Leitsatz (amtlich)
Einkünfte aus privaten Devisentermingeschäften sind weder Einkünfte aus Spekulationsgeschäften noch Einkünfte aus Leistungen, wenn sie aus Differenzgeschäften erzielt wurden, die nicht auf Leistung gerichtet sind.
Normenkette
EStG 1971 § 2 Abs. 1 Nr. 7, § 22 Nr. 2, §§ 23, 22 Nr. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind zusammenveranlagte Eheleute. Die Klägerin - Ehefrau -, nach ihrer Berufsangabe Angestellte und Hausfrau, bezog im Streitjahr als Arbeitnehmerin ihres als Steuerbevollmächtigter tätigen Ehemanns ein Gehalt von rd. 5 600 DM. Daneben hatte sie Einkünfte aus Gewerbebetrieb von 1 058 DM und zusammen mit ihrem Ehemann Einkünfte aus Kapitalvermögen von 1 938 DM.
Im Jahr 1973 schloß die Klägerin durch ihren Bruder mit einer Bank ein Devisentermingeschäft wie folgt ab. Der Bruder vereinbarte am 20. Juni 1973 telefonisch mit der Bank, daß er der Bank am 22. August 1973 500 000 US-Dollar gegen Zahlung von 1 283 000 DM überlassen werde - Kurs 2,5 660 DM -. Am 28. Juni 1973 vereinbarte der Bruder ebenfalls telefonisch mit der Bank, daß er seinerseits von ihr am 22. August 1973 500 000 US-Dollar zum Preis von 1 251 000 DM erwerben werde - Kurs 2,5 020 DM -. Beide Vereinbarungen, die jeweils am selben Tag von der Bank schriftlich bestätigt wurden, schloß der Bruder im eigenen Namen aber auf Rechnung der Klägerin. Am Valutatag, dem 22. August 1973, wurde der nach Verrechnung der An- und Verkaufspreise für die 500 000 US-Dollar sich ergebende Gewinn von 32 000 DM dem Bruder auf dessen laufendem Konto gutgeschrieben. Dieser zahlte ihn im Streitjahr 1973 an die Klägerin aus.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) hielt die vorerwähnten Einkünfte für steuerpflichtig nach §§ 22, 23 Abs. 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und erließ einen entsprechenden Einkommensteuerbescheid für 1973.
Nach erfolglosem Einspruch gab das Finanzgericht (FG) der Klage statt und führte dazu in dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1979, 445 veröffentlichten Urteil aus:
Die umstrittene Vermögensmehrung unterliege als Spielgewinn nicht der Einkommensteuer; es handele sich nicht um Einkünfte i. S. von § 22 Nr. 2 i. V. m. § 23 Abs. 1 Nr. 2 EStG.
Der Bruder der Klägerin habe für diese ein Devisentermingeschäft abgeschlossen, das nicht durch Lieferung und Bezahlung der verkauften Dollar, sondern durch Abschluß eines sog. Gegengeschäfts "glattgestellt" worden sei. Dies sei ein verdecktes Differenzgeschäft, für das § 764 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ebenfalls gelte. Ein solches Geschäft habe anders als ein Spekulationsgeschäft Spielcharakter.
Der vertragliche Wille der Klägerin sei auf Abschluß eines solchen verdeckten Differenzgeschäfts gerichtet gewesen, damit also nur auf Zahlung des Preisunterschieds. Das ergebe sich daraus, daß die Klägerin von Berufs wegen keine Beziehung zu Devisentermingeschäften habe und daß ein auffälliges Mißverhältnis zwischen der Umsatzhöhe und der durch ihre Kapitaleinkünfte indizierten Höhe ihres Vermögens bestand. Diese Absicht sei unstreitig dem Bruder bekannt gewesen.
Der Bank sei es ebenfalls nur auf die Differenz angekommen. Nach den Feststellungen der Steuerfahndung habe es sich bei nahezu allen überprüften Termingeschäften der Bank um verdeckte Differenzgeschäfte gehandelt. Es bestehe kein Grund, für das Geschäft mit der Klägerin etwas anderes anzunehmen.
Am Spielcharakter des Geschäfts ändere sich nichts aufgrund der Vorschriften des Börsengesetzes (BörsG). Die Voraussetzungen, unter denen nach § 58 BörsG der Differenzeinwand aus §§ 762, 764 BGB ausgeschlossen ist, seien nicht erfüllt. Die von der Bank geforderte Sicherheit sei nur als vorweg geleisteter Spieleinsatz zu betrachten.
