Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Der Anspruch auf Erstattung von Steuern, die unter Zugrundelegung eines Scheinvertrages festgesetzt sind, steht auch nach Aufdeckung des Scheingeschäftes dem Steuerschuldner zu, gegen den vorher die Steuerbescheide ergangen und für dessen Rechnung entsprechend den Steuerbescheiden die Steuern entrichtet waren.
Normenkette
AO §§ 97, 151-152, 159; StAnpG §§ 5-7
Tatbestand
Die Bgin. war nach Maßgabe eines am 1. März 1946 abgeschlossenen Gesellschaftsvertrages in der Zeit vom 1. Januar 1946 bis zum 1. August 1952 zusammen mit ihrer Mutter und ihrem Bruder A. Teilhaberin einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts. Die Gewinne der nach diesem Vertrage von der Gesellschaft betriebenen Fabrik wurden in den Jahren 1946 bis 1952 wie die einer Personengesellschaft versteuert. Die Bgin. wurde auf Grund der in der Regel von ihr unterzeichneten Steuererklärungen unter anderem zur Einkommensteuer sowie zur Vermögensteuer, Soforthilfeabgabe und Vermögensabgabe herangezogen und veranlagt.
Nach den tatsächlichen Feststellungen des Finanzgerichts handelte es sich bei der Gesellschaft des bürgerlichen Rechts um eine Scheingründung, die getätigt war, um durch die Verteilung der Gewinne auf die drei Beteiligten steuerliche Vorteile zu erlangen. Tatsächlicher alleiniger Inhaber der Fabrik war - wie vor Abschluß des Gesellschaftsvertrages - der Bruder der Bgin. A. Das Finanzgericht kann zu der entsprechenden tatsächlichen Feststellung auf Grund einer von A. erstatteten Selbstanzeige und des Ergebnisses einer im Jahre 1955 durchgeführten Betriebsprüfung. Außerdem stützte sich die Vorinstanz auf den Beschluß des Landgerichts X. vom ..... und den Beschluß des Oberlandesgerichts Y. vom ..... Die Bgin. hatte bei den genannten Gerichten die Bewilligung des Armenrechts für eine Klage begehrt, mit der sie die Verurteilung ihres Bruders A. zur Auszahlung ihres Gesellschaftsanteils erreichen wollte. Das Landgericht X. und das Oberlandesgericht Y. kamen in ihren Entscheidungen auch zu dem Ergebnis, daß der Gesellschaftsvertrag vom 1. März 1946 nur zum Schein abgeschlossen worden und deshalb nichtig war; sie versagten daher der Bgin. unter Bezugnahme auf § 114 der Zivilprozeßordnung das Armenrecht, weil die beabsichtigte Klageerhebung keine hinreichende Erfolgsaussicht bot.
Nach Bekanntwerden der Scheingründung und Klärung der Verhältnisse durch die Betriebsprüfung rechnete das Finanzamt die Gewinne ausschließlich dem Alleininhaber A. zu. Die gegen die Bgin. erlassenen Steuerbescheide wurden mit der Maßgabe berichtigt, daß sich nunmehr die Steuerschulden der Bgin. für die Jahre 1946 bis 1955 auf 0 DM stellten. Das Finanzamt erließ gegen die Bgin. unter dem 21. Oktober 1955 einen Abrechnungsbescheid, aus dem hervorging, daß sich nach der Berichtigung eine Steuerüberzahlung im Gesamtbetrage von ..... DM ergab. In dem Abrechnungsbescheid gab das Finanzamt der Bgin. bekannt, daß es den Gesamtbetrag der Steuerüberzahlung in Höhe von ..... DM dem Steuerkonto ihres Bruders A. gutgeschrieben habe, da nach den vom Finanzamt getroffenen Feststellungen die der Steuerüberzahlung zugrunde liegenden Steuerzahlungen aus seinen Mitteln, also auf seine Kosten, getätigt seien und er deshalb erstattungsberechtigt sei.
Auf die von der Bgin. gegen den Abrechnungsbescheid vom 21. Oktober 1955 mit Zustimmung des Vorstehers des Finanzamts eingelegte Sprungberufung hob das Finanzgericht durch das mit der Rb. angefochtene Urteil den genannten Abrechnungsbescheid des Finanzamts auf. Es stellte zugleich in der Urteilsformel fest, daß die Bgin. "Erstattungsberechtigte hinsichtlich der auf ihren Namen und zu ihren Gunsten gezahlten, im oben angeführten Abrechnungsbescheid aufgeführten Steuern und Abgaben in Höhe von ..... DM" sei.
