Leitsatz (amtlich)
1. Steuernachzahlungen an persönlichen Steuern, die auf den Feststellungen einer nach dem Veranlagungszeitpunkt durchgeführten Betriebsprüfung beruhen, sind an dem zurückliegenden Veranlagungszeitpunkt als unverzinsliche befristete Schulden abzuziehen.
2. Der Senat hat keine Bedenken, daß Steuererstattungsansprüche, die auf den Feststellungen einer nach dem Veranlagungszeitpunkt (Feststellungszeitpunkt) durchgeführten Betriebsprüfung beruhen, an dem zurückliegenden Veranlagungszeitpunkt (Feststellungszeitpunkt) ebenso bewertet werden, wie Steuernachzahlungen aufgrund einer Betriebsprüfung.
Normenkette
BewG i.d.F. vor BewG 1965 § 14 Abs. 3; BewG i.d.F. vor BewG 1965 § 62b; BewG i.d.F. vor BewG 1965 § 74 Abs. 1 Nr. 1
Tatbestand
Die Kläger werden zur Vermögensteuer zusammen veranlagt. Der Ehemann ist persönlich haftender Gesellschafter der Kommanditgesellschaft M. Bei dieser Gesellschaft fand vom 15. Januar 1964 bis 20. August 1965 eine Betriebsprüfung statt. Aufgrund dieser Betriebsprüfung ergaben sich Steuernachholungen an persönlichen Steuern (Einkommensteuer, Kirchensteuer, Vermögensteuer) für 1957 von 11 864 DM, für 1958 von 980 DM, für 1959 von 1 870 DM, für 1960 von 3 320 DM und für 1961 von 3 940 DM sowie Steuerguthaben an persönlichen Steuern (Einkommensteuer, Kirchensteuer) für 1960 von 23 460 DM und für 1961 von 8 379 DM. Aufgrund der Betriebsprüfung erhöhten sich die Einheitswerte des Betriebsvermögens der KG und damit auch der Anteil des Ehemanns an dem Gesellschaftsvermögen. Im Hinblick darauf erließ das FA (Beklagter und Revisionskläger) am 20. November 1967 einen berichtigten Vermögensteuerbescheid 1958 bis 1962. Bei der Vermögensermittlung auf den Beginn der Kalenderjahre 1958 bis 1962 setzte das FA die sich durch die Betriebsprüfung ergebenden Steuernachholungen und Steuerguthaben nicht mit dem Nennwert, sondern mit dem nach § 14 Abs. 3 BewG abgezinsten Wert an. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
Auf die Klage zog das FG bei der Ermittlung des Gesamtvermögens für die Veranlagungszeitpunkte 1958 bis 1960 die Steuerschulden mit dem Nennwert ab und ermäßigte die Steuerfestsetzung dementsprechend. Soweit sich die Klage auf die Veranlagungszeitpunkte 1961 und 1962 bezog, wurde sie als unzulässig abgewiesen, weil es an einer Beschwer der Kläger fehle. Denn durch den Überhang an abgezinsten Erstattungsansprüchen gegenüber den abgezinsten Steuernachholungsbeträgen ergebe sich für diese Veranlagungszeitpunkte eine zu niedrige Steuerfestsetzung. Es sei dem Gericht aber verwehrt, die Steuer höher festzusetzen, als sie das FA festgesetzt habe.
Die Revision des FA rügt, das FG habe § 14 Abs. 3 BewG dadurch unrichtig angewendet, daß es einen festen Zahlungstermin für Steuernachholungen aufgrund einer Betriebsprüfung verneinte. Es sei zwar richtig, daß an den jeweils maßgebenden zurückliegenden Veranlagungszeitpunkten die Fälligkeit der Steuernachholungen nicht festgestanden habe. Hierauf komme es aber nicht an. Denn auch die Tatsache der Nachforderung sei an diesen Stichtagen nicht bekannt gewesen. Wenn aber schon am Veranlagungszeitpunkt noch nicht bekannte Schulden abgezogen würden, so sei nicht ersichtlich, weshalb nicht auch die Laufzeit bis zum Bekanntwerden dieser Schulden berücksichtigt werden könne. Allein daraus, daß diese Schulden an den zurückliegenden Veranlagungszeitpunkten rechtlich schon entstanden gewesen seien, könne dies nicht hergeleitet werden, denn dieser Entstehungstatbestand sei an diesen Zeitpunkten für alle Beteiligten unbekannt gewesen. Er sei erst durch die viel später durchgeführte Betriebsprüfung bekanntgeworden. Wenn man bei Steuernachholungen aufgrund einer Betriebsprüfung nach der Rechtsprechung des BFH schon annehme, der Steuerpflichtige müsse auch an zurückliegenden Stichtagen mit der Durchführung der Betriebsprüfung und daraus folgenden Steuernachholungen rechnen, so sei es nur folgerichtig, diese Steuernachforderungen bis zum Zeitpunkt der Durchführung der Betriebsprüfung als befristet zu betrachten. Andernfalls würde ein einheitlicher Vorgang willkürlich zeitlich getrennt werden.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Auf die Revision wird die Vorentscheidung aufgehoben, soweit sie über die Vermögensteuer 1958 bis 1960 entschieden hat.
