Leitsatz (amtlich)
1. § 7e EStG ist nicht anwendbar, wenn sich in dem Fabrikgebäude Betriebsräume befinden, die keine "mit der Fabrikation zusammenhängende übliche Kontorräume" sind. Der Senat tritt den Grundsätzen der Entscheidung des I. Senats I 126/58 U vom 14. Juli 1959 (BFH 69, 425, BStBl III 1959, 420) bei.
2. Zur Abgrenzung der verfassungsrechtlichen Aufgaben von Gesetzgebung und Rechtsprechung.
Normenkette
GG Art. 20 Abs. 3; EStG 1958 § 7e; EStDV 1958 § 22
Tatbestand
Die Steuerpflichtige, eine aus einem Ehepaar bestehende Gesellschaft bürgerlichen Rechts, betreibt eine Damenkleiderfabrik. In den Jahren 1958/1959 errichtete sie ein Betriebsgebäude, für das sie die Bewertungsfreiheit nach § 7e EStG 1958 in Verbindung mit § 22 EStDV 1958 beansprucht. Das Gebäude bildet eine Einheit und enthält Fabrikations-, Lager-, Büro- und sonstige Räume.
Nach der Berechnung des FA entfallen auf "übliche Kontor- und Lagerräume" im Sinne des § 22 Abs. 1 EStDV = 14,21 v. H. und auf nicht übliche Kontor- und sonstige Räume = 9,58 v. H. der Herstellungskosten. In den 9,58 v. H. sind auch enthalten: Eine Empfangshalle im Bürotrakt, Vertreterzimmer, Empfangsraum, Chefzimmer, Geschäftsführerzimmer und Finanzbuchhaltung, Küche für Kundenbewirtung. Das FA hält die beantragte Bewertungsfreiheit für ausgeschlossen, da auf die "üblichen" Kontor- und Lagerräume und auf die "nicht üblichen" Räume zusammen 23,79 v. H. der Baukosten entfielen. Darüber hinaus schließt nach der Auffassung des FA allein die Art der Räume, die in den 9,58 v. H. zusammengefaßt sind, aus, den § 7e EStG anzuwenden (Entscheidung des BFH I 126/58 U vom 14. Juli 1959, BFH 69, 425, BStBl III 1959, 420).
Demgegenüber berechnet die Steuerpflichtige die "üblichen" Lagerräume nur mit 13,2 v. H. und die "nicht üblichen" Lagerräume nur mit 3,4 v. H. der Baukosten. Bei dem Satz von 3,4 v. H. ist ihr allerdings insofern ein Rechenfehler unterlaufen, als sich für die auf diese Räume entfallenden 595,4 cbm umbauten Raum bei dem angewandten Durchschnittssatz von 55 DM Herstellungskosten statt der errechneten 27 247 DM ein Betrag von 32 747 DM ergibt, so daß sich der Anteil dieser Gruppe an den Gesamtkosten auf 4 v. H. erhöht.
Die Berufung hatte Erfolg. Das FG führte in seiner in EFG 1966, 327 veröffentlichten Entscheidung aus: Das BFH-Urteil I 126/58 U (a. a. O.) betreffe das Jahr 1951; wenn auch der Wortlaut des Gesetzes selbst sich in der Zwischenzeit bis 1958/1959 nicht geändert habe, so müsse das Gesetz doch unter Berücksichtigung seines Zweckes und der Entwicklung der Verhältnisse (§ 1 Abs. 2 StAnpG) jetzt anders ausgelegt werden. Das Gesetz wolle den wirtschaftlich noch nicht eingegliederten Vertriebenen beim Neuaufbau ihrer Existenz eine steuerliche Hilfe geben. Dieser Zweck werde nicht erreicht, wenn ein Unternehmer gezwungen werde, außer einer neuen Produktionsstätte zusätzlich ein Bürogebäude für die kaufmännische Abteilung seines Unternehmens zu errichten, statt beides in einem Gebäude unterzubringen, wenn das zweckmäßig sei. Der Begriff "mit der Fabrikation zusammenhängende übliche Kontor- und Lagerräume" unterliege der richterlichen Auslegung. Die Steuerpflichtige, die im Jahre 1959 baute, habe sich - anders als es im Jahre 1951 gewesen sein würde - einer modernen und rationalisierten Konkurrenz gegenübergesehen. Wenn sie unter diesen Umständen in einem einheitlichen Betriebsgebäude auch die Räume für den Einkauf, die Kalkulation, den Verkauf sowie den Verkehr mit den Abnehmern untergebracht habe, so sei sie im nunmehr üblichen Rahmen eines Fabrikationsbetriebs der Bekleidungsbranche geblieben. Die gesamten Räume, die nicht unmittelbar der Fabrikation dienten - bzw. die auf sie entfallenden Baukosten -, blieben mit den vom FA nicht widersprochenen Korrekturen der Raumaufteilung mit rund 16 v. H. unter der Grenze von 20 v. H.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung des sachlichen Rechts und macht geltend, es habe die abweichende Raumaufteilung der Steuerpflichtigen nicht unwidersprochen hingenommen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.