Mit der Rb. beantragt der Vorsteher des Finanzamts, das angefochtene Urteil unter Wiederherstellung des Abrechnungsbescheids des Finanzamts vom 21. Oktober 1955 im vollen Umfang aufzuheben.
Entscheidungsgründe
Der Rb. muß der Erfolg versagt bleiben.
Zwar kann dem Finanzgericht nicht zugestimmt werden, wenn es einer im Schrifttum vertretenen Auffassung folgt, nach der neben der eigentlichen Steuerschuld (§ 97 Abs. 1 AO) eine besondere Steuerzahlungsschuld bestehen soll. Der Begriff einer von der Steuerschuld zu unterscheidenden Steuerzahlungsschuld findet im Gesetz keine ausreichende Grundlage; seine Anerkennung würde rechtlichen Bedenken unterliegen (vgl. unter anderen Hübschmann- Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung, Anmerkung 6 zu § 97; Bühler, Steuerrecht I, 2. Auflage S. 212).
Zutreffend geht aber das Finanzgericht von der einhelligen Auffassung in der Rechtsprechung und im Schrifttum aus, nach der allgemein nicht dem Dritten, der eine Steuer anstelle des Steuerschuldners bezahlt hat, ein Anspruch auf Erstattung nach § 151 AO zusteht; vielmehr kann grundsätzlich nur der Steuerpflichtige selbst, gegen den der Steuerbescheid ergangen ist und der danach die Steuer als Steuerschuldner zu entrichten hat (§ 97 Abs. 1 AO), nach einer Berichtigung (§ 151 AO) die Erstattung des zu Unrecht bezahlten Betrages an sich selbst verlangen (vgl. unter anderen die Urteile des Reichsfinanzhofs II A 176/30 vom 20. Mai 1930, Slg. Bd. 26 S. 344, Mrozek-Kartei, Reichsabgabenordnung, § 127 Abs. 1 (alt), Rechtsspruch 4; III A 55/29 vom 4. Dezember 1930, Slg. Bd. 28 S. 137, Steuer und Wirtschaft 1931 Nr. 169; Urteile des Bundesfinanzhofs II 54/55 U vom 14. Dezember 1955, BStBl 1956 III S. 46, Slg. Bd. 62 S. 122; V z 43/56 vom 27. Juni 1957, abgedruckt in Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern 1957 S. 278 ff., 280, sowie Berger, Die Reichsabgabenordnung nach ihren Schwerpunkten für die Praxis, Abt. 00 S. 171, Anmerkung 2 zu § 150; Kühn, Kommentar zur Reichsabgabenordnung, Anmerkung 3 a zu § 150; Hübschmann-Hepp-Spitaler, a. a. O., Anmerkung 5 zu § 150). Die Ausnahme des § 159 AO, nach der ein Dritter als Zessionar die Erstattung beanspruchen kann, ist im Streitfall nicht gegeben, weil eine Abtretung des Erstattungsanspruchs im Sinne dieser Vorschrift nicht vorliegt. Die Urteile des Reichsfinanzhofs, nach denen bei Gesamtschuldverhältnissen der Zahlende den Erstattungsanspruch hat (vgl. VI A 1673/31 vom 7. Dezember 1932, RStBl 1933 S. 384, und III A 252/33 vom 19. Januar 1934, RStBl 1934 S. 131), stellen keine eigentliche Ausnahme von dem Grundsatz dar, weil jeder Gesamtschuldner Steuerschuldner ist (§ 7 Abs. 1 des Steueranpassungsgesetzes - StAnpG -). Im Streitfall sind die - später berichtigten - Steuerbescheide gegen die Bgin. als alleinige Steuerschuldnerin ergangen. Der gekennzeichnete, durch die Rechtsprechung der obersten Steuergerichte entwickelte und vom Schrifttum gebilligte Grundsatz hat seine innere Rechtfertigung darin, daß der Erstattungsanspruch des § 151 AO (früher § 128 AO) die Umkehrung des Steueranspruchs ist und daher nur dem Steuerschuldner zugebilligt werden kann, das heißt dem, für dessen Rechnung die Zahlung - gleichviel von wem - geleistet worden ist (vgl. das zitierte Urteil des Reichsfinanzhofs III A 55/29, Slg. Bd. 28 S. 137, und die zustimmende Besprechung von Enno Becker, Steuer und Wirtschaft 1931 Spalte 320). Mit Recht hebt der Reichsfinanzhof a. a. O. hervor, daß diese Auslegung sowohl dem Interesse der Finanzbehörden als auch dem Interesse der Beteiligten am besten gerecht wird. Dem Finanzamt ist aus den erlassenen Steuerbescheiden bekannt, wer der Steuerschuldner ist; der Steuerpflichtige, gegen den ein Bescheid über einen bestimmten Steuerbetrag erlassen ist und dem ein auf 0 DM lautender Berichtigungsbescheid zugestellt wird, kann sich darauf verlassen, daß ihm dieser Betrag ausgezahlt wird, soweit nicht eine Anrechnung und Verbuchung auf eine andere seiner Steuerschulden in Betracht kommt. Auch die Vorschrift des § 151 Satz 2 AO, nach welcher der Erstattungsanspruch erlischt, wenn er nicht innerhalb des dort bestimmten Zeitraumes geltend gemacht wird, spricht für die Auslegung; denn der Berichtigungsbescheid wird dem Steuerpflichtigen zugestellt, während der Dritte, der aus irgendwelchen Gründen die Zahlung für den Steuerpflichtigen geleistet hat, unter Umständen von der Berichtigung keine Kenntnis zu erhalten braucht.
