Leitsatz (amtlich)
Wird ein Rechtsstreit vor dem FG nach Ergehen eines Änderungsbescheids übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt, so schließt dies Rechtsbehelfe gegen den Änderungsbescheid nicht aus.
Normenkette
FGO § 42 Abs. 1, § 50; AO § 232 Abs. 1; AO 1977 § 351 Abs. 1; AO § 235; AO 1977 § 354
Tatbestand
Streitig ist, ob die Klage gegen einen die Steuer herabsetzenden Änderungsbescheid zulässig ist, wenn das Klageverfahren gegen den vorhergehenden Bescheid übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt worden ist.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Rechtsanwalt und Notar. Er wendet sich in der Sache gegen die Höhe der vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) festgesetzten Einkommensteuer 1969. Das FA erließ während des Klageverfahrens gegen den Einkommensteuer-Änderungsbescheid 1969 (Az. II 72/73) einen weiteren Änderungsbescheid vom 4. Februar 1976, in dem es die Steuer geringfügig um 90 DM herabsetzte. In der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht (FG) vom 19. Februar 1976 erklärten die Beteiligten den Rechtsstreit II 72/73 in der Hauptsache für erledigt.
Am 2. März 1976 legte der Kläger gegen den zweiten Änderungsbescheid Einspruch ein und wies darauf hin, daß das Einspruchsverfahren entsprechend der Absprache mit dem Vertreter des FA in der mündlichen Verhandlung vor dem FG ruhen solle, bis über die - auch für das Streitjahr 1969 erhebliche - Frage der Sonderabschreibungen für das Jahr 1967 vom Bundesfinanzhof (BFH) entschieden sei. Nachdem der BFH (mit Urteil vom 9. Dezember 1976 IV R 186/75) die Revision des Klägers in der Einkommensteuersache 1967 als unbegründet zurückgewiesen hatte, nahm das FA die Bearbeitung des Einspruchs auf und wies ihn durch Einspruchsentscheidung vom 19. April 1977 als unbegründet zurück.
Das FG wies die Klage, mit der der Kläger für das Streitjahr 1969 eine Sonderabschreibung in Höhe von 22 000 DM begehrte, als unzulässig ab. Zur Begründung führte es aus, in der Erledigungserklärung des Klägers im Klageverfahren II 72/73 gegen den ersten Änderungsbescheid sei ein Verzicht auf die Einlegung von Rechtsbehelfen gegen den zweiten Änderungsbescheid zu erblicken. Zumindest sei der Kläger aber mit seinem sachlichen Vorbringen ausgeschlossen, weil der zweite Änderungsbescheid nur im Ausmaß der Änderung angreifbar sei, der Kläger aber durch die begünstigende Änderung nicht beschwert sei (§ 232 Abs. 1 der Reichsabgabenordnung - AO -). Die Vorentscheidung ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 1978 S. 91 (EFG 1978, 91) veröffentlicht.
Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter. Er beantragt hilfsweise, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen. Er ist der Auffassung, die Erledigungserklärungen hätten nur den Rechtsstreit betroffen, der beim FG anhängig gewesen sei. Sie schlössen sachliche Zusagen zur weiteren Behandlung der Sache nicht aus. So lasse sich ein Rechtsstreit durch Erledigungserklärung auch mit der Zusage des FA abschließen, eine Veranlagung in einem bestimmten Sinne vorzunehmen. Das FA habe im Rahmen der Erledigung des ersten Klageverfahrens zugesagt, die Frage der Sonderabschreibung im Rahmen der Anfechtung des zweiten Änderungsbescheides zu entscheiden. Hieran habe es sich auch gehalten, indem es sachlich über den Einspruch entschieden habe. Diese Zusage könne auch das FG nicht unbeachtet lassen.
Das FA tritt der Revision mit den Gründen der Vorentscheidung entgegen. Im übrigen bestreitet es, eine Zusage in dem vom Kläger dargestellten Sinne abgegeben zu haben. Es sei lediglich vereinbart worden, daß vorerst die Entscheidung des BFH in der Einkommensteuersache 1967 habe abgewartet werden sollen. Dabei sei in Aussicht genommen worden, daß sich der Einspruch gegen den zweiten Änderungsbescheid erledigen solle, falls der Kläger vor dem BFH unterliege.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
1. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz kann in der Erklärung, die Hauptsache des Verfahrens II 72/73 sei erledigt, nicht zugleich auch ein Verzicht (§ 235 AO; nunmehr: § 354 der Abgabenordnung - AO 1977 - ) auf Anfechtung des zweiten Änderungsbescheides vom 4. Februar 1976 erblickt werden.
