Leitsatz (amtlich)
Ausbildungsförderungsbeträge nach § 13 Abs. 1 und 2 BAföG vom 26. August 1971 sind auf die nach § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG als Sonderausgaben abziehbaren Berufsausbildungskosten jedenfalls dann weder ganz noch zum Teil anzurechnen, wenn die Förderungsbeträge gekürzt ausgezahlt und dadurch die nach § 13 Abs. 1 und 2 BAföG regelmäßig pauschal abgegoltenen allgemeinen Lebensunterhaltskosten eines Auszubildenden nicht überschritten werden.
Normenkette
EStG 1971 §§ 3c, 10 Abs. 1 Nr. 9; BAföG 1971 §§ 13, 21
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute. Der Kläger, der im Jahre 1972 an einer Hochschule für Wirtschaft studierte und daneben Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit bezogen hatte, machte im Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich Ausbildungsaufwendungen in Höhe von 437 DM für Fahrten vom Wohnort zum Ausbildungsort und in Höhe von 545 DM für Fachliteratur als Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 9 des Einkommensteuergesetzes 1971 (EStG 1971) geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) versagte den Abzug dieser Kosten, weil der Kläger steuerfreie monatliche Zuschüsse in Höhe von 110 DM bzw. 121 DM (im Streitjahr insgesamt 1 353 DM) nach § 13 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) vom 26. August 1971 (BGBl I, 1971, 1409, BStBl I 1971, 410) erhalten habe (§ 6 Nr. 9 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung - LStDV -, Abschn. 36 a der Lohnsteuer-Richtlinien 1971 - LStR 1971 -). Diese Zuschüsse seien auf die Aufwendungen anzurechnen.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es berücksichtigte 900 DM als Ausbildungskosten. Zur Begründung führte das FG in dem in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1976 S. 179 (EFG 1976, 179) veröffentlichten Urteil aus, § 3 c EStG schließe nur den Abzug von Betriebsausgaben und Werbungskosten aus. Eine Ausdehnung auf Sonderausgaben sei nicht zulässig. Einen allgemeinen Rechtsgrundsatz des Inhalts, daß Aufwendungen nicht abgezogen werden dürften, wenn sie mit steuerfreien Einnahmen in wirtschaftlichem Zusammenhang stünden, gebe es nicht. Sonst hätte der Gesetzgeber die Verrechnung bestimmter Sonderausgaben mit steuerfreien Einnahmen (Zuschüssen) nicht ausdrücklich vorgeschrieben (§ 10 Abs. 1 letzter Satz, Abs. 3 Nr. 2 d letzter Satz EStG 1971). Der Gesetzgeber habe die Verrechnung von Ausbildungskosten mit steuerfreien Einnahmen nicht gewollt. Wenn der Bundesfinanzhof (BFH) in dem Urteil vom 13. August 1971 VI R 171/68 (BFHE 103, 350, BStBl II 1972, 57) meine, daß Steuerpflichtige Sonderausgaben nicht geltend machen könnten, soweit sie von dritter Seite zweckbestimmte Zuwendungen erhalten haben, so sei dem in dieser Allgemeinheit nicht zuzustimmen. Anders als bei den außergewöhnlichen Belastungen komme es bei den Sonderausgaben nicht darauf an, ob der Steuerpflichtige "wirtschaftlich belastet" sei.
Mit der Revision rügt das FA rechtsfehlerhafte Anwendung des § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG 1971. Es ist der Ansicht, das FG habe das Tatbestandsmerkmal "Aufwendungen" in dieser Vorschrift unrichtig ausgelegt. Dieser Begriff sei eng auszulegen, um ungerechtfertigte Doppelbegünstigungen zu vermeiden. Selbst wenn § 3 c EStG nach dem Wortlaut auf Sonderausgaben nicht anwendbar sei, sei der darin enthaltene Grundsatz, daß Aufwendungen, die mit steuerfreien Einnahmen im Zusammenhang stünden, nicht abgezogen werden dürften, auf den Sonderausgabenbereich entsprechend übertragbar. Bei Regelung des Sonderausgabenabzugs für Ausbildungskosten im Jahr 1969 sei eine gesetzliche Regelung der Anrechnung von steuerfreien Zuschüssen unterblieben, da erst im Jahre 1971 das Bundesausbildungsförderungsgesetz geschaffen worden sei. In dem Urteil vom 29. Juni 1973 VI R 56/72 (BFHE 110, 242, BStBl II 1973, 848), dem ein dem Streitfall vergleichbarer Sachverhalt zugrunde gelegen habe, habe der BFH bereits steuerfreie Studienbeihilfen als zweckgebundene Leistungen angesehen, die weder als Werbungskosten noch als Sonderausgaben abgesetzt werden dürften. Die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz seien lediglich im Hinblick auf ihre Verwendung steuerfrei und deshalb mit den entsprechenden Ausbildungskosten zu verrechnen.
