Leitsatz (amtlich)

1. Zur Auslegung der Begriffe Ausfuhr und Durchfuhr im Sinne des § 77 Abs. 2 Ziff. 3 UStDB 1951 bei der Veräußerung eines auf einer Freihafenwerft gebauten Seeschiffes an einen ausländischen Abnehmer.

2. Aus der vom Senat vertretenen Auffassung über den Ausfuhrbegriff ergibt sich, daß vor dem Inkrafttreten der durch die 8. UStDBÄndVO vom 7. Februar 1957 (BGBl 1957 I S. 6, BStBl 1957 I S. 131) eingefügten Neufassung des § 76 Abs. 1 UStDB Vergütungen an deutsche Werften für die Ablieferung eines Seeschiffes an einen deutschen Reeder nur aus Billigkeitsgründen gewährt sein können. Diese Vergütungen auf Grund nicht veröffentlichter Erlasse des Reichsministers der Finanzen stehen gegebenenfalls der Gewährung einer Ausfuhrvergütung nach § 16 Abs. 2 UStG an eine deutsche Reederei, die das Schiff erstmals ausgeführt hat, nicht entgegen.

 

Normenkette

UStG § 16 Abs. 2; UStDB 1951 §§ 71, 76-77, 80; StAnpG § 1 Abs. 2

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Antragstellerin für die Veräußerung ihres Motorschiffes "A." an einen ausländischen Abnehmer Ausfuhrvergütung nach § 16 Abs. 2 UStG zusteht.

Dieses Seefrachtschiff wurde in den Jahren 1951/1952 auf einer deutschen Freihafenwerft gebaut und nach der Probefahrt im Freihafen an die Antragstellerin abgeliefert. Diese bereederte es auf vier Auslandsreisen im Jahre 1952 auf eigene Rechnung. Am 11. Oktober 1952 wurde das Schiff in Zeitcharter an eine ausländische Reederei verchartert. Im Jahre 1953 verkaufte die Antragstellerin das Schiff an diese Firma und übergab es ihr am 26. November 1953 im Hamburger Freihafen.

Am 13. Februar 1954 beantragte die Antragstellerin für diesen Vorgang Ausfuhrvergütung. Dieser Antrag wurde vom Finanzamt -- auch im Einspruchsverfahren -- abgelehnt, weil das Schiff, als es die Elbe von der Dreimeilengrenze bis zum Freihafen befahren habe, durch das Inland nur durchgeführt worden sei, und weil bereits die Werft eine Vergütung habe beanspruchen können.

Im Berufungsverfahren hatte die Antragstellerin Erfolg. Die Vorinstanz hielt an ihrer bereits in früheren Entscheidungen vertretenen gegenteiligen Auffassung fest.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts kann keinen Erfolg haben.

Soweit sich die Rb. darauf beruft, daß eine Durchfuhr im Sinne des § 77 Abs. 2 Ziff. 3 UStDB 1951 vorgelegen habe, kann auf die Urteile des Bundesfinanzhofs V 151/61 U und V 161/61 U vom heutigen Tage (BStBl 1962 III S. 295) Bezug genommen werden. Soweit in dieser Sache gerügt wird, der Bundesfinanzhof und die Vorinstanz legten die durch § 1 UStDB genau bestimmten Begriffe "Inland" und "Ausland" gegen den Wortlaut dieser Vorschrift aus, so wird verkannt, daß es nicht um die Auslegung dieser allerdings feststehenden Begriffe geht, sondern daß vielmehr dem Ausfuhrvorgang, der das Tätigwerden einer Person voraussetzt, eine dem Sinn und Zweck des § 16 UStG gerecht werdende Deutung beigemessen wird. Für den Begriff "Ausfuhr" als solche befindet sich weder im UStG noch in den UStDB eine Begriffsbestimmung (im Gegensatz zum Einfuhrbegriff, vgl. § 20 Abs. 1 UStDB). Eine Begriffsbestimmung findet sich vielmehr nur für die Ausfuhr lieferung (§ 20 a. a. O.) und im Vergütungsrecht für die Verbringungstatbestände (vgl. §§ 70, 71 UStDB, auf die für die Ausfuhrvergütung in § 77 a. a. O. verwiesen ist), wobei jeweils weitere Voraussetzungen als das bloße Gelangen eines Gegenstandes vom Inland in das Ausland gefordert werden. Unter diesen Umständen setzt sich also der Bundesfinanzhof nicht, wie die Rb. meint, mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 21. Mai 1952 -- 2 BvH 2/52 -- Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 1 S. 299) oder seiner eigenen Rechtsprechung in Widerspruch, wenn er den Ausfuhrbegriff für auslegungsfähig hält; denn auf eine etwaige Sinnwidrigkeit des einen oder des anderen Ergebnisses kommt es solchenfalls gar nicht an. Der Senat gibt jedenfalls der Auslegung den Vorzug, die dem zollgrenzüberschreitenden Verkehr eines Seeschiffes während seines normalen Einsatzes keine vergütungsrechtliche Bedeutung beimißt, weil solche Grenzüberschreitungen regelmäßig bei jeder Schiffsreise vorkommen und eine Veränderung in den Besitzverhältnissen des Schiffes nicht eintritt. Zwar weist die Rb. zutreffend darauf hin, daß ein Eigentumswechsel auch nicht bei allen Verbringungstatbeständen des § 71 UStDB alter Fassung vorausgesetzt wird; jedoch gehen sämtliche Beispiele im § 71 in der hier noch geltenden Fassung davon aus, daß der Gegenstand zu gewerblichen Zwecken und nicht nur vorübergehend in das Ausland gelangt. Gerade dieser Umstand spricht dafür, daß die Verwendung des Gegenstands im Bereich der ausländischen Wirtschaft Voraussetzung für die Gewährung einer Vergütung ist (vgl. § 71 Abs. 2 alter Fassung, besonders das Beispiel "zur Bearbeitung oder Verarbeitung in einem ausländischen Betrieb des Antragstellers für den Auslandsmarkt"). Hiernach liegt nicht etwa eine bloße Durchfuhr durch das Inland vor, weil das Schiff sich vor der Veräußerung noch im Bereich der inländischen Wirtschaft befunden hat. Dies gilt auch für die Zeit, in der das Schiff verchartert war; denn auch solchenfalls ändert sich nichts an der rechtlichen Verfügungsmacht über das Schiff und kehrt es bei regelmäßigem Ablauf der Dinge immer wieder in seinen deutschen Heimathafen, wo es auch registriert ist, zurück.