Die Gründe, aus denen jemand eine fremde Steuerschuld bezahlt, können sehr verschiedenartig sein und auf besonderen zivilrechtlichen Beziehungen der Beteiligten beruhen. Es kann den Finanzverwaltungsbehörden nicht zugemutet werden, im Einzelfall das zivilrechtliche Verhältnis zwischen dem Steuerschuldner und dem Zahlenden daraufhin zu prüfen, wer von ihnen - in ihrem Innenverhältnis - auf die zu erstattenden Beträge materiell- rechtlich Anspruch hat. Es muß vielmehr den Beteiligten überlassen bleiben, sich hierüber auseinanderzusetzen und gegebenenfalls bei Meinungsverschiedenheiten die Zivilgerichte anzurufen. Im Verhältnis zu den Finanzverwaltungsbehörden kann grundsätzlich nur der Steuerschuldner erstattungsberechtigt sein (so zutreffend unter anderem das Urteil des Reichsfinanzhofs III A 55/29 a. a. O.).
Der Vorsteher des Finanzamts, der diesen Grundsatz anerkennt, ist zu Unrecht der Ansicht, daß im Streitfall eine Ausnahme deshalb Platz greifen müsse, weil den Steuerveranlagungen der Bgin. ein Scheinvertrag zugrunde liegt, der für die Besteuerung gemäß § 5 Abs. 1 StAnpG ohne Bedeutung ist, was zur Berichtigung der Steuerbescheide geführt habe. Aus § 5 StAnpG läßt sich eine solche Ausnahme nicht rechtfertigen. Auch wenn man die Regelung des Abs. 5 des § 5 StAnpG, der sich nach seinem Wortlaut nur auf die Fälle des Abs. 3 a. a. O. bezieht, als allgemeinen Grundsatz auch auf Scheingeschäfte im Sinne des Abs. 1 a. a. O. erstreckt, so folgt aus der Vorschrift des § 5 Abs. 5 a. a. O. nur, daß Steuerfestsetzungen, die auf Grund des (nichtigen) Scheingeschäfts vorgenommen worden sind, zurückzunehmen und "entrichtete Steuern zu erstatten sind". Es fehlt somit im § 5 Abs. 5 StAnpG eine ausdrückliche Regelung, an wen zu erstatten ist. Es muß daher insoweit bei dem allgemeinen zu § 151 AO entwickelten Grundsatz verbleiben, daß der Erstattungsanspruch dem (ursprünglichen) Steuerschuldner zusteht, dem auch der Berichtigungsbescheid zugestellt werden muß. Etwas anderes gilt auch nicht für den im § 6 Abs. 3 StAnpG erwähnten Erstattungsanspruch des "Steuerpflichtigen". übrigens liegt in dem beim erkennenden Senat anhängigen Rechtsstreit kein Umgehungsgeschäft im Sinne des § 6 Abs. 1 StAnpG vor. Vielmehr ist nach der vom Finanzgericht - in übereinstimmung mit den Beschlüssen des Landgerichts X. und des Oberlandesgerichts Y. - ohne Rechtsirrtum getroffenen und damit für den Bundesfinanzhof verbindlichen tatsächlichen Feststellung der Gesellschaftsvertrag vom 1. März 1946 nur zum Schein abgeschlossen worden.