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage als unbegründet abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Nach § 10 Abs. 1 Nr. 9 Satz 1 EStG 1971 sind Aufwendungen des Steuerpflichtigen, die ihm für seine Berufsausbildung erwachsen, bis 900 DM im Kalenderjahr als Sonderausgaben abziehbar. Die Zuschüsse an den Kläger nach § 13 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 BAföG sind auf diese Sonderausgaben nicht anzurechnen.
1. Der Senat hat im Urteil vom 4. März 1977 VI R 168/75 (BFHE 122, 262, BStBl II 1977, 503) eine entsprechende Anwendung des in § 3 c EStG enthaltenen Grundgedankens, einen Abzug von Aufwendungen nicht zuzulassen, soweit sie mit steuerfreien Einnahmen in unmittelbarem Zusammenhang stehen, auf den Sonderausgabenabzug abgelehnt. § 3 c EStG greift nur beim Abzug von Werbungskosten oder Betriebsausgaben ein. Das FG hat demnach zutreffend die nach § 3 Nr. 11 EStG steuerfreien Förderungsbeträge nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz nicht nach § 3 c EStG verrechnet.
2. Der Senat kommt zu diesem Ergebnis bereits aufgrund der im Urteil VI R 168/75 gefundenen Auslegung des § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG 1971. Denn der Kläger hat im Streitfall die Leistungen nach § 13 Abs. 1 und 2 BAföG vor allem zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes erhalten. Diese Leistungen berühren aber nicht die Abziehbarkeit von Ausbildungskosten, da sie wie Unterhaltskosten selbst steuerlich nicht relevant sind. Der Gesetzgeber hat in § 10 Abs. 1 Nr. 9 Satz 5 EStG 1971 klargestellt, daß Aufwendungen für den Lebensunterhalt nicht zu den steuerlich begünstigten Kosten der Berufsausbildung gehören, es sei denn, es handelt sich um Mehrausgaben, die durch eine auswärtige Unterbringung entstanden sind (BFH-Urteil VI R 168/75). Es kommt deshalb auch im Rahmen der Abziehbarkeit von Sonderausgaben nicht darauf an, ob der Kläger die Unterhaltskosten selbst aufwendet oder ob sie ihm von dritter Seite erstattet werden. Deshalb kann der im BFH-Urteil VI R 56/72 ausgesprochene allgemeine Grundsatz, daß ein Sonderausgabenabzug von Ausbildungskosten im Hinblick auf die Steuerfreiheit einer Studienbeihilfe zu versagen ist, insoweit nicht gelten, als Leistungen zur Bestreitung des Lebensunterhaltes erbracht worden sind.
Die Leistungen nach den einzelnen Vorschriften des Bundesausbildungsförderungsgesetzes setzen sich aus mehreren Bestandteilen zusammen. Grundsätzlich werden nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz Förderungsbeträge sowohl für den Lebensunterhalt als auch für die Ausbildung erbracht. Sie sollen somit nicht nur die Kosten des Lebensunterhaltes, sondern auch die individuellen Kosten der Ausbildung - wie die Aufwendungen für Lern- und Arbeitsmittel sowie für Studien- und Familienheimfahrten - decken, soweit dem Auszubildenden die erforderlichen Mittel nicht anderweitig zur Verfügung stehen (vgl. Begründung zum Gesetzentwurf, Bundestags-Drucksache VI/1975, 26). Eine Aufteilung des Förderungsbetrages in Leistungen für Kosten des Lebensunterhalts und der Ausbildung hat der Gesetzgeber nicht vorgenommen. Er geht von einem typischen, beide Bereiche umfassenden Regelbedarf eines Auszubildenden aus, der mit Pauschalbeträgen von im Streitjahr höchstens 420 DM für Studenten abgegolten werden soll. Nach den Ausführungsbestimmungen zum Bundesausbildungsförderungsgesetz sollen in dieser Pauschale Ausbildungskosten von monatlich 50 DM enthalten sein (Verwaltungsvorschrift [E] Nr. 11.1.2 b, Gemeinsames Ministerialblatt 1972 S. 54 - GMBl 1972, 54 -).
