Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Wird die Stundung einer Steuerforderung bis zur Erledigung eines wegen dieser Forderung anhängigen Rechtsmittelverfahrens begehrt, so ist eine Schätzung des Stundungsinteresse für Zwecke der Streitwertfeststellung im Hinblick auf die im Zeitpunkt des Stundungsantrags ungewisse Verfahrensdauer geboten. Diese Schätzung kann nach den vom Senat in der Entscheidung IV 437/53 U vom 9. Dezember 1954 (BStBl 1955 III S. 56, Slg. Bd. 60 S. 145) dargelegten Grundsätzen nach einem Pauschsatz von 10 v. H. des zu stundenden Steuerbetrages erfolgen.
Normenkette
AO § 320 Abs. 4; FGO § 140/3; AO § 127
Tatbestand
Auf Grund einer bei dem Bf. im Jahre 1952 durchgeführten Steuerfahndungsprüfung wurden dessen Veranlagungen zur Umsatzsteuer und zur Einkommensteuer für die Veranlagungszeiträume II/1948, 1949 gemäß § 222 AO berichtigt und für die Veranlagungszeiträume 1950, 1951 erstmalig, abweichend von seinen Steuererklärungen, durchgeführt. Es ergaben sich hiernach folgende - vom Bf. bestrittene - Steuermehrbeträge:
Einkommen und Abgabe "Notopfer Berlin" ---- 20.300 DM Umsatzsteuer ------------------------------- 1.948 DM.Mit Schreiben vom 19. Januar 1953 beantragte der Bf., ihm zu gestatten, den vorgenannten Betrag von insgesamt 22.248 DM bis zur Erledigung der insoweit anhängigen Rechtsmittelverfahren in Monatsraten von 100 DM zu tilgen. Das Finanzamt lehnte diesen Antrag durch Verfügung vom 13. Februar 1953 ab. Beschwerde und Berufung des durch einen vereidigten Buchprüfer vertretenen Bf. blieben ohne Erfolg. Auf seine Rb. wurde die Streitsache durch Urteil des Bundesfinanzhofs II 129/55 vom 14. Dezember 1955 zur weiteren Veranlassung an die Oberfinanzdirektion als Beschwerdeinstanz zurückverwiesen, der auch die Entscheidung über die Kosten des gesamten Verfahrens und die Streitwertfeststellung übertragen wurde.
Nachdem das Finanzamt inzwischen - d. h. 43 Monate nach Antragstellung - durch Verfügung vom 10. August 1956 die gesamten Rückstände rückwirkend ab Fälligkeit entsprechend dem Antrag des Bf. vom 19. Januar 1953 gestundet und der Stundungsstreit damit in der Hauptsache seine Erledigung gefunden hatte, ergingen am 16. August 1956 entsprechende Beschwerdebescheide der Oberfinanzdirektion, in denen die Kosten des Verfahrens dem Land auferlegt und die Streitwerte auf 923 DM bzw. auf 85 DM (4 1/2 v. H. der gesamten Stundungssumme) festgesetzt wurden. Dabei muß davon ausgegangen werden, daß die Kostenverteilung und die Streitwertfeststellung, wenn dies auch die Beschwerdeinstanz in ihrer Entscheidung nicht ausdrücklich ausgesprochen hat, entsprechend dem ihr vom Bundesfinanzhof erteilten Auftrag (ß 318 Abs. 2 AO) für das gesamte Verfahren, d. h. auch für die im ersten Rechtsgang durchgeführte Berufung und Rb., zu gelten haben.
Gegen diese - nach seiner Auffassung zu niedrigen - Streitwertfeststellungen wandte sich der Bf. im Wege der Berufung mit dem Hinweis darauf, daß durch sie der ihm nach § 316 Abs. 2 AO zustehende Anspruch auf Erstattung der Vertretergebühren - soweit diese Gebühren im steuergerichtlichen Verfahren (Berufung, Rb.) des I. Rechtsganges entstanden seien - in ungerechtfertigter Weise verkürzt werde. Er macht weiter geltend, daß er auch den in der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs anerkannten Pauschsatz von 10 v. H. der Stundungssumme nicht als Streitsumme anerkennen könne. Nach dem Urteil des erkennenden Senats IV 437/53 U vom 9. Dezember 1954 (BStBl 1955 III S. 56, Slg. Bd. 60 S. 145) könne dieser Satz nur dann Anwendung finden, wenn im Einzelfall nicht besondere Umstände vorlägen. Besondere Umstände seien aber hier gegeben. Die Stundung erstrecke sich über den langen Zeitraum von 43 Monaten. Während dieses Zeitraums seien zur Verfolgung der Rechtsmittel Schriftsätze und Eingaben in großer Anzahl nötig gewesen. Der Streitwertfeststellung seien nach der besonderen Sachlage 43 Monate mit 1 v. H. der Stundungssumme zugrunde zu legen, so daß sich folgende Streitwertberechnung ergebe:
1. Umsatzsteuer Stundungssumme ------------------- 1.948 DM Streitwert demnach ----------------- 847 DM 2. Einkommensteuer und Abgabe "Notopfer Berlin" Stundungssumme ------------------ 20.300 DM Streitwert demnach --------------- 8.729 DM.Das Finanzgericht ist dem nicht gefolgt. Es hat lediglich nach dem Pauschsatz von 10 v. H. den Streitwert höher, d. h. auf 2.030 DM und auf 195 DM, festgesetzt und im übrigen die Berufung als unbegründet zurückgewiesen.