Es kann dem Vorsteher des Finanzamts auch nicht in der Meinung gefolgt werden, der Bruder der Bgin. A. habe von Anfang an nur seine eigenen Steuerschulden tilgen wollen. Abgesehen davon, daß sich die in Betracht kommenden Steuerbeträge zahlenmäßig keineswegs decken, hat er zunächst einmal die Steuerschulden seiner Schwester, der Bgin., (und seiner Mutter) bezahlen wollen, wie sie sich aus deren Steuererklärungen bzw. den gegen sie erlassenen Steuerbescheiden ergaben. Es erscheint dem erkennenden Senat nicht vertretbar, auf Grund der nachträglich festgestellten Rechtslage materiell-rechtlich einen Erstattungsanspruch des Bruders der Bgin A. gegenüber dem Finanzamt anzuerkennen, der den formell-rechtlich gegebenen Erstattungsanspruch der Bgin. als der Steuerschuldnerin beseitigen würde. Dagegen spricht auch folgende Erwägung: Wie schon angedeutet, kommt es vor, daß auf Grund eines Scheingeschäftes entrichtete Steuern bestimmter Art zu erstatten sind, der betreffende Steuerpflichtige aber andere Steuern schuldet. Es ist das Recht des Finanzamts, in solchen Fällen vor einer Erstattung, die auf Grund des Scheingeschäfts überzahlten Beträge in erster Linie zum Ausgleich der anderen Steuern des gleichen Steuerschuldners zu verwenden. Dann ist aber auch im Streitfall keine Erstattung an einen anderen als an die Bgin. als Steuerschuldnerin zulässig, auch wenn diese zur Zeit des Erlasses des Abrechnungsbescheids keine anderen Steuerschulden hatte.
Zutreffend hat das Finanzgericht auch die Berufung des Vorstehers des Finanzamts auf den Grundsatz von Treu und Glauben nicht für durchgreifend erachtet. Einmal steht nach der für den Bundesfinanzhof als Revisionsinstanz grundsätzlich verbindlichen Feststellung des Finanzgerichts "nicht ohne weiteres fest", ob (auch) die Bgin. beim Abschluß des Gesellschaftsvertrages arglistig gehandelt hat. Zum anderen würde im Streitfall die Versagung des nach den vorstehenden Darlegungen gegebenen Erstattungsanspruchs der Bgin. aus dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben weniger das allein maßgebende Verhältnis der Bgin. zum Finanzamt berühren, als ein Eindringen in die zivilrechtlichen Beziehungen zwischen der Bgin. und ihrem Bruder - der offenbar die treibende Kraft bei dem Abschluß des Gesellschaftsvertrages war - erforderlich machen, was nach der wiedergegebenen Rechtsprechung gerade im Rahmen eines mehr nach formell-rechtlichen Maßstäben zu beurteilenden Erstattungsanspruchs vermieden werden soll. Dabei ist zu berücksichtigen, daß auf Grund der Ablehnung des Armenrechts in den genannten Beschlüssen der Zivilgerichte noch keine zivilrechtliche Klärung der Beziehungen der Beteiligten vorzuliegen braucht, da in den Beschlüssen lediglich das Armenrecht versagt wurde.
Die vom Vorsteher des Finanzamts berührte Frage, wie bei versehentlich unrichtigen Buchungen des Finanzamts zu verfahren ist, bedarf keiner Erörterung, da im Streitfall die Buchungen auf dem Steuerkonto der Bgin. nicht auf einem Versehen des Finanzamts beruhten.
Danach war dem Finanzgericht im Ergebnis beizutreten, wenn es unter Aufhebung des Abrechnungsbescheids feststellte, daß die Bgin. hinsichtlich des überzahlten Gesamtbetrages von ..... DM erstattungsberechtigt ist. Es ist auch unbedenklich, daß die Vorinstanz in dem gegen den Abrechnungsbescheid gerichteten Berufungsverfahren zugleich über den Erstattungsantrag der Bgin. entschieden hat (vgl. dazu auch das Urteil des Bundesfinanzhofs III 145/52 U vom 16. Oktober 1953, BStBl 1953 III S. 373, Slg. Bd. 58 S. 215). Es erschien jedoch geboten, die Erstattungspflicht nicht in Form einer Feststellung, sondern einer Leistungspflicht des Finanzamts in die Urteilsformel aufzunehmen.
Fundstellen
Haufe-Index 409569 |
BStBl III 1960, 180 |
BFHE 1960, 480 |
BFHE 70, 480 |