Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer/Steuerliche Betriebsprüfung
Leitsatz (amtlich)
Ein Textilwareneinzelhändler verstößt in der Regel nicht gegen die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung, wenn er im Warenbestandsverzeichnis Hinweise auf die Einkaufsrechnungen zur Nachprüfbarkeit der angesetzten Einzelwerte unterläßt. Daraus folgt aber nicht, daß er mit solcher Buchführung auch ohne weiteres den steuerrechtlichen Nachweisvorschriften genügt.
Normenkette
EStG §§ 5-6, 10a; AO § 171
Tatbestand
Der Revisionsbeklagte (Steuerpflichtige - Stpfl. -) führt zwei Einzelhandelsgeschäfte mit Textilwaren. Bei einer Betriebsprüfung konnte der Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) die Warenbestandsaufnahme für den 31. Dezember 1956 nur bei den Markenartikeln, etwa 5 v. H. des Wertes des gesamten Lagers, auf die Zulässigkeit der Bewertung nachprüfen. Bei fast allen Waren war nicht ersichtlich, ob der angesetzte Wert dem Einstandspreis oder einem niedrigeren Teilwert entsprach. Das FA hielt das für einen Systemfehler und versagte in einem nach § 222 AO berichtigten Bescheid die Vergünstigung der §§ 6 Abs. 2 und 10a EStG 1955. Der Einspruch dagegen wurde vom Steuerausschuß als unbegründet zurückgewiesen.
Die Berufung hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) erkannte auf Grund eines Gutachtens seines Buchsachverständigen die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung an und gewährte die Steuervergünstigungen.
Nach der Darstellung des Buchsachverständigen wurde der Warenbestand bei der vom Personal des Stpfl. durchgeführten körperlichen Aufnahme sehr eingehend aufgegliedert (etwa 20 000 Zeilen) unter Angabe der Stückzahl der Waren gleicher Art, der Bezeichnung des Gegenstands, des Einzelpreises und des jeweiligen Gesamtbetrages. Der Stpfl. behauptet, die regulären Waren mit den Anschaffungskosten, die der Mode unterworfenen Waren mit den am Schluß der Saison üblichen Einstandspreisen und die ältere Ware je nach Verkäuflichkeit und Dauer der Lagerung mit den niedrigeren Teilwerten angesetzt zu haben. Die Bewertung geschah bereits vor der Bestandsaufnahme, und zwar durch den Stpfl., seine Ehefrau, seinen Sohn und einen leitenden Angestellten. Die herabgesetzten Werte wurden auf der Rückseite des Preisetiketts, das sich an jedem Gegenstand befindet, chiffriert vermerkt. Die Vorderseite des Etiketts zeigte bereits in verschlüsselter Form: Einstandspreis, Lieferant, Artikel, Form und Eingangsmonat nebst Eingangsjahr; offen: Verkaufspreis, Größe und Lager-Nummer.
Der Sachverständige hat bestätigt, daß die Identität nur bei wertmäßig 5 v. H. des Warenbestandes, nämlich bei den Markenartikeln, nachgeprüft werden kann. Bei allen anderen Waren sei der angesetzte Einstandspreis oder der niedrigere Teilwert nur einwandfrei kontrollierbar, solange sich der Gegenstand noch am Lager befindet, also noch nicht verkauft ist. In den Inventurlisten fehle die Angabe der Anschaffungskosten, so daß die angesetzten Teilwerte jeder Nachprüfbarkeit entzogen seien. Die Richtigkeit der Bewertung des Warenbestandes lasse sich für das Streitjahr auch nicht durch einen internen Rohgewinnvergleich klären, weil das FA den Vorjahresschlußbestand durch Hinzuschätzung erhöht habe.