Gewinne aus einem solchen verdeckten Differenzgeschäft fielen nicht unter § 23 Abs. 1 Nr. 2 EStG, weil es nicht zur "Veräußerung" und zum "Erwerb" i. S. schuldrechtlicher Verpflichtungsgeschäfte komme. Dafür, daß auch Geschäfte der vorliegenden Art von der Vorschrift erfaßt würden, gebe es keinen Anhalt.
§ 22 Nr. 3 EStG greife ebenfalls nicht ein. Es handele sich nicht um Einkünfte aus einer Leistung der Klägerin, ein Leistungsaustausch sei von den Vertragspartnern gerade nicht gewollt gewesen.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung der §§ 22 Nr. 2, 23 Abs. 1 Nr. 2 oder § 22 Nr. 3 EStG und macht dazu geltend:
Die Begriffe "Anschaffung" und "Veräußerung" in § 23 Abs. 1 Nr. 1 EStG seien nicht zwingend auf § 23 Abs. 1 Nr. 2 EStG anzuwenden. Nach der letzterwähnten Vorschrift sei es bedeutungslos, ob der Erwerb und die Lieferung des Wirtschaftsguts tatsächlich nachträglich erfolge oder ob nur der Preisunterschied gezahlt werden müsse. Sinn und Zweck des Gesetzes würde es widersprechen, Geschäfte, bei denen es dem Steuerpflichtigen regelmäßig nur um die Differenz gehe, nicht der Besteuerung zu unterwerfen. Die Begriffe "Anschaffung" und "Veräußerung" seien hier nur von Bedeutung für die Bestimmung des maßgeblichen Zeitraums.
Bei Verneinung eines Spekulationsgeschäfts i. S. von § 23 Abs. 1 EStG sei Steuerpflicht nach § 22 Nr. 3 EStG anzunehmen. Auch bei Differenzgeschäften komme es zu einem Leistungsaustausch.
Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Zu Recht hat das FG die von der Klägerin erzielten Einkünfte aus den Devisentermingeschäften als nicht der Einkommensteuer unterliegend angesehen.
1. Die umstrittenen Einkünfte gehören nicht zu den sonstigen Einkünften in der Art von Einkünften aus Spekulationsgeschäften, weil sie nicht aus einem Spekulationsgeschäft erzielt wurden (§ 2 Abs. 3 Nr. 7, § 22 Nr. 2, § 23 EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung).
a) Spekulationsgeschäfte sind nach § 23 Abs. 1 EStG Veräußerungsgeschäfte über Wirtschaftsgüter, bei denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung bestimmte Fristen nicht überschreitet (§ 23 Abs. 1 Nr. 1 EStG) oder bei denen die Veräußerung früher erfolgt als der Erwerb (§ 23 Abs. 1 Nr. 2 EStG).
Veräußerungsgeschäft i. S. von § 23 Abs. 1 EStG ist ein Rechtsgeschäft, das auf die entgeltliche Übertragung eines Wirtschaftsguts auf eine andere Person gerichtet ist. Anschaffung oder Erwerb und Veräußerung i. S. von § 23 Abs. 1 EStG sind die schuldrechtlichen Verträge über den entgeltlichen Erwerb und über die entgeltliche Übertragung eines Wirtschaftsguts; als solche Vorgänge sind sie für die Berechnung der in § 23 Abs. 1 EStG bestimmten Spekulationsfristen maßgebend (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 30. November 1976 VIII R 202/72, BFHE 120, 522, BStBl II 1977, 384, mit weiteren Nachweisen).
Soweit im Schrifttum die Meinung vertreten wird, für ein Spekulationsgeschäft i. S. von § 23 Abs. 1 Nr. 2 EStG - Veräußerung vor Erwerb - sei die sachenrechtliche Erfüllung durch Erwerb und Lieferung des Gegenstandes nicht erforderlich (vgl. z. B. Strutz, Kommentar zum Einkommensteuergesetz vom 10. August 1925, Berlin 1929, § 42 Anm. 3; Enno Becker, Das Einkommensteuergesetz vom 10. August 1925, Stuttgart 1933, § 42 Anm. 5; anderer Ansicht z. B. Herrmann/Heuer/Raupach, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, 18. Aufl., § 23 EStG Anm. 6), kann offenbleiben, ob dies allgemein richtig ist. Wie unter 1. b) noch auszuführen ist, fehlt es im Streitfall bereits an der obligatorischen Begründung von Veräußerung und Erwerb.
