Entscheidungsstichwort (Thema)
Grunderwerbsteuer/Kfz-Steuer/sonstige Verkehrsteuern
Leitsatz (amtlich)
Die Steuerermäßigung des § 8 Abs. 2 Nr. 2 WStG ist anzuwenden, wenn der vom Aussteller noch nicht gezeichnete, durch den inländischen Bezogenen angenommene unvollständige Wechsel im Inland zahlbar ist und dem Aussteller unter der Vereinbarung zugeleitet wird, daß er vom Ausland auf das Inland gezogen werde. Maßgebend ist der Ort, an dem die Wechselerklärung demnächst unterschrieben werden soll.
Normenkette
WStG § 1 Nr. 3, § 4 Abs. 2 S. 1, § 8 Abs. 2 Nr. 2
Tatbestand
Die Klägerin hat aus dem Ausland Filme bezogen. Bei deren Auslieferung hat sie dem deutschen Zwischenspediteur zur Weiterleitung an den Lieferanten oder dem von diesem schriftlich bezeichneten ausländischen Zessionar der Lizenzforderung zehn von ihr angenommene, an einem Ort der Bundesrepublik zahlbare Akzepte übergeben, die vom Aussteller nicht unterschrieben waren; als Ausstellungsort war der inländische Zahlungsort angegeben. Es war vereinbart, daß der ausländische Lieferant oder Zessionar die Wechsel im Ausland durch Zeichnung als Aussteller ergänzen sollte. Die Wechselsteuermarken wurden zum vollen Steuersatz geklebt und entwertet. Lieferant und Zessionar haben im Ausland je fünf Wechsel als Aussteller gezeichnet.
Den Antrag, die halbe Wechselsteuer zu erstatten, hat das FA abgelehnt; den Einspruch der Klägerin hat es zurückgewiesen. Das Finanzgericht (FG) hat die Erstattung angeordnet; die Entscheidungsgründe sind in EFG 1965, 570 abgedruckt. Mit der im angefochtenen Urteil zugelassenen Revision rügt das FG (Beklagter) unzutreffende Anwendung des § 8 Abs. 2 Nr. 2 des Wechselsteuergesetzes (WStG).
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Die in voller Höhe (§ 8 Abs. 1 WStG) entrichtete Wechselsteuer ist gemäß § 152 Abs. 2 Nr. 2 AO zur Hälfte zu erstatten, da sie zufolge § 1 Nr. 3, § 4 Abs. 2 Satz 1, § 8 Abs. 2 Nr. 2 WStG nur in halber Höhe entstanden war.
Dem Grunde nach beruht die Besteuerung auf § 1 Nr. 3 WStG. Danach unterliegt der Steuer die Aushändigung eines mit einer Annahmeerklärung versehenen unvollständigen Wechsels durch den inländischen Abnehmer. Für den Begriff des unvollständigen Wechsels nimmt diese Vorschrift ausdrücklich auf § 4 Abs. 2 WStG Bezug. Nach dessen Fiktion gilt als Wechsel im Sinne des WStG auch eine unvollständige Urkunde, wenn vereinbart ist, daß sie vervollständigt werden darf (§ 4 Abs. 2 Satz 1 WStG). Eine solche Vereinbarung wird zwar vermutet, wenn die Urkunde als Wechsel bezeichnet ist (§ 4 Abs. 2 Satz 2 WStG). Diese Vermutung kann - dem Wesen nicht ausdrücklich als unwiderlegbar bezeichneter gesetzlicher Vermutungen entsprechend (vgl. § 292 Satz 1 ZPO) - widerlegt werden (FG Hamburg, EFG 1953, 46; DStR 1959, 285; Haase, Wechselsteuergesetz, 1955, Teil B § 4 Anm. 4 S. 76; Judeich, Wechselsteuergesetz 1955, § 4 Anm. IV S. 39; Ziegler, Wechselsteuergesetz 1960, § 4 Anm. 5 S. 9). Nur die - vorhandene oder zu unterstellende - Vereinbarung bewirkt also, daß der noch nicht gemäß Artikel 1 und 2 des Wechselgesetzes (WG) als solcher wirksame Wechsel im Sinne des Wechselsteuerrechts als Wechsel gilt. Auch die Besteuerung nach § 1 Nr. 3 WStG tritt somit nur auf Grund und nach Maßgabe einer solchen Vereinbarung ein (vgl. Judeich, a. a. O., § 1 Anm. 3 S. 29 f.; Ziegler, a. a. O., § 1 Anm. 10 S. 4 f.). Das Teilblankett gilt also wechselsteuerrechtlich kraft Fiktion grundsätzlich als Wechsel des vereinbarten Inhalts. Demnach ist § 8 Abs. 2 Nr. 2 WStG anzuwenden, wenn der durch den inländischen Annehmer angenommene unvollständige Wechsel (§ 1 Nr. 3, § 4 Abs. 2 WStG) im Inland zahlbar gestellt und vereinbarungsgemäß derart zu vervollständigen ist, daß er vom Ausland auf das Inland gezogen wird.
