Leitsatz (amtlich)
1. § 8 Nr. 1 GewStG enthält einen in sich geschlossenen Tatbestand, der nicht aus anderen Nummern der Vorschrift zu ergänzen ist.
2. Zur Frage der "in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen" im Sinne des § 118 Abs. 2 FGO und über die Grenzen der amtlichen Ermittlungspflicht des FG.
Normenkette
FGO § 76 Abs. 1 S. 1, § 96 Abs. 1 S. 1, § 118 Abs. 2; GewStG 1962 § 8 Nr. 1, § 12 Abs. 2 Nr. 1
Tatbestand
Die steuerpflichtige Kommanditgesellschaft (Steuerpflichtige) wendet sich dagegen, daß in den für das Jahr 1963 maßgebenden Gewerbeertrag nach § 8 Nr. 1 GewStG Schuldzinsen und in das Gewerbekapital nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 GewStG Verbindlichkeiten einbezogen wurden. Sie bat in erster Linie um die Aussetzung des Rechtsstreits, bis das Bundesverfassungsgericht über die bei ihm anhängigen Sachen entschieden habe. Das FG setzte das Verfahren nicht aus und wies die Berufung zurück. Es hält die erwähnten Bestimmungen des GewStG mit Art. 3 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG für vereinbar.
Mit der Revision wiederholt die Steuerpflichtige ihre Bedenken wegen der Verfassungsmäßigkeit von §§ 8 Nr. 1 und 12 Abs. 2 Nr. 1 GewStG. Sie trägt weiter vor: Der zweite Teil des § 8 Nr. 2 GewStG, wonach die Zurechnung zu unterbleiben habe, wenn die Beträge beim Empfänger zum steuerpflichtigen Gewerbeertrag gehören, gelte auch für § 8 Nr. 1 GewStG. Das ergebe sich daraus, daß die Nr. 1 mit einem Strichpunkt abschließe; der Punkt folge erst nach dem ersten Halbteil der Nr. 2. Unter diesen Umständen müsse der die Hinzurechnung einschränkende Folgesatz auch die Nr. 1 umfassen. Andernfalls verstoße Nr. 1 gegen die Systematik des § 8 GewStG, wie sie in den Nrn. 2, 3, 7 und 8 zum Ausdruck komme, und bewirke eine unzulässige Doppelbesteuerung. Der BFH habe zudem in der Entscheidung I 22/62 U vom 8. Januar 1963 (BFH 76, 262, BStBl III 1963, 94) den allgemeinen Grundsatz bestätigt, "der die doppelte Erfassung desselben Betrages bei der Gewerbeertragsteuer verhindern soll". Erstmalig beantragt die Steuerpflichtige in der Revisionsinstanz, die zugerechneten Zinsen um 929 DM Abschreibung auf ein Damnum gemäß der Entscheidung des Senats VI 209/63 vom 23. Februar 1966 (BFH 86, 32, BStBl III 1966, 375) zu kürzen. Schließlich bittet sie, das Revisionsverfahren bis zur Entscheidung des BVerfG über die Verfassungsmäßigkeit der streitigen Vorschriften des GewStG auszusetzen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist nicht begründet.
Der BFH hat im Urteil I 373/62 U vom 4. Mai 1965 (BFH 82, 489, BStBl III 1965, 424) entschieden, daß Dauerschuldzinsen dem Gewinn aus Gewerbebetrieb zuzurechnen sind, auch wenn sie beim Empfänger der Gewerbeertragsteuer unterliegen. Dabei ist ausgeführt worden, daß § 8 GewStG unterschiedliche Zurechnungsfälle aufzähle. Jede Nummer der Vorschrift regele für ihren Bereich die Voraussetzungen und den Umfang der Zurechnung selbständig. Einschränkungen einer Nummer dürften darum nicht ohne weiteres auf andere Nummern übertragen werden. Es sei auch nicht ausgeschlossen, denselben Betrag mehrfach zur Gewerbesteuer heranzuziehen. Die einzelnen Fälle der Zurechnungen des § 8 GewStG verfolgten verschiedene Zwecke, die im Gesetz selbst keinen klaren Ausdruck gefunden hätten. Zum Teil wollten sie der Betriebsgemeinde die Gewerbesteuer sichern, die sonst an eine andere Gemeinde falle, zum Teil werde der Gewinnbegriff des EStG (KStG) geändert, zum Teil wurden Gewinnanteile der Gewerbesteuer unterworfen, die sonst der Besteuerung entgingen. Nr. 1 beschränke jedenfalls die Zurechnung nicht.
Der VI. Senat tritt diesen Ausführungen bei. Nicht nur die Nr. 1 schließt mit einem Strichpunkt, sondern auch die Nrn. 2 bis 8. Erst hinter Nr. 9, der letzten Nummer in der Aufzählung, kommt der Punkt. Es mag dahingestellt bleiben, ob die Zeichensetzung in § 8 GewStG glücklich ist und den allgemeinen Regeln der Rechtschreibung entspricht. Jedenfalls kann man aber aus der Zeichensetzung nicht die Folgerung der Steuerpflichtigen ableiten; denn sonst verlöre § 8 GewStG seinen erkennbaren Sinn und jede klare Linie.