Die Vorinstanz hat ihre Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet. Die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung bestimme sich nach handelsrechtlichen Gesichtspunkten. Das HGB verweise zur Frage, wie das Inventar aufzustellen sei, in § 38 Abs. 1 auf die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung. Nach diesen Grundsätzen müsse eine Inventur in gewissem Sinne nachprüfbar sein, da sonst die handelsrechtlichen Bestimmungen ihren Zweck nicht erfüllten. Der Reichsfinanzhof (RFH) habe aber schon im Urteil VI A 1883 - 1885/31 vom 1. Februar 1933, RStBl 1933 S. 1062, hinsichtlich der Anforderungen auf die Größe und Art des Betriebs, die Anzahl der Waren und deren Verkäuflichkeit abgestellt und die Inventur eines Textilwarengeschäfts anerkannt, obwohl die Anschaffungspreise mancher Artikel nicht nachprüfbar waren. Im Urteil VI A 745/36 vom 2. Dezember 1936, RStBl 1936 S. 1217, habe er ausgeführt, es sei nirgends vorgeschrieben, daß die Inventur gerade Angaben über Qualität und Einkaufspreis, Herstellungsort oder Fakturenbezeichnung der einzelnen Waren enthalten müsse. Namentlich könne nicht verlangt werden, daß die Inventur noch nach mehreren Jahren im einzelnen auf ihre Kalkulationsgrundlage nachgeprüft werden kann. Beide Male habe der RFH einen Systemfehler verneint und die Schätzung des FA mißbilligt. Das FA habe im Streitfall das Betriebsergebnis anerkannt, also die Richtigkeit der Inventurwerte nicht bezweifelt. Der Stpfl. habe sich mit der Inventur Mühe gemacht. Unter diesen Umständen könne die Buchführung nicht wegen des Mangels der Nachprüfbarkeit der Inventurwerte verworfen werden. Die Schwere eines Mangels sei an der Vielzahl der in die Inventurliste aufzunehmenden Waren und schließlich auch an der Glaubhaftigkeit des Gewinnergebnisses zu messen.
Mit der Rb. (Revision) rügt das FA unrichtige Rechtsanwendung. Es beharrt bei seiner Ansicht, daß die mangelnde Nachprüfbarkeit der Inventur einen Systemmangel darstelle. Außerdem wird geltend gemacht, daß eine ordnungsmäßige Buchführung auch schon deshalb nicht vorliege, weil der Warenbestandswert in der Vorjahresschlußbilanz habe geschätzt werden müssen, so daß keine ordnungsmäßige Anfangsbilanz für das Streitjahr vorhanden sei.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Die Steuervergünstigungen der §§ 6 Abs. 2 und 10a EStG stehen Steuerpflichtigen zu, die ihren Gewinn auf Grund ordnungsmäßiger Buchführung ermitteln. Eine Buchführung ist ordnungsmäßig, wenn sie den Grundsätzen des Handelsrechts entspricht. Zur kaufmännischen Buchführung gehören die Aufstellung der Schlußbilanz zum Ende des Wirtschaftsjahres und als Grundlage dafür die Inventur. Welche Anforderungen im einzelnen an die im § 39 HGB vorgeschriebene Inventur zu stellen sind, ist weder in den Handelsgesetzen noch in den Steuergesetzen vorgeschrieben. Maßgebend sind deshalb nach § 38 Abs. 1 HGB die allgemeinen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung. (Vgl. Gutachten des Bundesfinanzhofs - BFH - IV D 1/53 S vom 25. März 1954, BStBl 1954 III S. 195, Slg. Bd. 58 S. 740; Urteil des RFH VI A 1883 - 1885/31). Die Warenbestandsaufnahme muß eine angemessene Kontrolle ermöglichen und die Gewähr bieten, daß die Bestände vollständig erfaßt und bewertet sind (Urteil des BFH I 169/55 U vom 6. Dezember 1955, BStBl 1956 III S. 82, Slg. Bd. 62 S. 222).
Die Vorinstanz hat die mengenmäßige Richtigkeit der Warenbestandsaufnahme nicht beanstandet. Dagegen bestehen nach der Sachlage keine Bedenken, und auch die Revision hat das nicht angegriffen. Der Streit betrifft allein die Nachprüfbarkeit der Bewertung der einzelnen Warenposten.
Der Vorinstanz ist darin zuzustimmen, daß im Streitfall der Inventur nicht deshalb die Ordnungsmäßigkeit abzusprechen ist, weil die angesetzten Werte nicht mit den Anschaffungskosten genau verglichen werden können. Der RFH hat, worauf die Vorentscheidung zutreffend hinweist, gerade in Fällen, die Textilwareneinzelhändler betrafen, gestützt auf ein ausführliches Gutachten des Deutschen Industrie- und Handelstags, anerkannt, daß die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung in den Wareninventurlisten keinen Hinweis auf die Einkaufsrechnungen erfordern. Bei größeren Warenlagern sei das zeitlich nicht durchführbar. Im allgemeinen ermöglichten die Einkaufsrechnungen auch ohne den Hinweis eine ausreichende Nachprüfung. (Vgl. Urteile des RFH VI A 1883 - 1885/31 und VI A 745/36.) Der Senat tritt dieser Auffassung bei. Mithin liegt kein Systemmangel vor.
