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BFH Urteil vom 08.11.1995 - XI R 14/95

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Verdeckte Mitunternehmerschaft und Fremdvergleich

 

Leitsatz (amtlich)

Die Voraussetzungen, nach denen Gesellschaftsverträge zwischen Eheleuten nur dann der Besteuerung zugrunde gelegt werden können, wenn sie rechtswirksam zustande gekommen sind, einem Fremdvergleich standhalten und tatsächlich vollzogen werden, beziehen sich nur auf die Verträge, die die Eheleute nach außen hin wie Fremde abgeschlossen und zum Gegenstand ihrer Rechtsbeziehungen gemacht haben. Im Rahmen einer verdeckten Mitunternehmerschaft haben diese Voraussetzungen keine Bedeutung.

 

Normenkette

EStG § 15 Abs. 1 Nr. 2

 

Verfahrensgang

FG Münster

 

Tatbestand

I. Streitig ist das Vorliegen einer verdeckten Mitunternehmerschaft. Die Beigeladene und Revisionsklägerin (Beigeladene) und der Kläger waren miteinander verheiratet. Im Jahr 1972 mußte der Kläger wegen Konkurses eine von ihm betriebene Fabrik aufgeben. Danach war er als Handelsvertreter tätig. Die Beigeladene eröffnete im Jahr 1978 eine Praxis als Heilpraktikerin. Der Kläger arbeitete nach dem Bestehen der Heilpraktiker-Prüfung seit 1983 in der Praxis der Beigeladenen mit. Am 18. September 1984 schlossen der Kläger und die Beigeladene einen Arbeitsvertrag auf unbefristete Dauer. Als Arbeitsentgelt sollte der Kläger ein monatliches Gehalt von 800 DM erhalten. Der Kläger verpflichtete sich, "die aus dem Berufsbild sich ergebenden Arbeiten zu verrichten. Hierzu zählen insbesondere folgende Tätigkeiten: Vertretung in der Praxis während der Abwesenheit des Arbeitgebers." Die Arbeitszeit sollte wöchentlich 15 Stunden betragen. Seit August 1987 war der Kläger nicht mehr in der Praxis der Beigeladenen tätig. Die Ehe wurde im Dezember 1987 geschieden.

Im September 1987 klagte der Kläger auf Zahlung der Gehälter für die Monate Juli und August sowie auf Herausgabe der Arbeitspapiere. Als Zeugen vernahm das Arbeitsgericht den Steuerbevollmächtigten J, der die Bücher der Beigeladenen geführt und den Gewinn ermittelt hatte. J sagte aus, daß seiner Ansicht nach die Praxis gemeinsam in der Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) geführt worden sei. Die Eheleute hätten ihn beauftragt, einen Arbeitsvertrag aufzusetzen, der den Zugriff der Gläubiger auf das Vermögen des Klägers habe verhindern sollen. Der Betrag von 800 DM sei gewählt worden, damit die Krankenversicherungsbeiträge nicht zu hoch ausfielen. Der Kläger habe mehr als 15 Stunden gearbeitet.

