Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Der Senat hält an der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs fest, daß sich ein Steuerpflichtiger gegenüber einer Berichtigungsveranlagung im Sinne des § 222 Abs. 1 AO auf mangelnde Sachaufklärung des Finanzamts nicht berufen kann, wenn er selbst seiner Erklärungspflicht nicht in der gebotenen Weise genügt hat. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn er in seiner Erklärung Angaben in einer Weise gemacht hat, die geeignet sind, das Finanzamt irrezuführen.
Normenkette
AO § 222 Abs. 1 Nr. 1
Tatbestand
Der Bf. ist Fabrikant. Er ermittelte den Gewinn für das Streitjahr nach § 5 EStG. In den Jahren 1948 bis 1951 baute er ein kriegszerstörtes Anwesen, das er zunächst mietete und dessen Grund und Boden er im Jahre 1951 für 55.805 DM käuflich erwarb, mit einem Kostenaufwand von 283.370 DM auf. 22 v. H. der Herstellungskosten entfielen auf den betrieblich genutzten Teil, 25 v. H. auf die Wohnung des Bf. und 53 v. H. auf Räume, die er seit Dezember 1951 für kulturelle Zwecke zur Verfügung stellte. Die Hausbaukosten und die bar bezahlten Kosten für den Grundstückserwerb zog der Bf. in voller Höhe als Betriebsausgaben ab, und zwar im einzelnen wie folgt:
1949 --- 53.222 DM (Hausbaukosten), 1950 --- 30.173 DM (Hausbaukosten), 1951 -- 154.417 DM (Hausbaukosten) und -------- 46.000 DM (Grundstückserwerbskosten).In der Verlust- und Gewinnrechnung 1951 waren die Hausbaukosten und die Grundstückserwerbskosten nicht getrennt, sondern in einer Summe mit 200.417,64 DM unter der Bezeichnung "Haus" ausgewiesen, während die in den Vorjahren 1949 und 1950 aufgewendeten Beträge in den Verlust- und Gewinnrechnungen dieser Jahre als "Hausbaukosten" ausgewiesen wurden.
In einer Beilage zur Einkommensteuer-Erklärung für die Veranlagungszeiträume II/1948 und 1949 vom 23. September 1950 erläuterte der Bf. dem Finanzamt die Gründe für die Nichtaktivierung der Hausbaukosten. Er teilte mit, daß er das Anwesen gemietet habe und daß er beabsichtige, das Grundstück zu erwerben. Infolgedessen komme eine Aktivierung der Hausbaukosten nicht in Betracht. In den Verlust- und Gewinnrechnungen der Vorjahre sprach er mithin - wie dargelegt - nur von "Hausbaukosten" und nur im Jahre 1951 verwendete er die Bezeichnung "Haus".
Das Finanzamt veranlagte den Bf. für die Jahre 1949 bis 1951 zunächst erklärungsgemäß, ohne die Nichtaktivierung dieser Aufwendungen zu beanstanden. Die Veranlagung für das Jahr 1950 erging vorläufig. Sie enthielt folgenden Vermerk: "Die Veranlagung ist vorläufig. Ich bitte, umgehend die Bilanz nebst Verlust- und Gewinnrechnung per 31. 12. 1950 einzureichen."
In der Zeit vom 1. Juni bis 11. Juni 1953 fand bei dem Bf. eine Betriebsprüfung statt. Der Prüfer aktivierte die Hausbau- und Grundstücksaufwendungen, soweit sie den betrieblichen Teil betrafen; im übrigen behandelte er sie als Privatentnahmen.
Am 8. Dezember 1953 erklärte das Finanzamt die Steuerbescheide für 1949 und 1951 nachträglich für vorläufig. Das Finanzamt nahm entsprechend den Feststellungen des Betriebsprüfers für die Jahre 1949 bis 1951 Berichtigungsveranlagungen vor, die es auf § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO stützte.
Der Bf. machte geltend, die Berichtigungen der Veranlagungen 1949 und 1951 seien mangels Vorliegens neuer Tatsachen im Sinne von § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO unzulässig. Die nachträgliche Vorläufigkeitserklärung sei rechtlich bedeutungslos. Dem Finanzamt sei aus dem Schreiben vom 23. September 1950 und den mündlichen Erklärungen seines Steuerberaters die unterlassene Aktivierung der Hausbaukosten und die Tatsache der privaten Benutzung des Gebäudes bekannt gewesen. Die Veranlagung 1950 sei deshalb vorläufig durchgeführt worden, weil dem Finanzamt nur eine vorläufige Bilanz vorgelegen habe.
Der Einspruch hatte in den Streitpunkten keinen, die Berufung jedoch zum Teil Erfolg.
Das Finanzgericht hielt die nachträgliche Vorläufigkeitserklärung der Bescheide für 1949 und 1951 für unzulässig. Neue Tatsachen für 1949 verneinte es hinsichtlich der Hausbaukosten. Es hob deshalb den Einkommensteuerberichtigungsbescheid für 1949 und die Einspruchsentscheidung ersatzlos auf. Für 1950 hielt das Finanzgericht die Berichtigungsveranlagung für zulässig, weil der Einkommensteuerbescheid in vollem Umfang vorläufig gewesen sei. Für 1951 bejahte das Finanzgericht bezüglich der Kosten für den Erwerb des Grund und Bodens neue Tatsachen im Sinne von § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO.