Ein Rechtsbehelfsverzicht muß eindeutig erklärt werden. Erklärt ein Steuerpflichtiger den Rechtsstreit eines laufenden Verfahrens im Hinblick auf den Erlaß eines nach Klageerhebung ergangenen Änderungsbescheides für erledigt, so betrifft diese Erklärung nur das laufende gerichtliche Verfahren. Zur etwaigen Beendigung eines weiteren, noch beim FA anhängigen Verfahrens über einen zweiten Änderungsbescheid sagt eine solche Erklärung regelmäßig nichts aus. So deutet auch im Streitfall alles darauf hin, daß der Kläger mit seiner Erledigungserklärung keinen Rechtsbehelfsverzicht beabsichtigt hatte und daß das FA als Erklärungsgegner eines möglichen Rechtsbehelfsverzichtes die Erledigungserklärung nicht im Sinne eines Verzichtes auffassen konnte und auch nicht aufgefaßt hat. Durch den zweiten Änderungsbescheid hat das FA nicht etwa den Streitpunkt des Verfahrens II 72/73 beseitigt. Es hat vielmehr die Steuer lediglich um 90 DM herabgesetzt, während es dem Kläger als Folge der von ihm begehrten Sonderabsetzung für Abnutzung um die Herabsetzung der Steuer um mehrere tausend DM ging. Das FA hat demgemäß auch den Einspruch des Klägers gegen den zweiten Änderungsbescheid nicht als unzulässig, sondern unter Berücksichtigung der Entscheidung des BFH zur Einkommensteuersache 1967 als unbegründet zurückgewiesen. Es hat noch in seiner Revisionserwiderung dargelegt, es sei vereinbart gewesen, daß sich der Einspruch gegen den zweiten Änderungsbescheid nach einer für den Kläger ungünstigen Entscheidung des BFH in der Einkommensteuersache 1967 erledigen sollte. Auch aus diesem Vortrag folgt, daß sich der Kläger seiner Rechte zur Anfechtung des zweiten Änderungsbescheides durch die Erledigungserklärung im Verfahren II 72/73 nicht begeben wollte und auch nicht begeben hat. Der erkennende Senat der Vorinstanz hat somit die Erledigungserklärung, die nicht vor ihm, sondern vor einem anderen Senat des FG abgegeben worden war und über die er sich daher aus eigener Kenntnis kein Bild machen konnte, zu Unrecht im Sinne eines Rechtsbehelfsverzichts ausgelegt.
Da der Kläger aus den dargelegten Gründen einen Rechtsbehelfsverzicht nicht erklärt hat, brauchte der Senat nicht mehr darüber zu befinden, ob eine Verzichtserklärung den formellen Anforderungen der §§ 50 der Finanzgerichtsordnung (FGO), 235 AO entsprochen hätte (vgl. auch BFH-Urteile vom 2. August 1955 I 186/54 U, BFHE 61, 345, BStBl III 1955, 331, und vom 20. Januar 1967 VI 371/65, BFHE 88, 274, BStBl III 1967, 380).
2. Der Senat vermag der Vorentscheidung auch nicht darin zu folgen, daß die Klage gegen den zweiten Änderungsbescheid im Hinblick auf §§ 42 Abs. 1 FGO, 232 Abs. 1 AO (jetzt § 351 Abs. 1 AO 1977) unzulässig ist.
Nach diesen Vorschriften können Verfügungen, die unanfechtbare Verfügungen der in § 229 AO bezeichneten Art ändern, nur insoweit angegriffen werden, als die Änderung reicht. Voraussetzung für die Anwendung dieser Vorschriften ist, daß die Änderung einen unanfechtbaren Bescheid betrifft. Für die Frage, ob ein Bescheid bereits unanfechtbar geworden ist, kommt es auf den Zeitpunkt des Erlasses des Änderungsbescheides an und nicht auf den Zeitpunkt, in dem der Änderungsbescheid angefochten wird.
Wird ein noch nicht bestandskräftiger Bescheid geändert, so können alle gegen den vorhergehenden Bescheid möglichen Einwendungen im Verfahren gegen den Änderungsbescheid vorgebracht werden (vgl. BFH-Urteile vom 7. August 1964 III 274/63 U, BFHE 80, 337, BStBl III 1964, 594, unter II. der Entscheidungsgründe; vom 8. Juni 1967 IV 58/63, BFHE 89,233, BStBl III 1967, 639; ferner Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 42 FGO Anm. 3, 12, § 232 AO Anm. 5, § 351 AO 1977 Anm. 7; Ziemer/Birkholz, Finanzgerichtsordnung, § 42 Tz. 9, 12; Tipke/Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, § 42 FGO Anm. 1; Kühn/Kutter, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 351 AO Anm. 2).
Im Streitfall scheitert eine Anwendung der §§ 42 FGO, 232 Abs. 1 AO daran, daß im Zeitpunkt des Ergehens des zweiten Änderungsbescheides (4. Februar 1976) der vorhergehende gemäß § 68 FGO zum Gegenstand des Verfahrens II 72/73 gemachte Bescheid noch nicht bestandskräftig war. Entgegen der Ansicht des FG konnten sich Beschränkungen in den Anfechtungsmöglichkeiten (i. S. der §§ 42 FGO, 232 Abs. 1 AO) auch nicht aus den am 19. Februar 1976 übereinstimmend abgegebenen Erledigungserklärungen ergeben. Durch die Erklärungen ist lediglich das Verfahren II 72/73 ex nunc beendet worden (Tipke/Kruse, a. a. O. , § 138 FGO Anm. 14; Ziemer/Haarmann/Loose, Rechtsschutz in Steuersachen, Tz. 8861). Die Erledigung dieses Verfahrens ändert nichts daran, daß sich die zweite Änderung auf einen im Zeitpunkt der Änderung noch nicht bestandskräftigen Bescheid bezog.
3. Da die Vorentscheidung schon aus den vorstehenden Gründen aufzuheben war, konnte dahingestellt bleiben, ob das FA in der mündlichen Verhandlung dem Kläger die von ihm behaupteten Zusagen gemacht hatte und welche verfahrensrechtlichen Auswirkungen sie haben konnten.
Fundstellen
Haufe-Index 425977 |
BStBl II 1981, 5 |
BFHE 1981, 267 |