, BFHE 145, 308, BStBl II 1986, 239). Zur Beseitigung des die Grundordnung des Verfahrens betreffenden und deshalb auch ohne Rüge zu beachtenden Verfahrensfehlers des FG wird die Vorentscheidung aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen.
Fundstellen
Haufe-Index 414790 |
BFH/NV 1987, 564 |