Leitsatz (amtlich)
Ein Kinderheim ist nur dann kein Gewerbebetrieb, wenn die Kinder von den entsendenden Stellen in erster Linie nach erzieherischen Gesichtspunkten ausgewählt werden und die Heimunterbringung nach Dauer und Gestaltung geeignet ist, die Erziehung der Kinder wesentlich zu fördern (Anschluß an die BFH-Urteile vom 25. April 1974 VIII R 229/71, BFHE 112, 499, BStBl II 1974, 553 und vom 27. Juni 1974 IV R 204/70, BFHE 114, 95, BStBl II 1975, 147).
Normenkette
EStG §§ 15, 18; GewStG § 2 Abs. 1
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine Gesellschaft des bürgerlichen Rechts. Gesellschafter sind eine geprüfte Kindergärtnerin und Vollschwester und ein Kaufmann, die mit Genehmigung des Landesjugendamts gemeinschaftlich ein Kinderheim in einem Kurort betreiben. Streitig ist, ob es sich dabei um einen Gewerbebetrieb oder eine freiberufliche Tätigkeit handelt.
Im Streitjahr haben vor allem eine Landesversicherungsanstalt und eine Oberpostdirektion Kinder in das Heim entsandt. Es wurden durchschnittlich 75 bis 80 Kinder im Alter von 4 bis 13 Jahren aufgenommen. Diese Kinder wurden zu Beginn und am Ende der etwa sechswöchigen Kur ärztlich untersucht. Nach Beendigung der Kur war ein "Kurbogen" zu erstellen, der neben dem Arztbericht einen kurzen Erziehungsbericht der Heimleitung vorsah.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) unterwarf den im Streitjahr 1968 erzielten Gewinn der Gewerbesteuer. Einspruch und Klage blieben erfolglos. Im Revisionsverfahren beantragt die Klägerin, den Gewerbesteuermeßbescheid, die Einspruchsentscheidung und das Urteil des FG aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Nach den für den erkennenden Senat bindenden (§ 118 Abs. 2 FGO) Tatsachenfeststellungen des FG handelt es sich bei dem Kinderheim der Klägerin nicht um ein in Ausübung eines freien Berufs betriebenes Kindererziehungsheim, sondern um ein Kindererholungsheim, das steuerrechtlich einen Gewerbebetrieb darstellt (§§ 2 Abs. 1 GewStG, 1 Abs. 1 GewStDV).
In Übereinstimmung mit den Beteiligten ist die Vorinstanz zutreffend davon ausgegangen, daß die im Rahmen des Kinderheims erbrachten Leistungen (Unterbringung, Verpflegung, Beaufsichtigung und sonstige Betreuung) teils gewerbliche, teils freiberufliche Tätigkeitsmerkmale beinhalten, die jedoch unlösbar miteinander verbunden und deshalb steuerrechtlich einheitlich zu beurteilen sind. Dem FG ist auch darin zuzustimmen, daß im Streitfall nicht der Erziehungszweck im Vordergrund gestanden, sondern vielmehr die gewerbliche Betätigung die eigentliche Grundlage der Einkünfte gebildet hat. Auf die zusätzliche Urteilsbegründung, jeder Einsatz sachlichen Umlaufvermögens über einen bestimmten Umfang hinaus stehe der Annahme einer freiberuflichen Tätigkeit grundsätzlich entgegen, braucht der Senat daher ebensowenig einzugehen wie auf die vom FG an der abweichenden Rechtsprechung des BFH zum Kurheim eines Arztes geäußerten Zweifel.