Nicht zu folgen ist jedenfalls der Auffassung, Spekulationsgeschäft i. S. von § 23 Abs. 1 Nr. 2 EStG sei auch jedes Differenzgeschäft ohne Lieferverpflichtung, bei dem es den Beteiligten von vornherein nur auf die Auszahlung einer Kursdifferenz ankommt (vgl. z. B. Herrmann/Heuer/Raupach, a. a. O., § 23 EStG Anm. 41). Wenn bei einem Differenzgeschäft keine schuldrechtlichen Vereinbarungen über die Anschaffung oder den Erwerb und über die Veräußerung von Wirtschaftsgütern, mithin, über die Lieferung von Gegenständen getroffen werden, dann ist dies kein Spekulationsgeschäft i. S. von § 23 Abs. 1 EStG - gleichgültig ob nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 EStG -, weil es an einem Veräußerungsgeschäft über einen Gegenstand fehlt. § 22 Nr. 2 und § 23 EStG regeln die Besteuerung von Veräußerungsgewinnen im Bereich des Privatvermögens. Während Einkünfte aus der Veräußerung privater Wirtschaftsgüter regelmäßig nicht steuerbar sind, ordnet § 22 Nr. 2 EStG für bestimmte Veräußerungsgeschäfte, nämlich für die Spekulationsgeschäfte nach § 23 EStG, eine Ausnahme an. Private Geschäfte in spekulativer Absicht ohne die Verpflichtung zur Veräußerung und damit zur Lieferung von Wirtschaftsgütern werden von diesen Vorschriften nicht erfaßt. Dies gilt insbesondere für Geschäfte mit Spielcharakter. Soweit aus der Gesetzesbegründung zu § 42 EStG 1925 etwas anderes entnommen wird (vgl. dazu Strutz, a. a. O., § 42 Anm. 7), ist dem nicht zu folgen. Der mögliche Wortsinn der Vorschriften läßt keine Auslegung dahin gehend zu, daß auch eine Spekulation ohne Veräußerungsgeschäft steuerbar sein soll. Gegen das Vorliegen einer Gesetzeslücke spricht bereits, daß §§ 22 Nr. 2, 23 EStG Ausnahmecharakter haben. Sollte eine planwidrige Lücke des Gesetzes vorliegen, so könnte sie nicht durch Rechtsfortbildung ausgefüllt werden. Dies wäre nur durch eine steuerbegründende Analogie möglich. Der Senat hat indessen mehrfach ausgesprochen, daß es im Einkommensteuerrecht unzulässig ist, einen den Steuerpflichtigen belastenden Besteuerungstatbestand im Wege der Gesetzes- oder der Rechtsanalogie zu schaffen (vgl. Urteil vom 26. Januar 1977 VIII R 109/75, BFHE 121, 63, BStBl II 1977, 283, mit weiterem Nachweis).
b) Mit diesen Grundsätzen steht die Vorentscheidung im Einklang, wenn sie das Vorliegen von Spekulationsgeschäften verneint, weil bei Differenzgeschäften keine auf Lieferung von Gegenständen gerichteten Veräußerungsgeschäfte, sondern Geschäfte mit Spielcharakter getätigt wurden.
aa) Nach zivilrechtlicher Beurteilung ist ein Devisen- oder Warentermingeschäft in der Art eines Differenzgeschäfts, auf welches die Regelung des § 764 BGB unmittelbar oder über § 117 Abs. 2 BGB mittelbar anzuwenden ist - offenes oder verdecktes Differenzgeschäft -, kein Veräußerungsgeschäft. Selbst wenn dieses Geschäft als Kauf oder Verkauf bezeichnet wird, will keiner der Vertragspartner tatsächlich liefern; beiden geht es nur um die Differenz, die sich am Fälligkeitstag zu ihren Gunsten oder Ungunsten ergibt. Zur Abgrenzung des auf Spiel gerichteten Differenzgeschäfts von dem auf Lieferung gerichteten Termingeschäft hat die Rechtsprechung der Zivilgerichte eine Reihe von Beweisanzeichen herausgearbeitet, die für oder gegen das Vorliegen eines Differenzgeschäfts sprechen können. Für ein Differenzgeschäft können bedeutsam sein die fehlende Beziehung eines Beteiligten zum Berufskreis der Börsenhändler, die fortgesetzte Unterlassung der effektiven Erfüllung der Geschäfte, die Verbuchung lediglich der Differenz, ein auffallendes Mißverhältnis zwischen Vermögen und Börsenengagement oder fehlendes sachliches Interesse an der Ware (vgl. Soergel/Mormann, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, § 764 Anm. 4; Staudinger/Brändl, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 10./11. Aufl., § 764 Anm. 2; Palandt/Thomas, Bürgerliches Gesetzbuch, 38. Aufl., § 764 Anm. 1 e; alle mit Rechtsprechungsnachweisen).