Im September 1988 erhob der Kläger Klage mit dem Antrag, die Beigeladene zu verurteilen, Auskunft über den Stand ihres Vermögens zum 15. August 1987 zu erteilen. Die Eheleute hätten das Einkommen und Vermögen gemeinsam erwirtschaftet. Wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage ständen ihm Ausgleichsansprüche zu. Das Landgericht A gab der Klage statt; es ging davon aus, daß zwischen der Beigeladenen und dem Kläger eine GbR bestanden habe.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) lehnte den Antrag der Beigeladenen auf Durchführung einheitlicher und gesonderter Feststellungen der Einkünfte 1986 und 1987 zunächst ab. Die Beigeladene erhob Einspruch, den sie u.a. damit begründete, daß sie eine zweite Praxis in B übernommen gehabt habe. Die Praxis in H habe der Kläger eigenverantwortlich geführt. Der Arbeitsvertrag sei ein reiner Scheinvertrag gewesen. Mit Bescheiden vom 1. Juli 1991 stellte das FA die Einkünfte der Beigeladenen und des Klägers einheitlich und gesondert fest (... DM für 1986, ... DM für 1987) und rechnete die festgestellten Beträge der Beigeladenen und dem Kläger jeweils zur Hälfte zu. Der Einspruch des Klägers hatte keinen Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Eine Mitunternehmerstellung verlange Mitunternehmerinitiative und Mitunternehmerrisiko. Seien Vertragsbeziehungen zwischen Ehegatten zu beurteilen, sei weitere Voraussetzung für deren Anerkennung, daß sie rechtswirksam zustande gekommen seien, inhaltlich dem unter Fremden Üblichen entsprächen und auch tatsächlich durchgeführt seien. Selbst wenn gesellschaftsrechtliche Vereinbarungen getroffen worden sein sollten, sei nach diesen Grundsätzen im Streitfall keine Gewinnfeststellung durchzuführen. So sei es zwischen fremden Gesellschaftern nicht üblich, daß ein Gesellschafter nach eigenem Gutdünken --wie es der Kläger getan habe-- Entnahmen tätige. Eine klare und eindeutige Vereinbarung über die den einzelnen Mitunternehmern zustehenden Gewinnanteile und die tatsächliche Durchführung dieser Vereinbarung liege nicht vor. Der Kläger und die Beigeladene hätten am Schluß des Geschäftsjahres weder einen Rechnungsabschluß erstellt noch eine Gewinnverteilung vorgenommen.

Mit der Revision rügt die Beigeladene, daß das FG die Voraussetzungen für die Annahme einer Mitunternehmerschaft um das Erfordernis des Fremdvergleichs erweitert habe. Es entspreche aber gerade dem Wesen einer verdeckten Gesellschaft, daß diese nicht als Gesellschaft in Erscheinung trete, sondern ein anderes Rechtsverhältnis vorgeschoben werde, wie es vorliegend in der Form eines zivilrechtlich unwirksamen Scheinarbeitsverhältnisses geschehen sei. Die Grundsätze zum Fremdvergleich könnten allenfalls insoweit Bedeutung besitzen, als danach das Ehegattenarbeitsverhältnis nicht anerkannt werden könne. Die Berücksichtigung der Vereinbarung vom 18. September 1984 begründe einen Verfahrensfehler. Das Gericht hätte J als Zeugen vernehmen müssen. Aufgrund der bekannten Tatsachen könne der Rechtsstreit abschließend entschieden werden. Der Kläger habe über die Einnahmen nach eigenem Gutdünken verfügen dürfen und auch verfügt. Er habe die gesamten Einnahmen aus beiden Praxen selbständig verwaltet. Für die Filiale in B habe sie, die Beigeladene, kein eigenes Konto gehabt. Wegen des drohenden Gläubigerzugriffs habe der Kläger kein Interesse daran gehabt, nach außen als Bezieher erheblicher Einkünfte oder Inhaber von Vermögenswerten zu erscheinen. Auch habe der Kläger Ausgaben und Anschaffungen für die gemeinsame Praxis getätigt und vielfach allein entschieden. Der kaufmännische Bereich sei von ihm wahrgenommen worden. Die unternehmerischen Entscheidungen seien zwischen ihr und dem Kläger abgestimmt worden. Noch 1992 habe der Kläger selbst eingeräumt, wöchentlich 40 Stunden tätig gewesen zu sein. Die Besprechungen mit dem Steuerberater seien von ihr und dem Kläger gemeinsam geführt worden.

Die Beigeladene beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Das FA, das sich der Auffassung der Beigeladenen angeschlossen hat, beantragt ebenfalls,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Dem FG sei insbesondere darin beizutreten, daß eine klare und eindeutige Vereinbarung über die den einzelnen Mitunternehmern zustehenden Gewinnanteile und die tatsächliche Durchführung dieser Vereinbarung fehle. Er, der Kläger, sei von der Beigeladenen vollkommen abhängig gewesen; die Gewinne der Praxis seien nicht verteilt worden. Die Regelung des § 722 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) sei nicht zur Durchführung gelangt. Es fehle aber auch an den übrigen Voraussetzungen zur Annahme einer Mitunternehmerschaft. Er habe keine Mitunternehmerinitiative entfalten können. Wenn man den schriftlichen Arbeitsvertrag nicht anerkennen wolle, so könne aufgrund der konkreten Gegebenheiten nur davon ausgegangen werden, daß es sich um eine "causa-lose" Ehegattenmitarbeit im Betrieb der Beigeladenen gehandelt habe. Auch die Beigeladene selbst und J seien noch 1988 davon ausgegangen, daß die Beigeladene alleinige Steuerschuldnerin gewesen sei.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet; sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Das FG hat die Bedeutung der Grundsätze zum Fremdvergleich verkannt.