Das FG hat nicht verkannt, daß jede Unterbringung von Kindern außerhalb des Elternhauses für die aufnehmende Stelle in der Regel mit der Übernahme besonderer Verpflichtungen und erzieherischer Aufgaben verbunden ist. Wenn die Klägerin daraus jedoch in Anlehnung an die vorgelegten Privatgutachten die Schlußfolgerung zieht, jede Betreuung und Beaufsichtigung von Kindern sei steuerrechtlich ohne weiteres als erzieherische Tätigkeit i. S. von § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG zu werten, so kann dem nicht gefolgt werden. Es ist vielmehr in jedem Einzelfall abzuwägen, in welchem Verhältnis diese Tätigkeit zu den darüber hinaus erbrachten Leistungen steht. Eine freiberufliche Tätigkeit kann in Fällen dieser Art nur dann angenommen werden, wenn die auswärtige Unterbringung in erster Linie zum Zwecke einer planmäßigen körperlichen, geistigen und sittlichen Formung junger Menschen erfolgt und die freiberufliche Tätigkeit der Gesamtleistung des Heims das Gepräge gibt (ebenso BFH-Urteile vom 25. April 1974 VIII R 229/71, BFHE 112, 499, BStBl II 1974, 553, und vom 27. Juni 1974 IV R 204/70, BFHE 114, 95, BStBl II 1975, 147). Entgegen der Auffassung der Klägerin und der Gutachter ist dies weniger aus der Sicht der Heimleitung als vielmehr aus der Sicht der versendenden Stellen zu beurteilen. Erfolgt die Auswahl der Kinder für einen Kuraufenthalt im Heim der Klägerin aus Gründen der physischen oder psychischen Erholung, so führt die entgeltliche Aufnahme selbst dann zu gewerblichen Einkünften, wenn die Heimleitung über sozialpädagogische Fachkenntnisse verfügt und die allgemeine erzieherische Betreuung besonders intensiv gestaltet, was letztlich auch der Erholung der Kinder zugute kommen kann. Die Annahme einer freiberuflichen Tätigkeit setzt voraus, daß die Kinder aus erzieherischen Gründen ausgewählt werden, weil etwa ihre Erziehung im Elternhaus gefährdet ist; darüber hinaus muß die Heimunterbringung nicht nur nach der Qualifikation der verantwortlichen Personen, sondern auch nach der Dauer und Gestaltung des Aufenthalts eine wesentliche Besserung erwarten lassen.
Im Streitfall sprechen die Feststellungen des FG für das Vorliegen einer insgesamt als gewerblich anzusehenden Tätigkeit. Da diese Entscheidung im wesentlichen von den tatsächlichen Gegebenheiten des Einzelfalls abhängt, brauchte das Gericht entgegen der Auffassung der Klägerin kein Sachverständigengutachten einzuholen. Die Kinder wurden unter Einschaltung von Ärzten oder Gesundheitsämtern nach ihrer Erholungsbedürftigkeit ausgesucht. Zutreffend hat die Vorinstanz darauf hingewiesen, daß die Kostenübernahme durch die Landesversicherungsanstalt von Gesetzes wegen auf Fälle der Gesundheitsfürsorge beschränkt ist und sich nicht auf Erziehungszwecke erstreckt (vgl. §§ 179, 187 der Reichsversicherungsordnung). Der Kurort wurde nach den übereinstimmenden Bestätigungen der entsendenden Stellen vor allem wegen der für Erholungszwecke besonders günstigen klimatischen Bedingungen ausgewählt. Daß daneben die große Aufnahmekapazität des Ortes eine Rolle gespielt haben mag, beruht wesentlich auf dem für Erholungszwecke vorteilhaften Reizklima und stellt die Würdigung des FG nicht in Frage. Es liegen keine Anhaltspunkte für die Annahme der Klägerin vor, für die Wahl des Kurortes sei die Entfernung vom Elternhaus ausschlaggebend gewesen; wenn dies richtig wäre, hätte sich die Oberpostdirektion ein anderes Ziel ausgesucht. Die Vorrangigkeit des Erholungszweckes wird unterstrichen durch die - für alle Kinder gleichmäßige - Dauer des Aufenthalts von sechs Wochen und durch die Verteilung der Kinder auf die einzelnen Häuser durch die Kurverwaltung; beides ist typischer für eine Erholungskur als für eine Erziehungsmaßnahme. Auch aus dem Vorbringen der Klägerin oder aus den vorgelegten Gutachten ist nicht erkennbar, daß die versendenden Stellen in erster Linie Wert auf die Erziehung gelegt und die Kinder aus diesem Grund in das Heim geschickt hätten. Die Hinweise auf die ständige allgemeine Erziehung der Kinder rechtfertigt keine abweichende Beurteilung. Es handelt sich insoweit um eine mit jeder auswärtigen Unterbringung von Kindern dieser Altersstufen zwangsläufig verbundene Hilfstätigkeit. Zu Unrecht beanstandet die Klägerin, das FG habe die Aufnahme des Kinderheims in das Gastgeberverzeichnis des allgemeinen Kurprospekts der Kurverwaltung fehlerhaft gewürdigt. Es ist im allgemeinen nicht üblich, Kindererziehungsheime in dieser Weise unter Angabe der gebotenen Leistungen (Bettenzahl, Pensionspreis, Ausstattung, Alter der aufzunehmenden Kinder) zusammen mit anderen Kurheimen aller Art in einem Kurverzeichnis zu veröffentlichen.
Fundstellen
Haufe-Index 71432 |
BStBl II 1975, 610 |
BFHE 1975, 379 |