Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Bei gleichartiger freiberuflicher Tätigkeit ist der aus der entgeltlichen Abgabe eines Teils der Mandanten erzielte Gewinn nur dann tarifbegünstigt, wenn damit die Tätigkeit in einem klar abgegrenzten örtlichen Wirkungskreis endgültig eingestellt wird.
Normenkette
EStG § 18 Abs. 3, § 34 Abs. 1, § 34/2
Tatbestand
Streitig ist die einkommensteuerliche Behandlung des bei Veräußerung eines Teils einer freiberuflichen Praxis erzielten Gewinns.
Der seinen Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG ermittelnde beschwerdeführende Ehemann (Bf.), der seit 1948 in H. als Steuerbevollmächtigter tätig ist und im Streitjahr 1959 mit seiner Ehefrau zusammen veranlagt wurde, übertrug durch Vertrag vom 25. Januar 1959 mit Wirkung vom 1. April 1959 einen Teil seiner Steuerpraxis aus gesundheitlichen Gründen auf den Steuerbevollmächtigten W. in H. Die dem W. übertragene Klientel bestand aus 87 Mandanten, die im Hinblick auf diese übertragung seit 1958 getrennt betreut worden waren. Der Bf. überließ dem W. die für diesen Teil der Mandanten eingesetzten Angestellten und die zugehörige Büroeinrichtung mit den Handakten. Das vereinbarte Entgelt für die Abgabe dieser Mandanten betrug 19.400 DM. Das entsprach ungefähr dem durchschnittlichen Jahreshonorar. Das Entgelt war ab 30. September 1959 in vierteljährlichen Raten innerhalb von drei Jahren zu entrichten. Auf das Streitjahr 1959 entfielen 2.970 DM, worin das Entgelt für die Büroeinrichtung in Höhe von 270 DM enthalten war, auf 1960 6.450 DM, auf 1961 5.250 DM und auf 1962 5.000 DM. Bei der Veranlagung 1959 beantragte er, den Betrag von 19.670 DM als steuerbegünstigten Veräußerungsgewinn (§ 18 Abs. 3, § 34 Abs. 1 und 2 EStG) zu behandeln.
Das Finanzamt lehnte die Anwendung des § 34 EStG ab und zog die im Streitjahr zugeflossene Rate von 2.970 DM als laufenden Gewinn zum normalen Steuersatz zur Einkommensteuer heran.
Die Sprungberufung blieb ohne Erfolg. Das Finanzgericht führte aus, daß eine steuerbegünstigte Veräußerung (§ 18 Abs. 3 EStG) nicht vorliege, da der Bf. keinen selbständigen Teil seiner Praxis veräußert habe.
Mit der Rb. rügt der Bf. Verletzung materiellen Rechts.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist nicht begründet.
Die vom Bf. beantragte Versteuerung eines Veräußerungsgewinns von 19.670 DM zum ermäßigten Steuersatz (§ 34 Abs. 1 EStG) würde sich zwar im Streitjahr gegenüber der Besteuerung von nur 2.970 DM mit dem normalen Steuersatz zum Nachteil des Bf. auswirken. Der Bf. ist jedoch durch die angefochtene niedrigere Steuerfestsetzung deshalb beschwert, weil die Heranziehung der einzelnen Raten zum normalen Steuersatz im Laufe der Jahre des Zuflusses insgesamt den Vorteil der für das Streitjahr vorgenommenen niedrigeren Steuerfestsetzung überwiegt. Die Rb. ist deshalb zulässig.
Der Gewinn, der bei der Veräußerung des der selbständigen Arbeit dienenden Vermögens, d. h. der gesamten Grundlage der Tätigkeit, oder bei der Aufgabe der Tätigkeit erzielt wird, ist steuerbegünstigt (§ 18 Abs. 3 Satz 1, § 34 Abs. 1 und 2 EStG). § 18 Abs. 3 Satz 1 EStG ist insoweit der Vorschrift des § 16 Abs. 1 und 3 EStG nachgebildet. Zu dem Vermögen, das die Grundlage der Tätigkeit bildet, gehören auch die immateriellen Werte, besonders die Beziehungen des Praxisinhabers zur Kundschaft. Die übertragung dieser Werte stellt sich zwar beim Freiberufler schwieriger dar als bei einem Gewerbetreibenden, weil der Praxiswert wesentlich personenbezogen ist. Dennoch pflegen diese Werte Gegenstand von Veräußerungsverträgen zu sein (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs I 61/57 U vom 15. April 1958, BStBl 1958 III S. 330, Slg. Bd. 67 S. 151). Die Veräußerung des gesamten der Tätigkeit dienenden Vermögens liegt nur vor, wenn auch die Beziehungen zur Kundschaft mitübertragen werden. Dementsprechend kann von der Aufgabe der Tätigkeit nur gesprochen werden, wenn die Tätigkeit unter Umständen eingestellt wird, die ausschließen, daß sie in dem bisherigen örtlichen Wirkungsbereich wiederaufgenommen werden kann. Sowohl im Fall der Veräußerung als auch in dem der Aufgabe muß die selbständige Arbeit beendet sein, damit die Voraussetzungen der Steuerbegünstigung erfüllt sind (vgl. Urteil des erkennenden Senats IV 24/55 U vom 24. Mai 1956, BStBl 1956 III S. 205, Slg. Bd. 63 S. 27). Dabei muß im Falle der Praxisveräußerung nicht schlechthin jede Tätigkeit beendet sein. Es genügt, wenn sie in dem bisherigen örtlichen Wirkungskreis endgültig eingestellt wird (vgl. das nicht im BStBl veröffentlichte Urteil des erkennenden Senats IV 278/60 vom 30. Juni 1961, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1961 S. 222). In diesen Fällen wirkt sich die Freigrenze von 10.000 DM (§ 18 Abs. 3 Satz 4 EStG) voll aus, wobei es keinen Unterschied macht, ob die Tätigkeit im Rahmen einer Einzelpraxis oder einer Gesellschaft (Sozietät) ausgeübt wird (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs I 314/60 U vom 24. Juli 1962, BStBl 1962 III S. 444, Slg. Bd. 75 S. 484).