Auf einer anderen Grundlage beruht allerdings § 7 Abs. 2 WStG. Danach ist die Wechselsteuer aus einer Wechselsumme von 10.000 DM zu berechnen, wenn diese in einem unvollständigen Wechsel (§ 4 Abs. 2 WStG) nicht angegeben ist (§ 7 Abs. 2 Satz 1 WStG). Indessen war eine solche Vorschrift schon deshalb erforderlich, weil derartige Blankette gerade dann ausgestellt werden, wenn die für die Besteuerung maßgebende Wechselsumme (§ 7 Abs. 1 WStG) in dem Zeitpunkt, in dem die Wechselsteuer entsteht (§§ 1 bis 3 WStG, § 3 Abs. 1 StAnpG) und fällig wird (§ 10 WStG), noch offen ist. Damit ist aber nur eine vorläufige Besteuerungsgrundlage geschaffen: Wird nachträglich in den Wechsel eine Wechselsumme von mehr als 10.000 DM eingetragen, so ist die Steuer neu zu berechnen (§ 7 Abs. 2 Satz 2 WStG); wird eine niederere Summe eingetragen, so ist auf Antrag die auf den Unterschiedsbetrag entfallende Steuer zu erstatten (§ 11 Nr. 3 WStG). Im Ergebnis führen also auch diese Vorschriften - unbeschadet freilich der Fälle des Artikel 10 WG - auf die Regel zurück, daß der zunächst unvollständige Wechsel seiner vereinbarten Ergänzung gemäß zu versteuern ist.
Im Unterschied zu dem in § 7 Abs. 2 Satz 1 WStG geregelten Fall liegen die Besteuerungsmerkmale in aller Regel fest, wenn bei einem im übrigen vollständigen Wechsel lediglich die durch Artikel 1 Nr. 8 WG geforderte Unterschrift des Ausstellers fehlt, und wenn dieses Akzept nach § 1 Nr. 3 WStG zu versteuern ist. Der vorgesehene Ausstellungsort dürfte dabei kaum jemals zweifelhaft oder gar bewußt offen gelassen worden sein. Das gilt um so mehr, als sich gemäß Artikel 95 WG nach dem Recht des Ausstellungsortes bestimmt, ob der Inhaber eines gezogenen Wechsels die seiner Ausstellung zu Grunde liegende Forderung erwirbt. Das Fehlen einer dem § 7 Abs. 2, § 11 Nr. 3 WStG entsprechenden Regelung dieses Falles beweist daher, daß der Gesetzgeber die Fälle des § 1 Nr. 3 WStG im übrigen - zumindest zunächst und vorbehaltlich des § 1 Nr. 1 WStG - nach dem vereinbarten Wechselinhalt besteuert wissen wollte.
Demgegenüber meint die Revision, entsprechend dem Charakter der Wechselsteuer als einer Rechtsverkehrsteuer seien Begünstigungsvorschriften - im gegebenen Fall die des § 8 Abs. 2 Nr. 2 WStG in Verbindung mit § 1 Abs. 3 WStG - eng auszulegen. Indessen gibt es weder allgemein noch im besonderen für die Verkehrsteuern einen Rechtssatz des Inhalts, daß Befreiungsvorschriften allein schon deshalb eng auszulegen seien, weil es sich um Ausnahmen von der Besteuerung handelt (vgl. Urteile II 125/61 U vom 24. Juni 1964, BFH 79, 579, BStBl III 1964, 446; II 89/64 vom 16. Februar 1966, BFH 85, 302, BStBl III 1966, 319; II 116/63 vom 5. Oktober 1966, BFH 87, 91, BStBl III 1967, 29). Vielmehr wird der Inhalt einer Befreiungsvorschrift - ebenso wie der jeder anderen Vorschrift - bestimmt durch ihren Wortlaut, ihren Sinn und ihren Zweck, nicht in isolierter Betrachtung dieser Vorschrift, sondern im Zusammenhang des Gesetzes.
