Leitsatz (amtlich)

Bei einem deutschen Seeschiff kann nicht jede Überschreitung der Zollgrenze im Rahmen seines normalen Einsatzes als Einfuhr oder Ausfuhr angesehen werden. Nur solche Schiffsbewegungen sind vergütungsrechtlich beachtlich, die bei regelmäßigem Ablauf der Dinge endgültige Veränderungen erwarten lassen.

 

Normenkette

UStG § 16 Abs. 2; UStDB 1951 §§ 71, 76-77, 80

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Bgin. für die Veräußerung eines Motorschiffes (M.S.) an einen ausländischen Abnehmer Ausfuhrvergütung nach § 16 Abs. 2 UStG zusteht.

Es handelt sich um das M.S. "A.", mit dem der Reeder M. seit 1950 die Küstenfrachtschiffahrt betreibt. Dieses Schiff hatte er am 11. September 1950 von der Reederei N. erworben. Die Reederei M. hatte das Schiff 1925 von einem Kapitän O. in Altona erworben. Gebaut worden war es 1918 in Holland. 1929 hatte das Schiff auf der .... werft in Hamburg eine neue Maschine erhalten, 1931 neue Aufbauten. Während des Krieges war es gesunken, aber wieder gehoben und seetüchtig gemacht worden.

Am 30. Juli 1951 wurde das Einzelunternehmen M. mit Wirkung vom 1. Januar 1951 in eine OHG (Antragstellerin) umgewandelt. Das am 30. Juli 1951 in die OHG eingebrachte M.S. wurde weiterhin für die Küstenschifffahrt in der Nord- und Ostsee verwendet und hat immer wieder deutsche Inlandshäfen angelaufen. Es war bei einem deutschen Amtsgericht registriert, lief unter deutscher Flagge und hatte als Heimathafen Hamburg.

Am 6. Dezember 1956 verkaufte die Antragstellerin das M.S. an einen ausländischen Abnehmer in Y. Vor der Bodenbesichtigung und der Übergabe des Schiffes ließ die Antragstellerin noch eine Reihe von Reparaturen am Schiff ausführen. Das Schiff wurde zu diesem Zweck auf einer deutschen Inlandswerft auf Land geholt und in einen vertragsmäßigen Zustand versetzt. Am 17. Januar 1957 wurde es im Freihafen an den ausländischen Abnehmer übergeben. Am gleichen Tage bestätigte das zuständige Zollamt, daß das M.S. "nach erfolgter Übergabe den Hamburger Freihafen unter ausländischer Flagge leer verlassen" habe.

Der Antrag auf Ausfuhrvergütung wurde vom Finanzamt auch im Einspruchsverfahren abgelehnt. Die Berufung hatte Erfolg. Das Finanzgericht hat auch in diesem Falle den schon bisher von ihm vertretenen Standpunkt vertreten (vgl. Deutsche Steuer-Zeitung Ausgabe B [Eildienst] -- DStZ B -- 1956 S. 176, 178, DStZ B 1957 S. 558, Entscheidungen der Finanzgerichte 1959 S. 229).

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts rügt unrichtige Anwendung des bestehenden Rechts und mangelnde Sachaufklärung. Sie kann keinen Erfolg haben. Zutreffend ist die Vorentscheidung davon ausgegangen, solange ein Schiff einem deutschen Reeder gehöre, einen deutschen Heimathafen habe und unter deutscher Flagge fahre, befinde es sich unabhängig von seiner jeweiligen Bewegung noch im Bereich der inländischen Wirtschaft und sei deshalb der Heimathafen als Standort im Inland anzusehen; nur solche Schiffsbewegungen seien vergütungsrechtlich beachtlich, die bei regelmäßigem Ablauf der Dinge endgültige Veränderungen erwarten ließen. Es kann in der Tat nicht dem Gesetzeszweck entsprechen, beim jeweiligen Auslaufen und Einlaufen eines deutschen Seeschiffes, insbesondere eines in der Küstenschiffahrt eingesetzten Fahrzeugs, jeweils eine Ausfuhr und eine Einfuhr anzunehmen. Der Senat vermag auch nicht den Einwand der Rb. anzuerkennen, die Rechtsprechung des Finanzgerichts und des Bundesfinanzhofs in den bisher amtlich nicht veröffentlichten Entscheidungen verwische die eindeutigen Begriffe des Umsatzsteuerrechts. Auf den Bereich der inländischen Wirtschaft wird es vielmehr immer nur dann ankommen, wenn Schiffsbewegungen über die Zollgrenze in Betracht kommen, die im Rahmen des normalen Einsatzes eines deutschen Seeschiffes immer wieder stattfinden und eine endgültige Veränderung in den Eigentumsverhältnissen nicht erwarten lassen. Die Auffassung des Finanzamts, daß ein Vergütungsanspruch schon deshalb entfalle, weil eine Durchfuhr im Sinne des § 77 Abs. 2 Ziff. 3 UStDB 1951 vorliege, kann deshalb nicht zutreffend sein. Insoweit wird auf das Urteil des erkennenden Senats V 151/61 U vom heutigen Tage (BStBl 1962 III S. 295) Bezug genommen.