Die Steuerpflichtige deutet auch den zitierten Satz aus der BFH-Entscheidung I 22/62 U (a. a. O.) nicht richtig. Die Entscheidung ist zum Umwandlungs-Steuergesetz vom 11. Oktober 1957 (BStBl I 1957, 468) ergangen und betrifft die Frage, ob der aus der Auflösung einer Pensionsrückstellung sich ergebende Umwandlungsgewinn der sogenannten "zweiten Stufe" steuerfrei ist, wenn die Rückstellung schon bei ihrer Bildung durch die Zurechnung nach § 8 Nr. 6 GewStG der Gewerbesteuer unterworfen worden war. Der I. Senat bejahte die Steuerfreiheit, weil bei einer Umwandlung für eine Nachversteuerung früherer und nunmehr aufgelöster Rückstellungen kein Anlaß bestehe, wenn diese bei ihrer Bildung infolge der Hinzurechnung früher den Ertrag nicht geschmälert hätten (siehe auch die Entscheidung des Senats VI 294/62 U vom 9. Oktober 1964, BFH 81, 547, BStBl III 1965, 198). Es handelt sich also um einen Sonderfall, der mit dem vorliegenden Streitfall nicht vergleichbar ist.
Die Frage, ob die §§ 8 Nr. 1 und 12 Abs. 2 Nr. 1 GewStG verfassungsrechtlich mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar sind, hat der Senat im Urteil VI 393/65 vom 29. September 1967 (BFH 90, 501, BStBl II 1968, 183) bejaht. Die Hinzurechnungen verstoßen auch nicht gegen die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG. Die Auferlegung von Geldleistungen berührt grundsätzlich die Eigentumsgarantie des Ar. 14 Abs. 1 Satz 1 GG nicht, sondern allenfalls nur dann, wenn sie den Steuerschuldner übermäßig belasten und seine Vermögensverhältnisse grundlegend beeinträchtigen würden (Urteil des BVerfG I BvR 561/60 vom 14. Dezember 1965, BVerfGE Bd. 19 S. 253 ff.). Davon kann hier nicht die Rede sein.
Mit dem Einwand, in den zugerechneten Zinsen sei ein Betrag von 929 DM als Abschreibung auf ein Damnum enthalten, kann die Steuerpflichtige im Revisionsverfahren nicht mehr gehört werden. Nach der Entscheidung des Senats VI 209/63 (a. a. O.) rechnet allerdings das Damnum nicht zu den Zinsen im Sinne des § 8 Nr. 1 GewStG. Wenn auch diese Entscheidung grundsätzlich für alle nicht rechtskräftigen Fälle Bedeutung hat, so kann sich doch aus den revisionsrechtlichen Vorschriften eine Einschränkung ergeben. Im Revisionsverfahren ist das angefochtene Urteil des FG grundsätzlich nur auf Rechtsfehler zu prüfen (§ 118 Abs. 1 FGO). Nach § 118 Abs. 2 FGO ist der BFH als Revisionsgericht in aller Regel "an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden". Dabei ist der Begriff der "getroffenen tatsächlichen Feststellungen" nicht zu eng zu fassen. Der Steuerbescheid und die Einspruchsentscheidung sowie die ihnen zugrunde liegende Steuererklärung nebst Anlagen, ferner der Inhalt eines Betriebsprüfungsberichts, auf den der Veranlagungs- oder der Einspruchsbescheid des FA verweist, sind im Sinne des § 118 Abs. 2 FGO Gegenstand der tatsächlichen Feststellungen des FG, und zwar sogar, wenn das FG sie nicht ausdrücklich erwähnt, diese Schriftstücke aber ohne weiteres Voraussetzung und Gegenstand des finanzgerichtlichen Verfahrens gewesen sind (Beschluß des Großen Senats des BFH Gr. S. 3/66 vom 17. Juli 1967, BFH 91, 213, BStBl II 1968, 285). Das gilt um so mehr, als das FG nach § 76 Abs. 1 FGO innerhalb der gestellten Anträge den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen und gemäß § 96 Abs. 1 FGO nach seiner "aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens" gewonnenen Überzeugung zu entscheiden hat. Andererseits braucht das FG nicht ohne bestimmten Anlaß allen Posten der Steuererklärung und ihrer Anlagen nachzugehen. Es kann in aller Regel unterstellen, daß die Beteiligten, d. h. das FA und der Steuerpflichtige, auf die Wahrung ihrer Interessen bedacht sind, so daß im allgemeinen besondere Nachforschungen zugunsten eines Beteiligten sich erübrigen, wenn nicht den Verhältnissen nach ein besonderer Anlaß dazu besteht.
Es kommt also darauf an, ob im Streitfall das FG nach dem Lauf des Verfahrens, dem Vorbringen der Beteiligten und dem Inhalt der Akten einen vernünftigen Anlaß hatte, zu der Frage des Damnums Stellung zu nehmen und entsprechende tatsächliche Feststellungen zu treffen. Das ist zu verneinen. Aus den Akten ergab sich nicht, daß in den von der Steuerpflichtigen nach § 8 Nr. 1 GewStG erklärten Dauerschuldzinsen ein Damnum enthalten war. Das hat die Steuerpflichtige erstmalig im Revisionsverfahren vorgetragen. Würde der Senat ihr Vorbringen berücksichtigen, so würde er damit den vom FG festgestellten Sachverhalt ändern bzw. ergänzen. Dazu ist er aber nach § 118 Abs. 2 FGO nicht berechtigt.
Der Senat sieht keinen Anlaß, dem Antrag der Steuerpflichtigen entsprechend das Verfahren bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Gültigkeit der Zurechnungsvorschrift auszusetzen (Beschluß des Senats VI B 43/67 vom 13. Oktober 1967, BFH 90, 393, BStBl II 1968, 118).
Fundstellen
Haufe-Index 68093 |
BStBl II 1968, 589 |
BFHE 1968, 333 |