Die Bejahung der Ordnungsmäßigkeit der Buchführung schließt allerdings nicht ein, daß die Wertermittlung auch ohne weiteres den steuerrechtlichen Vorschriften genügt. Denn die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung ist lediglich nach handelsrechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilen, während das Einkommensteuerrecht die handelsrechtliche Bewertungsfreiheit einengt. Nach den §§ 5 und 6 Abs. 1 Ziff. 2 EStG sind Waren als Wirtschaftsgüter des Umlaufvermögens mit den Anschaffungskosten zu bewerten. Ist der Teilwert niedriger, so müssen Vollkaufleute auf Grund des Niederstwertprinzips (§ 40 HGB) diesen ansetzen (Urteile des BFH IV 302/50 S vom 1. Dezember 1950, BStBl 1951 III S. 10, Slg. Bd. 55 S. 22, und IV 236/63 S vom 13. März 1964, BStBl 1964 III S. 426, Slg. Bd. 79 S. 529). Wird ein niedrigerer Teilwert behauptet, muß der Kaufmann ihn durch betriebliche Unterlagen nachweisen (Urteil des BFH IV 236/63 S). In welchem Masse die Beachtung der einkommensteuerrechtlichen Bestimmungen bei der Inventurbewertung nachzuweisen ist, richtet sich nach der Zumutbarkeit (§ 171 AO). Kommt der Kaufmann seiner Nachweispflicht nicht ausreichend nach, ist das FA berechtigt und verpflichtet, die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen (§ 217 AO).
Das FA hat eingeräumt, daß der Stpfl. den Warenbestand in der Schlußbilanz möglicherweise steuerrechtlich richtig bewertet hat, und es hat den Wertansatz in der Handelsbilanz für die Besteuerung anerkannt. Abgesehen davon kommt es aber auch für die Anwendung der Steuervergünstigungen nach den §§ 6 Abs. 2 und 10a EStG 1955 nur darauf an, ob die Inventur den handelsrechtlichen Vorschriften ordnungsmäßiger Buchführung entspricht.
In der Revisionsbegründung hat das FA noch geltend gemacht, daß der Warenbestand am Ende des vorangegangenen Jahres höher als in der Handelsbilanz ausgewiesen geschätzt worden ist, so daß eine ordnungsmäßige Anfangsbilanz für das Streitjahr fehle und deshalb nach dem Gutachten des BFH IV D 1/53 S eine ordnungsmäßige Buchführung auch für das Streitjahr nicht vorliege.
Das FA verkennt dabei, daß die Notwendigkeit einer Schätzung des Warenbestandswertes wegen einkommensteuerrechtlich unrichtiger Bewertung keinen Verstoß gegen die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung bei der Inventur beweist, weil die Schätzung keinen solchen Verstoß voraussetzt. Eine Höherschätzung des Warenwerts gegenüber der Handelsbilanz rechtfertigt es noch nicht ohne weiteres, die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung zu verneinen und daran geknüpfte Steuervergünstigungen zu versagen. Es kommt auf den Einzelfall an. (Vgl. Gutachten des BFH IV D 1/53 S; Urteil des BFH I 198/54 U vom 2. August 1955, BStBl 1955 III S. 344, Slg. Bd. 61 S. 373).
Beim Vorjahreswarenbestand war ebenfalls nicht die vollständige mengenmäßige Erfassung, sondern die Bewertung streitig. Der Stpfl. hatte von den Anschaffungskosten pauschale Teilwertabschreibungen vorgenommen, die im Gesamtdurchschnitt etwa 25 v. H. betrugen. Das FA ließ nur etwa 15 v. H. zu. Durch die Höherschätzung des Warenwerts gegenüber der Handelsbilanz wurde ein zulässiger Handelsbilanzwert entsprechend den steuerrechtlichen Vorschriften nicht für die Besteuerung übernommen. Die Ordnungsmäßigkeit der Inventur und der Handelsbilanz blieb davon unberührt, weil sie nicht gegen handelsrechtliche Bestimmungen verstießen. Dem FA kann deshalb nicht beigetreten werden, wenn es meint, daß die Anfangsbilanz des Streitjahres wegen der für steuerliche Zwecke vorgenommenen Berichtigung des Warenwertes in der Schlußbilanz des Vorjahres nicht mehr den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung genügt hat.
Danach hat die Vorinstanz die Steuervergünstigungen der §§ 6 Abs. 2 und 10a EStG zu Recht gewährt.
Fundstellen
Haufe-Index 411985 |
BStBl III 1966, 278 |
BFHE 1966, 184 |
BFHE 85, 184 |
BB 1966, 569 |
DB 1966, 764 |