Entscheidungsgründe
Die Rb., mit der der Steuerpflichtige die Aufhebung des Berichtigungsbescheids für den Veranlagungszeitraum 1951 begehrt, ist unbegründet. Die Vorentscheidung ist im Ergebnis zutreffend.
Da der Einkommensteuerbescheid 1951 als endgültiger Bescheid erging, konnte er - wie das Finanzgericht zutreffend ausführt - nicht nachträglich gegen den Willen des Steuerpflichtigen für vorläufig erklärt werden und demgemäß nur unter der Voraussetzung des § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO berichtigt werden.
Dem Finanzamt war bei der ursprünglichen Veranlagung unstreitig nicht bekannt, daß in dem in der Verlust- und Gewinnrechnung 1951 ausgewiesenen Posten "Haus 200.417,64 DM" auch Kosten für den Erwerb des Grund und Bodens in Höhe von 46.000 DM enthalten waren. Diese Tatsache war für das Finanzamt neu. Nach der Sachlage besteht - wie das Finanzgericht ebenfalls richtig ausführt - kein Anhaltspunkt dafür, daß das Finanzamt bei Kenntnis der Tatsache diese unter jedem Gesichtspunkt (Betriebsausgaben, Absetzung für Abnutzung) erfolgsneutralen Aufwendungen dennoch - ebenso wie die Hausbaukosten - zum Abzug zugelassen haben würde, was einer Berichtigung nach § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO entgegenstehen würde (Urteil des Reichsfinanzhofs III 183/41 vom 2. Juli 1942, Reichssteuerblatt 1942 S. 778; Urteil des Bundesfinanzhofs IV 13/58 U vom 18. Dezember 1958, BStBl 1959 III S. 105, Slg. Bd. 68 S. 271).
Das Veranlagungsverfahren beruht in entscheidender Weise auf dem Deklarationsprinzip. Das Gesetz betont die Bedeutung der Steuererklärungen als maßgebliche Grundlage des Veranlagungsverfahrens in den §§ 166 ff. AO. Wenn die Steuerpflichtigen mit Recht fordern, daß ihren Steuererklärungen Glauben geschenkt und gefolgt wird, setzt das voraus, daß sie ihrerseits ihrer Erklärungspflicht in unmißverständlicher und eindeutiger Weise so weit nachkommen, wie ihnen das nach den Umständen zugemutet werden kann. Diesen Erfordernissen genügten die Steuererklärung und die Verlust- und Gewinnrechnung für 1951 nicht. Der Steuerpflichtige war nach seinen Darlegungen in der mündlichen Verhandlung wie in den Vorjahren so auch bei der Erstellung der Einkommensteuererklärung 1951 von einem qualifizierten Steuerfachmann beraten. Dieser jedenfalls konnte - der Senat schließt das Gegenteil aus - die rechtliche Möglichkeit eines Abzugs der Grundstückserwerbskosten ernsthaft nicht in Erwägung ziehen. Er mußte daher diese Kosten in der Verlust- und Gewinnrechnung gesondert ausweisen, weil er bei entsprechender überlegung mindestens mit der Möglichkeit rechnen mußte, daß das Finanzamt andernfalls, wie es dann auch geschah, den gesamten Betrag von 200.417,64 DM als Hausbaukosten ansehen und wie in den Vorjahren zum Abzug zulassen würde.
Unter diesen Umständen muß in dem irreführenden und unrichtigen Verhalten des Beraters eine dem Steuerpflichtigen zuzurechnende, so erhebliche Verletzung der Darlegungspflicht gesehen werden, daß er sich nicht unter Hinweis auf Treu und Glauben darauf berufen kann, daß das Finanzamt seinerseits seine amtliche Ermittlungspflicht verletzt habe. Es braucht daher nicht im einzelnen erörtert zu werden, in welchem Umfange und in welcher Weise das Finanzamt seine Pflicht zur Sachaufklärung verletzt hat (Urteile des Bundesfinanzhofs VI 296/57 S vom 5. Dezember 1958, BStBl 1959 III S. 86, Slg. Bd. 68 S. 223; I 155/57 U vom 20. Januar 1959, BStBl 1959 III S. 221, Slg. Bd. 68 S. 581, und IV 125/60 vom 8. August 1963, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1964 S. 59).
Das Finanzamt war daher auf Grund der festgestellten neuen Tatsache berechtigt, die Veranlagung 1951 in vollem Umfange, d. h. auch hinsichtlich der ihm bei der Behandlung der Hausbaukosten unterlaufenen Rechtsfehler, wiederaufzurollen (Urteil des Bundesfinanzhofs I 95 und 110/60 S vom 5. Juni 1962, BStBl 1963 III S. 100, Slg. Bd. 76 S. 282).
Fundstellen
Haufe-Index 424060 |
BStBl III 1964, 492 |
BFHE 1965, 52 |
BFHE 80, 52 |