Schon aus der Überschrift der §§ 7e EStG und 22 EStDV ergibt sich, daß nicht jedes Betriebsgebäude der Bewertungsfreiheit teilhaftig werden soll, sofern es nur zweckdienlich und rationell aufgebaut ist. Die Bewertungsfreiheit wird vielmehr nur für bestimmte, näher umschriebene Bauten gewährt. Die Gebäude müssen nach § 7e EStG "unmittelbar" der Fertigung und ausschließlich der Lagerung von zum Absatz an Wiederverkäufer bestimmte Waren dienen. Schon aus diesem Grund ist es unzutreffend, wenn das FG die "gesamten nicht unmittelbar der Fabrikation dienenden Räume" als gleichwertig zusammenfaßt. Ebenso ist es mit dieser Wortfassung des Gesetzes unvereinbar, wenn das FG "alle diese Räume unmittelbar oder mittelbar so eng mit der Fabrikation als dem eigentlichen Gegenstand des Unternehmens" in Zusammenhang stehend bezeichnet, daß nach dem Zweck des Gesetzes die Vergünstigung nicht versagt werden könne.
Allerdings schließt es nach § 22 EStDV 1958 die Bewertungsfreiheit nicht aus, wenn sich in dem Fabrikgebäude die mit der Fabrikation unmittelbar zusammenhängenden üblichen Kontor- und Lagerräume befinden, sofern auf diese Räume nicht mehr als 20 v. H. der Herstellungskosten entfallen. Es wird aber erfordert, daß die Kontorräume gerade mit der Fabrikation zusammenhängen und in diesem Sinne "übliche" Kontorräume sind. Hierzu gehören z. B. Räume der technischen Betriebsleitung und der Materialverwaltung, nicht aber auch Repräsentationsräume zum Empfang von Geschäftsfreunden, Räume des Ein- und Verkaufs, der Geschäftsleitung, der allgemeinen Buchhaltung oder der Registratur usw. Solche Räume dienen dem Geschäftsbetrieb im ganzen, zu dem auch die Fabrikation gehört. Die Durchführungsbestimmung des § 22 EStDV 1958 enthält eine vernünftige und rechtlich einwandfreie Auslegung des § 7e EStG, vor allem des im Gesetz verwendeten Begriffs "unmittelbar". Der I. Senat hat in seiner Entscheidung I 126/58 U (a. a. O.) ausgesprochen, daß, wenn in dem Gebäude auch noch andere als mit der Fabrikation zusammenhängende übliche Kontor- und Lagerräume untergebracht sind, deswegen die Bewertungsfreiheit nach § 7e EStG ohne weiteres entfällt; dann komme es überhaupt nicht darauf an, ob die 20 v. H.-Grenze überschritten sei. Der erkennende Senat tritt dieser Rechtsauslegung in Übereinstimmung mit dem Schrifttum (vgl. z. B. Blümich-Falk, Einkommensteuergesetz, 9. Aufl., § 7 e, Anm. 6, S. 915; Herrmann-Heuer, Einkommensteuergesetz, § 7 e, Anm. 10 d; Hartmann-Böttcher-Grass, Großkommentar zur Einkommensteuer, § 7 e, Anm. 6) bei.
Nach der eigenen Darstellung der Steuerpflichtigen enthält aber das streitige Gebäude verschiedene nicht "mit der Fabrikation zusammenhängende übliche Kontor- und Lagerräume". Unerheblich ist dabei, ob deren Anteil 9,58 v. H. oder nur 4 v. H. ausmacht; denn jedenfalls sind diese Räume so groß, daß sie bei Beurteilung des Gesamtgebäudes nicht unbeachtet bleiben können.