1. Zur Ermittlung des Werts des Gesamtvermögens sind vom Rohvermögen Schulden abzuziehen, soweit sie nicht mit einem gewerblichen Betrieb in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen (§ 74 BewG). Voraussetzung für den Abzug einer Schuld ist, daß sie an dem maßgebenden Veranlagungszeitpunkt schon entstanden und noch nicht getilgt ist, und daß der Schuldner ernstlich damit rechnen muß, in Anspruch genommen zu werden (Entscheidung des BFH III 9/54 S vom 5. November 1954, BFH 59, 447, BStBl III 1954, 381).
Wegen der Einzelheiten siehe das Urteil III R 83/71 vom 10. Mai 1972 (BStBl II 1972, 688).
2. Noch nicht fällige Schulden aus laufend veranlagten Steuern sind bei der Ermittlung des Gesamtvermögens grundsätzlich nur abzuziehen, wenn sie für einen Zeitraum erhoben werden, der spätestens im maßgebenden Veranlagungszeitpunkt geendet hat (§ 74 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 62b Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 BewG). Für den Schuldenabzug laufend veranlagter Steuern wird damit über die allgemeinen Erfordernisse des Schuldenabzugs hinaus verlangt, daß die Steuerschulden für einen bestimmten Zeitraum erhoben werden. Diese Sonderregelung bedeutet nicht, daß Schulden aus laufend veranlagten Steuern auch zu berücksichtigen wären, wenn sie den Schuldner wirtschaftlich nicht belasten.
Wegen der Einzelheiten siehe das Urteil III R 83/71 vom 10. Mai 1972 (a. a. O.).
3. Nach den unangefochtenen Feststellungen des FG werden die von den Klägern geltend gemachten Steuerschulden für einen Zeitraum erhoben, der an den maßgebenden Veranlagungszeitpunkten geendet hatte. Diese Schulden waren nicht bis zur Aufdeckung des Steuertatbestands durch die Betriebsprüfung aufschiebend bedingt. Denn für die rechtliche Entstehung der Steuerschuld genügt allein die Verwirklichung des Steuertatbestands. Ohne Einfluß ist dagegen, ob das FA von dieser Verwirklichung Kenntnis hat, ob es die Steuer festgesetzt hat und ob die Steuerschuld fällig ist (§ 3 Abs. 1 und 2 StAnpG). Der Senat teilt auch die Auffassung, daß diese Schulden an Veranlagungszeitpunkten vor Durchführung der Betriebsprüfung für den Schuldner schon eine wirtschaftliche Belastung waren, obwohl man hierüber unterschiedlicher Meinung sein könnte.
Wegen der Einzelheiten siehe das Urteil III R 83/71 vom 10. Mai 1972 (a. a. O.).
Die aufgezeigten Bedenken erscheinen dem Senat nicht gewichtig genug, um die bisherige Rechtsprechung grundsätzlich aufzugeben. Festzuhalten bleibt aber, daß bezüglich der wirtschaftlichen Belastung durch Steuernachholungen aufgrund einer erst nach dem Veranlagungszeitpunkt durchgeführten Betriebsprüfung das Stichtagsprinzip modifiziert wird.
4. Die Höhe des Schuldenabzugs bestimmt § 14 BewG.
a) Nach § 14 Abs. 1 BewG sind Geldforderungen (Kapitalforderungen) grundsätzlich mit dem Nennwert anzusetzen. Ausnahmsweise werden sie mit einem höheren oder niedrigeren Betrag als dem Nennwert bewertet, wenn besondere Umstände dies erfordern.
Wegen der Einzelheiten siehe das Urteil III R 83/71 vom 10. Mai 1972 (a. a. O.).
b) Entgegen der Auffassung von Bachmayr (DB 1968, 631, BB 1970, 295) hat der Ausdruck "befristet" in § 14 Abs. 3 BewG nicht einen durch das bürgerliche Recht vorgegebenen Inhalt.
Wegen der Einzelheiten siehe das Urteil III R 83/71 vom 10. Mai 1972 (a. a. O.).
5. Steuernachholungen aufgrund einer Betriebsprüfung sind unverzinslich (vgl. § 4 StSäumG). Der Senat ist weiter der Auffassung, daß bei Berücksichtigung vorstehender Überlegungen diese Steuernachholungen befristet sind (vgl. § 47 Abs. 2 EStG).
Wegen der Einzelheiten siehe das Urteil III R 83/71 vom 10. Mai 1972 (a. a. O.).
6. Das FG hat zu Recht die Klage gegen die Vermögensteuerveranlagung 1961 und 1962 als unzulässig abgewiesen. Denn aufgrund der Rechtsauffassung, die die Kläger vertreten und die das FG billigte, hätte sich für diese beiden Jahre eine Verböserung ergeben, weil ein Überhang an Erstattungsansprüchen bestand. Das FA hat aber auch die durch die Feststellungen der Betriebsprüfung sich ergebenden Erstattungsansprüche nicht mit dem Nennwert, sondern mit dem abgezinsten Wert angesetzt, so daß die Kläger insoweit nicht beschwert waren. Der Senat teilt im übrigen die Auffassung des FA, daß Erstattungsansprüche, die durch eine Betriebsprüfung aufgedeckt werden, wegen des Sachzusammenhangs mit der Betriebsprüfung ebenso bewertet werden wie Steuernachholungen aufgrund einer Betriebsprüfung.
7. Das FG ist von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen. Seine Entscheidung war deshalb aufzuheben.
Die Sache ist spruchreif. Die Klage gegen die Veranlagung der Vermögensteuer für die Jahre 1958 bis 1960 wird abgewiesen.
Fundstellen
Haufe-Index 413244 |
BStBl II 1972, 691 |
BFHE 1972, 102 |