Bei einer solchen Betrachtung spricht schon der Wortlaut des § 8 Abs. 2 Nr. 2 WStG nicht für die Ansicht des Beklagten, der Wechsel müsse bereits an einem ausländischen Ort ausgestellt sein. Denn § 8 Abs. 2 Nr. 2 WStG verlangt nicht, daß der Wechsel vom Ausland auf das Inland gezogen worden ist. Die Steuerermäßigung tritt vielmehr ein bei einem Wechsel, der vom Ausland auf das Inland gezogen und im Inland zahlbar ist. § 8 Abs. 2 Nr. 2 WStG stellt also nicht auf einen historischen Vorgang, das Trassieren des Wechsels, sondern auf eine bestimmte Qualität des Wechsels ab (vgl. § 4 Abs. 1 WStG), die nicht nur steuerrechtlich, sondern auch wechselrechtlich von Belang ist (vgl. Artikel 92, 93 Abs. 2, Artikel 94, 95 WG). Dem fiktiven (§ 4 Abs. 2 Satz 1 WStG) Typ eines vom Ausland auf das Inland gezogenen Wechsels (Artikel 1 WG) genügt aber auch ein im Inland angenommener unvollständiger Wechsel, den vereinbarungsgemäß der Aussteller noch im Ausland zu unterzeichnen hat.
Dieses Ergebnis wird bestätigt durch den Sinn des § 8 Abs. 2 Nr. 2 WStG. Dieser soll die Finanzierung der Einfuhrgeschäfte im Inland erleichtern (Judeich, a. a. O., § 8 Anm. II 2. S. 54; Ziegler, a. a. O., § 8 Anm. 2 S. 19). Diesem Zweck der Vorschrift gegenüber ist kein vernünftiger Grund zu erkennen, weshalb in der Höhe der Besteuerung unterschieden werden sollte zwischen den Wechseln, welche dem formal regelmäßigen Ablauf entsprechend vom Aussteller aus dem Ausland an den Bezogenen im Inland zur Annahme gesandt und von diesen zurückgegeben werden und den - im Wirtschaftsverkehr häufigen (Judeich, a. a. O., § 1 Anm. 3 S. 29; vgl. Haase, a. a. O., § 1 Anm. 1 S. 59) - zunächst unvollständigen Akzepten, welche von dem späteren Bezogenen ausgehen und mit dessen Annahmeerklärung an den späteren Aussteller zur abredegemäßen Vervollständigung gesandt werden.
Darin sieht der Beklagte eine für die Wechselsteuer als Rechtsverkehrsteuer unzulässige wirtschaftliche Betrachtungsweise. Das trifft jedoch nicht zu. Denn es geht hier nicht um die Frage, ob die grundsätzlich auf Rechtsvorgänge abstellenden Tatbestandsmerkmale der Wechselsteuer durch eine wirtschaftliche Betrachtung modifiziert werden sollen; Inhalt und Grenzen des § 1 StAnpG können daher dahingestellt bleiben. Maßgebend ist vielmehr die auch außerhalb des Steuerrechts geltende Erkenntnis, daß in den Schranken zulässiger Auslegung der Sinn einer Vorschrift, die wirtschaftliche Zwecke verfolgt, nicht anders erfaßt werden kann als durch Prüfung eben dieser Zwecke. Diesen ist, solange der Wortlaut des Gesetzes es gestattet, Rechnung zu tragen.
Demzufolge unterlagen die zehn gemäß § 1 Nr. 3 WStG der Besteuerung unterworfenen unvollständigen Wechsel von vornherein nur dem ermäßigten Steuersatz des § 8 Abs. 2 Nr. 2 WStG. Denn maßgebend ist nicht der in den Urkunden angegebene Ausstellungsort, sondern - unbeschadet des hier nicht eingreifenden § 6 StAnpG - der Ort, von dem aus der Wechsel tatsächlich gezogen worden ist. Das ergibt sich daraus, daß auch Artikel 93 Abs. 2 WG und Artikel 92 WG grundsätzlich auf das Recht des Landes abstellen, in dessen Gebiet die Erklärungen (tatsächlich) unterschrieben worden sind, und eine gewisse Rechtsunsicherheit insoweit in Kauf nehmen. Die Fassung des § 1 Nr. 1 Satz 1 WStG beruht auf einer bewußten Entscheidung für den Ort der tatsächlichen Ausstellung des Wechsels (Amtliche Begründung zum Wechselsteuergesetz, RStBl 1935, 1141, zu § 1 vorletzter Absatz). Trotz einer etwas verschiedenen Interessenlage können die Fälle des § 8 Abs. 2 WStG nicht anders behandelt werden. Daß die Wechselurkunde einen inländischen Ausstellungsort nennt, ist daher selbst dann unerheblich, wenn die Klägerin durch Bezeichnung dieses Ortes etwa hätte zum Ausdruck bringen wollen, daß Artikel 95 WG auf die dem Wechsel zugrunde liegende Forderung nicht angewandt werden solle.
Fundstellen
Haufe-Index 412586 |
BStBl III 1967, 507 |
BFHE 1967, 572 |
BFHE 88, 572 |