Das FG beruft sich auf die Auslegungsgrundsätze des § 1 Abs. 2 StAnpG, vor allem auf den Zweck des Gesetzes und die Entwicklung der Verhältnisse. Dem ist nicht zu folgen. Die Auslegungsmerkmale des FG spielen nur eine Rolle, wenn der Wortlaut eines Gesetzes mehrere Deutungen zuläßt und deshalb das Gesetz der Auslegung bedarf. Hat der Gesetzgeber aber im Wortlaut eines Gesetzes seinen Willen klar und eindeutig zum Ausdruck gebracht, so ist für die Anwendung des Gesetzes grundsätzlich sein Wortlaut maßgebend, sofern sich nicht ausnahmsweise bei der Anwendung des Wortlauts ein so sinnwidriges Ergebnis zeigen würde, daß der Gesetzgeber es nicht gewollt haben kann. Es kann hier allenfalls die Frage auftauchen, ob durch die Entwicklung der Verhältnisse ein Gesetz als überholt betrachtet werden kann oder muß (vgl. z. B. Beschluß des BFH IV 47/65 vom 3. August 1967, BFH 89, 264, BStBl III 1967, 601). Diese verfassungsrechtliche Frage wirft aber das FG selbst nicht auf, sondern es behandelt die Vorschrift des § 7e EStG als fortbestehend, gibt ihr aber, indem es sich auf eine angebliche Entwicklung der Verhältnisse beruft, eine Auslegung, die mit dem klaren Wortlaut des Gesetzes unvereinbar ist. Mit dieser Handhabung seiner Auslegungsgrundsätze überschreitet das FG die der Rechtsprechung in Art. 20 Abs. 3 GG gesetzten Grenzen und greift eindeutig in den Bereich der Gesetzgebung ein, indem es dem Gesetz einen ganz anderen Sinn gibt, als der Gesetzgeber ihm offensichtlich aus guten Gründen gegeben hat. Es setzt damit im Ergebnis seine Vorstellungen von einer sinnvollen gesetzlichen Regelung an die Stelle der Vorstellungen des Gesetzgebers (VI 23/65 S vom 9. April 1965, BFH 82, 535, BStBl III 1965, 441). Durch die Betonung des Zusammenhangs der Kontor- und Lagerräume mit der Fabrikation kommt im Gesetz klar zum Ausdruck, daß nicht jeder Zusammenhang mit dem Betrieb als Ganzes für die Bewertungsfreiheit unschädlich sein soll. Darauf aber läuft die Auslegung des FG hinaus. Im Ergebnis betrachtet sie die Worte "die mit der Fabrikation zusammenhängenden üblichen" in § 22 Abs. 1 Nr. 1 EStDV 1958, die wie erwähnt mit dem § 7e EStG vereinbar sind, als nicht vorhanden.
Dem FG ist einzuräumen, daß, je länger die Vertreibung zurückliegt, um so seltener im allgemeinen § 7e EStG anzuwenden sein wird, auch wenn der Steuerpflichtige noch den Flüchtlingsausweis besitzt (§ 13 EStDV). Ähnlich äußern sich auch die "Untersuchungen zum Einkommensteuerrecht - Bericht der Einkommensteuerkommission" (Heft 7 der Schriftenreihe des Bundesministers der Finanzen, 1964). Die Steuerpflichtige hat nach dem Abzug der streitigen rund 83 800 DM gemäß § 7e EStG im Jahre 1959 = 560 533 DM und im Jahre 1960 = 324 725 DM Gewinn gehabt. Selbstverständlich hätte die Steuerpflichtige trotz dieser hohen Gewinne die Bewertungsfreiheit des § 7e EStG erreichen können, wenn sie die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt hätte. Der Fall zeigt aber doch, daß kein Bedürfnis besteht, die Vorschrift des § 7e EStG weit über ihren Wortlaut hinaus auszulegen und dadurch Steuerpflichtigen steuerliche Sondervorteile zu verschaffen, die der Gesetzgeber ihnen eindeutig und aus wohl abgewogenen Gründen nicht geben will. Wer eine gesetzliche Vergünstigung in Anspruch nehmen will, muß ihre Voraussetzungen erfüllen. Wer glaubt, es sei für ihn wirtschaftlich unvorteilhaft und unrationell, die Voraussetzungen für eine steuerliche Erleichterung zu erfüllen, muß auf die Vergünstigung verzichten.
Das angefochtene Urteil wird aufgehoben. Unter gleichzeitiger Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 23. November 1964 wird dem FA aufgetragen, die Gewinne der Jahre 1959 bis 1962 neu zu berechnen. Dabei ist die vom FG vorgenommene und vom FA anerkannte Erhöhung der Normal-Absetzung für Abnutzung für die Heizung nach § 7 EStG sowie die Auswirkung auf die Gewerbesteuerrückstellung zu beachten.
Fundstellen
Haufe-Index 412890 |
BStBl II 1968, 270 |
BFHE 1968, 157 |