Wenn das Finanzgericht darauf hinweist, daß nach § 71 Abs. 1 Ziff. 5 UStDB in der Fassung der Achten Verordnung zur Änderung der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz vom 7. Februar 1957 (BGBl I S. 6, BStBl 1957 I S. 131) auch eine Werklieferung im Austand an einen inländischen Unternehmer als gewerbliche Verwendung im Ausland gelte, soweit es sich um ein vom Antragsteller im Inland hergestelltes Seeschiff oder um eine vom Antragsteller im Inland an einem Seeschiff durchgeführte Großreparatur handle und daß diese Vorschrift durch die Ermächtigung der §§ 16, 18 Abs. 1 Ziff. 1 UStG 1951 nicht gedeckt sei, so hält der Senat dem folgendes entgegen. Diese Vorschrift ist damit zu rechtfertigen versucht worden, daß der Verordnungsgeber der Zweckbestimmung von Seeschiffen, die vorwiegend im Ausland eingesetzt würden, Rechnung getragen habe; die früher auf Grund von Erlassen des Reichsministers der Finanzen zugebilligten Vergütungsansprüche sollten durch die neu eingefügte Vorschrift des § 71 Abs. 1 Ziff. 5, a. a. O., auf eine neue Rechtsgrundlage gestellt werden (vgl. Lang, Umsatzsteuerliche Begünstigung der Einfuhr und Ausfuhr, Stuttgart, 1958, § 71 Ziff. 29 und 30, S. 130). Der Senat ist jedoch bereits auf Grund der alten Rechtslage -- vor Ergehen der Achten Verordnung zur Änderung der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz -- zu seiner Auslegung des Ausfuhrbegriffs gelangt. Es kann daher nach seiner Auffassung dahingestellt bleiben, ob zur Rechtsgültigkeit des § 71 Abs. 1 Ziff. 5, a. a. O., die gleichen weitgehenden Folgerungen zu ziehen sind, wie dies die Vorinstanz getan hat. Die grundsätzliche Auffassung des Senats, daß bei einem deutschen Seeschiff nicht jede Ortsveränderung über die Zollgrenze jeweils als Ausfuhr oder Einfuhr anzusehen ist, wird jedenfalls nicht durch diesen in die Durchführungsbestimmungen eingefügten neuen Sondertatbestand berührt. Liegt hiernach keine Durchfuhr im Sinne des § 77 Abs. 2 Ziff. 3 UStDB 1951 vor, so kann der Bgin. jedenfalls nicht aus diesem Grunde die begehrte Ausfuhrvergütung versagt werden.

Hiernach hat die Bgin. aber alle Voraussetzungen des § 77 Abs. 1 UStDB erfüllt. Unstreitig ist auch die Neufassung des § 76 Abs. 1 in Verbindung mit § 80 UStDB 1951 durch die Achte Verordnung zur Änderung der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz auf den Streitfall nicht anzuwenden.

Mit Recht hat die Vorinstanz hervorgehoben, daß die Steuerpflicht der Vorlieferung bei der Ausfuhrvergütung nicht Voraussetzung des Vergütungsanspruchs ist. Die Vorinstanz hat weiterhin ausgeführt, daß zwar nach § 16 Abs. 2 UStG ein Betrag bis zur Höhe der Steuer vergütet werden kann, die auf die Lieferung oder Einfuhr der Bestandteile, Zubehörteile und Hilfsstoffe lastet, die bei der Erzeugung der Gegenstände verwendet worden sind. Die Vorinstanz hat aber geglaubt, diesem Grundgedanken des § 16 Abs. 2 UStG sei bei einem Seeschiff, das sich mindestens schon seit Beginn der zwanziger Jahre im Bereich der deutschen Wirtschaft befunden habe und vielfach repariert worden sei, dadurch Rechnung getragen, daß eine Vorbelastung mit Umsatzsteuer -- wenn auch nicht in genau festgestellter Höhe -- gegeben sei. Diese Auffassung ist nicht zu beanstanden. Die Rb. rügt demgegenüber mangelnde Sachaufklärung, weil das Finanzgericht entsprechende Feststellungen nicht getroffen habe. Solche Feststellungen werden aber bei zum Teil Jahrzehnte zurückliegenden Vorgängen kaum je zu treffen sein. Der Senat hat jedenfalls Bedenken, allein aus dem Grundgedanken des § 16 Abs. 2 UStG gegenüber den im einzelnen genau umrissenen Voraussetzungen des § 77 UStDB, die die Antragstellerin erfüllt hat, zu einer Versagung der Vergütung zu kommen.

Hiernach rechtfertigt sich die Zurückweisung der Rb. des Vorstehers des Finanzamts.

 

Fundstellen

BStBl III 1962, 295

BFHE 1963, 76

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