Entscheidungsgründe
Die Rb., mit der der Bf. seinen weitergehenden Antrag verfolgt, kann keinen Erfolg haben.
Das Finanzgericht hat zunächst in verfahrensrechtlicher Hinsicht zutreffend das Recht des Bf. auf selbständige Anfechtung des Streitwerts mit dem Ziel seiner Höherfeststellung im Hinblick auf die sich nach § 316 AO ergebenden Folgen anerkannt (Urteile des Bundesfinanzhofs I 10/58 S vom 16. Februar 1960, BStBl 1960 III S. 145, Slg. Bd. 70 S. 388; IV 305/61 U vom 13. April 1962, BStBl 1962 III S. 321).
Zur Sache hat es ausgeführt: Die Berechnung des Streitwertes in Stundungssachen sei umständlich. Das Interesse an der Stundung könne in jedem Einzelfall verschieden sein. Es sei zum Beispiel abhängig von der Dauer der beantragten Stundung, der Höhe des üblichen Zinssatzes, der wirtschaftlichen Lage des Antragstellers, der Frage, ob der Antragsteller anderweitig Kredite zur Abdeckung der Rückstände hätte beschaffen können, und von vielem anderem. Das Interesse könne daher, wie auch der Bf. selbst zugebe, kaum zuverlässig bewertet werden. Zumindest würde den Beteiligten dadurch eine unverhältnismäßig große Arbeit entstehen. Der Streitwert sei daher in solchen Fällen zu schätzen. Nach den Ausführungen des Bundesfinanzhofs in dem Urteil IV 437/53 U (a. a. O.), denen sich das Finanzgericht anschließe, könne der Streitwert pauschal mit 10 v. H. des zu stundenden Steuerbetrages angenommen werden, wenn nicht im Einzelfalle besondere Umstände dem entgegenstünden. Solche besonderen Umstände lägen aber hier nicht vor. Insbesondere könne sich der Bf. nicht auf die angefertigten Schriftsätze seines Vertreters und die erstellten Zwischenbilanzen berufen, weil derartige Arbeiten üblicherweise im Stundungsverfahren anfielen.
Diese Ausführungen sind rechtlich bedenkenfrei. Der Pauschsatz von 10 v. H. dient - wie auch sonst vielfach Pauschsätze im Steuerrecht - der Vereinfachung. Daß sich derartige Vereinfachungsmaßnahmen im Einzelfalle zuungunsten eines der Beteiligten auswirken können, liegt im Wesen der Sache und muß hingenommen werden.
Die Anwendung des Pauschsatzes wird allerdings dann nicht in Betracht kommen, wenn von vornherein feste Anhaltspunkte dafür gegeben sind, daß der Pauschbetrag den tatsächlichen Verhältnissen des Einzelfalles nicht gerecht wird. Das kann beispielsweise dann der Fall sein, wenn die Stundung für einen von vornherein bestimmten oder bestimmbaren sehr langen Zeitraum beantragt wird. Der Senat hält es aber nicht für vertretbar, die Zugrundelegung des Pauschsatzes von der im Zeitpunkt des Stundungsantrages ungewissen und erst nachträglich feststellbaren, mehr oder weniger längeren Prozeßdauer abhängig zu machen. In seiner Anwendung kann daher für den vorliegenden Fall kein fehlerhafter Gebrauch des nach § 320 Abs. 4 AO für die Streitwertberechnung geltenden freien Ermessens gesehen werden.
Fundstellen
Haufe-Index 410646 |
BStBl III 1963, 76 |
BFHE 1963, 214 |
BFHE 76, 214 |
StRK, AO:320 R 50 |