Das Schiff ist also erst im Zeitpunkt der Veräußerung aus dem Bereich der deutschen Wirtschaft ausgeschieden, so daß der Vergütungsantrag auch nicht, wie die Rb. hilfsweise ausführt, verspätet gestellt worden ist. Soweit in dem nicht zur Veröffentlichung bestimmten Urteil des Bundesfinanzhofs V 231/56 vom 3. Juli 1958 (teilweise abgedruckt in Umsatzsteuer-Rundschau 1958 S. 170), auf das sich die Rb. bezieht, eine andere Auffassung vertreten wird, hält der Senat daran nicht fest. Maßgebend ist auch insoweit nicht der Zeitpunkt der Grenzüberschreitung, sondern das endgültige Ausscheiden aus dem Bereich der deutschen Wirtschaft.

Die Rb. beruft sich ferner darauf, daß bereits die Werft Vergütung für die ablieferung des Schiffes erhalten habe. § 76 Abs. 1 UStDB gilt jedoch für den Streitfall noch in der vor der Achten Verordnung zur Änderung der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz (UStDBÄndVO) vom 7. Februar 1957 (BGBl I S. 6, BStBl I S. 131) geltenden Fassung. Der Senat ist der Auffassung, daß durch die Änderung des § 76 Abs. 1 UStDB die materielle Rechtslage geändert wurde. Aus der vom Senat vertretenen Auffassung über den Ausfuhrbegriff ergibt sich, daß Vergütungen, die deutsche Werften für die Ablieferung eines Seeschiffes an eine deutsche Reederei erhalten haben, vor Ergehen der 8. UStDBÄndVO nur aus Billigkeitsgründen gewährt sein können (vgl. Urteil des Finanzgerichts Schleswig-Holstein vom 1. Juli 1954, Entscheidungen der Finanzgerichte -- EFG -- 1954 S. 243; bestätigt durch Urteil des Bundesfinanzhofs V 227/54 vom 23. August 1955, EFG 1956 S. 1). Es kann hier dahingestellt bleiben, auf welcher Rechtsgrundlage die nicht veröffentlichten Verwaltungsanordnungen des Reichsministers der Finanzen ergangen sind, ebenso, wie die Rechtslage nach der 8. UStDBÄndVO zu beurteilen ist. Der Senat geht davon aus, daß es jedenfalls bei der Ablieferung eines für eine deutsche Reederei bestimmten Seeschiffes an einem Ausfuhrvorgang fehlt, weil allen in § 71 UStDB alter Fassung aufgestellten Verbringungstatbeständen gemeinsam ist, daß die verbrachten Gegenstände bei regelmäßigem Ablauf der Dinge auch im Ausland verbleiben. Dies entspricht auch dem wirtschaftspolitischen Zweck des § 16 UStG. Das Urteil des erkennenden Senats V 185/54 U vom 30. September 1954 (BStBl 1954 III S. 355, Slg. Bd. 59 S. 378) ließ diese Frage offen und wird hier nicht berührt.

Der Umstand, daß der Werft aus Billigkeitsgründen Ausfuhrvergütung gewährt worden ist, kann aber nicht zu Lasten der Reederei gehen, auf die sich die genannten Erlasse gar nicht beziehen und die erstmals einen Ausfuhrvorgang im Sinne des § 77 Abs. 1 Ziff. 2 UStDB 1951 bewirkt hat (vgl. auch das Urteil des erkennenden Senats V 298/59 S vom 3. Mai 1962, BStBl 1962 III S. 265).

Nach allem war die Rb. des Vorstehers des Finanzamts als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

BStBl III 1962, 293

BFHE 1963, 70

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