Entscheidungsstichwort (Thema)
Berücksichtigung von Zahlungen des Steuerschuldners bei Festsetzung der Haftungsschuld
Leitsatz (NV)
Legt ein Haftungsschuldner gegen einen Haftungsbescheid Einspruch ein, so muß das FA seine Ermessensentscheidung, ihn als Haftenden in Anspruch zu nehmen, überprüfen. Inzwischen eingegangenen Zahlungen des Steuerschuldners, die zur Tilgung der Steuerschuld geführt haben, muß das FA dadurch Rechnung tragen, daß es die Haftungsbeträge herabsetzt.
Normenkette
AO § 112; StAnpG § 7 Abs. 3-4
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin war als Bürogehilfin in einem Einzelunternehmen angestellt. Nach einer Steufa-Prüfung ging das FA davon aus, daß die für die Führung der Geschäftskasse allein verantwortliche Klägerin in erheblichem Umfang Warenausgangsrechnungen nicht als Betriebseinnahmen verbucht hatte. Das FA erließ deshalb am 8. Januar 1969 gegenüber der Klägerin einen Haftungsbescheid über insgesamt 36 228 DM Steuerschulden des Einzelunternehmers. Am 19. Oktober 1972 wurde die Klägerin wegen Beihilfe zur fortgesetzten Steuerhinterziehung verurteilt. Das FA wies den Einspruch der Klägerin am 2. November 1976 zurück.
Die Klage blieb ohne Erfolg. Auf die Revision der Klägerin hob der BFH die Vorentscheidung auf und verwies die Sache an das FG zurück.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückweisung der Sache an das FG zwecks anderweitiger Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Die von der Klägerin erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch. Dies bedarf keiner weiteren Begründung (Art. 1 Nr. 8 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs - BFHEntlG -).
2. Nach § 112 der Reichsabgabenordnung (AO) haftet u.a. der Gehilfe einer Steuerhinterziehung für den Betrag, in dessen Höhe Steuereinnahmen verkürzt wurden.
a) Dazu hat das FG in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, daß Steuerschulden des Kaufmanns X aus den Jahren 1963 bis 1967 in Höhe von insgesamt 37 154,75 DM verkürzt wurden. X habe dabei vorsätzlich gehandelt. Da die Klägerin bezüglich dieser tatsächlichen Feststellungen keine zulässigen und begründeten Revisionsrügen erhoben hat (vgl. II.1), ist der erkennende Senat an sie gebunden (§ 118 Abs. 2 FGO).
b) Das FG hat ferner aufgrund der von ihm durchgeführten Zeugenvernehmungen und aufgrund der urkundsmäßigen Verwertung des Vernehmungsprotokolls vom 28. August 1967 in tatsächlicher Hinsicht die Überzeugung gewonnen, daß die Klägerin Beihilfe zu dieser Steuerhinterziehung des X geleistet habe. Die Art und Weise, wie das FG seine Überzeugung gebildet hat, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Insbesondere verstieß die Heranziehung des Vernehmungsprotokolls vom 28. August 1967 im Wege des Urkundenbeweises nicht gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweiserhebung (vgl. II.1). Auch beruht die Überzeugungsbildung des FG nicht auf einem Verstoß gegen die Denkgesetze oder gegen Erfahrungssätze. Der erkennende Senat folgt insbesondere nicht der Klägerin in deren Auffassung, aus dem Gutachten des Sachverständigen folge, daß die Vernehmungsbeamten der Klägerin den Inhalt der Aussage eingeredet hätten. Das Gutachten äußert sich nur zur Postulationsfähigkeit der Klägerin am 28. August 1967, d.h. zu ihrer Fähigkeit, ihre damalige Aussage in einer bestimmten äußeren Erscheinungsform auszudrücken. In dieser Hinsicht evtl. bestehende Mängel besagen jedoch nicht, daß die Klägerin deshalb Geschehensabläufe, die in ihr Wissen gestellt waren, unzutreffend wiedergegeben hätte. Hat aber das FG seine Überzeugung ohne Verstoß gegen die Denkgesetze und gegen Erfahrungssätze gebildet, so ist der Senat hieran gebunden (§ 118 Abs. 2 FGO).
c) Das FG hat schließlich ohne Rechtsverstoß ein schuldhaftes Handeln der Klägerin bejaht. Auch insoweit folgt der Senat nicht der Auffassung der Klägerin. Das vom FG eingeholte Sachverständigengutachten äußert sich nur zur Postulationsfähigkeit der Klägerin am 28. August 1967 und nicht zu ihrer Schuldfähigkeit in der Zeit von 1963 bis 1967.
3. Die Vorentscheidung ist jedoch deshalb aufzuheben, weil das FG nicht geprüft hat, ob und ggf. inwieweit sich die Haftung der Klägerin dadurch vermindert hat, daß der Steuerschuldner X während des von der Klägerin betriebenen Einspruchsverfahrens Zahlungen auf die Steuerschulden leistete, für die die Klägerin in Anspruch genommen wurde. Die Klägerin haftet neben dem Steuerschuldner X als Gesamtschuldner. Jeder von ihnen hat nach § 7 Abs. 3 Satz 1 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) die ganze Leistung zu erbringen. Die Zahlung durch einen Gesamtschuldner (hier: durch den Steuerschuldner) kommt nach § 7 Abs. 4 Satz 1 StAnpG auch dem anderen Gesamtschuldner (hier: die Klägerin als Haftungsschuldnerin) zugute. Sie verringert die Steuerschuld des Steuerschuldners und damit auch die Haftungsschuld der Klägerin.
Da ein Haftungsschuldner nur für fremde Schuld einzustehen hat, setzt seine Inanspruchnahme durch Haftungsbescheid voraus, daß die Steuerschuld im Zeitpunkt des Erlasses des Haftungsbescheides in Höhe der dort angegebenen Haftungsbeträge noch nicht ganz oder teilweise getilgt war. Legt ein Haftungsschuldner gegen einen Haftungsbescheid Einspruch ein, muß das FA seine Ermessensentscheidung, ihn als Haftenden gemäß § 7 Abs. 3 Satz 2 StAnpG in Anspruch zu nehmen, überprüfen. Inzwischen eingegangene Zahlungen des Steuerschuldners, die zur Tilgung der Steuerschuld geführt haben, muß das FA dadurch Rechnung tragen, daß es die Haftungsbeträge herabsetzt. Die Haftung wird in einem solchen Fall gegenstandslos (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 13. Dezember 1963 VI 221/61 U, BFHE 78, 268, BStBl III 1964, 106; vom 24. Oktober 1979 VII R 7/77, BFHE 129, 13, BStBl II 1980, 58; vom 17. Oktober 1980 VI R 136/77, BFHE 131, 449, BStBl II 1981, 138). Allerdings bedarf der Haftungsbescheid keiner Änderung, wenn Zahlungen auf die Steuerschuld erst während des vom Haftungsschuldner betriebenen Klageverfahrens geleistet werden (vgl. Urteil in BFHE 131, 449, BStBl II 1981, 138).
Fundstellen
Haufe-Index 415183 |
BFH/NV 1988, 5 |