Leitsatz (amtlich)
Bezüge aus öffentlichen Mitteln i. S. von § 3 Nr. 11 EStG setzen offene Verausgabung nach Maßgabe der haushaltsrechtlichen Vorschriften voraus. Der Senat hält daran fest, daß die Freistellung nichtbundeseigener Eisenbahnunternehmen von der Entrichtung von Beförderungsteuer nicht zu steuerfreien Bezügen aus öffentlichen Mitteln geführt hat (vgl. BFH-Urteil vom 19. Juli 1972 I R 109/70, BFHE 106, 438, BStBl II 1972, 839).
Normenkette
EStG § 3 Nr. 11; KStG § 6 Abs. 1 S. 1; BefStG 1955 § 3 Abs. 4, §§ 7-8
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine AG, betrieb in den Streitjahren Personen- und Güterverkehr. Gemäß § 3 Abs. 4 BefStG 1955 wurde sie mit Wirkung vom 1. Juni 1955 an wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten von der Verpflichtung befreit, für Güterbeförderungen im Schienenverkehr Beförderungsteuer zu entrichten, wobei die Beförderungsteuer Kalkulationsbestandteil der behördlich genehmigten Beförderungstarife blieb. Die Klägerin will die Beförderungsteuerbeträge als steuerfreie Einnahmen i. S. des § 3 Nr. 11 EStG (i. V. m. § 6 Abs. 1 Satz 1 KStG) behandelt wissen.
Der Beklagte und Revisionskläger (FA) lehnte bei den Körperschaftsteuerveranlagungen für die Jahre 1960 bis 1965 (Streitjahre) einen Abzug dieser Beträge bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens ab. Der Einspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg.
Das FG gab der Klage im wesentlichen statt. Es vertrat die Ansicht, daß in der Befreiung von der Verpflichtung, Beförderungsteuer zu entrichten, Bezüge aus öffentlichen Mitteln lägen, die wegen Hilfsbedürftigkeit gewährt worden seien (§ 3 Nr. 11 Satz 1 EStG i. V. m. § 15 KStDV). Durch die Befreiung des Beförderungsunternehmens von der Abführungsverpflichtung werde nicht die Verpflichtung des Beförderungsteilnehmers berührt, Beförderungsteuer mit dem Beförderungsentgelt zu zahlen. Bezüge aus öffentlichen Mitteln lägen zwar nicht deshalb vor, weil in der Befreiung von der Verpflichtung zur Entrichtung der Beförderungsteuer dem wirtschaftlichen Gehalt nach eine gezielte Förderungsmaßnahme mit Subventionscharakter liege (anders Urteil des FG Baden-Württemberg - Außensenate Stuttgart - vom 23. März 1970 VI 37/66, EFG 1970, 395), sondern weil es sich nach der formalrechtlichen Gestaltung um einen Verzicht auf die Abführung vereinnahmter Steuerbeträge handle. Diese "Bezüge aus öffentlichen Mitteln" seien der Klägerin wegen Hilfsbedürftigkeit gewährt worden. Der Begriff "Hilfsbedürftigkeit" sei auch auf juristische Personen anwendbar. Der in dem Urteil des BFH vom 1. März 1966 I 168/63 (BFHE 85, 316, BStBl III 1966, 324) vertretenen Auffassung, daß eine Körperschaft nicht hilfsbedürftig i. S. von § 3 Nr. 11 EStG sein könne, folge das FG nicht. Daß die Klägerin wegen Hilfsbedürftigkeit von der Verpflichtung freigestellt worden sei, die vereinnahmte Beförderungsteuer abzuführen, ergebe sich aus der Tatsache, daß diese Freistellung ausgesprochen worden sei, um der Klägerin ungeachtet der unbefriedigenden Ertragslage die Aufrechterhaltung des Betriebes zu ermöglichen. - Bei der Entscheidung sei berücksichtigt worden, daß die Gewerbesteuerrückstellung infolge der Schmälerung des Einkommens herabzusetzen sei. -
Das FA beantragt in seiner Revision Aufhebung der Vorentscheidung und Abweisung der Klage. Das FA rügt die unrichtige Anwendung der Vorschriften des § 3 Nr. 11 EStG i. V. m. § 6 Abs. 1 Satz 1 KStG. Das FA bezieht sich auf das BFH-Urteil vom 19. Juli 1972 I R 109/70 (BFHE 106, 438, BStBl II 1972, 839). Vorsorglich bestreitet es die Hilfsbedürftigkeit der Klägerin.
Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Revision. Sie beruft sich auf die Entstehungsgeschichte der Vorschrift des § 3 Nr. 11 EStG und verweist im besonderen auf das Urteil des RFH vom 13. November 1930 I A 55/28 (RStBl 1931, 262). Danach sei als entscheidend anzusehen, daß die Steuergelder von dem begünstigten Unternehmen bereits vereinnahmt worden seien. Entgegen der Auffassung des BFH in dem Urteil I R 109/70 könne es nicht darauf ankommen, ob die Verwendung der Mittel einer öffentlichen Haushaltskontrolle unterlägen. Auch verdeckte Subventionen müßten als Bezüge aus "öffentlichen Mitteln" angesehen werden. Sie seien legal gewährt worden. Für die Prüfung der Frage, ob öffentliche oder nichtöffentliche Mittel vorlägen, stellten haushaltsrechtliche Gesichtspunkte kein überzeugendes Kriterium dar. Im übrigen hätten die mit der Verwaltung der Beförderungsteuer befaßten Behörden der Rechnungshofkontrolle unterlegen. Die in dem Urteil I R 109/70 erörterte Alternative Steuererlaß oder Steuerbefreiung stelle sich im Streitfall nicht. Es handle sich weder um einen Steuererlaß noch um eine Steuerbefreiung, vielmehr um die Belassung abführungspflichtiger Gelder in der Hand des Abführungspflichtigen (Steuereinnehmers). Darin liege eine Zuwendung aus öffentlichen Mitteln. Der Unterschied der Auffassungen beruhe darauf, daß der RFH die vorherige Vereinnahmung der als Zuschuß zu verausgabenden Staatsmittel für verzichtbar gehalten habe, während der BFH in dem Urteil I R 109/70 diese Ansicht nicht teile. Die Entscheidung könne aber nicht von dem Zufall abhängig gemacht werden, daß sich die Steuermittel bereits in der öffentlichen Kasse befunden hätten und dann erst dem begünstigten Unternehmen zurücküberwiesen worden seien, oder ob es genüge, daß aufgrund der Freistellungsverfügung diese Mittel von vornherein bei dem Unternehmen hätten verbleiben können.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.
Der erkennende Senat hat in seinem Urteil I R 109/70 entschieden, daß die nach § 3 Abs. 4 BefStG 1955 ausgesprochene Ausnahme (Freistellung) eines nichtbundeseigenen Eisenbahnunternehmens von der Verpflichtung Beförderungsteuer zu Lasten des Steuerschuldners (Fahrgastes) zu entrichten, bei dem Unternehmen unter keinem denkbaren Gesichtspunkt Bezüge aus öffentlichen Mitteln i. S. von § 3 Nr. 11 EStG begründe. Erblicke man in der Vorschrift des § 3 Abs. 4 BefStG 1955 eine sachliche Steuerbefreiungsvorschrift, so wäre in den einschlägigen Anwendungsfällen eine Beförderungsteuer von vornherein nicht zur Entstehung gelangt, womit schon begrifflich ein Bezug aus öffentlichen Mitteln nicht vorliegen könne. Nehme man hingegen das Vorliegen einer Steuererlaßvorschrift in entsprechender Anwendung von § 131 Abs. 1 AO an, so sei der Erlaß geschuldeter Steuerbeträge einem Bezug aus öffentlichen Mitteln nicht gleichzuachten. Der erkennende Senat sah - anders als die frühere Rechtsprechung (vgl. RFH-Urteile I A 55/28; vom 11. Dezember 1934 I A 194/34, RStBl 1935, 617) - als entscheidend an, daß der Begriff "Bezüge aus öffentlichen Mitteln" eine haushaltsmäßige Erfassung dieser Mittel und die öffentliche Kontrolle ihrer Verwendung voraussetzt. An dieser Auffassung hält der Senat fest.