Diese Notwendigkeit der Betonung der Tätigkeit ergibt sich aus der Eigenart der selbständigen Arbeit, besonders des freien Berufs. Die Ausübung einer selbständigen Tätigkeit unterscheidet sich vom gewerblichen oder land- und forstwirtschaftlichen Betrieb in der Regel dadurch, daß der Einsatz von Kapital gegenüber der geistigen Arbeit und der eigenen Arbeitskraft in der Hintergrund tritt. Der Begriff des Betriebes erhält insofern einen anderen Inhalt, als die Ausübung einer auf Ausbildung und Können beruhenden Tätigkeit das beherrschende Moment bildet. Das gilt auch dort, wo die Tätigkeit ein nicht unerhebliches Betriebsvermögen erfordert.
Das Gesetz unterscheidet zwischen der "Veräußerung des der selbständigen Arbeit dienenden Vermögens" und der "Aufgabe der Tätigkeit". Die Begriffe "selbständige Arbeit" und "Tätigkeit" sind gleichbedeutend. Unter "Tätigkeit" ist ein in sich geschlossener Bereich selbständiger Arbeit zu verstehen, der entsprechend der Aufzählung in § 18 Abs. 1 EStG den Gegenstand eines Berufs zu bilden pflegt. Es ist nicht ausgeschlossen, daß ein Steuerpflichtiger mehrere selbständige, wesensmäßig verschiedene Tätigkeiten mit verschiedenen Kundenkreisen zugleich ausübt, so wie ein Gewerbetreibender Inhaber mehrerer selbständiger Betriebe sein kann. Die Steuerbegünstigung ist dann zu gewähren, wenn eine dieser mehreren Tätigkeiten durch die Veräußerung des ihr dienenden Vermögens in dem bisherigen Wirkungskreis oder durch Aufgabe beendet wird.
Handelt es sich um eine einheitliche, gleichartige Tätigkeit, schließen die Eigenart der selbständigen Arbeit und die Betonung der Betätigung im allgemeinen die Annahme aus, daß Teile der Praxis eine so weitgehende organische Selbständigkeit erlangt haben, daß sie Teilbetrieben im gewerblichen oder im land- und forstwirtschaftlichen Bereich gleichgestellt werden können, deren wesentliches Substrat in der Regel in einem in bestimmter Weise organisierten Betriebsvermögen zu sehen ist. Denn im gewerblichen Bereich liegt ein Teilbetrieb nur vor, wenn es sich um einen mit gewisser Selbständigkeit ausgestatteten, organisch geschlossenen Teil eines Gesamtbetriebes handelt (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 987/31 vom 13. Mai 1931, RStBl 1931 S. 490; Urteile des Senats IV 67/58 U vom 9. Dezember 1960, BStBl 1961 III S. 124, Slg. Bd. 72 S. 331; IV 251/57 U vom 27. Oktober 1960, BStBl 1961 III S. 230, Slg. Bd. 72 S. 628). Zwar lassen sich auch innerhalb einer freiberuflichen Praxis organisatorische Aufteilungen in verschiedener Weise durchführen, etwa nach den Anfangsbuchstaben der Mandanten oder nach örtlichen oder fachlichen Gesichtspunkten. Diese nur organisatorisch bedingten Abteilungen innerhalb einer einheitlichen gleichartigen Betätigung begründen für sich allein keine Selbständigkeit der Praxisteile im Sinne des Teilbetriebsbegriffes.