1. Verträge zwischen Eheleuten können nur dann der Besteuerung zugrunde gelegt werden, wenn sie rechtswirksam zustande gekommen sind, einem Fremdvergleich standhalten und tatsächlich vollzogen werden. Diese Voraussetzungen gelten auch für Gesellschaftsverträge (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 10. November 1992 VIII R 100/90, BFH/NV 1993, 538; vom 26. November 1992 IV R 53/92, BFHE 170, 94, BStBl II 1993, 395; Stuhrmann, Einzelfragen zur Familienpersonengesellschaft, Festschrift für Ludwig Schmidt, 1993, S.403, 406 f.; Gassner, Steuergestaltung und ihre Grenzen bei Familiengesellschaften, Festschrift für Ludwig Schmidt, 1993, S.771, 777 f.). Entgegen der Auffassung des FG beziehen sich diese Voraussetzungen aber nur auf die Verträge, die die Eheleute nach außen hin wie Fremde abgeschlossen und zum Gegenstand ihrer Rechtsbeziehungen gemacht haben (vgl. etwa zur Vereinbarung über eine stille Gesellschaft BFH-Urteil vom 13. Juni 1989 VIII R 47/85, BFHE 157, 192, BStBl II 1989, 720; zu einer Gewinnverteilungsabrede BFH-Urteil vom 19. Januar 1993 VIII R 128/84, BFHE 170, 511, BStBl II 1993, 594; zu einer Unterbeteiligungsabrede zwischen Vater und Kindern BFH-Urteil vom 27. Januar 1994 IV R 114/91, BFHE 174, 219, BStBl II 1994, 635; Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, 14. Aufl., 1995, § 4 Rz. 520 "Angehörige"; Stuhrmann, a.a.O., S.406, 407). Hingegen können diese Voraussetzungen naturgemäß keine Anwendung für die Rechtsverhältnisse finden, die durch die äußerlich getroffenen Vereinbarungen gerade verdeckt werden sollen. Würde die Auffassung des FG zutreffen, wäre das Vorliegen einer verdeckten Mitunternehmerschaft generell ausgeschlossen. Das FG hat daher die möglicherweise vorliegende verdeckte Mitunternehmerschaft zu Unrecht einem Fremdvergleich unterzogen.

2. Das FG hat im Ergebnis offengelassen, ob zwischen der Beigeladenen und dem Kläger eine (verdeckte) Mitunternehmerschaft (dazu vgl. Schmidt, a.a.O., § 15 Rz. 280 ff., m.w.N.; Priester, Die faktische Mitunternehmerschaft - ein gesellschaftsrechtliches Problem, Festschrift für Ludwig Schmidt, 1993, S.331, 348 f.) bestand. Auf der Grundlage der vom FG getroffenen Feststellungen ist es dem Senat nicht möglich, diese Rechtsfrage abschließend zu entscheiden. Dazu bedarf es weiterer Feststellungen, aus denen Art und Weise der Zusammenarbeit zwischen dem Kläger und der Beigeladenen im einzelnen hervorgeht.

 

Fundstellen

Haufe-Index 65754

BFH/NV 1996, 28

BFH/NV 1996, 28-29 (LT)

BStBl II 1996, 133

BFHE 179, 100

BFHE 1996, 100

BB 1996, 305

BB 1996, 305-306 (LT)

DB 1996, 310-311 (LT)

DStR 1996, 215 (KT)

DStZ 1996, 213-214 (KT)

HFR 1996, 188-189 (L)

StE 1996, 82 (K)

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