Am Spielcharakter eines solchen Differenzgeschäfts ändert sich auch nach den Vorschriften des BörsG nichts, wenn die Voraussetzungen nicht erfüllt sind, unter denen nach § 58 BörsG der Differenzeinwand aus den §§ 762, 764 BGB ausgeschlossen ist. Dies gilt insbesondere beim Fehlen einer unter den Formerfordernissen des § 54 Abs. 2 bis 6 BörsG geleisteten Sicherheit, weil dann kein einseitig verbindliches Börsengeschäft i. S. von § 54 Abs. 1 BörsG gegeben ist. Ein als vorweg geleisteter Spieleinsatz zu betrachtender Einschuß ist keine Sicherheitsleistung i. S. der Vorschriften des BörsG (vgl. Schlütter/Lüer, Der Betrieb - DB - 1976, 1253; Flume, DB 1978, 1097, mit Rechtsprechungsnachweis).
Der bürgerlich-rechtlichen Beurteilung des verdeckten Differenzgeschäfts mit der Rechtsfolge aus § 117 Abs. 1 und 2 BGB entspricht die steuerrechtliche Beurteilung. Nach § 5 Abs. 1 des Steueranpassungsgesetzes (§ 41 Abs. 2 der Abgabenordnung) ist für die Besteuerung das verdeckte Rechtsgeschäft maßgebend, wenn durch ein Scheingeschäft ein anderes Rechtsgeschäft verdeckt wird.
bb) Aufgrund dieser Erwägungen waren auch im Streitfall die Geschäfte der Klägerin als verdeckte Differenzgeschäfte und damit nicht als Veräußerungsgeschäfte anzusehen. Nach den verfahrensrechtlich einwandfrei und ohne Verstoß gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze getroffenen Feststellungen des FG waren die zwischen der Klägerin und der Bank abgeschlossenen Geschäfte nicht auf Erfüllung und Zahlung in Devisen, sondern allein auf Zahlung der Kursdifferenz gerichtet. Nach diesen Feststellungen fehlte es auch an den Voraussetzungen, die den Geschäften nach den Vorschriften des BörsG den Spielcharakter hätten nehmen können, insbesondere wurde keine Sicherheit gestellt.
2. Die umstrittenen Einkünfte gehören nicht zu den Einkünften aus Leistungen (§ 2 Abs. 3 Nr. 7, § 22 Nr. 3 EStG).
Leistung i. S. von § 22 Nr. 3 EStG ist jedes Tun, Unterlassen oder Dulden, das Gegenstand eines entgeltlichen Vertrags sein kann und um des Entgelts willen erbracht wird; ausgenommen sind dabei Veräußerungsvorgänge oder veräußerungsähnliche Vorgänge im privaten Bereich (vgl. BFH-Urteil vom 25. September 1979 VIII R 34/78, BFHE 129, 128, BStBl II 1980, 114). Eine derartige Leistung wird bei einem auf Spiel angelegten Geschäft nicht erbracht. Keiner der Beteiligten gestattet dem anderen oder einem Dritten etwas gegen Entgelt. Es gilt lediglich Gewinner und Verlierer, die etwas erhalten und zahlen, ohne daß ein Leistungsaustausch stattfindet.
In Übereinstimmung hiermit hat das FG zu Recht angenommen, daß kein Tatbestand der in § 22 Nr. 3 EStG aufgeführten Art verwirklicht wurde. Bei einem verdeckten Differenzgeschäft erfolgt nach den Ausführungen unter Nr. 1 b) kein Leistungsaustausch.
Fundstellen
Haufe-Index 74340 |
BStBl II 1982, 618 |
BFHE 1982, 426 |