Der Gesetzgeber sah offenbar wegen dieser Besonderheiten der freiberuflichen Tätigkeit davon ab, die für die Veräußerung gewerblicher und land- und forstwirtschaftlicher Teilbetriebe getroffene Regelung (§ 16 Abs. 1 und 2, § 14 Abs. 1 EStG) bei den Einkünften aus selbständiger Arbeit für anwendbar zu erklären. Mit der änderung des § 18 Abs. 3 EStG durch das Gesetz zur Neuordnung von Steuern (StNG) vom 16. Dezember 1954 (BStBl 1954 I S. 575), durch die die Freigrenze von 10.000 DM eingeführt wurde, sollten die Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit denen aus Gewerbebetrieb und aus Land- und Forstwirtschaft gleichgestellt werden (Deutscher Bundestag, 2. Wahlperiode, 1953, Drucksache 481 S. 85). Der Gesetzgeber vermied es jedoch, anders als in den Bestimmungen der §§ 16 Abs. 4 und 14 Abs. 2 EStG, die als Vorbild hätten dienen können, auch eine Regelung für die Anwendung der Freigrenze im Falle der Veräußerung einer sogenannten Teilpraxis zu treffen. Die in der amtlichen Begründung ausgesprochene Absicht, die genannten Einkunftsarten gleichzustellen, hat insoweit im Gesetz selbst keinen Ausdruck gefunden. Der Gesetzgeber ging offenbar nach wie vor davon aus, daß bei einer einheitlichen Tätigkeit nach § 18 EStG eine Teilpraxis im Sinn des Teilbetriebsbegriffs der §§ 14, 16 EStG im allgemeinen nicht in Betracht komme und deshalb ein Bedürfnis für eine gesetzliche Regelung nicht bestehe.
Aus dieser Auffassung des Gesetzgebers und aus dem abweichenden Wortlaut der §§ 16 Abs. 4 und 18 Abs. 3 EStG braucht indessen nicht der Schluß gezogen zu werden, daß die sinngemäße Anwendung der für Teilbetriebe geltenden Grundgedanken ausnahmslos ausgeschlossen ist. Es treten auch bei den Einkünften aus selbständiger Arbeit Veräußerungsfälle auf, die den Veräußerungen von gewerblichen oder land- und forstwirtschaftlichen Teilbetrieben wirtschaftlich so weitgehend gleichen, daß sich für eine Verweigerung der Steuerbegünstigung keine einleuchtende Gründe finden lassen. Wegen des hinsichtlich des Teilbetriebs eingeschränkten Wortlauts des § 18 Abs. 3 EStG kann aber eine Veräußerung eines Teils des der Gesamttätigkeit dienenden Vermögens oder eine teilweise Aufgabe der Gesamttätigkeit bei Fortsetzung einer als selbständig zu beurteilenden Betätigung nur dann angenommen werden, wenn der Veräußerer die sachlich einheitliche Tätigkeit wenigstens in einem örtlich abgegrenzten Bereich endgültig eingestellt hat. Das kann der Fall sein, wenn die Praxis an mehreren entfernten Orten mit getrenntem Kundenkreis und im Rahmen selbständiger Büros mit besonderem Personal ausgeübt wird. Bei sachlich einheitlicher Tätigkeit, die in einem zusammenhängenden räumlichen Wirkungsbereich mit nur einem Büro als Mittelpunkt entfaltet wird, kommt eine steuerbegünstigte Praxisveräußerung in der Regel nicht in Betracht. Dann stellt sich die Abgabe eines Teils der Mandanten zum Zwecke der Praxiseinschränkung nur als Veräußerung einzelner Vermögensgegenstände dar, zu denen auch die Beziehungen zu einem Teil der Kundschaft gehören. Es fehlt an der Einstellung der gesamten Tätigkeit in einem geschlossenen räumlichen Wirkungsbereich. Die bloße Einschränkung der Tätigkeit genügt nicht den Voraussetzungen, an die das Gesetz die Steuerbegünstigung von Veräußerungsgewinnen knüpft. Soweit die in Abschnitt 147 Abs. 2 EStR 1958 (und später) getroffene Verwaltungsregelung aus der dort bezeichneten Entscheidung des Senats IV 24/55 U andere Schlüsse zieht, tritt ihr der Senat nicht bei.
Im Streitfall hatte der Bf. einen großen Teil seiner Mandanten abgegeben und die Praxis dadurch erheblich eingeschränkt, die Tätigkeit im übrigen jedoch fortgeführt. Es handelte sich daher nicht um eine nach § 18 Abs. 3 EStG steuerbegünstigte Veräußerung einer Teilpraxis. Der erzielte Gewinn unterliegt dem gewöhnlichen Steuersatz für die laufenden Einkünfte aus selbständiger Arbeit.
Fundstellen
Haufe-Index 410968 |
BStBl III 1964, 120 |
BFHE 1964, 303 |
BFHE 78, 303 |