Die in § 3 Nr. 11 EstG enthaltene Befreiungsvorschrift gilt in erster Linie für Einkommensteuerpflichtige, also natürliche Personen (§ EStG). Den hier genannten "Bezügen aus öffentlichen Mitteln" oder "Mitteln einer öffentlichen Stiftung, die wegen Hilfsbedürftigkeit oder als Beihilfe zu dem Zweck bewilligt werden, die Erziehung oder Ausbildung, die Wissenschaft oder Kunst unmittelbar zu fördern", ist gemeinsam, daß sie haushaltsmäßig als Ausgaben festgelegt sind. Es handelt sich um Mittel, über die nur nach Maßgabe der haushaltsrechtlichen Vorschriften verfügt werden kann und deren Verwendung im einzelnen gesetzlich geregelter Kontrolle unterliegt. Das gilt auch für die Bezüge, die natürlichen Personen wegen Hilfsbedürftigkeit bewilligt werden. Es scheint dem Senat nicht gerechtfertigt, die Steuerbefreiungsvorschrift für die Fälle der Hilfsbedürftigkeit auf Mittel auszudehnen, die dem Steuerpflichtigen unmittelbar oder mittelbar durch Erlaß von Steuerbeträgen zufließen. Andernfalls müßten mangels eindeutiger Abgrenzungsmöglichkeit erlassene Betriebsteuern begrifflich stets als Bezüge aus öffentlichen Mitteln i. S. des § 3 Nr. 11 EStG angesehen werden, was nicht dem Sinn und Zweck der Vorschrift entspräche. Geht man davon aus, daß, wie der erkennende Senat in dem Urteil I R 109/70 ausgeführt hat, die Vorschrift des § 3 Nr. 11 Satz 1 EStG gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 KStG und § 15 KStDV (1960) grundsätzlich auch im Bereich des Körperschaftsteuerrechts anzuwenden ist, so kann für juristische Personen, denen gegenüber ein Steuererlaß wegen Hilfsbedürftigkeit ausgesprochen wird, nichts anderes gelten.
Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich zugleich, daß die Entscheidung nicht davon abhängig ist, ob sich die Steuermittel bereits in der öffentlichen Kasse befunden hatten und erstattet wurden, oder ob sie ohne Zurücküberweisung von vornherein bei dem begünstigten Unternehmen verblieben sind. In beiden Fällen handelt es sich um verdeckte Subventionen, die nach Auffassung des erkennenden Senats nicht unter die Vorschrift des § 3 Nr. 11 EStG fallen. Außer der Vereinnahmung der Mittel (BFH-Urteil I R 109/70) bedarf es somit vor allem ihrer haushaltsrechtlich geregelten, offen ausgewiesenen Verausgabung. Auf dieses Merkmal ist bei der Auslegung des § 3 Nr. 11 EStG nicht zuletzt deshalb abzustellen, weil die "öffentlichen Mittel" im Sinne dieser Vorschrift auch aus nichtöffentlichen Quellen stammen können (vgl. Herrmann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, Anm. 12 zu § 3 EStG).
Auf die vom FA aufgeworfene Frage der Hilfsbedürftigkeit der Klägerin kommt es nach alledem nicht mehr an.
Fundstellen
Haufe-Index 71416 |
BStBl II 1975, 577 |
BFHE 1975, 374 |