Eine teilweise oder vollständige Anrechnung dieses 50-DM-Betrages auf tatsächlich entstandene und als Sonderausgaben geltend gemachte Ausbildungskosten kommt aber aus folgenden Erwägungen im Streitfall nicht in Betracht. Der Gesetzgeber hat von der in früheren Gesetzentwürfen vorgesehenen Trennung der Leistungen abgesehen und im Bundesausbildungsförderungsgesetz durch die Formulierung "als Bedarf gilt" eine gesetzliche Fiktion geschaffen, was typischerweise durchschnittlich an Kosten für Lebensunterhalt und Ausbildung eines Auszubildenden insgesamt anfällt. Der Gesetzgeber war sich klar darüber, daß die Pauschalsätze die tatsächlich anfallenden Kosten nicht ausgleichen können. So wird in der Begründung zum Regierungsentwurf (Bundestags-Drucksache VI/1975, 26 zu § 11) ausdrücklich darauf hingewiesen, daß, soweit die Pauschalsätze den individuellen Bedarf nicht befriedigen, nach den Bestimmungen des Bundessozialhilfegesetzes eine Leistung gewährt werden soll. Auch ist nach § 11 Abs. 2 BAföG eine Ausbildungsförderung nur zu leisten, soweit dem Auszubildenden die zu seinem Lebensunterhalt und seiner Ausbildung erforderlichen Mittel anderweitig nicht zur Verfügung stehen. Einkommen seiner unmittelbaren Angehörigen sind vorrangig für die Ausbildung einzusetzen und werden entsprechend den §§ 21 f. BAföG auf die Förderungsleistung angerechnet. Das Bundesausbildungsförderungsgesetz enthält andererseits keine Bestimmung, daß die gekürzten Förderungsbeträge zunächst voll oder in einem der Kürzung entsprechenden Vomhundertsatz für die tatsächlich entstandenen oder entstehenden Ausbildungskosten zu verwenden wären. Es ist vielmehr dem Empfänger freigestellt, wie er die Zuschüsse im Rahmen seiner Ausbildung einsetzt.
Die Anwendung dieses Grundsatzes führte beim Kläger zu einer erheblichen Kürzung der Förderungsbeträge, nämlich von monatlich 420 DM auf monatlich 110 DM bzw. 121 DM. Im Streitfall erreichen die gekürzten Förderungsbeträge nicht einmal den nach der Verwaltungsvorschrift (GMBl 1972, 59) verbleibenden niedrigen Unterhaltsbeitrag für einen Studenten, der nicht bei seinen Eltern wohnt, von 370 DM monatlich (§ 13 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 2 BAföG). Wegen der geringfügigen Höhe der Zuschüsse geht der Senat deshalb davon aus, daß die Zuschüsse vorrangig zur Deckung des Lebensunterhaltes und erst mit einem die typischen Lebenshaltungskosten übersteigenden Betrag zur Deckung der Ausbildungskosten verwendet werden. Bei den erheblich gekürzten Leistungen von monatlich höchstens 121 DM ist im Streitfall ein Anteil für Sachleistungen nicht erkennbar. Es bedarf daher keiner Entscheidung, ob der Senat der Auffassung des Niedersächsischen FG im Urteil vom 18. Mai 1978 VII 96/75 (EFG 1978, 541) folgen könnte, bei ungekürzten Zuschüssen sei der über 370 DM hinausgehende Betrag von 50 DM als Förderungsleistung für Sachleistungen anzusehen und demgemäß auf die geleisteten Ausbildungskosten anzurechnen.
Der Kläger ist auch nicht, wie das FA meint, in den Genuß eines dreifachen Vorteils, nämlich der Zahlung des Zuschusses, ihrer Steuerfreiheit und der Möglichkeit des Sonderausgabenabzugs gekommen. Bei allen steuerfreien Leistungen aus öffentlichen Mitteln kommen die zwei erstgenannten Vorteile dem Empfänger zugute. Der zusätzliche Abzug als Sonderausgaben ist gerade nicht für die mit dem Zuschuß abgegoltenen Unterhaltskosten gegeben. Die Ausbildungskosten sind deshalb vom Kläger aus eigenen Mitteln selbst getragen worden und sind nach § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG 1971 als Sonderausgaben abziehbar.
3. Zutreffend hat das FG das Urteil VI R 171/68 zur steuerrechtlichen Behandlung von Krankenversicherungsbeiträgen auf den Streitfall nicht angewandt, da es einen anderen Sachverhalt betraf. Im übrigen kann dahingestellt bleiben, ob eine andere Beurteilung gerechtfertigt ist, wenn Leistungen nach anderen Vorschriften des Bundesausbildungsförderungsgesetzes unmittelbar zur Abgeltung von Ausbildungskosten erbracht werden. Dieser Fall liegt hier nicht vor. Ebenso bedarf es keiner abschließenden Erörterung, ob die Regelung in Abschn. 36 a LStR 1971 und in Abschn. 103 Abs. 2 Satz 4 der Einkommensteuer-Richtlinien 1972 eine zutreffende Auslegung des § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG 1971 darstellt (vgl. hierzu BFH-Urteil VI R 168/75, am Ende).
Fundstellen
Haufe-Index 73031 |
BStBl II 1979, 212 |
BFHE 1979, 552 |